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Springbreak

Vorwort

@alle: Falls was nicht passt, einfach sagen. Mehr folgt demnächst.

 

Dornröschen erwache

Jackson telefonierte immer noch. Oder wieder? Jay hatte nicht darauf geachtet. Er benötigte all seine Konzentration für's Fahren. Das hielt ihn nicht nur davon ab, die Gespräche seiner Vorgesetzten mitzuhören, sondern auch, über die Ereignisse der letzten Stunden nachzudenken. Scheinwerfer sausten durch die Dunkelheit an ihm vorbei – allerdings immer spärlicher. Jackson unterbrach ihre Telefonate ab und an für eine Bemerkung wie „Die nächste rechts raus“ und lotste den jungen Esper so wieder zurück zu dem etwas abgelegenen Unesco-Flughafen. Die Rückbank lag vergleichsweise in Stille da. Gwen war fast sofort weggenickt und Hiroo hatte es ihr bald gleichgetan. Nur das gleichmäßige Atmen der beiden Schlafenden drang nach vorne, wenn man genau hinhörte - was keiner von den beiden vorne Sitzenden tat.

Irgendwann hatten sie dann den Parkplatz erreicht, von dem sie am selben Nachmittag noch aufgebrochen waren. Dort wurden sie schon von einem Typen in Unesco-Kluft empfangen, der sich als ihr Pilot zurück zum Campus vorstellte. Der Weg zum Flugzeug war nicht allzu lang, aber trotzdem unangenehm genug. Jay fror in der schneidend kalten Nachtluft und die Müdigkeit, die langsam aber sicher Besitz von ihm ergriff, machte die Sache nicht besser. Unter anderen Umständen hätte Jackson ihm jetzt sicher eine Predigt gehalten. Von wegen Verantwortungsbewusstsein und so. Glücklicherweise war sie zu sehr mit sich und der Organisation aller weiteren Dinge beschäftigt, um für dieses Detail Zeit zu haben. Das würde dann wahrscheinlich in der Nachbesprechung erwähnt. Jay hatte nicht so eine böse Vorahnung wie nach der letzten Mission, aber diese Sitzung würde wohl trotzdem nicht sonderlich angenehm werden. Gut, sie hatten den Abend gerettet. Und doch hatte er das dumpfe Gefühl, dass Jackson mit einigen Details nicht zufrieden war. Das würde sich bestimmt noch bemerkbar machen. Leider. Jay schreckte aus seinen Grübeleien auf, als ein kleiner zehnjähriger Mädchenkörper in ihn hineinstolperte. Gwen war offenbar noch müder als alle zusammen, sodass ihre Kraft und Orientierung sie ein wenig im Stich ließen. Kurzerhand hob ihr Teamkamerad sie hoch und trug sie die restliche Strecke zum Flugzeug.

Der Wagen hielt abrupt an. Für Hiroo war noch Schlafenszeit und sie zog die Decke in Form ihrer Jacke über sich zurück. Sie richtete ihr kuscheliges Kissen auf und döste wieder ein.

In ihrem wiederkehrenden Traum sah sie eine farbenfrohe Nebelwolke. Ein Gesicht aus abertausenden leuchtenden Sternenpunkten war hinter dem Sternenstaub verdeckt erkennbar. Sie schwebte näher heran durch den fast luftleeren Raum. Nur die Nebelschwaden zogen an ihr vorbei. In der Ferne flogen perlfarbendurchzogene Gesteinsbrocken entlang. Sie kam gemächlich an das riesige im Himmelszelt schlafende Gesicht heran, das sich leuchtend wie ein Sternenbild hinter der Wolke hervortat. Die Augen waren geschlossen. Während sie das Gesicht betrachtete, konnte sie plötzlich eine langsam lauter werdende Melodie vernehmen. Die Augen öffneten sich und sie konnte eine infernale Feuersbrunst in der Iris entdecken, die sie fixierte. Sie wurde nach unten gezogen. Die Himmelsgesteine entflammten und schossen ihr in tausend Farben aufgehend hinterher. Während die Schwerkraft sie gnadenlos nach unten zog, versuchte sie sich hilflos wankend nach hinten zu drehen. Sie konnte etwas altvertrautes bekanntes in der langsam auf sie zukommenden Schwärze erkennen.

Sie schreckte auf. Ihr Kopf stieß auf etwas abrupt hartes und sie schaute sich nur langsam orientierend um. Ihr Kissen war verschwunden. Ein Blick zur Seite ließ sie durch einen verschwommenen Blick Jackson erkennen, die Gwen aus dem stehenden Auto geladen hatte. Sie stellte das schläfrige Mädchen auf den Boden, welches sich aber nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Hiroo robbte auch aus der Tür heraus und ließ sich von der hinteren Sitzbank heraus fallen. Sie zog ihre zusammengeknautschte Jacke zurecht und folgte dem sich langsam in Bewegung setzenden Gänsemarsch, angeführt von Jackson. Gwen stolperte in Jay hinein und er nahm sie behutsam auf seine starken Schultern. Was hätte sie dafür gegeben auf die gleiche Weise in ihr Bett getragen zu werden. Mit diesen Gedanken widmete sie sich wieder ihrer fast real erscheinenden Traumwelt aus der sie gerade entrissen wurde und trottete der Bande hinterher.

Endlich, dachte Jay. Die drei Esper lehnten müde in den Flugzeugsitzen, während die Maschine sich in den Himmel erhob. Jetzt konnte auch er sich sich ein wenig ausruhen. Jay kuschelte sich so gut es ging in das Sitzpolster und schloss die Augen. Es brauchte allerdings nicht einmal fünf Minuten, bis er realisierte, dass das mit dem Schlafen nichts werden würde. Er spürte den Strom des Flugzeugs vom Heck bis vor zum Cockpit. Die Energie schien dröhnend und penetrant um ihn herumzufließen und ließ dem jungen Mann keine Ruhe. Jay hing in dem Sessel, völlig erschöpft und doch hellwach. Genervt warf er den Kopf zurück und fluchte. Für eine ganze Weile saß er einfach nur da und starrte ins Nichts. In dieser Leere begannen seine Gedanken sich zu verselbstständigen und kehrten zu den Ereignissen des Tages zurück. Für einen Moment fühlte es sich so an, als wäre das alles nicht erst vor ein paar Stunden geschehen. Doch je weiter Jay sich physisch davon wegbewegte, desto näher kamen seine Erinnerungen – oder auch seine Nicht-Erinnerungen. Was zwischen der Konfrontation mit dem seltsamen Mann im Keller und der Versammlung in der Tiefgarage passiert war, hatte er immer noch nicht so ganz mitbekommen. In seinem Kopf fand sich nichts dazu. Es kam Jay vor, als hätte zwischen diesen beiden Erlebnissen nichts existiert. Gwen und Hiroo hatten nur ein paar kurze Worte dazu verloren, aber angedeutet, dass Jackson auch hypnotisiert gewesen war. Sie hatte ein wenig neben sich gestanden. Genau wie er. Vor Jays innerem Auge tauchte er wieder auf: Der Mann mit der schwarzen Maske, hinter der brennende Augen ihn fixierten. Dieser Esper hatte Jay ausgeknipst und kontrolliert, ohne dass er sich hatte wehren können – ja sogar ohne dass er sich dessen bewusst gewesen war. Er war einfach weggewesen. Dieser Gedanke ließ Jay erschaudern. Er machte ihm Angst. Hilflosigkeit überfiel ihn. Er hatte nichts tun können. Nichts. Dann kam ihm eine andere Überlegung. Was, wenn er etwas Furchtbares getan hatte? Was, wenn die anderen beiden ihm das verschwiegen? Nein. Er schüttelte den Kopf. Hiroo und Gwen waren zu direkt und ehrlich, als dass sie ihm nichts gesagt hätten. Oder? Zweifel umsponnen ihn und das perfide Gefühl der Panik schnürte ihm die Luft ab. Jay fluchte erneut. Das würde er nicht mehr lange aushalten. Aber was sollte er schon machen?

Kaum hatte er das zu Ende gedacht, traf ihn der Geistesblitz. Er drehte seinen Kopf zur Seite. Hiroo lehnte friedlich schlummernd – was hatte sie doch für ein Glück – in ihrem Sitz, die Earbuds in den Ohren. Jay zögerte kurz. Dann beugte er sich vor, griff nach den Earbuds und zog sie vorsichtig weg. Hiroo rührte sich nicht. Jay atmete erleichtert aus und stöpselte sie sich selbst ins Ohr. Nichts. Sie waren tatsächlich noch aus. Jay betrachtete die winzigen Geräte genauer, fand nach ein wenig Herumprobieren die Einschaltefunktion und setzte die nun performenden Ohrhöhrer ein. Er konnte zwar immer noch nicht verstehen, warum Hiroo das genießen konnte. Doch wie schon vorher im Club, halfen sie wenigstens, die düsteren Gedanken und Gefühle zu vertreiben. Und das war immerhin etwas. Der junge Mann seufzte auf, lehnte sich zurück und starrte wieder ins Leere, während die Musik durch seinen Kopf tanzte. Irgendwann bemerkte er am Rande, dass das Flugzeug zum Landen ansetzte, fischte die Earbuds aus seinen Ohren, schaltete sie aus und versuchte sie Hiroo wieder einzusetzen – hoffend, dass sie nichts bemerkt hatte.

Nachdem sie in das Flugzeug gestiegen waren, war es ihr leider nicht vergönnt Gwen als persönliches Kissen auszunutzen. So setzte sich Hiroo neben Jay, der sich jedoch nur schlaflos hin- und herdrehte. Die lange Fahrt durch die schneebedeckte Nacht hatte einiges von ihm abverlangt. Er schien starkem Stress ausgesetzt zu sein. Aber so war er oder vielmehr seine Esper eben. Hätte sie ihm ihre Schulter zum anlehnen anbieten sollen? Sie steckte sich ihre Earbuds in die Ohren, ließ sie jedoch ausgeschaltet um Jay in seiner Anspannung nicht weiter unter Strom zu setzen. "What can I do...?", dachte sie sich noch, während sie immer schläfriger wurde und ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Trotz ihrer Gedanken um Jay schlief sie bei der einsetzenden Vibration des abhebeneden Flugzeuges ein. Diesmal war ihr Schlaf fester, ihr Traum tiefer als zuvor. So kam sie zuerst nur langsam aus ihrem Schlaf heraus, als etwas an ihren Ohren herumspielte. War es schon wieder Sommer? Irgendeine Mücke oder eine anderes Insekt, das ihr in ihrem hitzigen Schlaf den letzten Nerv rauben wollte? 'No fucking way, you scum', und sie schlug in die Richtung in der sie das herumfliegende Insekt vermutete. Ihr flache Hand landete auf etwas größerem als einer Fliege und ein lautes Klatschen weckte sie auf.

Das hatte Jay nicht kommen sehen. Hiroos unbeabsichtigte Backpfeife erwischte ihn kalt und für einen Moment wusste er nicht, wie ihm geschah. Im nächsten folgte seine natürliche Reaktion: "Ah, Verdammt!" Das Nachbeben des Schlags kroch als unangenehmes Prickeln durch seine Wange.

