Aspire

Pen & Paper Universum

Kompendium

Kompendium

Universum

Aspire

Hier folgt der Lesespaß mit weiteren, vermutlich längst schmerzlich erwarteten Infos, die vermutlich jetzt so bleiben und offiziell sind und so weiter.

Das Pen und Paper ist im Grunde nicht als Oneshot gedacht, sondern soll mehrere Abenteuer enthalten. Diese sollen allerdings inhaltlich relativ abgeschlossen sein und sind eher als einzelne Projekte zu sehen, an denen mehr oder weniger die gleichen Charaktere teilnehmen. Das gibt uns denke ich allen eine gewisse Flexibilität.

Die Story ist in der näheren Zukunft angesetzt, irgendwo zwischen 2028 und 2035. Das ist gruseligerweise gar nicht so weit weg wie man meint!

Die Festlegung auf einen bestimmten Ort fällt mir schwer, jedoch bieten sich die USA als Ausgangspunkt meiner Meinung nach ziemlich gut an. Von dort aus kann es allerdings in alle Welt hinausgehen und wo eine Runde spielt, soll im Vorhinein nicht verraten werden. Es kommt auch nicht darauf an, woher ihr eigentlich kommt, solange eure Charaktere Englischsprecher sind und sich im Moment in den Vereinigten Staaten aufhalten. Das hat mit dem nächsten, sehr wichtigen Punkt zu tun.

Auch aus pragmatischen Gründen wird die Basis, anders als z.B. den Defenders, eine Organisation sein. Das erleichtert wohl das Erklären für euer Zusammentreffen und warum ihr zusammenarbeitet, was sich sonst, auch wie bei den Defenders, eher langwierig und chaotisch gestalten würde. So eine Organisation wirft natürlich viele weitere Frage auf. Grundsätzlich dürft ihr euch an diesen Punkten orientieren:

  1. Die Organisation ist erstmal weder gut noch böse und spezialisiert sich in der Theorie auf die Zusammenarbeit mit Regierungen und „Begabten“ gleichermaßen, wobei sowohl „normale“ als auch „spezielle“ Menschen involviert sind. In der Praxis befinden sich innerhalb der Struktur sowohl solche, die Regierungsinteressen vertreten, wie das Geheimhalten von Superkräften und die Sicherung der Ordnung, als auch solche, die die Rechte von „Begabten“ schützen und sie auffangen wollen. Das gibt meiner Erfahrung nach die typische Struktur jeder sozialen (medizinischen) Institution heutzutage (?) wieder – ein ständiger innerer Identitätskonflikt darüber, ob man nun dazu da ist, zu profitieren/ sich zu profilieren oder sich selbstlos für das Wohl der Menschheit zu opfern.
  2. Die Organisation führt sich auf jahrhundertealte Institutionen zurück, die sich in ihr vereinigt haben, und hat verschiedene Twists und Turns sowie „Skandale“ hinter sich. Misstrauen ihr gegenüber ist also nicht ganz ungerechtfertigt, wobei viele auch stolz auf die Geschichte und die Errungenschaften der Organisation sind (vor allem solche, die in ihr mitarbeiten). Gerade in letzter Zeit hat sie an Bedeutung gewonnen, was kein Zufall ist.

In den letzten Jahren ist die Zahl derer, die als „begabt“, „super“ oder was auch immer bezeichnet werden könnten (da hätte ich gern Tipps), in die Höhe geschossen. Wieso das so ist, liegt weitesgehend im Dunkeln – und könnte nach längerem Nachdenken meinerseits auch dort bleiben, weil das einfach mehr Freiheit in den Schreibprozess bringt und auch euch mehr Freiheit gibt, denn sonst müssten eure individuellen Werdegänge womöglich angepasst und dabei vielleicht zerstört werden. Das ist nicht so gewollt und ich bin nicht Science-Fiction-Autor genug, jede Form von Humbug runterzuschlucken und als wissenschaftlich klingende Theorie wieder auszuspucken. Jedenfalls verstärkt die rapide Zunahme der begabten Menschen die Notwendigkeit, ein genaues Auge auf euch besondere Individuen zu werfen, wie Regierungen nicht ganz zu Unrecht glauben. Foreshadowing...bevor wir dazu kommen, was das alles ür euch heißt, noch einiges zur (Um-)Welt, in der das alles spielt.

Es hat sich noch nicht großartig viel verändert auf der Erde. Die Staaten, die wir heute kennen, existieren auch noch in etwa genauso, wobei einige Umwälzungen in nicht weiter Ferne vermutet werden können. Zunächst wichtig für uns ist, dass viel Macht inzwischen von internationalen, mafiaartigen Vereinigungen ausgeht, von denen einige aus dem Terrorismus, einige aus elitäterer Richtung kommen und die meisten einfach mit Schwarzhandel beschäftigt sind. Auch das sind Geheimorganisationen, mit denen ihr Bekanntschaft haben dürft...ja, in diesem Spiel dürft ihr das. Und da wir gerade dabei sind.

Ihr habt von eurer Freiheit, jede mögliche Kraft zu wählen, fleißig Gebrauch gemacht, und ich hoffe, dass ihr auch weiterhin so fantasievoll bleibt. Einschränkend muss eben gesagt werden, dass ihr eure Beziehung zu besagter Organisation (deren Name noch in Bearbeitung ist) definieren müsst und dabei festlegen:

  1. Wie lange ihr sie kennt/sie euch kennt (die Orga ist bewusst unbekannt, überwacht allerdings Internet und andere öffentliche Räume auf „Verdächtiges“, um dann Kontakt aufzunehmen...auf die eine oder andere Art)
  2. Welche Erfahrungen ihr mit ihr gemacht habt (das kann nach Einzelfall stark variieren, je nachdem, ob euer Kontaktmann eher vom Typ Sozialarbeiter oder vom Typ KGB war und was ihr getan habt, um aufgespürt zu werden)
  3. Welche Beziehung ihr jetzt mit der Orga habt und in welchem Interesse oder wessen Interesse ihr an der Aktion teilnehmt. Ein paar Aspekte davon bleiben natürlich in meiner Hand, weil ich ja weiß, weshalb gerade ihr im nächsten Einsatz eine Rolle spielen könnt. Ich denke, dass wir die Fäden da gut zusammenlaufen lassen können.
Kompendium

UnEsCo

Es folgen Auszüge aus einem Informationsblatt der UnEsCo über Espers.

Was sind Esper?

Ein oder eine Esper im Sinne der UnEsCo ist ein Individuum mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit oder Eigenschaft, die in den meisten Fällen nicht durch die ICD-10 abgedeckt wird (...). Im Moment wird angenommen, dass ca. 0,01% der Weltbevölkerung, also grob 8 Millionen Menschen, unter diese Definition fallen, in vielen Fällen werden Esper-Fähigkeiten, ebenfalls als „Esper“ abgekürzt, jedoch nicht erkannt, unter anderem aufgrund von fehlendem Training. (...). Eine Esper-fähigkeit kann prä-, peri und postnatal und durch körperinterne oder externe Auslöser entstanden sein. Espers wirken sich auf Körpereigenschaften wie Struktur und Funktionen bestimmter Organe aus und teilweise darauf, wie betroffene Personen mit ihrer Umwelt interagieren (können). Dies kann Unmögliches möglich machen, Identität stiften, Menschen zusammenbringen, aber auch mit Schwierigkeiten verbunden sein, gerade in Bezug auf die Reaktionen von Nicht-Espers (in Esper-Kreisen oft als „Ordinarys“ bezeichnet). Für Espers und ihre Belange setzt sich daher die Organisation UnEsCo ein.

Was ist die UnEsCo?

Die United Esper Coorperation ist die größte Esper-Organisation der Welt. (...) Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Esper zu vereinen, zu unterstützen und zu schützen. Darüber hinaus hat sie sich dem Wohl der gesamten Menschheit verpflichtet. Diese Ziele verfolgt die UnEsCo, indem sie:

Um diese Hilfestellungen und Schutzmaßnahmen effektiv anbieten und einsetzen zu können, bemüht sich die UnEsCo um die Dokumentation aller Espers weltweit. (...)Auch Sie können helfen, indem Sie sich an folgende Stellen wenden (...).

Wie werden Sie Mitglied der UnEsCo?

Durch eine Dokumentation bei der UnEsCo erfolgt nicht automatisch die Aufnahme als Mitglied unserer Organisation. Diese kann zusätzlich angestrebt werden und kommt mit einer Reihe von Vorteilen. Dies sind Angebote der UnEsCo, an denen Espers unabhängig von ihrer Mitgliedschaft teilnehmen können:

Folgende Vorteile bleiben UnEsCo-Mitgliedern vorbehalten:

  1. Wahl- bzw. Mitbestimmugsrechte im Esper-Rat
  2. Teilnahme an Konferenzen und Mitgliederaktionen
  3. Auf Wunsch oder bei Bedarf professionelles Training von Esper-Fähigkeiten
  4. Nutzung von organisationseigenen Einrichtungen wie Spezialschulen, Trainings- und Gesundheitszentren.
  5. Mitarbeit in der Organisation, eventuell Job- und Aufstiegschancen
  6. Individuelle Beratung und von Fall zu Fall finanzielle, gesundheitliche oder rechtliche Unterstützung möglich

Eine Mitgliedschaft ist leicht zu beantragen und schließt niemanden mit nachgewiesener Esper-Eigenschaft aus. Weil wir all diese Leistungen anbieten und uns bei UnEsCo als Schicksalsgemeinschaft verstehen, fällt einkunftsabhängig eine Mitglieder-Gebühr an. Bei allen Fragen, die Sie diesbezüglich oder zu anderen Aspekten des Espersein und unserer Organisation haben, können Sie sich selbstverständlich an uns richten (...).
Wir freuen uns darauf, mit Ihnen in Kontakt zu treten, (...)

UnEsCo. Unite, Support, Protect.

Kompendium

Heldenbaukasten

Wenn du dich mit deinem neuen Alter Ego persönlich noch in einer Findungsphase befindest, dann ist der nun kommende Heldenbauskasten genau das Richtige für dich!

Auch für die, die sich tatsächlich schon mehr ins Zeug gelegt haben als vermutlich der Spielleiter selbst, außerhalb von gewissen Ideensammlungssessions während langer Zugfahrten, kann ein Blick in den hier vorliegenden heroischen Persönlichkeitstest ohne errechenbares Endergebnis ganz spannend sein. Daran angehängt folgt die Beschreibung des Settings und einige eure Fantasie lenkende Details, damit wir auf dem gleichen Nenner starten können.

Such dir zu jeder Frage eine oder mehrere passende Antworten heraus oder erfinde eine zusätzliche! Damit kannst du dein Superheldenkonzept grob festlegen, bevor es in die Feinarbeit geht!

  1. Wie bist du super geworden?
    • A Genetik1 - Meine Alienrasse ist nicht super, ihr seid einfach inferior!
    • B Genetik2 - Ich bin super in mindestens zweiter Generation!
    • C Genetik3 - Spontane genetische Mutation lässt grüßen.
    • D Unfall - Ich war ein Unfall, aber nach meiner Geburt.
    • E Labor - Es heißt Frankensteins Monster, nicht Frankenstein!
    • F Equipment - Ich hab den Style und das Geld!
    • G - ???
  2. Wie haben andere darauf reagiert?
    • A Umwelt 1 - Keine Ahnung, wo ich herkomme, sind alle so.
    • B Umwelt 2 - Einige Bezugspersonen standen an meiner Seite.
    • C Umwelt 3 - Psst, niemand darf davon erfahren!
    • D Umwelt 4 - Meine Familie/ mein verrückter Wissenschaftler war erschrocken/ begeistert.
    • E Umwelt 5 - Die Weltöffentlichkeit kann noch immer vor Staunen nicht den Mund schließen.
    • F Umwelt 6 - Abgesehen davon, dass mir jetzt mindestens ein Geheimdienst /-bund auf den Fersen ist?
    • G - ???
  3. Hast du deine Fähigkeiten bereits ausgebaut/trainiert und wenn ja, wie?
    • A Training 1 - Ja, dazu wurde ich in eine Akademie aufgenommen. Willst du mein Abschluss-zeugnis sehen?
    • B Training 2 - Bestimmte Bezugspersonen haben mich zu einem bestimmten Grad trainiert.
    • C Training 3 - Ich bin der beste (evtl. Einzige) Trainer, den ich je hatte.
    • D Kein Training 1 - Wie du vielleicht schon bemerkt hast, gibt es bei mir nichts zu verbessern...
    • E Kein Training 2 - Wann hätte ich das machen sollen?
    • F Kein Bock. - <- <- <- 
    • G - ???
  4. Wie stehst du selbst zu deinen Kräften?
    • A Whatever - Keine Ahnung, hab ich nie drüber nachgedacht. Ist halt so.
    • B Positiv 1 - Sie sind mein ganzer Stolz und mehr als meine halbe Persönlichkeit.
    • C Positiv 2 - Ich sehe in ihnen ein Mittel zu höheren Zwecken.
    • D Ambivalent - Kommt auf die Tageslage an. Habe verschiedene Erfahrungen gemacht.
    • E Negativ 1 - Sie sind ein Schicksal, mit dem ich leben muss.
    • F Negativ 2 - Willst du mich verarschen? Wenn ich nur könnte, wäre ich sie längst los!
    • G - ???
  5. Wo stehst du gerade?
    • A Neuling - Ganz am Anfang. Ich habe meine Kraft vor Kurzem erlangt und muss damit erstmal klar-kommen.
    • B Training - Ich bin mehr oder weniger wild darauf, stärker zu werden und Abenteuer zu erleben!
    • C Alltag / Ruhestand - Eigentlich möchte ich gerade nichts mehr, als eins mit der Masse zu werden. Aber das wird nicht klappen, oder?
    • D Zwischen Einsätzen - Ich habe einen 5-Jahresvertrag bei irgendeiner Organisation, die meine Kräfte zu schätzen weiß. Oder ich weiß es selbst.
    • E Auf einem Einsatz/ persönlichen Feldzug - Eigentlich nicht in der Laune, mich noch mit euren Problemen auseinander-zusetzen.
    • F Auf der Flucht - Habe ich die Geheimdienste /-bünde erwähnt, die mich verfolgen?
    • G - ???.
  6. Was für eine Art Superkraft besitzt du jetzt eigentlich?
    • A Körpereigenschaften 1 - Also, wie gesagt ist es weniger eine Superkraft als eine für uns normale Körper-funktion.
    • B Körpereigenschaften 2 - Ich kann etwas, was du kannst, sehr viel besser als du.
    • C (specialized) Superbrain - Die Funktionen des Gehirns sind doch auch Körperfunktionen... wer macht diese Liste eigentlich?
    • D Elemente - Ich setze bestimmte naturwissenschaftliche Gesetze außer Kraft bzw. neue ein und das hat irgendwas mit ostasiatischen Mythen zu tun.
    • E Psycho - Jedes System hat einen menschlichen Fehler!
    • F Physicsbending - Eigentlich dasselbe wie bei Elemente, es hat nur nichts direkt mit ostasiatischen Mythen zu tun.
    • G - ???

Danke für die Teilnahme! ?

Kompendium

Jackson

Jackson ist ein von mir (Olga) gespielter Charakter in Aspire: How to be a hero. Wer weiß, vielleicht wird sie auch für das von Tobi geführte Team noch eine Rolle spielen :). Bei Interesse gibt es hier also alle wichtigen Infos in einem kleinen Einführungstext:

 

Jackson.jpg

Name: Penny J. Jackson

Geburtstagsdatum: 8. 10. 1968

Geburtsort: Augusta, Maine (USA)

 

„Für euch Colonel Jackson.“ Penny Jackson eilt der Ruf absoluter Empathielosigkeit voraus, und sie weiß es. Wie in vielen anderen Situationen ihres Lebens schätzt Jackson in Bezug auf ihre Reputation Kontrolle, glaubt aber auch, ein Gefühl dafür zu besitzen, wenn sie den Dingen ihren Lauf lassen kann. So haben sich, trotz der wenigen Informationen oder gerade aufgrund des Informationsmangels über die Trainingsbeauftragte weit über diesen Bereich des UnEsCo-Stützpunktes Gerüchte über sie entwickelt, die sich teilweise ergänzen, teilweise widersprechen und die gewisse gemeinsame Kerne haben. Diese decken sich mit und ergeben sich aus den drei Hauptquellen aller Behauptungen über Penny Jackson:  Erstens ihrem Verhalten gegenüber Rekruten, wie sie die jungen Esper im Training nennt, zweitens ihrer Rolle und Vergangenheit in der Organisation und drittens ihrem äußerlichen Erscheinungsbild.

Um Letzteres vorweg zu nehmen, Jacksons Gesicht allein gibt genug Anlass zu Spekulationen. Während Körperbau- und Haltung in relativ zeitlosen Business-Casual-Outfits wenig über ihr Alter, aber etwas über ihre bewusste Ernährung und regelmäßigen Sport verraten, sind hier Spuren eines längeren, ereignisreichen Lebens zu erkennen. Es drückt sich im grauen Ansatz ihres hellblond gefärbten Haares aus, in Falten, aber vor allem in der Deformierung der gesamten ausgeprägten Knochenstruktur ihres schmalen Gesichts. Die Nase ist besonders in Mitleidenschaft gezogen- aus einem Abstand scheint sie grotesk nach rechts verbogen, bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, dass Knorpel und Hautpartien auf dieser Seite fast komplett fehlen und dies durch die Umverteilung von Gewebe ausgeglichen wird. Dementsprechend ist diese Stelle in Jacksons Gesicht von einer schlecht verheilten Narbe gekennzeichnet, die sich von der aschblonden Braue bis fast zum spitzen Kinn zieht und die ohnehin sehr sparsam eingesetzte Mimik der Einsatzleiterin noch weiter einschränkt. Die schmalen Lippen sind im natürlichen Zustand leicht heruntergezogen, wobei auch sie von einem Rechts-Hang betroffen sind; die großen, eisblauen Augen, die von einstiger Schönheit zeugen, liegen schon sichtbar tief in den Höhlen. Zwei Merkmale, die dunklen Ringe unter ihnen in der blassen Haut, und der entschiedene, durchdringende Blick streiten sich um die Vorherrschaft über den Eindruck von Jackson, den sie gemeinsam vermitteln sollen: Der aufkommende Gedanke, wie lange sie sich noch lange im Amt halten könne, wird durch die Gegenfrage erstickt, wer sie dessen zu entheben wagen könnte.

Was die Stellung innerhalb der Organisation betrifft, ist diese für die Rekruten nicht wirklich durchschaubar. Der in Kansas verortete UnEsCo-Campus ist der größte solche auf US-Gebiet und enthält auch das größte Trainingszentrum. Hier spielt Jackson eine anscheinend wichtige Rolle in der Administration und wird besonders in Entscheidungsprozessen über Neuzugänge, Statusveränderungen der Rekruten und deren Einsätze zu Rate gezogen. Jeder auf dem Gelände kennt sie oder weiß etwas mit ihrem Namen anzufangen - Nicht zu bezweifeln ist, dass diese Position zu einem Teil den Fertigkeiten ihrer Inhaberin geschuldet ist, da Jackson immer wieder gute Menschen- oder zumindest solide Aktenkenntnis vorweisen kann und sich in Verhandlungen durchzusetzen weiß. Die Flexibilität, mit der sie sich erlauben kann, zwischen Aufgabenbereichen zu wechseln, Fälle anzunehmen oder weiterzugeben, sich einzumischen oder rauszuhalten, lässt aber darauf schließen, dass auch andere Faktoren ihre jetzige Machtposition beeinflusst haben. Diese lassen sich umso weniger erraten, weil Jacksons Esper-Fähigkeiten völlig im Dunkeln liegen. Nicht einmal, ob sie über solche verfügt – auch das wird angezweifelt – ist klar. Kein Wunder, dass die Gerüchteküche brodelt.

Nicht zuletzt ist Colonel Jackson nicht für ihr Einfühlungsvermögen bekannt, sondern für einen nüchternen, wenn auch sarkastischen Pragmatismus. Die Rekruten behandelt sie offensichtlich als Mittel zum Zweck – zu welchem Zweck, oder vielmehr, zu wessen letztendlichen Nutzen; auch das wird nicht immer ersichtlich. Dass sie ihren jetzigen Job und seine Aufgaben nicht schätzt, verheimlicht Jackson schließlich keineswegs. Das bedeutet jedoch auch nicht, dass ihre Rolle völlig fehlbesetzt ist. Jackson scheint Grenzen im Großen und Ganzen ausloten zu können, nicht selten, um genau bis an die Grenze zu gehen, aber meist auch nicht weiter. Das gilt für die armen Schweine, deren Unterrichtseinheiten sie besonders unter Kontrolle hält, aber auch für die, die sie als Vertreterin einer zuständigen Behörde geflissentlich vernachlässigt. Bisher habt ihr scheinbar zur zweiten Gruppe gehört -mit Ausnahme von Gwen - ; denen, die nicht unter der direkten Beobachtung überhaupt irgendeiner Leitung des Trainingszentrums stehen. Dieser Eindruck verändert sich, seit ihr eines samstagmorgens auf eurem Tagesplan nach dem Begriff „Frühstück“ das Wort „Einsatz“ , die Addresse: Gebäude 18, Zimmer 101.“ Und den Namen „Colonel Penny J. Jackson“ lest.

Penny J. Jackson gibt viele Rätsel auf. Das auf euch zukommende Abenteuer ist nur ein Beispiel unter vielen, aber für euch wird es ein Ausschlagebendes sein.

Kompendium

Avery Belroyth

Avery Belroyth (Casual)

Avery-Belroyth.jpg

Esper: Frocheleon

Avery Belroyth ist etwas über die 30 und hat kurzes Haar. Er trägt eine matt glänzende Hose mit dazugehöriger Jacke. Als Teil der ausgebildeten Elite vom Campus bildet sich Avery Belroyth durchaus etwas auf seinen Status ein. Es gibt einige Gerüchte, primär aus seiner eigenen Ausbildung die er hier am Campus abgeschlossen hat, doch nichts das ihr mit dieser Person vor euch in Verbindung bringen würdet. Nach aussen ist er dafür bekannt sich seiner Trainingsschüler intensiv anzunehmen. Er war häufiger Teil von Einsätzen.

Avery Belroyth (Formell)

Avery-Belroyth-2.jpg

Kompendium

UnEsCo Militärgebiet Kansas

Hier eine vorläufige Version des UnEsCo-Militärgebiets in Kansas

UnEsCo-Zentrum-Text.png

Kompendium

Wohngruppe 11

Wohngruppe 11 ist eine von 2 Elitewohngruppen des Typs B im Randgebiet des UnEsCo-Trainingszentrums Kansas. Hier leben in einem freistehenden Holzhaus 12 Mädchen im Alter von 16 bis 20 jeweils auf Zweierzimmern. Ihr Unterricht ist nicht nur auf körperliches Training beschränkt, sondern enthält auch ein intensives Bildungsmodul mit 3 Wahlmöglichkeiten. Außerdem führen die Bewohnerinnen den Haushalt in ihrer Wohngruppe zum größten Teil selbst und sind dabei gemeinsam mit ihrer Zimmernachbarin für die gleichen Termine eingeteilt.

Neben der offiziellen Hausleitung, Mrs. Nelson, sind auch die Trainingsleiterin oder Drillmeisterin Sgt. Hofmann und der Tutor Mr. Rainwater für euch zuständig, diese neben einigen weiteren Lehrpersonen für Einzelunterrichte. Fast alle von ihnen leben ebenfalls auf dem Campus und haben daneben noch andere Funktionen zu erfüllen. Ebenfalls wird von euch Respekt für eure Wohngruppenvorsteherin Lisa Collins verlangt, die mit 20 Jahren die Älteste, Erfahrenste und in fast allen Disziplinen meist Fortgeschrittenste ist (wie das nach deiner Ankunft aussieht, kann man besprechen). Sie nutzt ihre Macht nicht unbedingt aus, um euch zu knechten, setzt aber Regeln und die Einhaltung der Tagespläne gekonnt durch und regt zu „Competition“ an. Dazu ist eigentlich nicht viel notwendig, da die anderen Mädels in Wohngruppe 11 meistens ehrgeizig und motiviert bei der Sache sind.

 

Wohnhaus

1. Stock - Schlafräume der jüngeren Mädchen

 

2. Stock - Schlafräume der älteren Mädchen und Hausleitung

Tales of Esperia

Tales of Esperia

Prolog

Einige von euch sind nun schon länger mit UnEsCo bekannt und leben auf dem Organisations-Campus irgendwo in Kansas. Wer sich nicht dazuzählt, braucht diesen Abschnitt in eckigen Klammern nicht lesen ?

[Die Gebäude liegen auf militärischem Sperrgebiet und enthalten ein Konferenzzentrum, ein Verwaltungsgebäude und ein Wohn- und Trainingszentrum. Dort leben vor allem junge Espers, die irgendwas zwischen auffällig und gefährlich geworden sind und/oder deren Familiensituation als schwierig bis nonexistent eingeordnet wurde.

Ca. 100 junge Menschen zwischen 5 und 25 leben, je nach „Bedürfnissen“ und Anordnungen in Wohnheimen, kleinen Apartments oder Holzhütten auf dem großen Campus verstreut. Es gibt eine Art Schule für Jüngere und Trainings für Ältere. Ihr könnt euch selbst grob überlegen, wie wohl euer Leben und euer Training aussieht. Außerdem habt ihr eine Bezugsperson als Betreuer und vielleicht Freunde und Bekannte auf dem Campus. Macht euch ein grobes Bild.

Eine Person, die ihr alle im Prozess eurer Eingliederung ins Campus-System getroffen habt, ist Penny Jackson. Jackson werde ich spielen. Zu ihrer Person sag ich noch was, aber ihr könnt schonmal wissen, dass sie im Trainingsbereich eine Menge zu sagen hat und damit über euer Schicksal entscheiden kann.

Jeder von euch sollte grob im Kopf haben, was er im Trainingscenter erreichen will. Ihr seid vielleicht nicht ganz freiwillig dabei, dann wollt ihr beweisen, dass ihr zu einem eigenständigen Leben fähig seid, um entlassen zu werden. Es könnte sein, dass ihr mit anderen Personen eine gewisse Konkurrenz-Situation entwickelt habt. Mit Ausnahme von Gwen ist keiner von euch bisher bei Einsätzen dabeigewesen. Ihr wisst, dass manche anderen Jugendlichen für Einsätze trainiert werden, aber das sind eher die Fortgeschrittenen und „braven Eliteschüler“. Es überrascht euch alle ein wenig, dass ihr diesmal ausgewählt werdet. Es werden euch mehr Privilegien versprochen. Denkt darüber nach, was das für euch wäre und was ihr euch von der Sache versprecht.]

Jeder von euch hat eine Art Abmachung mit UnEsCo. Ihr könnt hier einmal aussuchen, welche Art es für euch ist, und das gleich ins Charakterblatt eintragen.

Zu „Status bei UnEsCo“:

  1. Bitte entscheide dich für eine dieser Möglichkeiten:
  2. Mitglied, fest angestellt
  3. Mitglied, in Training
  4. Vertragspartner, befristete Zusammenarbeit
  5. Vertragspartner, einmalige Zusammenarbeit
  6. Kein Vertrag/ mündliche Absprache

Außerdem: Jeder von euch kann eine Sache mit ins Abenteuer nehmen, dabei müsst ihr gut erklären können, wie ihr dazu kommt.

Tales of Esperia

Hiroo

Hiroo

Hiroo - ca. 17 Jahre alt

Die Welt ist vorangeschritten. Übernatürliche Kräfte haben sich in der Welt aufgetan. Die Menschen die über solche Kräfte verfügen werden als Esper bezeichnet.

Die Geschichte von Hiroo begann in Japan. Dort waren ihre Eltern Teil von Untergrundorganisationen, die mit der Regierung und Industrie zusammenarbeiteten. Um in diesem Kreis aufzusteigen mussten beide Dinge tun, auf die sie nicht sonderlich stolz waren. Als sie sich zum ersten Mal begegneten waren sie noch feindlichen Seiten zugeordnet, doch mit der Zeit und den aufkommenden Tumulten in der Welt verwischten diese Linien und sie konnten sich frei kennenlernen. Ein Ausstieg aus dem Kreis der Organisation war jedoch nicht denkbar und so bauten sie ihre eigene Unterorganisation auf. Mit aufkommendem Wissen über die Esperkräfte in der Welt baute sich Murasaki ein ansehnliches Laboratorium mit einigen der angesehensten Wissenschaftler Japans auf. Gleichzeitig baute Isamu ihre finanziellen Netzwerke, wie auch ihre Verbindungen mit der Yakuza weiter aus. Um den traditionsreichen Kreisen gerecht zu werden und den Bund einer Familie zu stärken wollte Isamu alsbald ein Kind. Murasaki gefiel der Gedanke erstmals gar nicht. Als rein weibliches Pärchen bedeutete dies ein etwas komplizierteres Unterfangen. Adoption kam ihnen in den Sinn und auch ein männlicher Partner wurde von den beiden als Option hinzugezogen. Bis sie eines Tages Nachricht eines befreundeten Industriellen der Genforschung bekamen. In dieser wurde ihnen ein neues Verfahren geschildert, das mithilfe einer bisher unbekannten Sphäre einen Katalysator erzeugen könnte, der genetische Energien bündeln konnte. Um Isamu ihren Wunsch zu erfüllen setzte Murasaki all ihre Verbindungen in Bewegung um einen Prototypen zu entwickeln der als Katalysator ihre beiden Energien bündeln könnte. Über Jahre hinweg arbeiten sie beide an diesem Projekt, bis der ersehnte Tag endlich herbeikam.

Beim Öffnen der Sphäre überkam Isamu ein unangenehmes Gefühl. Murasaki würde sich jedoch nicht abbringen lassen und so durchschritten sie beide das geöffnete Tor in eine ihnen unbekannte Welt. Die Koordinaten mussten stimmen, sie hatten sie über Wochen hindurch getestet. Das Labor wurde versiegelt. Isamu hielt Murasakis Hand fest umschlossen. Bis auf ihre engsten Vertrauten könnte sie niemand stören. Das nächste woran sie sich erinnern konnten war wie Murasaki Isamu in ihren Händen hielt. Die Sphäre schloss sich. Wenige Wochen später stellte Isamu fest, dass sie schwanger war.

Noch nie sah man Murasaki stolzer, als sie die kleine Hiroo in ihren Händen hielt. Sie war eindeutig ihr Kind und so kam es dass schnell weitere Jahre dahingingen. Murasaki baute ihr Labor weiter aus, während Isamu sich um die Geschäfte kümmerte, stets ein Auge auf Hiroo haltend. Isamu wartete in ihrem Schlafanzug auf Murasaki. Es war wieder einmal eine späte Nacht geworden. Sie blieb in letzter Zeit immer länger in ihrem Labor. Ein Anruf wurde auf den Großbildschirm geschaltet. Das blutüberströmte Gesicht von Murasaki war zu sehen und mit hektischen Rufen konnte man die Angestellten der Mega Corp sehen. "Sugu ni kieru. Subete no joho wa rogu ni kiroku sa rete imasu.", erklang es aus den Lautsprechern. Schüsse fielen und das Bild brach ab. Isamu rannte sofort los zum Zimmer von Hiroo.

Die Küste von San Francisco breitete sich am Horizont aus. Ein einsames Passagierflugzeug streifte durch die frühe Morgensonne. Ein Mädchen saß an der Küste und beobachtete den weißen Punkt der immer näher kam, seine Flügel ausbreitete und über sie hinwegflog. Ihr Name war in ihre Schuluniform eingraviert: Hiroo Kurosawa. Morgen würde sie 15 Jahre alt werden. Hiroo dachte nach ob es in Ordnung wäre einige ihrer Klassenkameradinnen einzuladen. Einige ihrer engeren Freunde meinten, dass es an der japanischen Herkunft ihrer Mutter lag, dass sie so abgeschottet lebe. "But why me...", dachte sich Hiroo, "why do I have to keep up with my mothers faults." Von ihrem Vater wusste sie etwa genauso wenig wie von ihrer Mutter. Ursprünglich kam ihre Mutter aus Japan. Sie selbst war wohl noch ein kleines Kind zu der Zeit gewesen. Als sie dann in die Vereinigten Staaten kamen, hatte sich wohl viel verändert. Auf einem alten Foto saß sie ähnlich wie heute mit dem Gesicht zum Meer. Neben ihr stand ihre Mutter, etwas schlanker und größer als heute, beide mit dem Rücken zur Kamera. In japanischer Tracht gekleidet, im Hintergrund der große Pazifik.

In Hiroo kamen Vorwürfe auf, es war ihre Schuld. So hatte sie sich nicht ihren 15. Geburtstag vorgestellt. Das Feuer breitete sich um Hiroo aus. Sie hatte keine weitere Familie, niemand der ihr weiterhelfen konnte. Ihr kamen die Gestalten in schwarz in Erinnerung, die Menschen vor denen ihre Mutter sie gewant hatte. Diese Gestalten die sie zuvor verfolgt hatten. Sie musste so schnell es ging untertauchen. Während sie in den nächsten zwei Jahren ums Überleben kämpfte und in etliche Machenschaften reingezogen wurde, verflog ihre Deckung und sie wurde für einen Auftrag in Yokohama zwangsrekrutiert. In der Zwischenzeit hatte sie Fähigkeiten entwickelt von denen andere nur träumen konnten. Für die Organisation war es vielmehr ein Test. Während ihres Aufenthalts in Japan lernte sie eine Frau kennen, der Hiroo sehr verbunden war. Die Wege der beiden überschneideten sich nur kurz und alsbald sich Hiroo freikämpfen konnte, war sie bereits auf einem Flug zurück über den Pazifik.

Als sie in Amerika ankam, wurde sie von schwarzen Agenten umzingelt. Sie war geschwächt und ausgelaugt. Dennoch legte sie es auf einen Kampf an. Völlig vergeblich. Die nächste Erinnerung ließ sie in einem Bunkertrakt aufwachen. Weit unterm Gefrierpunkt fühlte sie sich völlig leer. Eine Woche, vielleicht mehr harrte sie so. Ohne Kontakt zu wem oder was sie hier eingeschlossen hielt. Die Nahrung die sie erhielt ließ ihr gerade genug Energie zum überleben in dieser Kälte. Nach einem Angebot, das sie scheinbar doch abschlagen konnte, wurde ihr nach einigen weiteren Tagen langweilig und sie begann ihren Ausbruchsversuch. Sie willigte in das gemachte Angebot ein und alsbald ein heißer Kaffee die Hände des ahnungslosen Sachbearbeiters in die ihre verließ entbrannte bereits das Feuer erneut. Sie schlug sich durch die endlosen Hallen und Gänge durch das Sicherheitspersonal hindurch bis sie am Ende eines Korridors ankam. In einer Art Trainingshalle stand eine imposante Person. "I've long awaited you. Finally you arrive, watashi no kuroi hoshi.", sprach sie Hiroo an. "Thanks, but I can do without you", erklang es halb tot, halb verächtlich aus dem Munde von Hiroo. Mit zwei Energiestößen nach hinten schoss sie zielgerichtet auf ihn zu und an ihm vorbei in das Zentrum der Deckenhalle. Eine dumpfe Explosion erschütterte das Gemäuer und Hiroo sprang zwischen herunterbröckelnden Beton hindurch in die Freiheit. "Although I've waited weeks for this appointment you only wish to give me a glimpse of your potential?" Etwas zog an ihrem Fuß, während sie nach der frischen warmen Luft lechzte. Sie wurde zurück durch das Betonloch zu Boden geschleudert. "You stay right where you are. And you will learn how much fun we can have." Er richtet sich an das Sicherheitspersonal. "You can go, now my training class begins."