Sie hörte eine ihr bekannte Stimme und öffnete ihre verträumten Augen. Ihr Blick folgte dem ausgestrecktem Arm der unter ihrer Jacke herausragte. Ihre Hand klebte noch halb an der Wange von Jay. Seine Hand hing wiederum in ihrem Haar. Sie blickte ihm peinlich berührt in die Augen. Einen Moment später fasste sie sich wieder. Sie zog ihre Hand zurück und zog ihr Gesicht von seiner weg. "Why you touching me?"

Durch ein klatschendes Geräusch wurde ich wach. Jay hockte über Hiroo, die sah verschlafen und zerstrubbelt aus. Und ich, ja, ich war einfach verwirrt. Hatte ich doch gerade noch von einer Welt geträumt, in der die Menschen am Grunde eines Brunnens lebten. Und jetzt waren beide so merkwürdig ineinander verknautscht. Jay hatte mich vorhin ins Flugzeug getragen, nachdem ich ausgiebig mit Hiroo geschmust hatte. Sie war warm, roch nach zuhause und bei ihr fühlte ich mich sicher. Sie würde alles anzünden, was gefährlich war. Und Jay - der war wahnsinnig stark und fast wie ein großer Bruder für mich, nur leider nicht so kuschelig.

Ob ihm das Flugzeug gut tat? Was Jackson nach diesem Ausflug sagen würde? "Hey, ihr.", murmelte ich mehr als das ich es sagte, gähnte und streckte mich. "Was macht ihr denn da seltsames?" 

Jay erwiderte den verblüfften Blick von Hiroo, die offenbar erst jetzt so richtig vom Schlaf in die Realität zurückkehrte. Ihr verschlafener Blick klärte sich und sie fand als erste ihre Sprache wieder. Jay verschlug es eben jene. Er war ein wenig perplex und gleichzeitig war ihm die Szene ziemlich unangenehm. "What? You ...? Oh crap. I -" Er unterbrach sich, suchte nach einer guten Ausrede, fand keine und entschied sich für Ehrlichkeit: "I borrowed your earbuds, because I'm a jerk. Sorry."

Sie fasste an ihr rechtes Ohr und tatsächlich, sie fand einen ihrer Earbuds. Ihr linker Earbud fehlte, sie blickte sich kurz in Richtung des Bodens um ohne erneut den Blick mit dem von Jay zu kreuzen und sah ihn in der Hand von Jay. Er reichte ihn ihr hin. In einer seichten Bewegung schnappte sie ihn sich und stand auf. Das Flugzeug war gerade im Landeanflug. "Don't mention it.", erklang es nur beiläufig aus ihrem Mund und sie drehte sich zu Gwen. "You're awake, little one. We're... doing nothing." Sie kniete sich zu ihr herunter um das Thema zu wechseln. "How you feeling?"

"Nichts für ungut, Turteltäubchen, aber schafft ihr es, noch ein paar Minuten die Finger voneinander zu lassen?" Jackson sah zehn Jahre älter und sogar für ihre Umstände lädiert aus, aber auch in diesem Zustand wirkte wohl ihre Agentenausbildung. Sie schaute vielleicht schon seit einigen Sekunden aus der Tür zum Cockpit und beobachtete, was da vor sich ging - mit zerknautschten Klamotten, zerstaustem Haar und dunklen Ringen unter den Augen wirkte die Teamleitung womöglich noch gefährlicher, und ihre Stimme klang trotz aller Müdigkeit drohend genug. Der Tonfall änderte sich ein wenig, als sie fortfuhr. „Wir sind schon über dem UnEsCo Sperrgebiet und gehen gleich in die Landung. Schnallt euch an und so weiter. Damit meine ich auch dich, Hiroo!“

Jay hätte beinahe seine Fassung wiedererlangt, wenn da nicht Gwen und Jackson gewesen wären. Die Frage des kleinen Mädchens ließ ihn abrupt innehalten. Was hatte sie mitbekommen? Und was zur Hölle dachte sie da gerade? Für einen kurzen Moment war er erleichtert, als Hiroo sich der Sache annahm. Doch dann schaltete sich Jackson ein. Jay fuhr herum. Normalerweise hätte er auf so eine Bemerkung einen pampigen Kommentar folgen lassen. Schließlich hätte es ihn ziemlich genervt, so dargestellt zu werden, als ob er mit jemandem anbandelte. Doch als Jay den Blick seiner Vorgesetzten sah, gefror er innerlich. Es war einer dieser Momente, in denen er etwas an Jackson wahrnahm, was nur unterschwellig rüberkam und ihm Angst machte. Er riss seinen Blick von Jackson los und starrte zu Boden. Dann realisierte er, dass er sich noch nicht angeschnallt hatte und tat das. "You got to be kidding me", flüsterte er immer wieder leise vor sich hin.

Hiroo hielt Gwens Hand und setzte sich neben sie. Sie wartete noch eine Antwort auf ihre Frage ab, doch nach der Ansprache von Jackson hatte es Gwen die Sprache wohl verschlagen. "Always the same with her... Don't worry about it too much, Gwen." Sie legte einen Arm beruhigend um sie, während das Flugzeug seine Nase nach unten neigte, nach kurzer Zeit die Landebahn entlangrollte und schließlich an einem der Hangar zum Stehen kam.

Unten angekommen fiel die Besprechung überraschend kurz aus. Bis auf die zum Nachmittag angeordnete Sondersitzung auf der Krankenstation, wurde die Gruppe zügig entlassen. Hiroo atmete die kühle Luft ein. Bis auf den rauschenden Wind war es nach den letzten verabschiedenden Worten von Jackson zwischen den drei Schülern recht still geworden. Für Jay war dies nichts aussergewöhnliches, doch selbst Gwen verhielt sich überraschend ruhig. Der Schlaf, den sie in den Flugzeugsitzen nachgeholt hatten, war wohl nicht genug gewesen und Hiroo sehnte sich nach der weichen Decke in ihrem Bett. Ein weißes Wölkchen entkam ihrem Atem. So trotteten sie den Weg zur Administration gemeinsam zurück.

 

No Jacking Around

Es war bereits eine Woche vergangen, als unsere Helden in ihren Wochenplänen einen Jackson-Termin vorfanden. Irgendwie war das ein ebenso überraschendes wie erwartbares Ereignis, und die "Ereignisse in New York" schienen zur gleichen Zeit taufrisch und ewig zurückzuliegen. Womöglich präferierten nicht alle Betroffenen es, sich an alle Einzelheiten zu erinnern, aber nun würden gewisse Flashbacks unumgänglich sein. Die Nachbesprechung sollte noch vor dem offiziellen Ende der Mittagspause enden.

Der Schnee verschluckte Jays Schritte. Er lief ziemlich zügig über den Campus, denn laut Plan besaß das Treffen mit Jackson strikte Zeitvorgaben. Das, sowie die Tatsache, dass es eine Besprechung geben würde, hatte ihn nicht sonderlich überrascht. Jay hatte sich nur gewundert, dass sie noch nicht eher ins Büro ihrer Chefin zitiert worden waren. Aber vielleicht war sie zu sehr mit den Folgen ihres letzten Ausflugs gewesen, als sich um ihre Einsatztruppe zu kümmern. Alle akut notwendigen Dinge konnten ja ohnehin delegiert werden. Jordan hatte Jay bereits eingeweiht, dass auch nach dieser Mission Änderungen im Trainingsplan anstanden. Details hatte er ihm noch nicht nennen können, aber das würde Jackson sicher bald verlauten lassen. Einerseits war Jay erpicht auf die bevorstehende Sitzung - vor allem, weil er diesen To-Do-Punkt dann abgehakt hätte - und gleichzeitig wäre er am liebsten wieder umgekehrt. Sich in Jacksons Nähe aufzuhalten jagte ihm meistens einen kalten Schauer über den Rücken. Er hätte es - wenn überhaupt - nur ungern zugegeben, doch diese Frau machte ihm Angst. Und dummerweise war sie sein Boss. Natürlich war er zu früh, wenn auch nur ein bisschen. Jay stieß die Türen zu dem Gebäudekomplex auf, in dem sich Jacksons Büro befand. Warme, etwas stickige Luft wehte ihm entgegen und vertrieb die schneidende Kälte. Er durchquerte das Gebäude und fand den Wartebereich leer vor. Also entledigte der junge Esper sich seiner Winterjacke und ließ sich auf einen der Stühle sinken.

Ein schwarzer Schatten flog gemütlich über das Campusgelände. Devy war so nett gewesen und hatte die Haushaltsaufgaben ohne größeres Murren übernommenen. Seit den Ereignissen zu Weihnachten kamen die beiden etwas besser miteinander klar. Hiroo lächelte gedankenverloren in sich hinein und kam schließlich am Administrationsgebäude an. Seit der kurzen Session auf der Krankenstation hatte sie die anderen nicht mehr gesehen. Sie selbst hatte nur einen kurzen Check ertragen müssen, über den Status der anderen war sie weitestgehend im Unklaren. Jackson hatte sich auch nicht mehr blicken lassen. "Let's get this over with." Sie durchschritt die Eingangshalle zu Jacksons Büro.

Es war immer noch kalt. Ich hatte langsam die Nase voll davon mich immer so einhüllen zu müssen, auch wenn ich zugeben musste, dass ich den Schnee manchmal nutzte um kleine Visionen zu erzeugen von dem, was ich zum Abendessen kriegen würde oder ob mir meine neue Freundin im Wohnheim wieder nachts auflauern würde, damit wir zusammen lernen konnten. Sie las mir vor, ich erklärte und manchmal spielten wir dann lustige Streiche. Briannas Esperauslöser war das Feuer. Feuer und Wasser steckten sie nicht zusammen, also mussten wir unsere Treffen heimlich organisieren, auch wenn wir jedes Mal damit rechnen mussten... Okay, nein, ich muss ja nicht lügen. Ich würde sehen wenn sie uns erwischen würden. Also: Danke, Schnee!

Als mir meine Betreuerin Hannah heute morgen verkündete, dass ich zu Jackson musste, zur Nachbesprechung, war die Angst groß. Was würde sie sagen? Hatte sie sich erholt? Wie ging es den anderen?
Widerwillig ließ ich mir beim Anziehen helfen und stapfte hinaus in den Schnee. Über die Finger ließ ich mir kleine Bilder zeigen, wo ich mich befand. Ja, Jamey wollte dass ich das anders löse, aber er würde es nicht erfahren. Das hatte ich kontrolliert.
Als ich am Gebäude angekommen war, machte ich die Tür auf und kniete mich hin. Mit den Händen auf dem Boden nahm ich die Umgebung besser war, ermittelte Jay. Freude durchströmte mich und ich krabbelte los, kurz vor dem Flur in dem er auf einem Stuhl saß richtete ich mich auf, trat um die Ecke und rief: "Hallo Jay!" Ich lächelte breit.

Jays Gesicht hellte sich tatsächlich auf, als er das kleine Mädchen entdeckte.
"Hi Gwen", antwortete er auf die Begrüßung. "Wie gehts-"

Diesen Moment, in dem auch Hiroo sich zu den anderen gesellte, schien Jackson gerochen zu haben. Sie öffnete  - per Schalter - die Tür und gab damit den offensichtlichen Startschuss zur Nachbesprechungssitzung.