Hiroo

Hiroo in Kriegsbemalung - ca. 17 Jahre alt

Tales of Esperia

Hiroo x Jay

Einige Wochen waren dahingegangen in der Hiroo frei über den Campus verfügen durfte. Stets unter der Beobachtung ihrer Gastgeber. Nach all der Zeit auf der Straße und auf der Flucht kam ihr das Leben hier zur Abwechslung fast schon wieder idyllisch vor. Sie saß etwas abseits des Hauptkomplexes, mit Augen zum Himmel und dem Rücken auf steinernen Stufen. Die Stufen verliefen um eine Art Denkmal im anliegenden bewaldeten Park. Sie erinnerte sich an die Tage an denen sie wie ein Kind die Flugzeuge am Himmel zählte, die über den weiten Ozean flogen. Ein Schatten kam die Treppen herauf und verdunkelte die Sicht auf den Himmel. Ein leichtes Rauschen überlagerte den Sound ihrer Earbuds. "Can't you just fuck off...", erwiderte Hiroo und sah in die Richtung des näher kommenden Schatten.

Jay war von der Aggression des Mädchens zu seinen Füßen kurz irritiert, dann genervt. "Fuck off yourself", blaffte er zurück.

Hiroo richtete sich auf, ihre auflodernde Iris auf den Jungen vor ihr gerichtet. Seine langen blonden Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. “You really wanna stay in my way?" Während sie sich mit einer Hand aufstützte, glühte der Boden unter ihrer Hand auf.

"Hey, straighten yourself. What's your problem anyway?!" Einen Kampf- für den es nicht einmal einen nachvollziehbaren Grund gab, wollte er mit ihr nicht anfangen. Aber es gefiel ihm ganz und gar nicht, wie diese Halbstarke sich aufspielte.

"Omae wa ikemenda. Right now... it's you." Sie schaute sich um. Keine Menschenseele zu erfassen. "I thought I made that clear." In einer blitzschnellen Bewegung stand sie vor ihm. "Is your superpower being extremely annoying or is this just your kind of music?" Sie hielt einen ihrer rauschenden Earbuds in seine Richtung.

Das kam doch ein wenig überraschend. In der letzten Zeit hatte Jay seine Kraft nicht oft unfreiwillig freigesetzt. Er löste den Druck in seiner Hand, die er zur Faust geballt hatte. Aber dass er sich bei ihr entschuldigte, kam überhaupt nicht infrage. Dafür war sie zu pissig gewesen. "You should think about how you talk to people. Or you'll get problems 'round here. But I guess you already have." Mit diesen Worten wandte er sich von ihr ab. Dann musste er sich eben einen anderen ruhigen Platz suchen.

"Don't you worry about me. I tend to my problems right away." Mit diesem Satz schoss ein Hitzewelle über die Haare des Blondschopfes vor ihr. "Smells like chicken." Die schwarzen Haare von Hiroo nahmen in den Spitzen eine bläulich leuchtende Färbung an.

Hatte sie das gerade ernsthaft getan? Jay hatte gedacht, sie hätte zumindest einen Ansatz von Vernunft und würde sich wieder einkriegen, wenn er verschwand. Wer war sie, dass sie glaubte, einen Kampf provozieren zu wollen? Er drehte sich auf dem Absatz um. Sein Blick war hart und entschlossen. "I don't know if you're just stupid, but you should know you shouldn't pick a fight like this." Sie sollte es wissen, aber nur für den Fall bereitete Jay sich auf einen möglichen Angriff vor.

"I don't like being patronized. And what I really don't like is being teased." Konnte sie ein Aufblitzen in seinen Augen wahrnehmen? Ein leicht verschmitztes Grinsen formte sich auf ihren rot bemalten Lippen. Sie war auf Kriegsfuß. "Let's get to it. Gachi!" Ihre linke Hand erhebte sich. In Kampfstellung deutete eine auffordernde Handbewegung an, dass sie Jay den Vortritt ließ.

„You don't get it, do you? I'm not here to fight. If you wanna mess up so much go and ask your coach for extra time.“ Das war wirklich unglaublich. Sie meinte es tatsächlich ernst. "You can piss of Jackson, if you need to, but I am not gonna do that." So würde er sich jedenfalls nicht mit reinziehen lassen.

"So... you're the principal's poster boy." Sie atmete tief ein. "Could've just said so." Die Hitze entschwand. Ebenso wich die Vorfreude in Hiroos Gesicht. "Go on, I won't force a fight if you're not up to stand for yourself." Hiroo wandte sich ab. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf ihre Haare. Mit einer Strähne in der Hand betrachtete sie das türkise Blau, das an der Spitze hervorzudringen schien.

Skeptisch musterte Jay die junge Frau. Er traute ihr nicht ganz. Sie schien ihm keine Aufmerksamkeit mehr zu schenken. Trotzdem blieb Jay auf der Hut, entfernte sich erst langsam rückwärts und wandte sich dann ohne ein weiteres Wort zum Gehen.

Tales of Esperia

Hiroo in Wohngruppe 11

Außer Devy lernst du bald auch Devys beste Freundin und Vorbild Virginia kennen, die mit 19 zu den Ältesten gehört und einiges draufhat. Ihre Esper besteht in einer besonders guten Gedächtnisleistung, die es ihr ermöglicht, viele Daten auf einmal abzuspeichern und abrufen zu können. Das macht sie weniger intelligent, als sie vielleicht glaubt, aber sie nutzt die Fähigkeit gerne, um andere zu beeindrucken und sich einzuschleimen. Virginia ist außerdem eine trainierte Ausdauerläuferin, die jeden Morgen freiwillig 6 km hinter sich bringt. Ich bringe Lisa und Virginia explizit als mögliche „Kratzbäume“ für Hiroo ins Spiel, weil sie sowas in Jay ja zunächst nicht finden konnte. Falls Hiroo das im Moment nicht brauchen sollte, sind die beiden immer noch wichtige Bezugspersonen für Devy (und ein persönlicher Kratzbaum für mich ?).

Btw.: außer Lisa (darüber redet sie gern) war in Wohngruppe 11 noch keiner auf einem Einsatz. Danach sieht es auch zunächst gar nicht so sehr aus, obwohl die meisten ganz heiß darauf sind. Du darfst dich fragen, warum sie noch nicht eingesetzt wurden. Fühl dich sonst einfach in deine Rolle ein und wenn du willst, schreib was dazu ins Inbetween oder so. Muss aber auch nicht, es ist nur wichtig, dass sich dein Charakter rund anfühlt.

 

Hiroos Wochenplan

Zeit

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Samstag

Sonntag

6-8 Uhr

Aufstehen, Frühstück, Aufwärmen

Freizeit

8-10 Uhr

Ausdauer-Training

Kraft-

Training

Ausdauer-

training

Kraft-

Training

Ausdauer-

Training

Sport-

angebot

Aufstehen,

Frühstück

10-12 Uhr

Gesell-schafts-kunde

Haushalts-aufgaben

Tutorium

Selbst-studium

Tutorium

Haushalts-aufgaben

Schwimm-en

12-14 Uhr

Mittagspause

14-16 Uhr

Esper-

Training

Einsatz-

Training

Selbstver-teidigung

Esper-

Training

Selbstver-

teidigung

Freies Training

Waffen-

training

16-18 Uhr

Haushalts-

aufgaben

Selbst-

studium

Entspann-

ung

Haushalts-aufgaben

Wochen-

besprechung

Freies Studium

Freizeit

18-20 Uhr

Abendbrot

20-22 Uhr

Freizeit

22-24 Uhr

Ausgangssperre

 

Erklärungen

Tales of Esperia

Inbetween

Vorwort

Hi Leute! Ich eröffne hier jetzt mal ganz dreist eine kleine gemeinsame Runde.^^ Dazu ein, zwei kleine Anmerkungen: Zum einen werde ich nicht alles, was Jay erlebt, hier posten. Das wär zuviel des Guten und so gibt's halt auch bisschen was zum Entdecken (vielleicht). Zweitens: Ich hab mir nen Übungsleiter für's Einsatztraining überlegt. Rudimentär. Und weil ich viel Spaß hatte, heißt er Colonel Falk. Bei denen, die ihn nicht besonders mögen, heißt er dann auch manchmal "die Mistgabel".

Zum Schluss: Ich bin davon ausgegangen, dass zuerst jeder sein ganz individuelles Training hat, und wir erst später gemeinsames Einsatztraining haben (in meinem Stundenplan momentan montags 14-16, mittwochs 10-12 und freitags 8-10, aber das könnte sich ja noch ändern). Plus: Ich glaube, dass Hiroo als Letztes dazukommt, wenn ich das richtig im Kopf habe. Sollte irgendwas, das ich hier schreibe, nicht mit den Vorstellungen unserer Spielleiterin konform sein, haut mich. ;)

PS: Ich überlasse euch mal, ob ihr schon da seid oder noch kommt und schnappe mir obendrein die Schriftfarbe blau. ^-^

Charaktere: Jay - Hiroo - Gwen - Exit - Devy- Jackson

 

Die Memoiren eines Werdenden

Ein Held.

Bild gewordenes Ideal des menschlichen Strebens. Personifikation der Überwindung eigener Grenzen und Bedürfnisse. Taten so groß, dass selbst Geschichten sich verzücken lassen, von Ihnen zu berichten. Ein Held, die Grenzen zu überwinden zwischen Wirklichkeit und Fiktion.

Doch wie Geschichte Helden schreibt, so schreiben doch Helden nicht Geschichte. Nur der Andere schreibt. Nur seine Feder vermag zu beseelen. Und so begibt es sich, dass ein Individuum seinen Kiel in Tinte versenkt, um Taten Worte folgen zu lassen:

 

24.09.2028

Liebes Tagebuch,

Ich habe mich ja lange nicht mehr gemeldet, aber ich war auch unterwegs. Ich habe nämlich neue Freunde kennengelernt. Jay, Hiroo und die kleine Gwen. Jay ist zwar ein Grummel und die anderen beiden ein wenig klein, aber wir hatten ganz viel Spaß. Ich glaube, Gwen mag ich am meisten. Ich hoffe, Sie bleibt immer so, wie Sie ist. Wir haben etwas Gutes getan. So wie das sonst Helden immer machen – so richtig mit Feuer und Kämpfen. Gut, das mit dem Feuer war eigentlich hauptsächlich Hiroo. Aber fasst wären wir sogar Gabelstabler gefahren. Das war aufregend.

Die Anderen können auch besondere Sachen wie ich. Also eigentlich können die ganz andere Sachen, aber die sind alle an einem Ort, wo Leute mit besonderen Fähigkeiten eben sind. Das ist wie so ein Camp mit Training und gemeinsam wohnen. Frau Jackson wollte eigentlich, dass ich auch mitkomme und anfange richtig für Sie zu arbeiten. Frau Jackson ist die, die uns immer sagt, was wir gerade machen sollen. Ich wäre total gern mit in das Camp gegangen. Mir fehlt das Training von früher und ich möchte so gern neue Abenteuer mit meinen neuen Freunden erleben.

Ich möchte Gutes tuen. Aber das geht gerade noch nicht. Deswegen bin ich ganz schön traurig, liebes Tagebuch. Zumindest hat mir Mrs. Marple gesagt, dass sich so traurig sein anfühlt. Aber ich muss jetzt noch ein paar Wochen traurig sein, bis ich auch ins Camp gehen kann. Mrs. Marple benötigt nämlich meine Hilfe im Marples Ale. Sie sagt immer: "Besonders jetzt, wo bald die Weinachtszeit kommt." Ich weiß nicht genau, was Sie damit meint, aber diese Zeit geht sogar bis in den Januar. Ich weiß, dass Sie es nicht böse meint. Und ich glaube, Sie macht sich auch ganz schön Sorgen, dass ich wohl bald für längere Zeit weggehe. Vllt war es auch nicht richtig, dass ich Ihr nicht Bescheid gesagt habe, als ich vor ein paar Tagen zur Organisation aufgebrochen bin. Aber ich habe Ihr versprochen, Ihr regelmäßig zu schreiben, sobald ich wieder im Camp bin. Und Bob ist ja auch noch da, um auf Sie aufzupassen.

Bis ich auch ins Camp kann, werde ich hart trainieren. Morgen Abend habe ich wieder meine Show und am Donnerstag ist auch Giovanni wieder da. Da freu ich mich drauf. Ich werde der Beste Schausteller, den es je gab. Die Anderen werden bestimmt staunen, wenn Sie mich wieder sehen. Achja, und Sport muss ich glaube ich auch wieder mehr machen. Ich denke, ich werde mich wieder in der Nacht rausschleichen, wenn der Pub schließt. Ich glaube, im Wald kann ich gut trainieren. Aber Tagebuch, das bleibt unser Geheimnis. Ich glaube, Mrs. Marple würde sich sonst nur noch mehr Sorgen machen.

Ich wünsche dir eine gute Nacht, Tagebuch. Ich weiß nicht, ob ich auch heute gut schlafen kann. Das war gestern schon so schwer.

Naja, bis bald

dein Exit

 

Episode 2

Tag 3 - Die verstrichenen Tage hatte Hiroo lediglich an der Anzahl der Mahlzeiten abzählen können. Mehr hatte sie hier unten bisher nicht erhalten. 'Maybe I shouldn't have called her an incompetent bakageta in front of sensei...' Ein eisiger Atem entwich ihrem Mund. Sie durfte keine Energie unnötig verschwenden. Sie müsste sie sich aufsparen. 'But it definitely wasn't my mistake this thing took fire.' Ihre müden Augen flogen über das Arena-artige eisige Gewölbe um Sie herum. Es war der gleiche Raum aus dem sie bereits einmal ausgebüchst war, weit unter der Erde irgendwo unter diesem Kampus. Doch dieses Mal waren provisorisch irgendwelche Energieschwämme als Platten in die Wände gelassen. Ein Ausbruch konnte sie sich so abschminken. 'They even took my ear drops. This really is hell and Jackson the administrator.' Sie stand auf. "Argh, you fuckers better give me some reason for all of this.", schallte ihr Stimme als Echo durch die vereinzelten Mauern der Arena. Aber selbst der Schall verstummte recht schnell. Sie stand noch bis das letzte Echo verstummte. Ihre Sinne waren gestärkt, genauso wie ihre Stimme scheinbar nicht nach aussen vordrang, drang auch kein Geräusch von aussen ein. "Damnit... this really stinks." Sie nahm sich die filzige Decke und hing sie über ein steinernes Stück Mauer. Sie bereitete sich für ihre Übungen vor. Sie hatte damals gelernt, dass sie nach Übungen mehr Essen zu erwarten hatte. Zwingend notwendig bei einem so erhöhten Energieausstoß. Sie musste ihre Technik jedoch noch verfeiern. Unbemerkt vor den Augen die sie vermutlich durch die Kameras beobachteten. Jeden Tag fachte sie ihr inneres Feuer weiter an. Satoshi Imaru würde sich aber nur schwer täuschen lassen. Seit dem ersten Tag hatte er ihr Potential nahezu punktgenau abschätzen können und gegen sie einsetzen können. Stunden brachte sie so mit ihrem Training zu. In Gedanken ihre eigenen Melodien summend. Wie aus einer Trance erwachte sie kalt in Schweiß gebadet. Wann hatte sie das Bewusstsein verloren? Das Licht war gedimmt. Nach ihrer Vermutung Nacht. Sie zog sich in eine Mauerecke zurück und zog die filzige Decke über ihren kalten nun regungslosen Körper.

Eine Wärme breitete sich um Hiroo aus. Ihre Augen öffneten sich leicht und sie schaute sich verschwommen um. Sie lag in einem ausgerollten Futon am Fuße eines Bettes. Der Raum kam ihr bekannt vor. Das war ihr altes Schlafzimmer in San Francisco. Kreisförmig um sie herum breitete sich langsam eine Hitze den Boden entlang aus. Sie stand langsam wankend auf. In ihrem Bett sah sie ein Mädchen mit einer dunkelblauen Decke zugezogen liegen. Rote Haare huschten unter der Decke hervor. Wie in Trance sah sie Flammen die Wände ihres Schlafzimmers heraufzüngeln und ihre Poster in Stichflammen aufflackern. Rauch breitete sich aus. Sie musste sie wach kriegen. Sie erfasste die Schulter des Mädchens und versuchte sie wachzurütteln. Wie ein Vortex erfasste es ihre Hand und ein schwarzes Nichts zog das Mädchen in sich hinunter. Bevor es sie erwischte ließ sie los. Hiroo schreckte auf. Schweiß rann ihre Stirn hinunter. Sie atmete schwer und schaute sich irritiert um. "Yume?", flüsterte sie fast atemlos. Sie schaute geradewegs auf ein Bett, das schräg gegenüber zur Fensterseite stand. Es war nicht ihr Raum, es war auch nicht ihre eiserne Zelle. Sie lag in einem Bett. Schräg gegenüber dem von diesem Mädchen, dass sie gerade fast wie in einer zweiten Wirklichkeit wahrgenommen hatte. Es war zu nah an dem was vor 2 Jahren passierte. Sie war aber zu entkräftigt um sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Trotzdem stand sie auf und ging das Mädchen aus dem Augenwinkel beobachtend in Richtung des Fensters aus dem fahl das Mondlicht einfiel.