Im Büro der Ausbildungsbeauftragten hatte sich im Vergleich zum letzten Mal bemerkenswert wenig bis gar nichts verändert. Es wirkte immer noch kühl, diskret und wie aus einer anderen Epoche, was genauso auch über Jackson zu sagen war. Auf den ersten Blick - vielleicht hatte ihr Deckmantel der Unerschütterlichkeit dieses Mal einen nachhaltigen Riss davongetragen. Wie das letzte Mal saß die Frau, auf ihren Bildschirm starrend, da, und nahm von den Eintretenden nicht offiziell Notiz. Die wussten ja auch, wo sie sich zu platzieren hatten: Auf drei Stühlen vor dem riesigen Schreibtisch, an dem täglich über Lebensveränderndes entschieden wurde. In dieser Haltung tippte sich Jackson immer noch auf ihrer Tastatur herum; so, als hätten nicht vor Kurzem die gerade Erschienenen ihr Schicksal bestimmt. Dann schloss sich, ohne, dass man den dafür angewandten Handgriff hätte nachvollziehen können, die Tür hinter Jay, Gwen und Hiroo. Jackson nahm ihre Besucherschaft in den Blick. "Die Ergebnisse der Krankenstation sehen bis jetzt solide aus- 'keine bleibenden ... Schäden'." Eventuell hatte sie beim Vorlesen, zu dem sie zurück auf ihren Bildschirm starrte, das Wort "körperlichen" ausgelassen. "Das ist schon ein beachtliches Ergebnis, im Zusammenhang mit den Vorkommnissen. Gutes Training und ein herausragender Kampfgeist, das ist, was man diagnostizieren kann." verpackte die Einsatzleiterin eine Untertreibung der Gefahren-Ausmaße in ein vages Lob. Niemand hatte Zeit, auf diesen Gesprächseinstieg zu reagieren, da Jackson sofort fortfuhr. "Trotz der vielleicht - ungewöhnlich scheinenden - Ereignisse ist es notwendig, sich an Protokolle zu halten. Nun, jedenfalls in einem gewissen Rahmen, der ebenfalls klar abgesteckt ist." Mit dem Ende dieses Satzes fixierte Jackson ihre Zuhörer wieder, schaffte es jedoch, für einige weitere Sätze den relativ monotonen, nah an der Cuecard vortragenden Tonfall beizubehalten. "Ich hab mich entschlossen, aufgrund der Umstände einige übliche Förmlichkeiten aufzuweichen und mich ganz persönlich der Bearbeitung eurer Erfahrungen anzunehmen. Das soll einen ehrlichen Austausch bedeuten; vertraulich in beiden Bedeutungen, also unter anderem außerhalb der Bücher. Fragen dürfen gestellt werden. Ich fange an: Wie geht ihr mit den jüngsten Ereignissen um?" Erst hier schien Jackson ins spontane Formulieren hineinzugleiten, kurz bevor sie das Wort an ihre "Gäste" abgab.

Die Tür hatte sich noch geöffnet, bevor sie ein Wort mit den anderen hätte wechseln können. "Better fast, than to last." und hatte wie die anderen den Büroraum von Jackson betreten. Sie würde schon noch Zeit haben sich bei Gwen und Jay nach deren Genesungsgrad im Detail zu erkundigen. Jetzt wollte erst einmal Jackson behelligt werden. Mit diesen Gedanken saß sie mit ihren Beinen überschlagen und nach hinten gelehnt auf ihrem Stuhl zu Jays Rechten. Ihre neue schwarze Jacke hing an den Seiten der Lehne herab, knapp über dem Boden. Teils hatte sie diese auch schon umgeschneidert um das Aussehen ihrer alten in gewisser Art zu imitieren ohne allzu gleich zu wirken. Hier und da hatte sie ein paar neue Accessoires angenäht. Ansonsten saß sie ruhig und schaute Jackson direkt an, während diese ihren Monolog abhielt. Sie wollte sich zurück nehmen um ihre Begegnung so kurz wie möglich zu halten. "Umm, I feel pretty good. Thanks for asking.", beantwortete sie mit klaren Worten die im Raum stehende Frage von Jackson und schaute nach links zu Gwen und Jay.

Jay nahm wahr, dass Hiroo ihren Kopf in seine Richtung drehte, sah aber weiter geradeaus. Sein Blick war auf Jackson gerichtet. Sie war ja schon bei dem letzten Termin ungewöhnlich "nett" gewesen. Doch die Art von Gespräch hatte Jay nicht erwartet. Er war nicht darauf vorbereitet. In seiner Vorstellung hatte Jackson stoisch und in der gewohnt rational-sachlichen Art die Mission ausgewertet und damit einhergehende Konsequenzen erläutert. Ein Austausch auf diesem Level - das überforderte den jungen Mann. So steckte in seinen Worten anfangs zumindest eine gewisse Ehrlichkeit:
"Ich äh.. Keine Ahnung. Ich hab ehrlich gesagt nicht viel drüber nachgedacht." Das war der Lückenfüller, der ihm ein wenig Zeit verschaffte und ihm half, sich zu sortieren. Für einen kurzen Augenblick war Jay geistig wieder im Hostel.
"Eigentlich war es halt ziemlich.. nervig und anstrengend. Aber ich durfte mich ja ausruhen." Er zuckte mit den Schultern.
"Naja.. Und den .. spannendsten Teil hab ich ja anscheinend eh verpasst." Erst jetzt drehte er den Kopf und erwiderte Hiroos Blick. Vielleicht wich er aber auch nur dem von Jackson aus.

"Gut, ich denke, ich komme gut zurecht.", antwortete ich nachdenklich. "Es... Also es war aufregend und spannend und neu... Und ich war so stark und konzentriert..." Ich atmete aufgeregt, als ich mich daran erinnerte welches heiße Gefühl mich durchströmte als ich dem Typ den Arm abhakte. Ich hatte mich gut dabei gefühlt, das erste Mal mächtig und unsagbar gefährlich. Hätte ich Ausdruck in den Augen gehabt, so würden sie jetzt blitzen.
"Ich hatte keine Angst.", sagte ich mit fester Stimme. "Erst... Erst als Sie auch weg waren. Als diese Frau gesungen hat."
Kalte Schauer liefen mir über den Rücken.

Diesen geordneten und relativ schnell ablaufenden Gesprächsbeiträgen hatte Jackson aufmerksam gelauscht. Diesmal machte sie sich keine Notizen und war daher nur damit beschäftigt, den jeweils Sprechenden konzentriert anzuschauen. Was die Trainingsleitung dabei dachte, zeichnete sich nur auf eine Art auf ihrem Gesicht ab, die einiges an Interpretation bedurfte. War das wirklich Überraschung, die sich hinter den immer wieder gehobenen Augenbrauen verbarg? Wenn ja, dann hatte Jackson den überwiegend positiven Nachklang des letzten Abenteuers nicht erwartet. Bei Hiroo war der Gesichtsausdruck binnen Minisekunden wieder zu gewohnter Verschlossenheit zurückgekehrt, bei Jay dauerte der erstaunte Blick länger an und wurde spätestens von einigen schnellen Augenblinzeln abgelöst, als er einen "spannendsten Teil" erwähnte. Gwens Beitrag begleitete Jackson mit einer ungleichmäßig gefurchten Stirn, die sie natürlich ihren auffälligen Narben verdankte, die aber zusätzlich als ein Symptom von Verblüffung gelesen werden konnte. Dieser Ausdruck blieb wie versteinert, als die Rede auf die singende Frau kam. Tatsächlich schien die Einsatzleiterin an dieser Stelle nach Worten zu suchen, denn es entstand eine kleine Lücke. "Ja, das war besorgniserregend." schloss sie sie schließlich ab. "Sowas kommt vor in dem Arbeitsfeld. Man kann nicht sagen, dass es für jeden ist. Im Gegenteil, viel eher." Jackson atmete kurz hörbar ein und fuhr fort: "Es ist jetzt soweit überstanden. Wenn trotzdem noch Angstmomente zu diesem Ereignis auftreten - ihr wisst, UnEsCo kümmert sich darum. Hier kann euch niemand etwas tun. Das Zentrum ist der sicherste Ort auf der Welt für Esper." Der letzte Satz entsprach einem der obskureren Organisations-Slogans und wurde in einem der Hauptgebäude alle fünf Minuten auf einem der Informationsmonitore angezeigt. [hier evtl. Reaktion einfügen, oder auch nicht]. Jackson benötigte wieder einen Moment, um zu einem Gedankenfaden zurückzukehren, zu dem in ihrem Gehirn eventuell kein vorgefertigtes Script vorlag. "Ich denke, es sollte gesagt werden, dass ihr zur Sicherheit vieler Personen immens beigetragen habt beim letzten Einsatz. Und es geht sogar um mehr." fügte sie hinzu, vielleicht etwas vorschnell, weil sie sich wieder Zeit zu einem kurzen Nachdenken gab. "Nun, das kommt in einigen Monaten auf uns zu. Nach wie vor seid ihr für das...sagen wir, Ereignis, eingeplant und solltet darauf vorbereitet sein. Entsprechendes Training is bereits anberaumt. Natürlich wird das jetzt als gemeinsames Gruppentraining zwischen euch Dreien stattfinden. Zunächst ein Mal wöchentlich, dann aufgestockt. Sobald das richtige Personal dazu eingetroffen ist." reihte Jackson Andeutung an Andeutung.

Hiroo hatte den Blick mit Jay kurz gehalten und schaute nach Gwens Ausführung auf Jackson. Die Gefühle die ihr bei den Worten der beiden Mitschüler durch den Kopf gingen unterdrückte sie. Ohne ein Zucken ihrer Miene hatte sie den beiden zugehört, bis Gwen in zitternder Stimme das Wort weiter an Jackson gegeben hatte. 'Fuck it.' Sie hatte ihre aufgesetzte Art langsam satt. Nicht nur die von Jackson. Ständig hatte sich Hiroo verstellen müssen um ihre Privilegien behalten zu dürfen, die ihre zuerst genommen wurden und dann in Kleinstarbeit zugesprochen wurden. Sie hatte diese auswendig gelernten Parolen ihrer unfreiwilligen Vorgesetzten satt. "Nice to hear the UnEsCo wants to protect us... well after the last incident I'ld like to handle that on my own. You may not like my proposition, but I want to make one thing clear: I want my swords back." Sie blickte Jackson direkt an. "No offense."

"No offense taken" fiel Jackson der Rekrutin fast ins Wort. Vielleicht war sie auf diese Art Gespräch diesmal sogar besser vorbereitet. "Ohne die Organisation sähe es für über hundert Zivilisten gerade ganz anders aus und im Endeffekt auch für jeden von uns. UnEsCo, das sollte man nicht vergessen, macht diese Einsätze möglich und sichert die Beteiligten rechtlich ab. Es gibt eben Gesetze. Auch die UnEsCo kann keine Rächer auf eigene Faust dulden und keine schwertfuchtelnden Teenager" Das alles, bis vielleicht auf die letzten Worte, waren weniger emotional als mit einem sachlichen Eifer gesprochen worden. Jackson fuhr fort, als sie einem immer noch unbefriedigten Gesichtsausdruck begegnete. "Also, sollte die Basis demnächst von einer Bande esperbegabter Banditen überfallen werden - und sollten wider aller Logik sämtliche UnEsCo-Sicherheitsmaßnahmen versagen, komme ich als Erstes auf dich zurück, wenn dich das tröstet." Hier vermied Jackson einen allzu böswillig-sarkastischen Tonfall und klang fast mitleidig ernst. Im nächsten Satz kam dennoch eine Drohung durch. "Wenn allerdings in der Zwischenzeit irgendwo auf dem Gelände ein Feuerchen oder dergleichen entdeckt wird, werde ich ebenfalls an dich denken. No offense." Offensichtlich mit der Intention, das Thema fürs erste zu beenden, wandte die Leiterin des Trainingszentrums sich Jay zu. "Bei dir neue Vorschläge?"