Es war im UnEsCo-Ausbildungslager nicht üblich, einen festen Schlaf zu haben. Devy war in dieser Hinsicht keine Ausnahme von der Regel. Nachdem sie erwachte, realisierte sie binnen Sekunden, dass ihre neue Zimmernachbarin nicht mehr im Bett lag, sondern inzwischen am Fenster stand. Erleichtert atmete das Mädchen auf. Das wenige, was man ihr über diese Hiroo Kurosawa erzählt hatte, gab Devy keinen Grund, ihr gegenüber besonders vertrauensselig zu sein - im Gegenteil, es war sowohl vor ihrer Agressivität als auch davor gewarnt worden, dass sie bei erster Gelegenheit auf- und davon sein konnte. Beide Szenarien sollten unterbunden werden, und Devy hatte die Verantwortung, die ihr in der Sache zukam, gleich ernstgenommen. Nicht nur, weil sie ungern ihr neues Zimmer in Flammen aufgehen gesehen hätte. Obwohl Devy auf eine Mitbewohnerin hätte verzichten können - zumal auf eine solche - sie nahm es als eine Ehre wahr, dass man ihr eine solch "schwerwiegende" Aufgabe zugeteilt hatte. Wenn der Moment kam, hatte sie sich gesagt, würde sie das neue Mädchen in die Knie zwingen und den Alarmknopf aktivieren, um Hilfe zu holen.

In dem Moment, in dem Devy einen kurzen Blick nach rechts warf, wo neben der Tür der rote Knopf in der Wand eingelassen war, wandte sich Hiroo ihr zu. Ihr Bett knartschte, als Devy den Kopf herumriss und sich völlig ins Sitzen aufrichtete. So starrten die beiden Mädchen, sich jeweils der vollkommenen Aufmerksamkeit der anderen Person bewusst. Devy konnte nicht lesen, was in dem Neuzugang und hinter ihren dunklen, blitzenden Augen vorging. Sie hatte sie bisher nur schlafend gesehen. Schlafend erschien Hiroo nicht wie eine Gefahr. Devys erster selbst gemachter Eindruck von ihr war eigentlich ein positiver gewesen. Das Mädchen war nicht besonders groß, mit feinen, asiatischen Gesichtszügen ausgestattet und sonst unter einer hellblauen Bettdecke vergraben gewesen. Gut, ihr Haar war zu einem Teil türkis gefärbt, was Devy wie eine red flag vorkam, und nur der Ansatz und die ausdrucksstarken Augenbrauen verrieten den ursprünglich pechschwarzen Haarton. Die Spitzen hatten in dem Mondschein einen geradezu leuchtenden Schimmer. Aber Hiroo sah doch ganz menschlich und, gerade im Schlaf, zugänglich aus. Devy kannte ein paar Asiaten aus ihrer bisherigen Zeit auf dem Campus, aus ihrer ehemaligen Pflegefamilie und sogar noch von ganz früher. Ein Malaye hatte eine Zeit lang auf der Ranch ihres Vaters gearbeitet, den Namen hatte Devy längst vergessen, aber ein positiver Eindruck von ihm war geblieben. Mit dieser Beweisführung im Hinterkopf entschloss sie sich, auch der wachen Hiroo Kurosawa eine Chance zu geben. "Guten Morgen." begann Devy. "Sach mal, sprichst du nur im Schlaf chinesisch - oder auch so?"

"Good morning. Kinda early if you ask me..." Hiroo war für einen Moment irritiert. Sie schaute dem Mädchen in die Augen. In ihrer naiven Art meinte sie es wohl nur gut mit ihr. Sie setzte sich an das Ende des Bettes und blickte weiter hinaus. Weiße Wolken zogen über das Mondlicht hinweg. "Uhm... did I talk in my sleep?", stammelte sie aus ihrem trockenen Mund.

Das klang tatsächlich entgegenkommend. Devy entspannte sich. "Ja, aber ich hab eh nichts verstanden. Fremdsprachen waren noch nie so mein Ding- und, glaub mir, fast jeder redet oder wandert im Schlaf. Jedenfalls, wenn man von meinen ehemaligen Mitbewohnerinnen auf alle Menschen schließen kann." Sie grunzte ein wenig über diesen spontanen Kommentar, den sie persönlich für sehr pfiffig hielt. Von Hiroo kam keine Reaktion, bis auf ein kaum wahrnehmbares Lächeln, das kurz über ihr Gesicht huschte. Devys Grinsen schwand. Vielleicht war sie ja die Merkwürdige von beiden, und nun hielt die neue Zimmergenossin sie gleich für albern und komisch. Wenn sie wirklich so charakterstark und respekteinflößend war und über einzigartige Kräfte verfügte, hatte Devy keine Lust, es sich mit ihr zu verscherzen - egal, wie harmlos sie gerade wirkte. "Also... es ist halb 4 und wir müssen um 6 auf, ich jedenfalls.", bemerkte Devy deswegen sehr viel zurückhaltender. "Sergeant Hofmann hält echt nicht viel von Zuspätkommern. Von daher..." Mit diesen Worten zog Devy sich die Decke wieder bis ans Kinn und wartete - ohne das zeigen zu wollen - mit Hochspannung auf eine Antwort.

Hiroo stand auf. "I'm not even sure what to expect of tomorrow." Ein langer Seufzer verließ ihren immer noch geschwächten Körper, während sie nach unten blickte. Sie trank aus einer vollen Flasche, die auf der Fensterbank stand. Ihr lechzender Durst ebbte mit jedem Schluck Wasser ab. "Ahh..." Sie raffte sich auf und ging zurück zu ihrem neuen Bett, das jetzt doch irgendwie sehr viel einladender aussah. "Oyasumi nasai. Sleep well, I mean..." Sie zog sich die hellblaue Decke bis an das Kinn, als würde sie dabei Devy immitieren. Bei dem Gedanken schaute sie peinlich berührt hinüber. 'Why do I even care, baka...' Bevor sie weitere Gedanken aufstellen konnte, fiel sie bereits in einen tiefen Schlaf.

 

Episode 3

Es war ein kalter Herbstmorgen. Jays Atem schwebte sichtbar durch die klare Luft. Doch ihm würde bald warm werden - dafür würde Colonel Falk schon sorgen. Der alte Militärveteran war dafür bekannt, den Esper viel abzuverlangen und Jay hatte das in den letzten Wochen am eigenen Leib erfahren. In Gedanken versuchte er sich schonmal damit zu trösten, dass nach dieser Einheit der beste Teil der Woche anfing und er "die Mistgabel", wie Falk manchmal heimlich genannt wurde, zwei komplette Tage lang weder hören noch sehen musste. Entsprechend mental eingestellt betrat er die große Trainingshalle.

Ich wache zitternd auf. Die Bettdecke fühlt sich feucht an, ich habe geschwitzt, wie in den letzten Nächten. Die Bilder wollen nicht aus meinem Kopf, die Schreie der Menschen die ich gesehen habe auch nicht. Ich versuche tief zu atmen, so wie es mir mein Trainer gesagt hat. "Wenn du wieder Angst hast, dann denk an etwas sehr fröhliches.", hat er gesagt und ich muss fast lachen. Er kann sich nicht mal im Entferntesten vorstellen, was ich hier jeden Tag sehe, was ich mitbekomme, was ich alles weiß. Was ich nicht weiß ist, wie ich etwas positives in meinem Kopf erschaffen soll. Also denke ich an das einzige, was mir noch nie schlimm vor kam: das Frühstück.

Seit ich bei der UnEsCo bin, geht es mir besser. Ich weiß, dass viele das nicht verstehen, aber ich bin 10 Jahre alt, meine Eltern wissen nicht mehr wer ich bin und ich weiß morgens manchmal nicht, wie mein Körper gerade aussieht. Ich sehe nichts und doch sehe ich alles, oft bin ich so verwirrt, dass ich mich nur in die Ecke setzen kann und mir die Ohren zu halte. Ich hasse Wasser. Ich hasse, was es mit mir tut und ich hasse den Schmerz, den ich spüre, wenn ich etwas sehe.

Die Schreie der Bergleute waren seit langem am Schlimmsten. Ich sehe sie noch jetzt vor mir. Die verdrehten Körper, die Toten, die Lebenden, die Leidenden.

Vorsichtig tastend stehe ich auf und taste meinen Körper ab. Bin ich gealtert? Erleichtert stelle ich fest, dass ich keine Brüste habe, Himmel, die Dinger sind schwer. Das bedeutet aber auch, dass ich jünger bin. Langsam steigt Erleichterung in mir auf. Ich schätze, dass ich wirklich 10 bin. Oder elf. Vielleicht 12. Auf jeden Fall so alt, wie ich eigentlich wirklich bin.

Ich stehe auf. Die Tür geht auf und jemand betritt mein Zimmer. "Guten Morgen!", sagt Hannah, sie ist meine Betreuerin die mich zum Frühstück bringt. Jeden Morgen. Sie hilft mir beim Anziehen und beschreibt mir, was ich anhabe, sie erklärt mir die Farbzusammensetzungen und sie nimmt mich an die Hand, bevor wir zum essen gehen.

Die Kinder sind laut, sie reden wild durcheinander, ich esse schweigend. Ich will nicht reden, ich weiß eh nicht wovon sie reden, kann ihre Welt kaum verstehen, die sie nur über ihre Augen wahrnehmen. Allein über meine Füße spüre ich mehr von dem Raum, der sie umgibt als sie selbst. Ich weiß, sie haben alle besondere Fähigkeiten, aber ich habe in den Visionen schon so viele von ihnen sterben sehen, dass ich mich nicht mehr mit ihnen anfreunden will. So etwas kann und will ich nicht mehr.

Nach dem Essen werde ich angestupst, ich weiß wer es ist, ohne dass ich mich dazu zwingen muss. Es ist dieser junge Mann, Jamey, mit dieser komischen Schreibweise, die ich nicht nachvollziehen kann. Welche Eltern machen das denn?

"Komm, mein Schatz.", sagt er. Das sagt er jeden Tag. Und jeden Tag denke ich mir, dass ich einen Namen habe. Aber ich hab seinen Tod noch nicht gesehen und er ist der einzige, der mir hilft, so, dass ich mich danach nicht schmerzerfüllt und furchtbar fühle. Ich sehe, dass er mir heute etwas geben will, aber ich weiß nicht was, er kann seine Gedanken besser für sich behalten als andere Menschen und deswegen ist er interessant für mich.

 

Wir besuchen mein Einzeltraining. Ich weiß, dass der Colonel heute zu sieht und dass ich es heute schaffen muss ein Portal zu öffnen. Gezielt. Mit Bild. Jamey weiß, dass ich aufgeregt bin, er weiß, dass die UnEsCo von mir verlangt effektiver zu werden.

Gestern habe ich ihnen etwas aufgemalt, eine verwirrende Vision mit Zahlen, Buchstaben und einer Steinplatte. Ich weiß, dass wir dazu noch etwas tun müssen, aber Colonel Falk weiß es noch nicht, also schweige ich. Er will, dass ich die Portale in den Griff bekomme.

 

In unserem Raum angekommen hockt sich Jamey vor mich und gibt mir einen Knochen. Es ist Rind. Und als ich es betaste, spüre ich die Klinge. Es ist vorn geschärft und mein Finger blutet. "Vorsicht.", flüstert Jamey und weiter sagt er leise: "Schneide es damit auf. Konzentriere dich."

Ich weiß nicht, wie er das meint, aber ich setze mich auf den Boden und denke an Jay. An das Surren, das ihn manchmal umgibt. Ich weiß, dass der Strom, der ihn umgibt mir hilft, die Portale zu öffnen und manchmal, wenn ich in seiner Nähe sind, wird das Bedürfnis ihn zu berühren riesig, denn tief in meinem Inneren weiß ich, dass er durch das Ableiten des Stromes mit mir gemeinsam diese Portale öffnen kann. Ich muss nur das entsprechende Bild weitergeben.

Da er aber nicht da ist und der Raum keine elektrischen Quellen hat, stelle ich es mir vor. Das Surren, den leisen Schmerz der einen durchzuckt, wenn man einen Stromschlag bekommt und fast automatisch schneide ich mit dem Rinderknochen in der Luft.

Ich höre Vögel zwitschern und das Rauschen der Blätter von Bäumen im Wind.

"Wo ist das?", fragt die dunkle Stimme der Mistgabel hart und ich höre seine Schritte. "Ist das real?", fragt er weiter und greift fest nach meinem Arm. Der Schmerz verändert die Welt im Portal. Ich höre die Bergarbeiter schreien, ich sehe sie fast wieder.

Von hinten stößt mein Betreuer, mein Trainer, den Colonel an der Schulter an. Er lässt mich los, ich denke wieder an den Nachmittag mit meinen Eltern und das Portal ändert wieder die Gegebenheit. Es strengt mich an, ich spüre Tränen über mein Gesicht laufen und habe Angst, dass sie wieder eine Vision auslösen. Aber nichts geschieht. Nichts.

Erleichterung macht sich breit, Colonel Falk hatte vielleicht doch Recht...

In den letzten Wochen hat er mich im Einzeltraining so oft in den Pool geschubst, dass ich am laufenden Band gealtert bin und Visionen hatte. Ich habe mich in der Zeit so oft übergeben, dass ich kaum noch aufrecht stehen konnte. Er nannte es Abhärtung. Als ich damals Jamey davon erzählte, ist dieser fast ausgerastet. Er passt auf mich auf. Ich weiß es, seit er Colonel Falk damit konfrontierte.

 

Ein Portal habe ich schon oft mit Jamey geöffnet. Aber nur mit dem Stromgedanken und dem Rindermesser... Das war ein Erfolg.

"Das sind Welten in ihrem Kopf. Das ist ihr Erlebtes, Realitäten, die nie existieren werden."

Colonel Falk zieht die Luft heftig durch die Nase ein. "Wir brauchen die Wirklichkeit. Keine erdachten Gegebenheiten." Er tritt näher an Jamey heran und sie flüstern. Ich will nicht zuhören und strecke meine Hand durch das Portal. Ich spüre den Wind und die sanfte Brise, die damals in Schweden herrschte, als ich meine Eltern verlassen musste. Ich ziehe die Hand zurück, ich spüre, dass ich mich nicht mehr genug konzentriert habe, es schließt sich. Und nachdem mein erster Trainer auf diese Art und Weise einen Arm verlor, kann ich das nicht mehr riskieren. Es summt laut, dann ist das Portal zu.

Colonel Falk greift nach meiner Schulter und hält mich so fest, dass ich weiß, dass es einen blauen Fleck geben wird. "Wie hast du das ausgelöst?"

"Strom. Messer.", sage ich einsilbig und ich kann sein schmutziges Lächeln fast riechen.

 

Jamey flüstert mir noch ins Ohr, dass er später noch zu mir ins Zimmer kommt. Er hat Angst, dass spüre ich. Er denkt, der Colonel wird mir weh tun. Ich bin mir sicher, dass das passieren wird.

 

Colonel Falk und ich, betreten die Trainingshalle. Es surrt. Ich spüre Jay, bevor er weiß das wir da sind. Und plötzlich weiß ich, was der Colonel vor hat und vor Angst wird mir eiskalt.

 

Das Trainingscenter war noch leer. Jays Schritte hallten einsam von den Wänden wider. Anscheinend war Falk gerade noch anderswo beschäftigt. Na egal. Dann würde Jay die Zeit eben zum Üben nutzen. Er begab sich in Position und begann, die Kurzform zu durchlaufen, die er seit einer Woche beherrschte. Jordan hatte seit dem Erhalt seines neuen Trainingsplanes Tai Ji in das Kampftraining aufgenommen. Jay hatte schnell gelernt, brauchte aber nach wie vor viel Übung. Deshalb nutzte er viel freie Zeit, um sich an die neuen Bewegungsmuster zu gewöhnen. Es war gar nicht so einfach, gleichzeitig den eigenen Körper zu kontrollieren und dabei die Umgebung im Blick zu behalten. Aber seine Vorerfahrung half ihm dabei. Jordan hatte nicht gelogen, was die entspannende Wirkung anging. Er hatte auch gesagt, dass Tai Ji Jay bei seinem Esper-Training helfen könnte. Damit wollten sie demnächst beginnen, wenn Jay die Kurzform sicher beherrschte. Im Gegensatz zur Mistgabel war Jordan geduldig und verständnisvoll. Er wusste genau, wann er Jay fordern musste und wann dieser mehr Zeit brauchte.

Aufs Stichwort. Kaum hatte Jay die zwei Minuten Form zu Ende gebracht, bemerkte er aus dem Augenwinkel, wie Falk in Begleitung eines Mädchens die Halle betrat. Jay brauchte einen Moment, bis er begriff, wer die Kleine war. Sie hatte sich sehr verändert. Aber das war ja laut ihrer eigenen Aussage ständig der Fall. Gleich geblieben waren die helle Farbe von Haut und Haaren und die blinden, dennoch durchdringenden Augen, sowie das seltsame Symbol auf ihrer Stirn. Ihren Namen hatte er allerdings vergessen. Was sollte das hier? Nicht dass Jay überrascht gewesen wäre, dass der Colonel ihn über eine Änderung des Trainingsplans nicht informiert hätte. Dazu schätzte dieser seine "Schüler" viel zu gering. Trotzdem verstand Jay nicht so ganz, was vorging. Er versuchte einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen.

"Hey, vision girl. Long time no see" Die Phrase rutschte ihm heraus, bevor er über die genaue Bedeutung des Wortlauts nachdenken konnte. "Was machst du denn hier?" Dann wandte er sich an den Übungsleiter: "Colonel." Keine überflüssigen Fragen. Keine unnötige Provokation. Falk würde ohnehin gleich zur Sache kommen.

Der Colonel nickte Jay zu, dass spürte ich an der Art, wie sich sein Körper bewegte. "Hallo", flüsterte ich und trotzdem hallte meine Stimme von den hohen Wänden der Trainingshalle wieder. Ich hatte einen unglaublichen Horror vor dieser Halle - irgendwo, weiter hinten, ich schätzte etwa 500m, befand sich der Pool.