"Offense taken", zischte es unmerklich aus Hiroos zusammengepressten Lippen heraus. Eine derartige Reaktion von Jackson hatte sie eigentlich schon erwartet. Dennoch fühlte sie sich wieder einmal wie vor eine Wand gefahren.

Jackson hatte zuerst still zugehört und die Aussagen der jungen Esper nur durch ihre Mimik kommentiert. Danach kehrte sie allerdings wieder ein wenig zu ihrer typischen Förmlichkeit zurück. Jay fühlte sich durch den Unesco-Slogan nicht großartig versichert, behielt aber eine möglichst ausdruckslose Miene bei. Er war es gewöhnt, dass einige Unesco-Funktionäre gern mit solchen Parolen um sich ballerten, auch wenn das meistens ziemlich abgedroschen war. Immerhin kehrte damit die Jackson zurück, die er ein bisschen besser einschätzen konnte. Ihre Andeutungen waren leider nur sehr vage und Jay fragte sich so langsam, warum sie immer nur diese kleinen Informationsbrocken bekamen. Klar, es gab Dinge, die sie eben mit ihrem Status nicht wissen durften. Doch diese Teaser hatte er langsam satt. Wenn sie in eine Sache involviert waren, brauchten sie Informationen. Das hatte die letzte Mission ja eigentlich auch gezeigt. Doch dann schaltete sich erstmal Hiroo ein und die Unterhaltung nahm eine besorgniserregende Wende. Jays Blick huschte zwischen den beiden Grimassen der Ladies hin und her. Er musste was tun, sonst würde diese Besprechung böse enden. Also entschied er sich dazu, das Thema zu wechseln.

"Ja also. Ich hätte eher Fragen. Ich hab von einem Teil der Mission ja überhaupt nichts mitbekommen. Was ist denn jetzt eigentlich mit diesen Sirenenespern? Und was meinen Sie jetzt genau mit der nächsten Mission? Ich weiß, wir sollen manche Informationen nicht bekommen, aber wir brauchen auch welche, sonst sind wir im Einsatz nicht effektiv oder gefährden alles." Er hoffte inständig, dass er sich damit nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt und seine ohnehin angesäuerte Chefin nicht auf die Palme gebracht hatte. Aber die Tatsachen standen halt so.

Jackson nickte und atmete hörbar ein- und aus, während sie sich auf ihrem Computer irgendwohin manövrierte. Das dauerte nur ein paar Sekunden, und ihr Verhalten gab den Anschein, als habe sie die Fragen erwartet sowie Antworten vorbereitet, aber gehofft, um beide herumzukommen. "Also, was mit Georg Tripkovich passiert ist, müssten die meisten von euch mitbekommen haben." murmelte die Einsatzleiterin. "Er wird nie mehr den "Pied Piper von Hamelin" spielen. Seine Frau, Selma, ist in UnEsCo-Gewahrsam unter höchster Sicherheitsstufe, ihren Fähigkeiten angepasst." Jacksons Blick hatte sich wieder vom Bildschirm abgewendet und traf an dieser Stelle nicht rein zufällig Hiroos. "Es sieht jedoch...interessant aus." fuhr die vernarbte Frau dann fort, als wäre nichts gewesen. "Die UnEsCo vergibt verdammt viele zweite und dritte Chancen. Man könnte behaupten: ein paar zu viel. Quellen, und ich rede von streng vertraulichen Quellen, flüstern schon, dass die Symptome der Dauer-Hirnwäsche, der sich Frau Tripkovich unterzogen lassen hat, bereits am abflauen sind. Seit sie aufgewacht ist, hat sie Gedächtnislücken, scheint sich an die letzte psychotische Phase kaum zu erinnern. Und vor allem weiß sie inzwischen, dass ihr Sohn nicht wirklich tot ist. Menschenopfer zu seiner Wiederauferweckung stehen nun wohl nicht ganz oben auf ihrer To-do-Liste."  Anscheinend spürte Jackson, dass sie soeben eine Neuigkeit preisgegeben hatte, die diesen Namen wirklich verdiente. Sie schaute ihre Zuhörerschaft prüfend an "Also gut, das habt ihr nicht mitbekommen. Wie ich sehe, wollt ihr es aber genau wissen. Simon Tripkovich wurde seinen Eltern entzogen, weil diese offensichtlich, und das dürfte keine Überraschung auslösen, nicht den höchsten Eignungsgrad für die Erziehung eines Kindes vorweisen konnten. Es war ein monatelanger Kampf, an dem unter anderem meine Person beteiligt war, Georg und Selma zu...überzeugen. Um noch weiter in den Bereich absoluter Diskretion zu rücken: Die beiden waren auch zu dem Zeitpunkt nicht als reine Lämmer bekannt und die Organisation konnte entsprechenden Druck aufbauen." Jackson lächelte leicht süffisant, als erinnere sie sich an amüsante Details dieser Geschichte, aber auch das konnte nur Teil einer Maske sein, die sie sich aufsetzte. Im nächsten Moment war nichts davon zu sehen und sie fuhr, in deutlich ernstem Ton, fort: "Trotzdem, und gerade deshalb, waren die Ereignisse von New York nicht zu antizipieren. So viel muss wohl gesagt werden, auch, wenn die Überlegungen dazu noch auf höchst unsicherem Grund stehen. Die Tripkovichs standen natürlich unter UnEsCo-Beobachtung und immer wieder im Kontakt mit der Organisation. Die Akten geben nicht unbedingt äußerste geistige Klarheit während dieser Phase wieder, aber das ist leicht auf die Medikation zurückzuführen, mit der die beiden auf freiwilliger Basis ihre Kräfte unterdrückten. Von da an gibt es mehrere Theorien." Die Leiterin des Trainingszentrums scrollte eine Weile und schüttelte ein paar Mal den Kopf. "Desto weniger Stümper man in diese Diskussion verzettelt, desto besser. Es gibt jedenfalls keine logische Möglichkeit, die ohne einen äußeren Einfluss auf den Sinneswandel der Sirenen auskommt. Sprich: Irgendjemand muss die beiden in einen Zustand versetzt haben, in dem sie die Trennung von ihrem Sohn noch nicht verarbeitet hatten. Dann ist, durch ihr angesammeltes Dossier an Vergehen, den Fakt, dass sie die Medikation abgesetzt hatten und den gegenseitigen Einfluss der beiden aufeinander eine Kettenreaktion mit den Ergebnissen, die wir gesehen haben, im Nachhinein leicht zu erklären."

Hiroo hörte widerwillig aber dennoch gespannt zu, während Jackson Mal mehr Mal weniger schwammig gehaltene Informationen zu ihrem letzten Auftrag auspackte. Trotz der Sticheleien versuchte sie einen kühlen Kopf zu bewahren und die gerade ertragene Schmach ohne Zucken wegzustecken. Jacksons geschultem Auge war es jedoch ein leichtes die Unmut, die sich in Hiroos Gesicht abzeichnete, mit Verachtung zu strafen. "Wait a second, you lost me somewhere..." Die Informationen kamen alle zu schnell. "This Georg guy... is he really dead?" Sie hatte nur kurz seinen Puls gefühlt, bevor sie geflüchtet waren. "And what about their son? Are his esper powers the same? Or could he still have some connection with them through whatever powers he has?"

"Ihr habt Herrn Tripkovich ja nicht mit Samthandschuhen angefasst." merkte Jackson an. Sie schüttelte tadelnd, das jedoch mit einer gewissen Ironie, den Kopf. "Den Bildern aus der Leichenhalle zufolge. Vielleicht hätte er es überlebt, wenn ihm nicht eine - seit wenigstens Wochen anhaltende - manische Psychose schon ordentlich zugesetzt hätte. So gesehen seid ihr ganz und gar nicht allein für seinen Abgang verantwortlich zu machen." bemerkte sie auch. "Manche tröstet das. Was Simon angeht; offensichtlich fehlte den Eltern der Kontakt zu ihm. Es wurde einiges an Arbeit geleistet, um sie auf Abstand zu halten. Und ja, bei zwei esperbegabten Elternteilen ist es wahrscheinlich, dass ein Kind irgendeine Form von Anomalie entwickelt. Meist ist das eine, die irgendwie mit den Fähigkeiten wenigstens eines seiner genetischen Erzeuger in Beziehung gesetzt werden kann. Das bedeutet zum Beispiel, dass zwei Sirenen nur unwahrscheinlicher Weise einen Langstreckentelepathen in die Welt setzen." Jackson scrollte wieder auf ihrem Bildschirm rum. "Aber wo du es sagst, das klingt nach einer weiteren denkbaren Theorie für mein Denkerteam. Fernsteuerung durch Sohn. Das wird ihnen gefallen." Tatsächlich tippte die Trainingsleitung irgendetwas in ihre Tastatur und genehmigte sich ein verschmitztes, aber auch etwas müde wirkendes Lächeln. "Gut, wenn wir das geklärt haben. Was genau wüsstet ihr gerne über euren nächsten Einsatz?"

Jay war überrascht. Dass Jackson begann, so viel und so detailliert Informationen preiszugeben, hatte er eigentlich nicht erwartet. Dementsprechend aufmerksam hörte er seiner Chefin zu und versuchte, während ihres Monologs dieses neue Wissen in seine (leider lückenhafte) Konstruktion der Ereignisse einzubauen. Je mehr Jackson jedoch erzählte, desto mehr entglitten ihm die Gesichtszüge. Der ganze Einsatz war auf gewisse Weise absurd gewesen, aber die Neuigkeiten seiner Trainingsleiterin toppten das noch. Der junge Mann blieb eine Weile stumm sitzen, mit großen Augen, und versuchte das eben gehörte zu verarbeiten. Unbekannte, die das Duo manipuliert hatten ... ein totgeglaubter Sohn, für den Menschenopfer dargebracht - waren sie die - vermutlich ... Medikamente .. Psychose ... Unesco-Gewahrsam und:

"Ihr habt was?", entfuhr es Jay. Sein Blick schwenkte zu den beiden Mädchen neben ihm. Seine Entgeisterung sah man ihm deutlich an. Klar, er wusste, was für gewaltige Kräfte in seinen zwei Teamkolleginnen schlummerten. Aber das - das schockierte ihn jetzt doch.

Jackson schien das Thema damit abgehakt zu haben. Jay war gedanklich zwar noch nicht so sortiert, aber die Frage seiner Vorgesetzten war wichtig genug, um nicht übergangen zu werden. Je mehr sie wussten, desto besser. Das gab ihm zumindest die Hoffnung, einige Faktoren für den Einsatz besser unter Kontrolle zu haben. "Naja, je mehr, desto besser. Erstmal vielleicht: Wo, mit wem und welche Details kennen Sie schon? Ich nehme mal an, dass sie die Informationen dazu aus einer Vision von Gwen haben?" Kurz kam ihm auch der Gedanke, ob auch diese Mission wieder mit diesen geheimnisvollen Dritten zu tun hatte. Er ging davon aus, dass ihre bisherigen Missionen einen gemeinsamen Hintergrund hatten. Andererseits war Jackson - oder einer ihrer Untergebenen - vermutlich schon selbst drauf gekommen. Und irgendwie wollte Jay nicht danach fragen. Der Gedanke daran ließ ihn leicht unruhig werden.

Jays offensichtliches Entsetzen und seine Verwirrung machten auf Jackson keinen Eindruck. Vielleicht beruhigte diese Reaktion sie sogar. Die Frau hörte ihm bereitwillig zu und nickte schließlich bestätigend, bevor sie nach einem Denkmoment zur Antwort ansetzte: "Natürlich stehen mir mehrere Quellen zu Verfügung, die mich veranlassen, einer von Gwendolyns Visionen besonderes Gewicht zu geben. Unter den im Moment gegebenen Umständen wäre es nicht angemessen, die Bilder, die uns mitgeteilt wurden, noch einmal wachwerden zu lassen." Jackson warf einen beinahe besorgt wirkenden Blick auf das Mädchen, das seit geraumer Zeit kein Wort mehr von sich gegeben hatte. "Ich denke, dass ihr alle noch einiges zu verarbeiten habt, bevor wir daran gehen können, die nächste Katastrophe zu verhindern. Dafür bleiben euch sechs bis acht Monate, da weitere Zwischenfälle für euch nicht angedacht sind. Die Vorbereitungszeit gilt genauso auch für die anderen Beteiligten, von denen es diesmal recht viele geben wird. Ihr werdet einige schon im Voraus kennenlernen - ich hoffe, nicht früher als absolut notwendig." Jackson unterbrach ihren Sprachfluss, um auffällig Luft zu holen. "Spätestens jedoch, wenn wir vor Ort sind. Das soll zunächst für euch heißen: Nicht auf diesem Kontinent, in keiner vergleichbaren Klimazone, und wenigstens eine Woche vor dem...Event...dem eigentlichen Teil des Einsatzes." Auch an dieser Stelle benötigte die Einsatzleiterin eine überdurchschnittliche Menge Sauerstoff. "Das wäre, was ich euch mitteilen kann." beendete sie die Ansprache und schaute auf ihre Armbanduhr.

'6 months... trapped in here. My thoughts're going hazy just reminiscing about the past.' Dieser eine Gedanke kreiste neben den vielen anderen Informationen die Jackson fast Stichpunkt-artig abgelesen hatte durch Hiroos Synapsen. 'Maybe things are better that way.' Jackson hatte wohl irgendwo einen wunden Punkt bei ihr gefunden. 'No, I... I don't want to sit here idly by, while... Whatever is going on out there waiting on the horizon, I want to see it with own eyes.'

Hiroo richtete sich etwas auf und atmete kurz ein. Sie wollte sich erstmal auf die Gegenwart konzentrieren. "So... it's still half a year away. This new weekly shedule we get, what's it going to be? Will it be some exotic stuff? Survival of the fittest?" Ein wenig konnte man ein Feuer in ihren Augen sehen.

Jay war doch recht .. unzufrieden mit den Reaktionen der anderen im Raum. Die beiden Mädchen gingen nicht wirklich auf seine Feststellung ein und Jackson, die eben noch so viele Infos rausgerückt hatte, ging wieder zur Masche "ich bin eine Frau, ich bin geheimnisvoll" über. Nach ihren letzten Worten war er fast genauso schlau wie vorher. Nur die Tatsache, dass sie irgendwo auf einem fremden Kontinent rumgondeln und mehr sowie sorgfältigere Vorbereitung erhalten würden, waren wirklich neu. Gut, und noch eins.

"Viele Beteiligte?", hakte er nach. "Heißt das, wir werden mit anderen Einsatzteams zusammenarbeiten?" Eigentlich hätte er sich freuen müssen, aber irgendwie hatte er so gar keinen Bock darauf. Hiroo allerdings schien plötzlich richtig Bock zu bekommen - und zwar auf das Training. Hatte Jay vorher das Gefühl gehabt, dass sie beinahe abwesend war, so schien die junge Frau wieder gewohnt Feuer und Flamme zu sein. Na ganz toll, dachte Jay. Das hat mir ja gerade mal wieder gefehlt. Er atmete hörbar aus, verkniff sich jedoch einen Kommentar. Stattdessen sah er zur Seite. Sein Blick streifte Gwen, deren blinde Augen schon wieder vor Unternehmungslust glänzten.

Jackson schickte ihren Antworten ein schnelles Nicken voraus. "Der neue Stundenplan wird nach und nach aufgebaut, beginnend bei mehr teamfördernden Aufgaben, dann speziellerem Esper-Einzeltraining und dann vermutlich gefolgt von wenigstens einem Probeeinsatz außerhalb des Geländes. Eine größere Veränderung." hier entstand eine dramatische Pause. "wird ein Bewertungssystem sein, dass eure Performanz und deren Steigerung messen wird. Dazu werdet ihr noch eingewiesen, wenn es soweit ist. In einer- oder zwei Wochen geht es los, bis dahin sind noch entsprechende bürokratische Prozesse abzuschließen." Die Teamleiterin vergewisserte sich mit Blicken darüber, ob die Informationen wohl angekommen waren und fuhr dann in noch hastigerem Tempo fort: "Natürlich werdet ihr Teil eines Projekts, indem ihr nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es läuft schon seit Jahren und seitdem weltweit. Durch die von Gwendolyn gelieferten Impressionen dessen, was uns erwartet, können wir allerdings zur besseren Vorbereitung der Einsatzdurchführung beitragen, und wenn ihr euch gut macht, könnten euch ganz neue Möglichkeiten offenstehen." Noch einmal ging ihr Blick herum, Hiroo besonders lange fixierend. Nun langsam und betont sprechend kam Jackson zu einer Art Zusammenfassung, die wohl als motivational Speech dienen sollte: "Ihr habt zuvor bewiesen, dass ihr einiges zu bieten habt. Bildet euch aber nicht ein, dass ihr schon alles habt, was es braucht. Was ihr habt, sind Chancen. Nutzt sie." Ab hier war zu spüren, dass die "Gäste" ihre Zeit des Willkommenseins zu überziehen begannen.

 

Yin und Yang

Jays Gesicht glühte als er die Trainigshalle betrat. Der Winter hielt Kansas in seinen eisigen Klauen gefangen und obwohl es Jay sonst nie gekümmert hatte - in diesem Jahr sehnte er sich den Frühling herbei. Der junge Mann trottete zu den Umkleideräumen, warf die Sporttasche auf eine der Bänke und begann, sich für das Training umzuziehen. Warme Winterklamotten wichen einem ärmellosen Sportshirt samt Jogginghose. Barfuß und mit hochgebundenen Haaren betrat er die Halle. 

Jordan war bereits da, wie immer. Er hockte auf dem Boden, die Beine verschränkt, und wartete, bis Jay sich zu ihm gesetzt hatte. Dann erklärte er: "Ich weiß, es wird dir nicht gefallen, aber du wirst heute nicht gegen mich antreten." 

"Was soll das denn heißen?" Jay verzog das Gesicht. Jordans Miene blieb ungerührt. 

"Du hast meinen Kampfstil sehr gut beobachtet und dich daran angepasst. Es ist äußerst bemerkenswert, wie gut du mir inzwischen standhalten kannst. Aber du hast dich auch sehr daran gewöhnt und das ist gefährlich." Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: "In Einsätzen wirst du auf ganz unterschiedliche Gegner treffen. Aber sie werden alle eine ernstzunehmende Bedrohung sein. Du musst lernen, dich innerhalb von Sekunden auf sie und ihre Art zu kämpfen einzustellen. Sonst wirst du ihnen schnell ausgeliefert sein. Und vermutlich ziemlich schnell sterben." Für einen Moment huschte Jordans Blick zu einer der Türen auf der rechten Seite der Halle. Dann fokussierten sie wieder Jay. "Du lernst schnell. Und - aber du hast noch viel zu lernen. Deshalb wirst du ab jetzt im Sparring gegen verschiedene Leute antreten, damit du lernst. Ich will, dass sich dein Kampfstil entwickelt. Du wirst dich entwickeln."

Er gab seinem Schüler einen kurzen Augenblick Luft, das Gehörte zu verdauen. Jay sagte nichts. Doch seine Körperhaltung verriet seine Anspannung. Er seufzte auf. "Ok, na schön. Und wer ist mein Gegner heute?" Es war keine Frage aus Neugier. Jordan stand auf und sein Schüler tat es ihm gleich. 

"Mach dich warm." Natürlich. Was hatte Jay auch erwartet? Er begann mit den Aufwärmübungen. Jordan sah kurz zu und stieg dann mit ein. "Übrigens gilt unsere Regel trotzdem immer noch."

Neugierde breitete sich in Hiroos Gesicht aus, als sie verstohlen durch das Fenster zur Trainingshalle blickte. Satoshi hatte ihr eine echte Herausforderung versprochen. Während seiner Abwesenheit hatte sich etwas an ihrem Kampfstil verändert. Doch diese Veränderungen wirklich zur Schau stellen, das hatte sie in ihrer ersten Trainingseinheit mit ihrem Lehrmeister nicht können. In seinen Augen hatte sie erkannt, was ihr immer noch fehlte: Selbstbeherrschung. Auch in der drohenden Niederlage. 'If you have no constrains that will guide you, this loss of self control will be your demise, watashi no deshi.', echote es durch ihr Gedanken. 'Better than dying in shackles. And where would be the fun in that.', flüsterte es in ihr aus einer anderen Richtung. 'Where did that thought come up again?' 'Come on, it'll be fun.' Sie versuchte wieder einen ruhigeren Atem zu bekommen und versank mit ihrem Gesicht in ihren Händen. Ihr schwarzen Haare hingen in Strähnen herunter. 'Keep calm, it's just another one of his tests.' Sie atmete tief ein und wieder aus. Sie versuchte sich auf das zu konzentrieren, was ihr Satoshi in der vergangenen Zeit beigebracht hatte.

In der Zeit in der sich Hiroo selbstverloren ihren Gedanken hingab öffnete sich langsam die Tür zu der Trainingshalle. "You look like you're up to the fight. You just need some proper warmup, right?" 'Not this voice again.' Sie fuhr auf. "Would you please shut up?" Sie richtete ihren Kopf nach oben und blinzelte leicht mit den Augen, während sie langsam erkannte wer gerade vor ihr stand.

 

Dojo

Satoshi hatte anscheinend nicht zu viel versprochen. Jordan grinste und erwiderte nur: "Ich mag dich jetzt schon. Komm rein." Er unterstrich das Gesagte mit einem Kopfnicken. Dann wandte er sich um und kehrte in die Trainingshalle zurück, wo Jay gerade den letzten Teil der Übungen beendete.

"You .. you're Jordan White." Um ihre Verlegenheit etwas zu überspielen verbeugte sie sich knapp und folgte Jordan in etwas Abstand. Ein elektrifizierender Geruch durchzog die Luft.

"Oh ja. Du kannst mich auch einfach Jordan nennen." Jordan blieb kurz stehen, um das Mädchen aufschließen zu lassen. Sein Blick ruhte dabei auf seinem Schüler. Der hatte sich den beiden bisher nicht zugewandt und ging die letzten Schritte der Form durch, die sie in den letzten Wochen weiter vertieft hatten. Jordan verlagerte seinen Fokus wieder zu Hiroo. "Naja, Jay muss ich dir ja nicht vorstellen."