Der Colonel drückte mich in die Richtung, in der Jay stand.

"Ich habe eine ganz wunderbare Entdeckung gemacht.", begann die Mistgabel zu erzählen. "Dieses Mädchen kann, wie du weißt, Portale in die Zukunft und Vergangenheit öffnen. Mit Hilfe von Strom ist es ihr möglich Realitäten zu öffnen, leider momentan nur solche, die sie selbst erschafft."

Ein böses Lächeln umspielte seine Lippen. Ich hatte es in meinen Visionen so oft gesehen, dass ich mich kaum anstrengen musste um diesen Ausdruck wieder vor Augen zu haben. Die Augen des Colonel waren zu Schlitzen verengt, sein rechter Mundwinkel zuckte. Er begann von links nach rechts zu laufen, während er erzählte. 

"Nun ist es mir möglich euer Training zusammen zu legen. Die Kleine braucht Strom um diese Portale zu öffnen, ich vermute, frisch von der Quelle und nicht nur den Gedanken daran. Zusammen würdet ihr Unglaubliches schaffen."

So, wie er es vor Jay sagte, klang es beinahe gut, was er da formulierte. Aber ich wusste wie es enden würde, also versuchte ich vorsichtig zu erklären, dass es mir nicht möglich sein würde eine Wirklichkeit im eigentlichen Sinne zu öffnen. Diese Zeitportale beruhten seit Generationen auf den Vorstellungen der jeweiligen Seherin. Würde ich mir eine rosa Ponywelt vorstellen, könnte ich sie öffnen. Würde ich an einen Swimmingpool denken, könnte ich ihn öffnen. Ich könnte Menschen darum erschaffen, nur durch meine Gedanken. Aber zu keinem Zeitpunkt würde diese Welt hinter dem Portal real sein. "Ich kann...", setzte ich an, aber weiter kam ich nicht. Der umher wandernde Colonel schnappte nach meinem Kiefer und hielt ihn fest. "Du. Sollst. Mich. Nicht. Unterbrechen.", zischte er scharf. Er spuckte mir beim Sprechen ins Gesicht und eine Sekunde lang bekam ich Einblick in sein Leben: 

Ich sah die UnEsCo, Diskussionen die er um die Ausbildung der Esper führte, wie wir anreisten, wie er uns herausforderte und dann, wie er begriff, dass er mit der Möglichkeit aktiv in die Vergangenheit zu reisen, den Lauf der Dinge und die Ausbildung der Esper ändern könnte. Ich spürte seine heiße, wilde Freude über die Erkenntnis, dass Jay und ich ihm diesen Wunsch vermeintlich erfüllen könnten und seine Vision der Zukunft von sich selbst. Und plötzlich, als ob er realisiert hätte, dass wir nicht alleine waren, ließ er mich wieder los, räusperte sich und richtete sich wieder auf. Die Vision war vorbei, ich tastete mich hektisch ab. Nicht gealtert. Gut. 

"Hast du etwas gesehen?", fragte der Colonel mit bedrohlicher Stimme. "Was hast du gesehen?" 

"Nichts.", brachte ich zitternd heraus. "Hab nur meinen Zimmerschlüssel gesucht." Wie zum Beweis zog ich ihn aus der Bauchtasche meines Pullovers. Der Colonel wusste, dass ich log, aber er konnte nichts dagegen tun. Hier war noch jemand, jemand, der ihm gefährlich werden konnte und so war ich dankbar, dass Jay hier war. 

Nun, dachte ich bei mir, während ich den Schmerz im Kiefer verdrängte, was er nicht weiß...

Wenige Schritte neben mir stand Jay. Seine Körperhaltung verriet, dass er nicht verstand, was von ihm erwartet wurde.

"Ich erwarte von euch, dass ihr zusammen wirkt. Das ihr lernt eure Kräfte aufeinander abzustimmen um zusammen zu dem bestmöglichen Ergebnis zu kommen."

"Wie?", fragte ich ruhig. Ich wusste, dass es nicht schmerzfrei zu gehen würde, wenn Jay tatsächlich Strom frei geben sollte. Würde es einen Rückstoß geben? Würde Jay sehen, was ich sehe? Wären wir für die Zeit aneinander gekoppelt? Warum sollte ich eigentlich mitmachen?

"Das könnt ihr euch überlegen, aber prinzipiell denke ich, dass du als Stromableiter dienen solltest.", sagte der Colonel harsch. Seine Atmung war ruhig, sein Körper angespannt. Er hatte Mittel und Wege uns dazu zu bewegen das zu tun was er wollte. Aber ich war die Letzte die sagen würde, dass sein Plan zum scheitern verurteilt war. Nicht nur er hatte Ideen. Nicht nur der Colonel verfügte über Macht. Und wenn ich es geschickt anstellen würde, dann könnte Jay vielleicht tatsächlich sehen, wie ich die Sache angehen wollte.

Ich setzte mich auf den Boden, weil ich mich so entspannen konnte, es kostete Kraft ein Portal zu öffnen. Aus dem Pullover zog ich das knöcherne Messer und hielt es kurz in die Richtung, in der ich Jay vermutete. "Bist du bereit für etwas Magie?" Ich grinste.

Ich war gespannt. Ob er mit machte. Ob ich ihm die Hand geben sollte. Ob er ähnliche Schmerzen haben würde. Ob er die Bilder sehen würde, die ich sehen kann. Und viel wichtiger: Wenn es uns gelingen würde das zu tun, wären wir mit dem Feuer von Hiroo unbesiegbar.

Vorsichtig hielt ich Jay die Hand hin und wartete ab was geschehen würde, während der Colonel zwischen den Zähnen hervor stieß: "Ich warte."

 

Jays Augen hatten sich während Falks Vortrag leicht geweitet. Nein, er hatte nicht gewusst, dass die Kleine dazu in der Lage war. Doch da der Übungsleiter das gerade erklärt hatte, war eine Klarstellung der Verhältnisse nicht nötig. Jay nickte also, auch wenn er innerlich erst einmal verarbeiten musste, was er da hörte. Was das ganze mit Strom zu tun hatte, war ihm genauso schleierhaft. Was erwartete dieser Mann von ihm? 

Das Mädchen tat das, was Jay tunlichst vermieden hatte. Sie sagte etwas, bevor der Colonel mit seinen Ausführungen fertig war und bekam sofort die Quittung. Jay verachtete die Mistgabel für dieses übertrieben harsche Verhalten - gerade in Gegenwart eines kleinen Mädchens. Doch für den Moment musste er sich zusammenreißen. Die Kleine wurde nervöser und wenn Falk richtig lag, hatte sie gerade eine Vision gehabt. Sie stritt es zwar ab, doch wer wusste schon, was in ihrem Kopf vorging. Die Mistgabel schien unzufriedener zu werden und das gefiel Jay überhaupt nicht. Je schlechter der Colonel gelaunt war, desto mehr hatten die Auszubildenden darunter zu leiden. Aber er schien sich wieder zu fangen und fuhr fort. Die Kräfte koppeln? Jay war verwirrt und in ihm regte sich Widerstand. Mal davon abgesehen, dass er in seinem Esper-Training noch nicht gerade weit war, konnte er sich nicht vorstellen, wie er und das Mädchen seine Kräfte koppeln sollten. Sollte er sie etwa unter Strom setzen? Das konnte und wollte er unter keinen Umständen tun. Da war es ihm dann auch egal, wie gereizt die Mistgabel war.

"Colonel. Sie haben meine Akten gelesen. Ich bin noch nicht so weit, dass ich Strom sicher kontrollieren kann. Davon abgesehen weiß ich nicht, was Sie von mir wollen." Jays Stimme war fest. Er wusste, dass es eigentlich unklug war, Falk Widerworte zu geben. Das hinderte ihn aber nicht daran. Es gab eine Grenze. Außerdem regte sich eine Erinnerung in Jay, die er unbedingt unterbinden musste, bevor sie an die Oberfläche gelangen konnte. Dementsprechend weigerte er sich, die Hand seiner Übungspartnerin zu ergreifen. Er blieb, wo er war, den Körper mittlerweile kaum merklich angespannt, und erwiderte den Blick des Colonels.

"Hier und an dieser Stelle geht es nicht um Sicherheit. Es geht um Training. Vorkehrungen sind getroffen. Wenn Sie sich nicht fordern, dann wird nichts geschehen.", presste der Colonel hervor, langsam sichtlich ungehalten, weil sich zwei Esper weigerten das zu tun, was er verlangte.
Ich musste ein Lächeln unterdrücken. Guter Mann, dieser Jay. Ich ließ meine Hand sinken, legte sie auf den Boden und tat, was ich in meinem Einzeltraining gelernt hatte: Ich öffnete ein schwarzes Loch. Diese Art von Portal war für mich am einfachsten zu öffnen. Es erforderte kaum Konzentration, kaum Kraft und ich brauchte auch das Messer dafür nicht. Selbes hatte ich vor meine Beine gelegt.
"Schau.", sagte ich mehr zu Jay, als zum Colonel. "Das will er mit Leben füllen und..."
Der Colonel unterbrach mich. "Ich? Die UnEsCo erwartet Fortschrittlichkeit von den Esper, die hier Leben. Es ist in eurer Verantwortung für künftige Aufträge helfen zu können. Ihr könntet Verletzte schneller abtransportieren, Menschen retten!" Der Colonel redete sich in Rage, während mein Portal langsam wabernd durch die Halle zog. Ich bemühte mich nicht, es an einer Stelle zu halten, der Colonel wusste schließlich nicht, dass ich das konnte.
"Ich kann sowas tun...", flüsterte ich und dachte angestrengt an ein Picknick mit meinen Großeltern. Das Bild erschien in dem Portal und ich schnappte nach Luft. Zu. Anstrengend.
Mit einem schnappenden Geräusch schloss sich das Portal. Offensichtlich so nah an Colonel Falk, dass dieser zusammenfuhr und leise fluchte.
"Findet einen Weg.", sagte er ruhig. Ich war mir nicht sicher, was für ein Unterton in seiner Stimme war, aber ich wusste, dass etwas getan werden musste.
"Die Akten sind an dieser Stelle egal.", sagte der Colonel erneut.
"Nein.", entfuhr es mir. "Nein."
Der Mistgabel juckte es in den Fingern. Aber vor Jay würde er mir nichts tun, das wusste ich.
"Mädchen", sagte er mit einer so schrecklich süffisanten Stimme, dass mir ganz schlecht wurde. Er beugte sich nah vor mein Gesicht. "Ich bestimme, was hier passiert. Dies ist zu eurem Training, eurer Weiterbildung. Der Kontrolle eurer Kräfte. Das willst du doch, oder nicht?"
Ich wusste das er auf meinen ersten Trainer anspielte.
Langsam stand ich auf. "Was sollen wir tun? Ich verstehe nicht."
Der Colonel schnaubte. "Findet einen Weg zu tun, was ich verlangt habe." 

Der Colonel ließ nicht locker. Eigentlich hätte man das auch nicht erwarten brauchen. Er hatte seine Position stets durch Härte und Unnachgiebigkeit untermauert. Plötzlich öffnete sich ein schwarzes Loch mitten im Boden vor der Kleinen. Jay zuckte kurz zusammen und musterte das Gebilde mit Erstaunen und leichtem Unbehagen. Er nahm ihre Worte kaum wahr. Während Falk eine ziemlich ungehaltene "Moralpredigt" hielt, starrte Jay dem wirbelnden Strom von Energie hinterher, der sich durch die Halle bewegte. Er bekam eine Gänsehaut. Was ist das?, fragte er sich. Und wie gut hat sich das unter Kontrolle? Sie schien sich ihrer Sache sicher zu sein. Für einen kurzen Moment veränderte sich das Portal. Dann schloss es sich abrupt. War es das, was der Colonel erreichen wollte? Jay schaute das Mädchen an und erkannte die Anstrengung in ihrem Gesicht, kurz bevor sich ihr Ausdruck wieder normalisierte. Er schauderte. Das war zuviel. Die Mistgabel hatte schon immer viel verlangt. Doch diesmal verlangte er zu viel.

"Nein! Nein!" Das Echo klang in Jays Kopf nach und veränderte sich. Es war die Stimme eines Kindes, aber nicht die eines Mädchens. Die Erinnerungen kamen und ergriffen langsam Besitz von Jay. Er versuchte, in der Gegenwart zu bleiben, doch Falks Worte trugen nicht dazu bei. Wut stieg in Jay hoch. Für eine halbe Sekunde flackerten Worte in ihm auf: Lass sie den Fluss hinunterfließen. Doch er konnte es nicht. Er hatte es nicht mehr unter Kontrolle. Vor seinem geistigen Auge sah er einen anderen Mann.

"Du wirst mir gehorchen! Tu, was ich dir sage!"

"Nein! Nein, nein nein!", schrie das Kind zurück.

Die Lampen, die die Halle erleuchteten, wurden heller. Jays Anspannung übertrug sich auf die Spannung in den Stromleitungen. Er ballte die Hand zur Faust und kämpfte gegen die Gefühle in ihm an. Wie so oft waren die aber stärker.

"Lassen Sie das Mädchen in Ruhe!", brach es aus ihm heraus.

Oh nein, dachte ich, als ich den Strom flackern spürte, aber den Colonel schien es zu erheitern.

"Genau.", sagte dieser fast erleichtert und machte irgendeine Bewegung. "Und jetzt umleiten, auf das Mädchen lenken. Benutzt, was euch gegeben ist!"

Seine Augen loderten, seine Körpersprache war immer noch hart, aber seine Stimme ließ vernehmen, dass er sich seiner Sache sicher war. Genau das wollte er.

Alles was ich hoffte war, dass Jay seine Kraft unter Kontrolle hatte, dass er nicht ausversehen den Colonel Angriff, das würde nicht gut gehen. Ich stand auf, nahm allen Mut zusammen und berührte Jay vorsichtig.

"Beruhige dich.", flüsterte ich. "Das ist es nicht Wert."

Mit einer halben Drehung wandte ich mich wieder in Richtung Colonel. "Hören Sie einfach auf."

Die Mistgabel lachte höhnisch und ich schwöre, dass war der erste Moment in dem ich überlegte, wie ich ihm die Gliedmaßen einzeln abtrennen konnte. Es gab einen Punkt, eine Grenze. Er konnte nicht verstehen, wie so etwas war: Esper zu sein. Fähigkeiten zu haben, die niemand anders hatte, die Menschen, die diese nicht kannten einem beizubringen versuchten. Dies war der erste Moment, in dem ich das erste Mal gezielt beschützen wollte und ich spürte das Kribbeln in meinen Fingern, bevor ich über den Boden robbte, das Messer aufhob und mit einer Bewegung und einem monotonen Summen im Kopf ein Portal öffnete. Der Strom um mich herum wurde lauter in meinem Kopf und die Bergarbeiter in der Szenerie schrien sich die Seele aus dem Leib. "Hören Sie auf.", flüsterte ich nun. Es war das bedrohlichste, was ich je empfunden hatte. Pure Wut über das, was er von uns wollte.

"Es gibt keinen Grund dafür, ihr tut genau das was ich wollte.", erklärte der Colonel ein wenig zu erfreut. 

Es war tatsächlich sein Plan gewesen. Der Colonel wollte, dass Jay sie unter Strom setzte. Dass und die Tatsache, dass er Jay absichtlich provozierte, um seine Kräfte zu wecken, machte ihn nur noch wütender. Wie aus weiter Ferne spürte er eine sanfte Berührung. Doch Jay hörte das Mädchen neben ihm nicht. Seine Aufmerksamkeit war auf den Colonel gerichtet. In ihm tobte ein kleines Inferno. Da Jay aber zumindest gerade so noch seinen Körper kontrollieren konnte, suchte sich die Energie in ihm einen anderen Weg. Die Beleuchtung strahlte mittlerweile so hell, dass alles um ihn herum in Licht und Schatten verschwamm. Das würden die Lampen gleich nicht mehr durchhalten. Doch Jay jagte die Elektronen weiter durch die Leitungen. Er war gefangen im Fluss seiner eigenen Kraft.

Die Lampen brannten durch, Sekundenbruchteile nacheinander. Jede einzelne von ihnen warf Jay kurz ein wenig mehr aus der Bahn und unterbrach seine Energieschübe. Seine Beine zitterten und gaben nach. Reflexartig ließ er seine Arme vorschnellen, um sich auf ihnen abzustützen. Jay schloss die Augen. Einen kurzen Augenblick lang hatte er keine Orientierung. Dann hob er den Kopf und sah das Mädchen. Vor ihr pulsierte ein Portal. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Jay drückte sich vom Boden ab und kam wieder auf die Beine. "Nicht!", rief er ihr zu.

Jay's Aufforderung irritierte mich und der Colonel war sichtlich verwirrt. Er wandte sich um, sah das Portal hinter sich und trat einen Schritt weg.

"Das. Muss. Bestraft. Werden.", presste ich zwischen den Zähnen hervor, es war anstrengend das Portal offen zu halten und dabei nicht an die Grenzen seiner Kraft zu gehen. Ich bewegte es mit einem leisen Wimmern in Richtung des Colonels, der daraufhin einen Taser aus der Tasche zog und zwei große Schritte auf mich zu machte. Ich Dummerchen, das hätte ich wissen müssen.

"Hör damit auf. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du damit durch kommst?", brummte er wütend.

Ich schnaufte, wollte nicht aufgeben, sackte auf die Knie, bekam Jay's Bein zu fassen. "Hilf mir!", rief ich. Ich wollte meiner Stimme etwas Eindringliches anhaften lassen, aber alles was ich schaffte, war ein müder Klang. Das Portal schwächte mich. "Wir können das hier schnell regeln. Es würde nicht lange dauern..."