Das erregte Jays Aufmerksamkeit. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen und führte die Form zu Ende, indem er die Arme langsam sinken ließ und im Einklang mit der Bewegung seinen Atem fließen ließ. Dann drehte er sich zu den beiden um. Überraschung breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er die Gestalt neben seinem Trainer erkannte. Sofort schwenkte sein Blick zu Jordan. "Dein Ernst?" "Mein voller Ernst", antwortete Jordan mit einem geduldigen Lächeln. Er beobachtete das Spiel der Emotionen in Jays Miene, die von überrascht zu verärgert zu resigniert wechselten und Mischungen daraus bildeten. "Na schön", seufzte der junge Esper. "Lass es uns hinter uns bringen." Bei diesen Worten wanderte sein Blick zurück zu Hiroo.

Für einen Moment wartete sie die Stille ab in der sie Jay betrachtete. In einem gekünstelt freundlich klingenden Ton und einem mehr schlecht nachgestellten südlichem Akzent führte sie das Gespräch fort. "Nice to see you, too. No need for a warm welcome. It's just your old buddy, Hiroo." Ihre freundlich dreinblickende Grimasse verzog sich wieder. Sie schmiß ihre Trainingstasche halb offen zur Seite, zog ihr Oberteil über den Kopf und nachdem sie auf der anderen Seite wieder hervorschaute, landete die Trainingsjacke auch schon in der am Boden liegenden Tasche. Sie zog kurz ihre herumhängenden Haarsträhnen zurecht. "Okay, I think I'm ready." Sie schaute kurz Jay und dann Jordan in einem regungslosen Blick an.

Jay stöhnte und verdrehte die Augen. Sein Oberkörper sackte ein wenig in sich zusammen, während er die Hände offen nach vorne fallen ließ. "Look, I don't wanna fight you. I've said it before." Gleichgültigkeit lag in seiner Stimme, doch sie schien auch noch durchzogen von etwas anderem zu sein. Jordans Blick wanderte zwischen den beiden jungen Menschen hin und her. Dann ging er ein paar Schritte auf Hiroo zu. "I apologize for my student. He is mad at me." Er schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. "Do you want to warm up a bit before you start?"

Ihr steinernes Gesicht wich bei Jordans Worten etwas auf. "Well, I'm rarely on time... and definetly not the one with the best orientation. So I've already warmed myself up on the way here..." Ein verlegenes kurzes Lachen kam ihr hervor und verschwand wieder. Sie orientierte sich kurz in der Trainingshalle. Der Dojo war recht überschaubar. Man merkte der Halle mit den mitten in der Halle verteilten Stützpfeilern an, dass sie nicht mehr zu den jüngsten gehörte, die Holzfassaden an den Wänden zeugten jedoch von guter Pflege. In diese Halle hatte sie bisher nur die älteren Schüler hinein gehen sehen.

"I'm not here to hurt you." Sie schaute kurz Jay an und drehte sich zu ihrer Tasche herunter. Sie holte zwei schwarze Kampfhandschuhe heraus und zog sie an. Den Reißverschluss ihrer Tasche zog sie hörbar zu. Fast schon nebenbei sprach sie weiter, die Worte an Jay gerichtet. "So, what's this about you not fighting? Did you loose your spirit on your way out this morning?" Mit Handschuhen, einem schwarzem Tanktop, das von Schnitten durchzogen war und einer schwarzen losen Trainingsshorts mit rotpinken Motiv, die ihr bis knapp über die Knie reichte, stand sie wieder vor den beiden. Die türkisen Sportschuhe rundeten den Mix aus schwarzbunt ab.

Die Spannung, die sich im Laufe der Situation in Hiroo aufgebaut hatte, schien wieder ein wenig abzufallen. Jordan erwiderte die Reaktion des Mädchens mit einem verschmitzten Lächeln. "Sorry, I like the .. remote sites for training. Even if you have to do kind of a pilgrimage to get there. Anyway." Während Hiroo die Handschuhe aus ihrer Sporttasche hervorkramte, fixierte er seinen Schüler aus den Augenwinkeln. Jay hatte die Arme verschränkt und beobachtete Hiroo. Seine Miene schien stoisch, Jordan erkannte aber leichte Anzeichen von Unruhe. Dieses Training würde anscheinend gleich auf mehreren Ebenen interessant werden.

Jay wusste nicht so richtig, was er darauf erwidern sollte. Oder, ob er überhaupt etwas sagen sollte. Er betrachtete Hiroo - die unüblicherweise ihre ursprüngliche Haarfarbe trug - genauer. Dabei fiel ihm zum ersten Mal auf, dass sie einen gut trainierten Körper besaß. Sie war nicht übermenschlich muskulös. Doch ihre Statur war alles andere als zierlich und gab einen Hinweis darauf, dass man die kleine Frau besser nicht unterschätzte. Jordan hätte sie sonst auch nicht als Gegnerin ausgewählt. Jay fragte sich zwar, ob sein Trainer damit nicht noch etwas anderes bezweckte. Aber das war für den Moment egal. Er hatte gesagt, dass ihre Regel noch galt. Wie schwer würde es sein, Hiroo zu besiegen? Was konnte sie? Er realisierte, dass er sie ja vorher nie hatte kämpfen sehen. Also .. wirklich, nie. Gut, bis auf die kleine Auseinandersetzung mit diesem Russen, aber das konnte man schlecht gelten lassen. Es würde also schwierig werden. Aber er musste da durch. One way or the other. "I guess, I don't really have a spirit."

"Then you've got nothing to loose or hold back. Let's do this." Hiroo stellte sich ihm auf der Kampfmatte gegenüber und nahm Haltung an.

Jay tat es ihr gleich. Er beugte die Knie leicht, um trotz der standfesten Haltung sofort agieren zu können, und hob die Arme.

"Ok, here are the rules. For this first round we will only have a little sparring. Means no trying to injure or kill and I don't want to see any techniques that would make that happen." Jordan gab den beiden Kontrahenten ein paar Sekunden, um das zu verinnerlichen. Dann nickte er. "Go."

Hiroo analysierte die Haltung von Jay. Durch seine etwas breitere Struktur und längeren Arme hatte er definitiv einen Vorteil in einem frontalem Angriff. Auf den ersten Blick gab auch die Haltung seiner Beine keinen freien Angriff von unten frei. Sie musste ihn also aus der Haltung herauslocken. Mit dem linken Bein vorpreschend, und einen Schlag von links ausholend führte sie in einer rasanten Bewegung einen Tritt von rechts durch die sich gerade nach links bewegend Verteidigung.

Jay konnte aus Hiroos Haltung weniger lesen, als er sich gewünscht hätte. Nach Jordans Kommando wartete er ab, was sie tun würde. Warten musste er allerdings nicht lange. Mit Hiroos Angriff schoss das Adrenalin durch Jays Körper. Er blockte den ersten Schlag, sah ihr rechtes Bein auf sich zusausen und wechselte im letzten Moment die Haltung, indem er ein wenig zurückwich und den Angriff mit beiden Händen abwehrte. Seine Bewegungen waren schnell und präzise. Doch er machte keine Anstalten, anzugreifen. "Komm her", sagte sein Blick.

Bevor sie seinen Blick erwidern konnte, folgte bereits ihr nächster Kick horizontal von links in Vorausahnung, dass sich nun langsam die Beinhaltung von Jay nach hinten verlagern müsste. Mit Bedacht darauf ihn mit einem tiefen Tritt von rechts in die Kniehöhle die Balance zu nehmen.

Jay wich dem nächsten Tritt nach hinten aus und blieb weiter in Bewegung. Während der nächsten Angriffe hielt er sie weiter so gut wie möglich auf Distanz, indem er mit den jeweils entgegengesetzen Händen oder Beinen parierte und gleichzeitig versuchte, seitlich an ihr vorbeizukommen.

Sie hatte ihn zwar nicht aus der Haltung gebracht, doch so langsam merkte sie wie er aus seiner Reserve kam. Noch bot er ihr keine Gelegengheit einen seiner Angriffe gegen ihn einzusetzen. Um einen guten Treffer zu landen und ihn zu Fall zu bringen, musste sie ihn zu einem Angriff provozieren. Hierfür war es am einfachsten ihm eine schwache Stelle vorzugaukeln, doch so leicht ließe er sich nichts vortäuschen lassen. Zwei Schläge hier, zwei Tritte von links. Mit dem zweiten tritt darauf bedacht an ihm vorbeizutreten. Der Tritt war zu stark um ihn abzuwehren, er würde nach links an ihr vorbei ausweichen. Dort wo sie seinen Angriff erwarten würde.

Lange würde der Kampf so oder so nicht mehr dauern. Hiroo übte kontinuierlich Druck aus. Früher oder später musste Jay ein Opening finden. Er wich ihrem Tritt aus, entlang der linken Seite ihres Körpers. Seine Hand schnellte vor, zielte auf ihren Nacken.

Während sie sich in einer Kreisbewegung nach rechts drehte spürte sie den eingehenden Windhauch, spürte den nahenden Schlag. Sie federte kurz den auf ihre Rückenpartie gerichteten Schlag mit ihrem rechten Ellenbogen ab und griff mit der linken Hand fest zu, drehte den Arm von Jay nach vorne weg, griff mit ihrer rechten Hand nach und ließ sich mitsamt seinem Gewicht nach vorne wegfallen, ihn hinweg über sie werfend.

Jay war auf diesen Angriff in keinster Weise gefasst. Sein rechter Arm wurde in einer Bewegung gedreht und ein Schmerz durchzog ihn. Doch bevor er sich dem Griff hingab und seinen Körper nachziehen ließ, verlagerte er seine Balance und setzte zu einem Sprung aus dem Stand an. Mit dem rechten Fuß federte er sich ab. Sein agiler Oberkörper drehte sich links herum über den Kopf von Hiroo hinweg. Seine linke Hand packte Hiroo kopfüber von der Rückseite an der Taille, löste sich mit der rechten binnen Bruchteilen einer Sekunde aus dem Griff und hielt nun selbst Hiroo in einem Wurfgriff gefangen. Mit seinen Körper folgte er der Wurfbewegung von Hiroo, landete leicht seitlich von ihr geradeso auf seinen Füßen, um auf die Knie zu gehen und Hiroo in doppelter Geschwindigkeit über seinen Kopf zu werfen.

Die gesamte Szene dauerte nur wenige Augenblicke an. Hiroo nahm diesen Moment wie in Zeitlupe wahr, in dem sie jeden seiner Griffe genau spürte, langsam empor gehoben wurde und aus der Drehung mit dem Hinterkopf auf der Matte aufschlug. Gerade noch hatte sie ihn mit jedem ihrer Schläge und Tritte weiter in Bedrängnis gebracht und jetzt brachte ein lauter Knall auf den Boden sie in die harte Realität zurück.