Neben meinem Kopf knisterte der Strom des Tasers und ich verlor mein Bewusstsein. 

Jay erkannte mit Entsetzen, was in dem Mädchen vorging. Und er bemerkte nur zu gut, dass Falk zum selben Schluss gekommen war, wie er. Das machte die Lage prekär. Jay konnte nicht zulassen, dass die Kleine das tat, was sie vorhatte. Gleichzeitig wollte er sie vor dem nun ziemlich wütenden Colonel beschützen. Ihr Hilferuf klang schwächlich, als würde ihr das Aufrechterhalten des Portals sie jede weitere Sekunde Unmengen an Energie aus dem Körper ziehen. Was es vermutlich auch tat. "Lass es sein", wollte er ihr sagen. Doch er kam nicht dazu. Jay registrierte, dass Falk einen Taser gezogen hatte und entschied sich blitzschnell für etwas anderes. Er entwand sich dem ohnehin lockeren Griff des Mädchens und schob seinen Körper schützend vor sie. Im nächsten Augenblick jagte Schmerz durch seinen Körper. Seine Muskeln verkrampften. Hinter sich hörte er Gwendolyn zusammensacken.

 

Episode 4

Jacksons Büro hatten Jay und Gwendolyn bereits drei Mal von Innen gesehen - das erste Mal irgendwann zu Beginn ihres Aufenthalts auf dem Campus, einmal genau vor dem Einsatz und dann noch ein paar Tage danach, für die "Nachbesprechung". Jedes Mal war das Warten vor der Tür verbunden gewesen mit Fragen und Unsicherheiten darüber, was der angeblich so wichtige Termin wohl bedeuten mochte. Die bisherigen Erfahrungen legten den Rekruten nicht nah, große Antworten zu erwarten.

Nun hatte das Warten ein Ende und die Tür öffnete sich auf eine gleichmäßige, mechanische Art, die langsam den Blick auf den Raum freigab. Er wirkte immer noch genauso altmodisch wie nichtssagend: Regale mit Aktenordnern, die man sonst so gut wie nur als Icons kannte, abschließbare Schubladenschränke mit mattweißen Fronten und genau auf der anderen Raumseite ein massiver Schreibtisch. Dort saß, gefühlt einen halben Kilometer entfernt, Colonel Jackson, und würdigte den Eintretenden keinerlei Aufmerksamkeit. In ihren Computerscreen vertieft, der ihre Sicht keinesfalls verdeckt hätte, wartete die Abteilungsleiterin - für welche Abteilung auch immer - geduldig, bis ihre Gäste auf den ergonomisch geformten, aber harten Stühlen vor dem Schreibtisch platzgenommen hatten.

Begrüßungen - völlige Zeitverschwendung, nachdem Jackson den Beginn des Gesprächs noch einige Sekunden herausgezögert hatte. "Es gab vor einer Woche einen Vorfall. Ich meine die Situation mit Colonel Falk." Letztere Spezifizierung wäre angesichts der Tatsache, dass dieser "Vorfall" Gwen mehrere Tage auf die Krankenstation verfrachtet hatte, wohl nicht notwendig gewesen. Dennoch - zum Teil schien die Schwere der "Situation" doch durchgedrungen zu sein. Und dazu - wie hatte Jackson überhaupt von diesem Ereignis erfahren? Bevor Jay oder Gwen sich der Ereigniskette eigentlich klar werden konnten, ließ die Einsatzleiterin eine weitere Bombe fallen: "Nun ja, und generell gibt es da ein Anliegen, zu dem ich gerne eure Meinung hören wollte. Irgendwelche Ideen, wie sich eure Trainingssituation in eine  förderlichere Richtung verändern ließe? Bezüglich Effizienz und ...Wohlbefinden."

Es war still im Flur. Gwendolyn - Jay erinnerte sich mittlerweile wieder an ihren Namen - saß schon im Wartebereich. "Hey", begrüßte er sie. "Alles klar bei dir?" 

"Hi." , sagte ich ruhig. "Es geht schon. Und... Du?" Verlegen baumelte ich mit den Beinen, der Stuhl war viel zu groß für mich. "Ich wollte mich noch bedanken ... Für... Naja, du weißt schon." Vorsichtig hob ich den Kopf, tastete nach seiner Hand, fand sie, drückte sie kurz und ließ sie direkt wieder los. 

Die Geste irritierte Jay ein wenig. Er war es nicht so sehr gewohnt, Nähe zuzulassen. Doch er ließ es geschehen. Irgendwie war es auch ... nett. Und sie war noch ein Kind. Egal, wie sehr ihre bisherigen Erfahrungen sie geprägt haben mochten - sie war trotzdem ein Kind. "Ach was." Er winkte ab. Dann fiel ihm auf, dass sie die Geste gar nicht bemerken konnte. "Ich hab alles nur schlimmer gemacht", antwortete er. "Aber ich bin ok. Dich hat's härter erwischt."

Ich grinste ein bisschen. "Ach, ich bin öfter schon umgefallen. Mach dir nichts daraus. Ich finde es super cool, dass du dich dazwischen gestellt hast, das ist wirklich der Wahnsinn! Du bist richtig mutig!" Ein klein wenig begann ich ihm zu vertrauen. Wie sollte ich ihm nur begreiflich machen, was ich alles über seine Zukunft gesehen hatte?

"Weißt du, wenn jemand sich wissentlich zwischen einen Taser und ein Mädchen stellt, dann ist das eine große Leistung. Besonders, wenn dieser jemand dabei solche Schmerzen haben würde, wie du." Ich lächelte und legte den Kopf auf die Seite. "Es war gut, dass du da warst. Ohne dich, hätte ich das nicht geschafft." 

"Äh, ok." Sie nahm das scheinbar sehr leichtherzig. Oder sie tat so. "Naja, was heißt mutig. Ich hab unter Falk schon einiges ausgehalten, das macht's dann auch nicht mehr aus. Wenn das Ding dich getroffen hätte, wär's aber richtig gefährlich geworden. Wo wir schon vom Beschützen reden - du hattest doch mal 'nen Bodyguard. Dieser Exit." Der Name war ungewöhnlich genug, um ihn sich gemerkt zu haben.  

"Ein Bodyguard... Nun, also Exit hab ich lang nicht mehr gesehen. Klar, beim letzten Einsatz hat er auf mich aufgepasst und der hatte voll die coolen Fähigkeiten, aber seitdem... Naja..." Ich seufzte ein bisschen.

"Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was mit ihm ist. Ich hatte ihm mal ne Nachricht zukommen lassen, aber ich hab keine Antwort erhalten. Und dann musste ich auch echt viel trainieren. Weißt du, ich werde regelmäßig befragt was ich so gesehen habe und dann muss ich gezielt Dinge sehen können..."

Wenn es einer Verstand, dann Jay. Hier wurde gearbeitet und das war nicht immer lustig. "Ach und in die Schule muss ich auch noch gehen!"

Ich grinste. "Willst du mir erklären, wie Bruchrechnung geht? So zur Abwechslung was Normales?"

Dann wurde ich ernst. "Was denkst du... Wegen der Mistgabel? Glaubst du, er wird bestraft?" 

"Oh, achso. Naja, wer weiß, was mit dem ist. Ist ja jetzt auch egal." Jay konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, als sich die Kleine über ihr Pensum beschwerte. "Schule - na da ist ja wenigstens etwas an mir vorbeigegangen. Sorry, aber mit Mathe kann ich dir nicht weiterhelfen. Ich kann dir nur beibringen, wie man ein Motorrad repariert oder ein Lagerfeuer anmacht." Jay gab sich einen Ruck und erwiderte ihr Grinsen. Dann seufzte er. "Aber ich hatte in letzter Zeit auch wenig Ruhe. Ich frag mich, ob's normal für uns überhaupt geben wird. Vermutlich nicht." Gwens Lächeln verschwand langsam. Sie nahm den ernsteren Ton auf. "Ich hab keine Ahnung, du." Jay zuckte mit den Achseln. "Mal sehen, was der Boss sagt, hm?"

Jay betrat Jacksons Büro mit gemischten Gefühlen. Die letzte Besprechung hier war mehr als nur unangenehm gewesen und wie die heutige Sitzung verlaufen würde, war noch nicht abzusehen. Er hatte Jordan so beherrscht und ehrlich wie möglich von der "Sache" erzählt. Aber die Frage war, auf wen Jackson eher hören würde. Die Mistgabel war nicht sonderlich beliebt - auch bei seinen Kollegen nur mehr oder minder. Allerdings genoss er trotzdem gewissen Respekt. Und manche Leute fürchteten ihn einfach zu sehr, um seine Aussagen in Frage zu stellen. Zu letzteren gehörte Jackson definitiv nicht. Doch ob sie der Chaostruppe ihrer letzten Mission glauben würde? Jay seufzte. Dann durchschritt er den Raum und ließ sich auf einem der Stühle fallen. Dann wartete er darauf, dass Jackson loslegen würde. Innerlich machte er sich auf eine harsche Ansprache gefasst. Die entpuppte sich jedoch als überraschend zuvorkommend. Jay war kurz ein wenig perplex.

"Colonel, ich ... äh", begann er. "Ich weiß, Sie hören sowas nicht gerne. Aber ich denke, wir brauchen mehr Zeit. Ich kann nicht für Gwen hier sprechen, aber mindestens ich habe mich in dieser speziellen .. ah-äh .. Sitzung überfordert gefühlt. Natürlich wollen Sie Fortschritte sehen und das verstehe ich voll und ganz. Aber unter diesen Umständen kann ich die nicht bringen. Bei meinem restlichen Plan sehe ich keine Probleme."

Ich wurde unruhig. Colonel Jackson war eine kalte Frau, sie wusste, dass das was vorgefallen war falsch war.

Woher konnte sie das wissen? Ich hatte Jamey davon erzählt, der mich auf der Krankenstation besucht hatte. Auch wenn ich ihm hauptsächlich stolz erzählte, dass ich Portale geöffnet und geschlossen und sogar bewegt hatte, schien er sich hauptsächlich daran zu stören, dass die Mistgabel "unsachgemäß gehandelt" habe. Was auch immer das bedeutete. Er versuchte seine Wut an meinem Krankenbett zu verbergen, aber wenn man nichts sehen kann, nimmt man einiges anderes wahr, was einen umgibt. Und mein Trainer war sauer. Er hatte es der Jackson sicher gesagt.

Jay war zum Glück anfangs genauso verwirrt wie ich. Sie war zu nett. So redete sie eigentlich nicht mit uns.

Um unser Wohlbefinden war sie besorgt? Interessant.

Jay brachte die Sache auf den Punkt. Zu schnell wurden zu heftige Fortschritte verlangt. Also nickte ich eifrig.

"Er hat Recht.", meinte ich. "Diese... Übung... Das... War zu viel." Mir liefen Schauder über den Rücken, die Erinnerung an die Anstrengung und den Schmerz waren noch sehr greifbar. "Die Visionen hab ich beinahe im Griff, Wasser muss sie nicht mehr auslösen, aber kann. Aber bitte, bitte lassen sie mich nicht mehr ins Wasser schubsen, ich mag das nicht mehr!"

Bevor ich wusste wie mir geschah, stiegen mir Tränen in die Augen. Ich blinzelte sie hektisch weg und hoffte, dass sie niemand gesehen hatte.

"Ich schwöre, dass ich mich anstrenge, ich kann das kontrollieren, aber nicht im Pool. Bitte nicht mehr in den Pool."

Mensch, Gwen, sagte ich zu mir selbst. Jammer nicht so.

"Und", gab ich zu bedenken und bemühte mich um Sicherheit. "Und ich will nicht mehr so schnell die Portale öffnen. Es kostet Kraft. Dann wird mir schwindlig und schlecht und ich weiß noch nicht, wie ich das alles schaffen soll. Aber in seiner Nähe ist es leichter!", rief ich und deutete in die Richtung, in der ich Jay vermutete. Ich berührte irgendwas neben mir. Vielleicht seine Nase oder seine Wange. "Tschuldigung.", flüsterte ich in seine Richtung.

"Und für unser Wohlbefinden können Sie einiges Tun! Lassen Sie uns ab und an ausruhen. Nur ein bisschen."

Ich atmete tief, hatte mich etwas in Rage geredet und klammerte mich am Stuhl fest, halb auf meinen Daumen sitzend, in dem Versuch irgendwie Schutz vor den Blicken von Colonel Jackson zu finden, die ich nicht sehen konnte.

Sein zögerlicher Vorstoß bekam von Gwendolyn einen regelrechten Boost. Es war, als wäre ein Damm gebrochen und die kleine Seherin sprudelte mit all ihren Problemen heraus. Vielleicht hatte sie erst nicht vorgehabt, sich so zu öffnen, überlegte Jay. Aber es war passiert. Und im Prinzip war das gut. Denn Jackson war zwar oft hart, aber dennoch eine kluge und erfahrene Frau. Sie würde verstehen, dass man jemanden nicht so behandeln sollte, wie es bei Gwen vorgefallen war. Vor allem kein junges Mädchen. Die Kleine tat ihm leid. Jackson hatte seine Geschichte berücksichtigt und ihm Jordan als Trainer zugeteilt. Dann würde sie auch Gwendolyn berücksichtigen.

Dass Gwen ihn erwähnte, war ihm etwas unangenehm. Sie stupste ihn am Arm - vermutlich aus Versehen. Das war schon irgendwie wieder niedlich. Er wusste nicht so richtig, was er dazu sagen sollte, also sagte er erstmal gar nichts. Jay hatte eh noch nicht ganz verstanden, was das alles gerade mit ihm zu tun haben sollte. Wenn es nur um Strom ging, brauchte man am allerwenigsten jemanden, der den eben nicht kontrollieren konnte. Da war jede Maschine besser. Gut, vielleicht kein Taser, erinnerte sich Jay an seine schmerzhafte Begegnung mit der Waffe. Aber Gwen schien sich auf ihn festgelegt zu haben, warum auch immer. Aber die Frage war sowieso eine ganz andere: Was würde Jackson zu all dem sagen?

Mit der Geduld eines Engels oder einer Engelsstatur (Don't blink ;)) hatte Jackson den immer emotionaler werdenden Antworten der Rekruten gelauscht. Ihre angespannte Ausdruckslosigkeit, die vielleicht zwei- oder drei Mal durch ein plötzliches Zucken der Gesichtszüge unterbrochen wurde, ließ es zu, Überraschung, so etwas wie Besorgnis, vielleicht sogar Betroffenheit - aber auch leichte Genervtheit hineinzuinterpretieren. Als Jackson jetzt aufatmete und den Mund öffnete, schien es jedoch so, als habe sie sich ihre erste Reaktion schon im Voraus zurechtgelegt. "Das...lässt sich sicher einrichten, ich werde das an die zuständigen Personen weitergeben." Was dann mit wenig Abstand folgte, klang schon viel spontaner - und vielleicht sogar so, als ob die Information der sagenumwobenen ehemaligen Unesco-Agentin entglitte. "Ich meine, zumal der nächste Einsatz erst in etwa einem Jahr stattfindet."

Kurz zuckte ich zusammen. "In einem Jahr?", fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach. Das... Wieso sagte sie nichts zu den Gegebenheiten? Wieso positionierte sie sich nicht? Ich rutschte nach vorn, an die Stuhlkante.

"Was passiert mit Colonel Falk?" Ich wollte ihm unter keinen Umständen wieder begegnen müssen. "Wie wird damit verfahren, was er uns angetan hat?" 

Jacksons Antwort fiel ziemlich kurz aus. In dem Wenigen, was sie sagte, lagen aber einige interessante Informationen. Es war also langfristig ein fester Einsatz geplant? Das klang seltsam, aber was sollte er schon groß dazu sagen?

"Also dagegen hab ich nichts. Aber wissen Sie schon, in welcher Besetzung wir ranmüssen? Hört sich ja danach an, als ob Gwen und ich schon gesetzt wär'n." Und wer weiß, wer noch, dachte Jay im Stillen.

Hinter ihrem kurzen Zögern schien ein Versuch Jacksons zu stecken, ihre Worte besser abzuwägen. Vielleicht bereute sie, die letzte Information so freimütig herausgegeben zu haben - gerade auch, weil sich natürlicherweise Fragen aus ihr entspinnen mussten. Das Gesicht der Einsatzleiterin gab nun doch ein wenig von ihrer inneren Genervtheit wieder, und sie hielt den neutral-freundlichen Tonfall nur merklich mühsam. "Basierend auf einer von Gwendolyns Visionen ist es notwendig, gewisse Prognosen darüber machen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, sollten die Ereignisse nicht auf eine andere Art rechtzeitig verhindert werden können." formulierte Jackson zunächst gekonnt diplomatisch, bevor sie in einem Schlenker etwas näher an eine tatsächliche Antwort herankam. "Rekrut Martens, schon einmal von Wahrscheinlichkeitsrechnung gehört? Nicht, dass es einen Unterschied machen würde. Fakt ist nur, wenn...wenn es um die Zukunft geht, muss man manchmal jede Möglichkeit, wenn auch noch so unwahrscheinlich, so behandeln, als wäre sie bereits festgelegt-100%. Jedenfalls besteht mein Job darin, auf alles vorbereitet zu sein. Deinen darfst du darin sehen, mit 100% davon auszugehen, dass du irgendwann um diese Zeit in einem Jahr in einem Flugzeug sitzt und neue Anweisungen bekommst. Dasselbe gilt für Gwendolyn. Eventuell auch für andere. Gesetzt ist allerdings nichts und niemand." Jackson war langsam in Fahrt gekommen. Die Energie, mit der sie das sagte, schien sie jedoch nicht gerade erst aufgebaut zu haben, und die Ideen nicht zum ersten Mal in Worte geformt. Jetzt wandte sich Colonel Jackson, wobei sie ein paar Gänge zurückschaltete, an Gwendoyln. "Du musst ja am besten wissen, dass nur das sicher ist, was in der Vergangenheit liegt. Und dazu gehört Falks Zeit an dieser Instutition. Mehr muss ...dazu nicht gesagt werden." schloss sie, als wolle sie sich selbst davon abhalten, das Thema auszuweiten. Mit den Worten "Irgendwelche weiteren Wünsche." war sie inhaltlich und im Tonfall wieder am Anfang des Gesprächs zurückgekehrt.

"Ehrlich gesagt...", flüsterte ich halb. "Doch. Schon. Da muss noch was gesagt werden. Niemand hat sich entschuldigt. Niemand.

Okay, die Krankenschwester hat gesagt es tut ihr Leid... Aber sie ist darin nicht involviert." Es war gefährlich sowas zu sagen. "Verstehen Sie, ich mach das echt gern. Wenn ich damit helfen kann, ist das super", meinte ich, während ich mir gegen den Kopf tippte, der meine Visionen ja ausführte. "Aber wir wurden schlecht behandelt. Und niemand hat sich entschuldigt." 

Jackson hatte es mal wieder drauf, Dinge so zu formulieren, dass man nicht hinter alles kam, was sie sagte. Jay unterließ ein Augenrollen, und dass obwohl sie ihn danach auch noch mit seinem Nachnamen ansprach. Jay hatte dieses Hin und Her mit Titeln, Anreden und Nachnamen nie gemocht, aber immer mitgespielt. Für ihn bedeutete das alles nichts. "Ich werde mich bereithalten", sagte er nur. Eigentlich hätte er gerne mehr Informationen bekommen. Doch Jackson wollte die offensichtlicherweise noch nicht mit ihnen teilen. Es erleichterte ihn aber, zu hören, dass Falk weg vom Fenster war. Für einen kurzen Moment verspürte Jay so etwas wie Glücksseligkeit bei der Feststellung, dass dieser Mann ihn nicht mehr durch irgendwelche Trainings quälen würde. Hoffentlich war der Ersatz nicht genauso mies. Immerhin würde es der Kleinen besser gehen. So sah es zumindest stark aus. Gerade wollte er anmerken, dass aus seiner Sicht nichts mehr zu klären war, als Gwendolyn sich einschaltete. Jay biss sich auf die Lippe. Dann musterte er Jackson. 

Schon kurz nach ihrer letzten Frage hatte Jackson sich zurückgelehnt, um sich wieder dem Bildschirm zuzuwenden. Während Gwen noch sprach, aktivierte sie die Tastaturfunktion der Sensorplatte in ihrem Schreibtisch und begann, etwas einzutippen; erst nach einigen Sekunden Stille, die sich sehr lange anfühlten, machte sie einen Kommentar: "Es freut mich, zu sehen, dass die Grundschulabteilung auf diesem Campus so viel Wert auf Erziehung zu Höflichkeit legt." Jacksons Augen blieben dabei fast die ganze Zeit am Screen hängen, bis auf einen kurzen Seitenblick auf Gwen zum Ende hin. Sie zögerte, war allerdings noch nicht fertig. "Es gibt natürlich Anlässe, zu denen man von dieser Organisation Blumen und Karten erwarten kann, nachdem einem Mitglied oder einem Rekruten...etwas zugestoßen ist." Die Einsatzleiterin wartete nicht, bis der letzte Satz einsank, bevor sie den Gedanken zuendebrachte. "Ich dagegen halte mehr davon, solchen Umständen vorzubeugen."

 

Raureif

Sie war wieder zu spät. Die Nacht war zu kurz. Beide Duschen waren besetzt. Hiroo blickte auf die Klamotten die vor dem Duschvorhang in der Ablage hingen. Ihre innere Uhr sagte ihr kurz vor Acht. Sie konnte leicht erkennen von welchen beiden Warmduschern die Unterwäsche stammte. 'Not these two again.' Hiroo atmete tief durch. Sie wollte es höflich probieren. "Uhm, how long till you're finished, Vela?" Vela war diejenige die mit Abstand am längsten benötigte. Leider verwickelte sie dabei gerne ihre Zimmernachbarin in ein reines Klatschgewitter. "What do you think? I have no time for you. Sorry." Die Stimme war nicht provozierend unhöflich. Es war die Antwort eines Mädchens, das es gewohnt war so mit ihresgleichen zu sprechen. Es war die übliche Antwort die sie auch den anderen Mädchen im unteren Stock zuwider gab. Unter diesen hatte sie gemeinsam mit ihrer Zimmergenossin den größten Raum. Sie gehörte nicht zu den älteren Mädchen die das Privileg hatten, im oberen Stockwerk ihre Zimmer neben dem der Hausleitung zu beziehen. Doch das ließ sie sich nicht anmerken. Hiroo hatte keine Zeit, dennoch konnte sie die Morgendusche heute nicht überspringen. An Essen konnte sie garnicht denken. Im Gang hörte sie bereits das Traben der anderen Mädchen. Um Punkt 8 erwartete Sgt. Hofmann die Mädchen am Trainingsplatz im Waldpark. Hiroo ging in Richtung der Toiletten, stieß eine der Türen auf und stieg auf eine der Toilettensitze. Sie legte ihre Hand an das heiße metallene Rohr, das an der Decke entlang Wasser in Richtung der Duschen transportierte. Hiroo stellte sich vor, wie in einem Moment ein eisiger Strom die beiden Zimmergenossinen unter der Dusche erwischen würde während sie knapp auf Zehenspitzen gestreckt das Wasserohr erreichte. In diesem Moment erfasste sie die Augen von Devy, die gerade an der Tür vorbeiging.

Seit Hiroo in Wohngruppe 11 aufgetaucht war, lebte es sich hier definitiv anders. Vielleicht, dachte Devy, hängt es damit zusammen, dass sie unberechenbar ist. Undurchschaubar in mancherlei Hinsicht. Jedenfalls konnte Devy sich nicht so recht erklären, wieso ihre Zimmernachbarin ihren heutigen Morgen damit begann, auf einer Klobrille zu balancieren und sich an einem Rohr festzuhalten. Wenn das eine Fitnessübung sein sollte, kam sie Devy doch sehr ineffektiv vor. Im Falle, dass Hiroo versuchte, eine Reparatur durchzuführen, erschien die Vorgehensweise doch eher kontraproduktiv. "Vorsicht, du brichst noch was. dir zum Beispiel." murmelte Devy daher nach ein paar Momenten, in denen sie schlaftrunken und verwirrt in die Kabine gestarrt hatte.

Hiroo war unkonzentriert, sie hatte versucht eine Art ihrer Absorption gezielt einzusetzen, die sie selten in diesem Maße nutzte. Ein eisiger Nebel zog sich über das Wasserohr. Im gleichen Moment vernahm sie die Stimme von Devy welche urplötzlich in das Badezimmer kam und irgendwas unverständliches von sich gab. Ihre Zehenspitzen verloren den Halt unter den Socken und sie rutschte nach hinten weg.

Das war einer dieser Momente, in denen Devy die Schwerkraft von ganzem Herzen hasste. Bei den ersten Anzeichen, dass Hiroo tatsächlich den Klositz unter den Füßen verlieren würde, hatte sie dieses Kitzeln in den Fingern verspürt. Gleichzeitig hatten sich auch zahlreiche schlechte Erfahrungen aus dem Training, die bis in Devys Unterbewusstsein vorgedrungen waren, gemeldet und sich in ihrem Körpergedächtnis widergespiegelt. Das Mädchen verkrampfte sich. Intuitiv wusste sie, dass sie es nicht schaffen konnte, Hiroos Sturz mithilfe ihrer Esper aufzuhalten oder abzubremsen - das Schwerenetz, das sie runterziehen würde, zu einem Fangnetz umzugestalten. Und das war, was Devy bereits in den Millisekunden, bevor der Fall wirklich unabänderlich wurde, so sehr frustrierte und davon abhielt, andere Schritte einzuleiten. Als sie die zwei Sprünge nach vorne, die notwendig gewesen wären, um Hiroo im letzten Moment einen Halt zu geben, endlich hinter sich gebracht hatte, saß Devys Zimmernachbarin schon auf den Fliesen und die Kabinenwand vibrierte noch von der Kollision mit ihrem harten Schädel."Es tut mir so Leid! So Leid, wirklich!" japste Devy atemlos.

Hiroos Welt stand für einen Moment lang Kopf. Ihr Hinterkopf schlug auf die hölzerne Trennwand auf und federte diese leicht an, während ihr Oberkörper auf dem Boden aufschlug. Ihre Füße baumelten hilflos über die Klobrille nach oben hinweg. Ein Schrei hallte durch die Duschen, ein weiterer folgte. Das Echo folgte den beiden aus den Duschräumen stürmenden Mädchen, die einen kurzen aufgebrachten Blick in Richtung von Devy warfen und hinaus auf den Flur liefen. "I'll get you for this, Devy..." Hiroo nahm von dem nicht sonderlich viel mit, die Stimme von Devy klang noch in ihrem Kopf und sie versuchte zu verstehen was Devy gerade gesagt hatte. "What? ... Did you...", begann Hiroo. Sie hielt kurz inne. Sie hatte ein paar Gerüchte über Devys Esper gehört, diese aber noch nie live erlebt. "Forget... it ... it was my fault...", verließ ihre leicht zitternde Lippen, während sie versuchte aufzustehen. Ihr Hintern rutschte über die halb verdrehte Klobrille und ihr Kopf stieß erneut an die doch sehr stabile Holzwand. Sie atmete durch und presste einem Finger an die Aufschlagswunde. Nach einer Kostprobe durchzuckte der leichte Geschmack von Blut ihre Geschmacksknospen.

Es gab etwas, was Devy noch mehr hasste als die Erdanziehungskraft: Das war, zwischen zwei Punkten der Gravitation festzuhängen und praktisch hin- und hergerissen zu werden– dieses Gefühl überkam Devy sofort, als sie die Zusammenhänge des Morgens durchblickt hatte. Das war alles andere als sofort. Zuerst traf Velas anschuldigende Drohung Devy ganz direkt und sie fuhr herum. Wäre das Mädchen so schlagfertig, wie sie es sich wünschte, hätte sie der anderen WG- Bewohnerin einen feurigen Spruch hinterhergerufen, im Sinne von „Was ist jetzt wieder dein Problem.“, aber dafür war sie nicht einmal selbstbewusst genug. Stattdessen durchsuchte Devy im Schnelldurchgang ihr Hirn nach Dingen, die sie tatsächlich falsch gemacht haben könnte – eine Liste solcher fiel ihr immer ein – während sie sich um die letzte Situation kümmerte, in der sie sich verantwortlich fühlte. „Ej, du kannst nichts dafür, wir schaffen das schon.“ Meinte Devy im großschwesterlichen Ton, während sie Hiroo aufhalf. Die schien nicht mal zuzuhören. Vielleicht war sie wirklich ernsthaft verletzt – und das war erstmal das Einzige, woran Devy denken konnte. Andere würden ihr schon noch helfen, in diesem Fall eins und eins zusammenzuzählen.

Hiroo rannte um ihr Leben. Wenn es nach Sgt. Hofmann ginge, stände vermutlich eben dieses aktuell zur Debatte. Wenn man sie so über die Wege im Waldpark laufen gesehen hätte, wäre der Anblick durchaus befremdlich gewesen. Ein getoastetes Brot in den Mund stopfend rannte sie, während sie auf umständliche Weise und im vollen Lauf ihre Trainingsklamotten anzog. Der halb herunterhängende Verband am Kopf verschob sich weiter, während sie ihre Trainingsjacke über den Kopf stülpte. Der Wald war in Raueis gehüllt und der Himmel war der Morgensonne trotzend in grauen Wolken zugezogen. Ihre Augen erfassten gerade aus dem Kragen blickend den um die Ecke gehenden Weg. Dieser führte geradewegs zum Trainingsplatz in südlicher Richtung. In diesem Augenblick wurde es schwarz. Hiroo roch den aufsteigenden Geruch von Blut. Sie war gegen etwas oder jemanden gerannt. Sie schlug die Augen auf. Ihr Gesicht schaute nach oben in den Himmel hinein, aus dem gerade vereinzelt Schneeflocken herunterrieselten. Ihr Kopf schaute halb aus ihrer Trainingjacke heraus während es sich in ihrem Kopf drehte.

Die Sonnenstrahlen stahlen sich so langsam durch die kahlen Baumkronen. Ihr Licht ließ den Raureif in den Ästen glitzern. Es war still. Das genoss Jay so sehr. Zwar war die Luft schneidend kalt, doch um diese Uhrzeit war kaum jemand im Park unterwegs. Gerade jetzt lag Frieden über dem Ort. Deshalb liebte Jay diese Morgenspaziergänge. Immer, wenn er morgens nicht zur Fahrtheorie musste, nutzte er die Zeit, um sich so das zu geben, was der Wildnis von North Dakota am nähsten kam. Er vermisste es tatsächlich. Die Unesco gab sich zwar alle Mühe, ihn zu beschäftigen. Doch so sehr ihn das Training forderte und auf eine gewisse Art weiterbrachte; so sehr er die Abende in der Werkstatt genoss - es ließ ihn trotzdem kalt. Nicht dass er bei Bart das Gefühl gehabt hatte, in irgendetwas wirklich aufzugehen. Doch dort hatte er einfach nur sein können, ohne dass etwas von ihm verlangt wurde. Vielleicht war es auch dieses Gefühl, dass Jay vermisste. Er schloss die Augen und blieb für einen Moment still stehen. Dann hörte er Schritte. Jay rührte sich nicht. Er wollte warten, bis der Unbekannte an ihm vorbeigezogen war. Blöd nur, dass dieser jemand in ihn hineinrannte.

Jay stieß einen Laut der Überraschung aus, gepaart mit einem Stöhnen. Er konnte sich nur mit größter Mühe noch auf den Beinen halten, denn der Läufer hatte ein ziemliches Tempo draufgehabt. "Wa-?", entfuhr es dem jungen Esper. Er unterbrach sich aber mitten im Wort, als er sah, wer da vor ihm auf dem Weg saß. Hiroos rotes Gesicht stand in direktem Kontrast zu ihren türkisfarbenen Strähnen, um die sich ein ziemlich lockerer, leicht blutiger Verband zog. Sie schaute ein wenig desorientiert zu Jay auf. Der dachte gleichzeitig mehrere Dinge. Dazu gehörten unter anderem "Verdammt", "Passiert mir das gerade wirklich?", dass er die kleine Asiatin seit ihren letzten Begegnungen kein Stück mehr mochte und dass er vergessen hatte, wie sie hieß. Was er sagte, war:

"Alter, wer hat dich denn verprügelt?"

Ihre Wahrnehmung machte einen Reboot. Die Frage von Jay stand in der kalten Luft. Hiroo hätte an der Stelle so weiterliegen können. "Not my kinda day...", flüsterte sie sich in den Kragen. Eine einzelne eisige Schneeflocke landete auf ihrer roten heißen Nase. Der Tag stand ihr bis hier, während das halbgekaute Toast hochkam. Sie zuckte zusammen und drehte sich hustend um. Sie schluckte es wieder mit einem dezenten Blutgeschmack herunter. Warmes Blut floß ihre Nase herunter. "Wh-what?..." Sie versuchte sich aufzuraffen.

Sie sah ziemlich mitgenommen aus. Was auch immer ihr passiert war - es musste sie im wahrsten Sinne des Wortes erschüttert haben. Jay verfolgte zugegebenermaßen ein bisschen beunruhigt, wie sie ihr .. Frühstück? .. hochwürgte. Das und die Tatsache, dass sie scheinbar verletzter war, als er angenommen hatte, brachten ihn zu dem Entschluss, ihr zu helfen. Also kniete er sich neben die kleine Frau. "Vergiss es", murmelte er und sagte dann etwas deutlicher: "Kannst du aufstehen? Du siehst furchtbar aus. Ich bring dich zur Krankenstation."

Sie hatte sich heute schon einmal so helfen lassen. Diese peinliche Episode dürfte nicht zur Regel werden. Dennoch ließ sie sich von Jay aufhelfen und atmete erstmal tief durch. Sie zog ihre Trainingsjacke zurecht, "I guess I gotta thank you..." ein kalter Windzug erfasste die beiden. "...for standing around like that." Ein leichtes Grinsen hebte sich über ihr blutverschmiertes Gesicht. "This way at least I'm not running late for the drill..." Ihr eigener Wortwitz amüsierte sie weniger als sie zum Anschein gab. Ihr war es tatsächlich lieber in diesem Zustand nicht vor Sgt. Hofmann und den anderen Mädchen zu erscheinen. Sie begann sich das Blut unter ihrer Nase mit einem Zipfel ihrer Trainingsjacke abzuwischen.

"Ich glaub, die Kopfverletzung ist schlimmer als angenommen. Du faselst wirres Zeug", war Jays Kommentar zu Hiroos Bemerkungen. Er durchwühlte seine Taschen, um festzustellen, dass er kein Taschentuch dabei hatte. Bestens. Wie schnell sie gehen konnten, würde sich auch noch zeigen. Jay tat es Hiroo gleich und atmete tief durch. "Na komm schon", forderte er sie auf.

Umständlich versuchte sie den lockeren Verband zuzuziehen, bis Jay ihr auch hierbei zur Hilfe kam. Sie nickte ihm stumm einem Dank ähnelnd zu. Der abwertenden Bemerkung zuwider trottete Hiroo neben dem vorrangehenden Jay entlang. Ihr steckten die Worte im Hals fest, während sie den Weg zur Krankenstation aufsuchten.