Jay löste den Griff und ließ sich nach hinten fallen. Langsam verebbte der Adrenalinschub, sein Atem begann sich zu beruhigen und wich einem leisen Stöhnen. In seinen Gedanken versuchte er zu verarbeiten, was gerade passiert war. Es kam ihm vor, als wäre alles so schnell abgelaufen, dass sein Verstand erst jetzt hinterher kam. Er stützte sich auf den linken Arm und richtete sich vorsichtig auf. Vor ihm lag Hiroo und schien sich auch erstmal sammeln zu müssen. In dem Moment als Hiroo ihn gepackt hatte, hatte er nicht großartig nachgedacht. Jetzt fragte Jay sich, ob er es nicht vielleicht übertrieben hatte. Er hatte reflexartig viel Wucht in den Wurf gelegt. "A-Are you .. ok?", fragte er zwischen zwei Atemzügen.

Bevor sie eine Antwort geben konnte, musste Hiroo die angestaute Sauerstoffknappheit bekämpfen und atmete erstmal tief ein. "Yeaah....", antwortete sie in einem leicht erschöpft klingenden Ton. Sie lag noch einen Moment regungslos. "Damn, I thought I've been impressed when I heard you're into martial arts. But this suplex... kakkoii." Sie richtete sich in einer kreisenden Bewegung auf. "I didn't know you're into wrestling, too."

Hiroo schien sich auch so langsam zu erholen. Sie klang etwas mitgenommen, doch die Kraft kehrte relativ schnell wieder in ihre Stimme zurück. Und noch etwas lag darin ... war es - Anerkennung? Jay war ein wenig verwirrt, wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Er hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Er drehte den Kopf und sah sie direkt an - sein Blick eine Mischung aus Verwunderung und Frage. Und einem leisen Hauch von Faszination. Es dauerte einen Moment, bis Jay tatsächlich zu einer Antwort ansetzte.    "Uh-I ...  uhm. You .. really enjoyed that, didn't you?"

"I'm all in for a good bashing." Sie faltete ihre Hände nach aussen und dehnte ihre Arme. Sie streckte sie nach oben weg, in einer Kreisbwegung von ihrer linken zu ihrer rechten Seite übergehend. Zu guter Letzt lockerte sie ihren Nacken, während ihre schwarzen Haare herumwirbelte. "I hope you're just as eager for round two..." Sie zog ein Stoffband aus ihrer luftigen Shorts, zog sich die Haare hinten zusammen und pflechtete kurzerhand einen Zopf nach oben weg. "...as do I." Mit den letzten Worten schaute sie Jay direkt in die Augen.

"Well, I can say that I am." Jordan hatte sich den jungen Erwachsenen genähert. "If you are both okay, I'd say we go on. In case you need some refreshment, I got water prepared." Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter. Neben Hiroos Sporttasche stand eine kleine Reihe aus 4 Wasserflaschen. Jordan zog zwei Stofftücher hervor, eins rot und eins blau. Er wedelte ein wenig damit herum und erklärte mit einem vorfreudigen Lächeln auf den Lippen: "We are going to play a little game." Er warf Hiroo das blaue Tuch zu und ließ das rote in Jays Schoß fallen. Der löste seinen Blick von Hiroo und sah zuerst das Stück Stoff an, dann Jordan. "I'm thrilled to hear what were are gonna do with these." Jordan lachte. "You stuff it in your pants behind your back." Er genoss kurz den Ausdruck auf den Gesichtern der beiden jungen Esper. Dann drehte er sich um und zeigte mit beiden Daumen über die Schulter nach unten. Aus seiner schwarzen Trainingshose ragte der Zipfel eines lilafarbenen Stoffstücks. "Like that." Jordan fuhr herum. "Guess, that's clear. The rules are as simple as that. Get your opponents cloth." Er klatschte in die Hände. "Ok, let's go."

"I... think I've experienced worse instructions with Satoshi." Hiroo ließ ein halb gestelltes Lächeln ihren rechten Mundwinkel entlang ziehen und drehte sich wieder zu Jay. Mit der linken Hand klemmte sie sich den türkisblauen Stoff hinten an die schwarzpinke Shorts. "At least it matches my color pattern."

"Ah, excuse me for a moment." Jay rappelte sich auf und joggte zu den Flaschen hinüber. Er schnappte sich eine davon, genehmigte sich flugs ein paar Schlucke und nahm sie mit sich. Dann schlenderte er zu Hiroo und Jordan zurück. Im Laufen brachte er das Tuch an. "I'm sorry to say that, but you won't wear it for long." Es war, als wäre ihm auf dem Weg zurück die Erkenntnis zusammen mit dem Wasser in den Körper gesickert. Die Regel galt immer noch: Wenn er gewann, hatte er einen Wunsch frei. Warum es also nicht versuchen, wenn er ohnehin schon hier war? Jay fixierte Hiroo. Sie war schnell und besaß viel Energie. Und sie schien heiß auf dieses Match.

"I didn't plan to and I won't. Once I have yours." Hiroos Augenbrauen zogen sich kurz zusammen. "Or I could wear it for the rest of the afternoon. Then maybe you'll be able to sneak up on me again." Sie bedeutete Jay mit ihren vier Fingern zu einer Einheit verbunden zurück in das Kampfareal zu kommen. "Now come get some." Jay hatte kurz inne gehalten und bewegte sich weiter auf die Matte zu. In diesem Moment meldete sich nochmals Jordan zu Wort. "Oh did I forget to mention it? Your fighting area will be the whole building." Er ließ diesen kurzen Satz nochmal sacken, bevor er fortfuhr: "Round two starting now!"

Verdammt, dachte Jay. Wie sollte er das also anstellen? Jetzt, da Jordan es erwähnte, versuchte Jay, sich schnell einen Überblick zu verschaffen, was er von dieser neuen Regelung gewinnen konnte. Viel Raum auf jeden Fall. Das konnte eventuell ein Fangen-Spiel werden. Nein, definitiv. Na schön, überlegte er. Dann spielen wir. Jay begann, locker auf Hiroo zuzujoggen. Er hielt nur kurz an, um die Flasche Wasser neben die Matte zu stellen.

'Let's adopt his way this time around. Some defense will be necessary... what did Jordan say about my techniques? No injuries... got it.' Sie nahm eine für sie keck wirkende Pose ein. "Maybe you could get me the water bottle first. This heat... and I've got a thirst coming up." Um ihr Leiden zu verdeutlichen wedelte sie sich künstlich Luft zu. Nach unten gebeugt schaut Jay seitlich zurück zu Hiroo. "Sure, help yourself.", und in einer Handbewegung zischte die Plastikflasche durch die Luft. Mit einer erwartenden Bewegung griff Hiroo reflexartig zu. Ihr Grinsen breitete sich in ein schelmisch dreinblickendes Gesicht aus. Ihre Hand erhitzte sich und in einer kochenden Explosion brach ein Nebelmeer aus dem kleinen Behälter heraus. Nebelschwaden schossen an Jay und auch Jordan vorbei und breiteten sich im Raum aus. Das Gesicht von Hiroo verschwand.

Eigentlich hätte er so etwas erwarten müssen. Doch Jay war tatsächlich überrascht, als die Dampfwolke auf ihn zuschoss. Er unterdrückte einen Fluch. Seine Gedanken rasten und kamen schnell zu einer Schlussfolgerung. Mein Rücken ist völlig offen. Sie kann sich einfach durch den Nebel anschleichen und dann - Schnell handeln! Los, denk nach! Da traf ihn der Geistesblitz. Sofort ließ Jay sich nach hinten fallen und blieb auf dem Boden liegen. "What are you gonna do know?", wisperte er durch den Nebel. Die Schwaden waren flüchtig und begannen schon wieder, sich ein wenig zu lichten. Da hörte er Jordans Stimme: "Oh, by the way. Maybe I lied to you. I also put some cloth in your bags. Get them. The other ones don't matter."

"Oh. Come. On.", fuhr es jede Silbe betonend aus ihr heraus. Sichtlich irritiert und vor den Kopf gestoßen stand Hiroo für einen Moment wie angewurzelt herum. Dahin war der Vorteil den sie sich gerade erst erschaffen hatte. "Where the fuck are the changing rooms in this place again?", löste sich ein Flüstern von Hiroos Lippen, bevor sie sich wieder ganz ihren Gedanken hingab. Sie musste schnell agieren. 'Where's my bag? Behind Jordan... somewhere. Jay knows. Just hurry.' Sie musste ihre Priorität scheinbar weiter auf Verteidigung setzen. Sonst war diese Runde der zweite Fehlschlag den sie heute verbuchen dürfte. Direkt durch die Mitte war also ihre Devise. Sie nahm Anlauf und setzte zu einem Sprung auf die Position von Jay an. Aus den Nebelschwaden löste sich ein Schatten von oben herab auf Jays am Boden liegenden Körper. Aus dem Sprung heraus traf Jay ein harter Tritt auf der Brust, den er nur leicht abfedern konnte. Mit einem Flickflack über seinen Kopf hinweg war sie auch schon aus seinem Blickwinkel verschwunden.

"Fuck!" Gerade hatte Jay gedacht, für einen kurzen Moment Sicherheit zu haben. Aber nein - diese neue Regel zwang ihn zum Handeln. Hiroo hatte natürlich in dem Moment den Geschwindigkeitsvoreteil, das musste er unbedingt wieder ausgleichen. Er drückte sich vom Boden hoch. Just in diesem Moment traf ihn ein Sprungkick von Hiroo, der ihn wieder zurückwarf und die Luft aus seinen Lungen presste. Jay keuchte auf und versuchte, sich hochzustemmen. In dem restlichen Dunst brauchte er einen weiteren Moment, bis er seine Kontrahentin ausgemacht hatte, die natürlich schon fast bei ihrer Sporttasche angekommen war. Jetzt galt es. Jay sprintete in ihre Richtung.

Hiroo rannte an Jordan vorbei, griff mit ihren beiden Händen zu ihrer Tasche und lief direkt weiter auf die Pendeltür zu, durch die sie hineingekommen war. Die schnellen Laufschritte von Jay im Nacken. Ihr Tritt hatte ihn nur kurz ausbremsen können. Mit einem weiteren Tritt flog die Pendeltür nach aussen auf und stürmte hindurch. Jay war gerade hinter ihr angekommen. Die rechte Hand zog sich aus der Schlaufe ihrer Tragetasche heraus und beschleunigte mit einer Handbewegung die zurück schwenkende Tür in Richtung von Jay. 'Where're the changing rooms... where are they?' Ihre Augenbewegung hasteteten durch die Eingangshallen.

Jay spurtete Hiroo hinterher. In seiner Hast hätte er beinahe die zurückschwingende Tür abbekommen. Er bremste ab, stieß die Türflügel auf und erblickte Hiroo im Gang. Sie hatte anscheinend noch keine Ahnung, wo er sich umgezogen hatte. Das gab ihm zumindest eine kleine Chance. Jay rannte auf sie zu. Er musste jetzt offensiv vorgehen, sonst würde er diese Disziplin nicht gewinnen.

Sie hatte gerade keinerlei Zeit für Jay. Den falschen Gang zu nehmen würde ihr jedoch Zeit nehmen, die sie wieder wett machen müsste. 'But what if...' Ein Geistesblitz durchfuhr sie. Selbst wenn sie den falschen wählen würde, die Reaktion von Jay würde ihr genug zu verstehen geben. Um dies auszuspielen müsste sie sich das Ass in ihrer Buchse nur ganz genau zurecht legen. Dafür musste sie Jay loswerden, der bereits in vollem Tempo auf Hiroo zulief. Den Vorsprung, den sie noch inne hatte, nutzte sie aus und verschwand aus Jays Blick in der Doppeltür zum linken Gang. Sie riss ihre Tasche auf, zog ihre Trainingsjacke heraus und band das Stück Stoff in einem wilden Achter-Knoten um die Türknaufe der beiden aneinanderliegenden Schwenktüren. Sie wartete die nun folgende Reaktion ab.

Hiroo fackelte wie immer nicht lange und war - kaum entdeckt - schon wieder verschwunden. Allerdings war Jay erstmal kurz erleichtert, da sie nicht in den Gang eingebogen war, wo sich sein üblicher Umkleideraum befand. Trotzdem eilte er hinter ihr her, denn sie besaß das Tuch, welches er zum Gewinnen brauchte. Jay drückte die Tür auf - das hatte er zumindest vorgehabt. Doch sie schien zu klemmen. Natürlich konnte er sich sofort denken, wer dafür verantwortlich war. 'Du...! Na warte.' Er trat zwei Schritte zurück, holte aus und versuchte es mit einem gezielten Tritt. Die Türflügel bebten unter der Kraft des Tritts, doch der erwünschte Effekt blieb aus. Was sollte er jetzt tun? Weiter Druck ausüben oder lieber sein eigenes Item sichern? Da kam ihm ebenfalls ein Gedanke. Jay warf sich noch zweimal fest gegen die Tür, machte dann kehrt und hastete in den anderen Teil des Flurs zu seinem Umkleideraum. Im Rennen zerrte er das Stoffstück aus seiner Hose. In der Kabine angekommen stürzte er zu seiner Tasche, öffnete sie und hielt zwei Sekunden später ein zusätzliches rotes Tuch in der Hand. Es sah dem anderen zum Verwechseln ähnlich - bis auf ein blitzähnliches Symbol, das Jordan vermutlich mit einem Edding oder Ähnlichem daraufgemalt hatte. Es lag einiges an Risiko in seinem Plan, aber Jay hoffte, er würde trotzdem aufgehen. So stopfte er das gerade gewonnene Stück Stoff an die Stelle, wo zuvor das andere, nun unwichtige Tuch gehangen hatte.

Den ersten Stoß wartete sie noch ab, bevor sie anfing wie wild ihre Tasche zu durchwühlen. Sie brauchte nicht allzu lange, bis sie das türkise Band fand, das ihrem bis auf einen schwarzen Stern glich. So leicht würde sich Jay also nicht austricksen lassen. Sie zog das Band aus ihrer Shorts heraus. Sie fokussierte Energie in ihrem Zeigefinger und malte einen sich schwarz einbrennenden Sichelmond auf das blaue Band. Die Form war weniger das Problem, als die Hitze genau an dem Punkt zu halten, an dem es den Stoff nicht in Flammen hüllen würde. Zwei weitere Tritte waren noch gefolgt, bevor sich die Schritte auf der anderen Seite zügig entfernten. Sie war gerade fertig, steckte sich das Band mit dem Symbol gut sichtbar wieder hinten in die Hose und schlussfolgerte aus dem ausstehenden Gewittersturm, dass sich Jays Band auf der anderen Seite befand. Das Band mit dem Stern stopfte sie sich noch schnell unter ihr Top zwischen ihre Brustbandage und lief bis zum Ende des Ganges. Die Tasche schmiss sie beim vorbeilaufen in eine der offenen Tür hinein. Ihr Kopf lugte kurz um die Ecke zu ihrer Linken. 'No sign of him yet... he's probably up to something.'

Jay hörte ein Geräusch. Mit einem letzten Ruck zog er das Tuch fest, dass er sich eben ans Handgelenk gebunden hatte. Es saß. Der junge Esper hoffte, das würde Hiroo genug ablenken. Aber wo war die eigentlich? Vorsichtig spähte Jay aus der Tür heraus in den Flur. Nichts. Der Gang war leer. Woher war das Geräusch gekommen? Jay spitzte die Ohren, ob er noch etwas hörte. Kurz überlegte er, in welche Richtung er sich vorwagen sollte. Dann entschied er sich, zurückzugehen. 'Mal sehen, ob sie sich immer noch verbarrikadiert hat.'

Langsam pirschte sie sich vor. Da er sich hier besser auskannte, würde er ihr sicher auflauern. Die Türen im nördlichen Flügel waren allesamt geschlossen. Hier würde sie Jay ohnehin nicht erwarten können. Eine Doppeltür führte in Richtung der Haupthalle. 'Damnit, locked. Only one way out.' Sie musste also eine mögliche Falle in Kauf nehmen. Sie kam an der Ecke zum Westflügel an. Weiterhin keine Spur von Jay. 'What's on his mind? Where could he've gone.' Jederzeit Jay erwartend durchsuchte sie die einzige offene Tür in dem Gang. In dem Umkleideraum fand sie nur eine durchwühlte Tasche vor. Kein rotes Band. "So, it's back to rule #1." Sie drehte sich um. Er konnte sich nicht weiter zurückziehen. Spätestens in der Haupthalle würde er ihr wieder gegenüberstehen. Sie bereitet sich noch einmal mental vor und durchschritt die Tür zum Eingangsbereich.

Jay fand die Tür vor, wie er sie verlassen hatte. Hiroo musste sie mit irgendetwas blockiert haben. Doch eigentlich war das nicht problematisch. Nur, wenn sie ihr Tuch irgendwo versteckt hatte. Im anderen Fall musste er nur darauf warten, dass sich eine der Türen neben ihm öffnete. Vermutlich würde es die sein, aus der er gekommen war, aber er hielt einen Teil seiner Aufmerksamkeit für die Alternative bereit. Eine gewisse Spannung lag über dem Gebäude. Bis jetzt hatten sie Verstecken und Fangen gespielt. Doch dieses Spiel neigte sich in jeder Hinsicht dem Ende entgegen. Jay zuckte zusammen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Doch es war nur Jordan, der sich vorsichtig durch die Tür zur Trainingshalle schob. Er hob die Augenbrauen und begutachtete die "neue Arena". Jay verlagerte seinen Fokus zurück auf die Situation. Er war einerseits nervös, aufgekratzt. Und gleichzeitig hatte sich eine gewisse .. Ruhe in ihm ausgebreitet. Geduldig wartete er, bis die Türflügel zu seiner Linken endlich aufschwangen. Jay drehte sich vollends zu Hiroo um und fixierte sie. Keine Sporttasche. Kein blaues Tuch. Das war schonmal schlecht. 'Egal', dachte er. Die Karten waren gespielt. Wenn er noch eine Chance hatte, würde sich das zeigen. Er ging in Kampfstellung und mimte Hiroos fordernde Handstellung. Natürlich mit der, an welcher sein rotes Tuch prangte.

"No chit-chat or monologue. Let's get right to the point." Mit einem Sprungkick startete sie den direkten Angriff.  Im Augenwinkel nahm sie ein rotes Blitzen am Handgelenk von Jay wahr. 'He can't be serious... or does he want to loose?'

Hiroo griff sofort an. Jay unterbrach die herausfordernde Geste, die er eigentlich anbringen wollte. Für einen kurzen Augenblick flammte Verwirrung in Hiroos Augen auf. Jay nutzte den Moment, kickte ihr Bein leicht zur Seite weg und rammte ihren heranfliegenden Oberkörper mit der Schulter.

Die Schulter von Jay löste einen stechenden Schmerz aus und ließ sie kurz nach Luft schnappen. Die Wucht schlug sie auf den Boden. 'Just focus.' Sie unterdrückte einen Aufschrei und fing sich wieder. Aus der Bewegung am Boden entlang landete sie einen gezielten Kick in Jays Kniekehle.

Der Schmerz kam genauso schnell und unerwartet wie der Tritt, der ihn auslöste. Jay schrie auf. Sein Bein knickte weg. Es gelang ihm zwar sich abzurollen, doch beim Aufstehen merkte er, dass er es nicht mehr so stark belasten konnte. Das war ein verdammtes Problem. Jay fluchte innerlich und sah zu Hiroo hinüber, die sich auch gerade aufgerichtet hatte.

Sie fasste sich kurz an ihre Seite, atmete ein und ging wieder in Angriffsposition. Langsam vorstoßend wollte sie einen Angriff provozieren. Sie merkte zwar, wie Jay versuchte seine Balance auf sein rechtes Bein zu verlagern, doch auch einen seiner Schläge dürfte sie keinesfalls unterschätzen.

Hiroo hatte durch seinen letzten Angriff anscheinend auch etwas abbekommen. Doch er durfte sie deshalb nicht falsch einschätzen. So stur und energiegeladen wie Jay sie kannte, würde sie vermutlich noch einiges durchhalten. Hiroo kam auf ihn zu. Jay versuchte, sich auf ihre Bewegungen zu fokussieren. Er wusste nicht, was er am besten tun sollte. Doch es spielte auch keine Rolle, denn er hatte sich bereits entschieden. 'No running.' Er verstärkte seinen Stand. Mit erhobenen Händen wartete er darauf, dass seine Gegnerin ihn angreifen würde.

Hiroos Erwartung eines Angriffs wurde enttäuscht. Sie tänzelte sich um ihn herum und ließ sich Zeit seine Defensive genau zu studieren. Dabei fiel ihr neben dem roten Band an seinem Ärmel auch das an seinem Hosenbund auf. An beiden jedoch kein Symbol. 'Seems like two can play this game.' Es war keine Zeit mehr zu verlieren. "Well, if you're not up to the task, let's get this over with." Hiroo zog ihre Hände zusammen und setzte zu einer Furie an kurzen Schlägen an. Von Links kamen zwei schnelle Schläge auf ihn zu, direkt dahinter prasselten weitere von Rechts, dann wieder von Links auf ihn ein. Er machte ihr es ein leichtes das rote Band an seinem Ärmel im Fokus zu halten. "Who do you want to fool with that one?" Sie hoffte auf eine Reaktion von ihm.

Sie schien etwas frustriert zu sein. Irgendwo verständlich - schließlich hatte sie klar und deutlich signalisiert, was sie von diesem Kampf erwartete. Jays Motivation schwand allerdings immer weiter. Selbst wenn er noch eine gute Chance gehabt hätte, fehlte ihm mittlerweile der Elan. Außerdem war er ein wenig genervt. 'Yeah, let's get it over with', dachte er. Doch er antwortete nicht auf ihre Provokationen. Zumindest nicht verbal. Er blockte die Schlagserien mit seinen Händen und als Hiroo einmal zu weit in die Attacke hineinging, schlug er ihren Arm nach unten weg, um gleich darauf nach oben zu schnellen und ihr eine Backpfeife mitzugeben. Gleich im nächsten Moment bereute er den Move. Schmerz jagte durch sein linkes Bein und er verzog kurz das Gesicht.

Der Schlag ins Gesicht ließ sie zur Seite zurückfallen. Der Knick in seiner Verteidigung bedeutete ihr aber weiterzumachen. Die Sauerstoffknappheit in ihren Muskeln unterdrückte sie weiter. Das Blut schoss in ihr linkes BeinBein. und ihrIhr Schienbein landete blitzschnell zuerstin imseinem rechten Oberschenkel, einenein zweiter Tritt traf ihn am Knie und einenein weiterenweiterer an seinemseinen Knöchel. Seine bisher eiserne Verteidigung bröckelte langsam. Doch noch war sie nicht am Ziel.