Es war wieder Ruhe eingekehrt. Nur die Schritte der zwei jungen Menschen durchbrachen die Stille des Wintermorgens. Seit sie losgegangen waren, hatte Hiroo gar nichts mehr gesagt. Jay warf ihr ab und an einen prüfenden Blick zu. So liefen sie schweigend nebeneinander her. Irgendwann erreichten sie die Ausläufer der momentan silbrig-grauen Grünanlagen.

Ihr ging es wirklich nicht gut, aber sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen. In der Stille kam ihr die erste Begegnung mit diesem Jungen neben ihr in den Sinn. Wegen was hatten sie sich damals in den Haaren gelegen? Während sie so mit ihren Gedanken abschweifte, hoffte sie jeden Augenblick das Gebäude der Krankenstation zu erblicken.

Wenn man eines von Hiroo sagen konnte, dann, dass sie hartnäckig war. Sie kämpfte sich weiter voran, als würde sie notfalls auch noch bis Alaska laufen. Dieses Bedürfnis, die eigenen Probleme möglichst ohne Hilfe von anderen zu bestehen, war mal etwas, dass Jay verstand und mit ihr teilte. Er sagte kein Wort und achtete darauf, dass sie alles tun konnte, was noch ging. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten die zwei durchgefrorenen Wanderer die Krankenstation. Jay begleitete Hiroo hinein. "Soll ich irgendwem ausrichten, dass du hier bist?", wollte er wissen

"I think I can handle Sgt. Hofmann. I don't want you to get involved with her unnecessarily. But maybe... you could wait a moment with me." Ihr Blick schweifte durch den Eingangsbereich, in dem sie ein junges Mädchen von ihrer Schätzung nach 10 Jahren erblickte. Ihre Füße baumelten knapp über dem Boden. Sie schien auf etwas zu warten, während Hiroo den Raum betrat.

"Sowas Blödes schon wieder, ganz ehrlich.", murrte ich leise in mich hinein und ließ die Beine baumeln. Da hatte ich endlich ein bisschen Orientierungstraining in der Natur verhandelt, damit es mich nicht mehr überforderte in der freien Natur zu sein und mich nur kniend orientieren zu können. Jamey (der mir neulich erzählt hatte, dass er eigentlich James hieß, was seinen blöden Spitznamen endlich erklärte) war von der Idee sehr angetan mich in einen Wald zu stellen, weil die Angst vor der Orientierungslosigkeit in einem Wald in Schweden begonnen hatte. Was er und ich nicht wussten war: meine Reaktion darauf würde nicht friedlich verlaufen.

Jamey nahm mich an der Hand und führte mich in den Wald. Es war eiskalt. Und ehe ich mich versah, ließ er mich los, rannte irgendwo hin und meine Kräfte verselbstständigten sich: ich spürte eine ziehen in meinem Kopf, sah Blut und Steine, sah einen Finger und gleichzeitig sackte ich auf die Knie, spürte das elektrische Summen, fühlte den Luftzug aus dem Portal und die Angst in meinen Knochen - dann hörte ich ihn Schreien.

"NEIN! STOP! HIER BIN ICH, HÖR AUF!!!"

Und ich sah in einer kleinen Vision, wie Jamey auf dem Boden des Waldes lag und sich seine Hand hielt. Ihm fehlte ein Finger, ich hatte ihn abgetrennt... Ich robbte vorsichtig zu ihm, tastete durch nasse Pfützen von Blut und schnaufte, als ich ihn endlich ertastete. Er sprach bereits in sein Funkgerät, dass er abgeholt werden musste und ich weinte wie verrückt. "Alles gut.", sagte er und drückte meine Hand fest. Aber ich hörte in seiner Stimme, dass nicht alles gut war.

Und nun saß ich hier, in der Krankenstation und wartete angespannt, dass man mir etwas sagen konnte oder mich jemand abholte oder ob ich bestraft würde. Da spürte ich einen Luftzug und vernahm einen leicht metallischen Geruch von Blut, zusammen mit einem Parfum das mir sehr bekannt vorkam. Eine Erinnerung blitzte in meinem Kopf auf: dieses Mädchen vom letzten Einsatz...

"Hallo?", fragte ich vorsichtig in die Richtung in der ich jemanden vermutete. 

"Klar, wie du willst", meinte Jay. Es war gerade auch nicht sonderlich voll im Wartebereich. Dementsprechend dauerte es nicht lange, bis er Gwendolyn bemerkte, die ziemlich geknickt auf einem der Stühle hockte. Hiroo schien das Mädchen ebenfalls bemerkt zu haben. Und auch Gwen drehte sich zu ihnen um.

"Hey Gwendolyn", antwortete Jay der Kleinen auf ihr zögerliches Hallo. "Was ist dir denn passiert, dass du hierher musstest?"

Ich grinste breit, als ich Jays Stimme hörte. "Jay!", rief ich. Und dann räusperte ich mich verlegen. "Ich... Ähm... Hab... Also ich hab... Meinem Trainer den Finger abgehackt..."

Hatte sie das richtig verstanden? Sie war sich unsicher wie sie auf diese Antwort reagieren sollte. "Seems like I hadn't the worst of monday." Sie trat hinter Jay hervor. "Hey, little one..." Sie musterte die beinahe freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden so unterschiedlichen Personen neben ihr. Nicht so verwunderlich auf einem so verwunderlichen Campus. "So... uhm, you know each other?", und schaute in die Augen von dem kleinen Mädchen, das etwas ziellos in die Richtung von Jay schaute.

Da war ja doch noch jemand, hatte ich es mir doch gedacht. "Hallo!", sagte ich fröhlich, aber vorsichtig in die Richtung aus der die Stimme kam.

"Sagst du mir deinen Namen noch mal? Ich glaube, wir kennen uns... Haben wir schon mal zusammen gearbeitet? Ich bin Gwendolyn. Aber Gwen reicht völlig aus."

Ich schnupperte. "Du blutest, oder? Himmel, dann solltest du besser schnell zum Arzt!" 

'Gwendolyn? ... Gwen? This strange name rings a bell... somewhere.' In der neuen Wohngruppe hatte sie ein Dutzend neue Namen kennen gelernt. Viele seltsam klingende. Ihr eigener Name war für einige auch ein kleiner Zungenbrecher gewesen. "Name's Hiroo. Nice too meet you, Gwen.", brachte sie schließlich hervor. "Sorry, I don't know you. I mostly work alone. This guy's an exception... and... uhm..." Während sie das vor sich hinnuschelte, fühlte es sich an als würde irgendwas in ihrer Erinnerung fehlen.

Jay war ein wenig überrascht von dem, was er da hörte. Die Überraschung verwandelte sich in Verwirrung, je weiter sich das Gespräch entwickelte.

"Natürlich kennen wir uns. Du müsstest dich eigentlich auch erinnern. Schließlich warst du mit bei dieser Scheißmission. Mittlerweile haben Gwen und ich aber auch gemeinsames Training." Dann wandte er sich an Gwendolyn. "Aber Moment mal, was hast du grade gesagt? Gab's etwa schon wieder Probleme?" Jay merkte, dass er sich leichte Sorgen machte. Das war sonst recht untypisch für ihn. Andererseits war die ganze Situation schon wieder seltsam - wie er mit der mitgenommenen Hiroo im Wartezimmer stand. Und jetzt saß da noch Gwen mit einer neuen, krassen Geschichte. Aber was war schon normal im Camp der Esper?

Hiroo kamen zwei Silhouetten in den Sinn. Sie verblassten wieder. Sie schaute in Richtung des Operationssaal über dem ein rotes Licht brannte. Die Aufnahme war gerade nicht besetzt. 'Seems like this is going to take a moment.' Hiroo setzte sich neben Gwen. Jays Frage ließ auch bei ihr Bilder ihrer Vergangenheit erscheinen. Erwartungsvoll schaute sie auf Gwen.

Ich tastete neben mir nach dem Bein der Person, die sich neben mir liegen gelassen hatte. "Ah, Hiroo.", sagte ich. "Ich hoffe es ist soweit alles okay? Siehst du doppelt? Und ähm... Also ich muss ein bisschen Tasten, du weißt ja, ich seh nichts." Ihr Knie zitterte sogar im Sitzen, also war ich etwas besorgt.

"Oh und Jay, weißt du..." Ich grübelte, wie ich das Problem in Worte fassen sollte. "Ich hatte Angst. Sehr. Viel. Angst. Und dann... Jetzt hab ich Angst, dass das nochmal passiert." 

"Oh Mann, Gwen." Jay ließ sich neben den beiden Mädchen auf einen Stuhl fallen. Er wollte noch irgendwas sagen, machte den Mund auf und atmete aus. Ihm fiel nichts gutes ein. Nach einem Moment des Schweigens entschloss er sich, einfach das Thema zu wechseln. "Habt ihr eigentlich auch nen angepassten Trainingsplan um Weihnachten rum?"

"Yeah. Seems like a bunch of the teachers are absent through the holidays. Unfortunately Sgt. Hofmann tends to confuse us with her family and told us, that she's going to celebrate with... us." Sie verzog ihr Gesicht.  "You guys ever watched Nightmare Before Christmas? Sgt. Hofmann is going after a sequel." Sie schaute Gwen nach dieser Aussage an. 'Stupid, stupid baka...', rang es ihr durch den Kopf. 'What am I asking a blind girl if she's watched some stupid movie...' Sie schaute von sich angenervt nach oben. Sie dachte kurz nach. "Maybe... uhm, I think it could be even something for you Gwen, it has music with a lot of singing, and I could tell you what's happening on the screen." Sie schaute fast wieder erfreut, aber immer noch verlegen zu Gwen herunter.

"Oh, wir können gerne einen Film zusammen schauen! Wirklich! Und wenn jemand erzählt wie alles aussieht, naja, dann macht es noch viel mehr Spaß!", freute ich mich und räusperte mich dann.

"Also Weihnachten... Da... Da hab ich nichts vor. Ich..."

Ich setzte mich gerade hin und atmete tief durch. "Wisst ihr, ich hab Weihnachten Geburtstag. Ich werde zehn! Zehn Jahre alt! Und ich weiß nicht, aber das letzte Mal hab ich das gefeiert, da war ich acht Jahre alt... Und dann hat sich bei der UnEsCo eigentlich kaum einer mehr dafür interessiert. Also wenn ihr mit mir zusammen einen Film zu meinem Geburtstag schauen wollt, dass... ist dann praktisch die erste Geburtstagsfeier seit einer Ewigkeit!"

Ich kniete mich auf meinen Stuhl und stützte mich auf Hiroos Bein ab. "Wir könnten Kuchen essen! Und zusammen spielen! Und wir müssten einen Tag lang mal nicht komisch einen Plan verfolgen und du darfst die Kerzen anzünden! Aber nicht den Kuchen und nicht das Haus, es sei denn, wir kriegen ein Haus zum anzünden. Und Jay, du müsstest nur den Fernseher ertragen, wir müssen kein Licht anmachen! Weil, Hiroo kann das ja! Und... Oh, wollt ihr mit mir Weihnachten, also... Meinen Geburtstag feiern?"

Erwartungsvoll saß ich da und war unfassbar aufgeregt. Wenn man zehn Jahre alt wird, dann gibt es nichts spannenderes als eine eigene Geburtstagsfeier, das ist ja wohl klar. 

Weder Filme noch Weihnachten hatte sich Jay in den letzten Jahren zu Gemüte geführt. Auch sowas wie Geburtstage spielten für ihn keine Rolle mehr. Aber Gwen klang sehr aufgeregt, während sie schon halb in der Planung des Events versank. Es würde sie glücklich machen. Und je mehr Zeit Jay mit der Kleinen verbrachte, desto mehr wünschte er sich, dass sie eine bessere Kindheit haben könnte als er. Trotz dem ganzen Mist, der ihr schon passiert war. Deshalb entschied er sich, Gwen ihren Wunsch zu erfüllen.

"Also, ich hab Weihnachten noch nichts vor. Von daher können wir das machen. Und einen Abend komm ich auch neben nem Fernseher klar."

"Sure, I'll be there. What time will it be?" Hiroo hakte sich in die kleine Gwen ein. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. 'Any reason to stay away from Sgt. Hofmann...' Sie grinste keck in sich hinein. "Heaven sent me a sweet angel."

"Dann werd mal schnell wieder fit, Rudolph. Sonst kannst du unserem süßen kleinen Engel keine Geschenke bringen." Jay sah zu Gwen hinüber. "Ich werde mal meinen Trainer fragen, ob er uns nen Raum besorgen kann, wo wir ungestört feiern können."

Hiroo warf Jay einen genervten Blick zu und rümpfte die Nase. Sie fixierte ihn kurz und schwenkte den Blick nach einem stillen Moment wieder ab. Das rot leuchtende Licht am Operationssaal erlosch. Sie schaute auf die in ihrem Arm liegende Gwen. Sie löste sich etwas in der Absicht aufzustehen. Ihr Knie schwankte etwas, als wäre es eingeschlafen.

"Oh, ihr seid so toll!", rief ich und drückte Hiroo fest, bevor sie aufstehen konnte. "Danke!"

Dann ließ ich sie los. Wahrscheinlich sollte sie wirklich schnell behandelt werden, zumal der Geruch von Eisen nicht schwächer wurde.

"Jay, dann kümmern wir uns um den Raum! Ich will Luftballons! Und Glitzer!" Kurz kicherte ich. "Also auch wenn ich es nicht sehe, aber ich hab da so.. Hihi, eine Vision von." Ich grinste so breit ich konnte und hopste zu Jay um mich auf seinen Schoß zu setzen.

"Du lässt dich gesund machen, Hiroo, ja? Und dann planen wir das zu dritt. Auch die Uhrzeit und so!"

Neben all dem furchtbaren was es auf der Welt gab, neben all dem Elend das ich jeden Tag sehen musste, neben all dem was Jackson und die UnEsCo je von mir verlangt hatten - war dies für mich der Inbegriff von einem Grund zur Freude.

"Danke!", sagte ich also, fast schon schüchtern. Wer hätte gedacht, dass ich diese beiden Person einmal so mögen würde. Ich fühlte mich beschützt und lieb gehabt, zum ersten Mal seit Ewigkeiten. Nur Exit fehlte, aber ich wusste, irgendwann würden wir ihn wieder dabei haben. Diese Gruppe war eine kleine kaputte Familie - und die wollte ich beschützen, mit allem was mir zur Verfügung stand. 

 

A very Gwenny Christmas

Es schneite. Flocken wirbelten vor dem Fenster umher als wollten auch sie Weihnachten feiern. Jay saß am Küchentisch und  kippte Müsli in eine Keramikschüssel.

"Hohoho! Wart ihr auch alle artig, dieses Jahr?" Die tiefe Männerstimme passte absolut nicht zu der jungen Frau, die gerade den Wohnraum betrat. Jay war Ciaras Fähigkeit eigentlich gewohnt, konnte aber trotzdem nicht anders, als kurz aufzusehen. Andy, der neben Jay am Tisch hockte, stellte seinen Kaffee beiseite und grinste "Santa" über die Schulter hinweg an.

"Ich war ziemlich unartig. Du solltest mir heute Nacht eine Lektion erteilen."

Oh Gott, dachte Jay. Er hätte am liebsten sein Gesicht in der Schüssel vergraben. "Pass auf, dass du nicht zu viel Lärm machst, wenn du durch den Kamin kommst." Ciara lachte. Sie ging zur Theke, um sich auch einen Kaffee zu holen. Mit der Tasse in der Hand drehte sie sich zu den Jungs um und erwiderte in ihrer normalen Stimme:

"Guten Morgen, Grinch. Ich werde mir Mühe geben."

"Na na", tadelte Andy. "Für Grumpies gibt's keine Geschenke."

Geschenke für'n Arsch. Ich hätt' einfach gern Stille Nacht, seufzte Jay innerlich. Er beeilte sich, sein Frühstück zu beenden und abzuspülen. Das hatte nicht nur den Grund, dass er gerade wenig Lust auf seine WG hatte. Er hatte bis zum Nachmittag einiges zu tun. Jordan hatte ihm tatsächlich einen Raum besorgt. Der musste aber noch hergerichtet und geschmückt werden. Hiroo war bestimmt auch schon auf dem Weg, um den Film und Spiele zu holen. Unschlüssig, was er von dem Tag erwarten sollte, stapfte Jay durch die weiße Pracht.

Es war früher Abend. Hiroo landete Knie-tief in einem Schneehaufen. Sie war den kürzesten Weg durch den Park gelaufen und sprang nun eine kleine Böschung hinunter, darauf bedacht nicht hinunterzurutschen. Sie war etwas außer Atem. Im ersten Moment in dem Sgt. Hofmann ihr wachsames Auge von Hiroo abgewandt hatte, war sie getürmt. Sie hatte neben den ihr und Devy zugeteilten Haushaltseinkäufen noch etwas anderes im zentralen Einkaufszentrum besorgt. Die Hausleiterin Mrs. Nelson hatte gestern Abend ihre Koffer gepackt und war für die nächste Woche vermutlich irgendwo bei ihrer Familie. Währenddessen lagen in Hiroos Umhängetasche die Bestellungen die sie vor einer Woche im Namen von Mrs. Nelson aufgegeben hatte. Niemand würde diese kleine Fehlberechnung auf dem Konto von Mrs. Nelson bemerken. Sie würde ohnehin nur etwas Gutes damit beitragen.

"Saiwai ni mo, Devy was around when the clerk asked me for permission. Way too suspicious for my taste. But Devy really made him believe Mrs. Nelson would've ordered something like this... Too naive for her own good." Am Ende des Abhangs sah sie schon den Weg zu einer einsam stehenden winterlich eingeschneiten Hütte. An einem der zwei Fenster in denen elektrisches Licht brannte, konnte sie einen Schatten erblicken. Ihr machte die Kälte nicht viel aus, aber das Gefühl eines warmen Kamines war für sie in diesem Moment ein doch wohlklingender Gedanke. Diesen müsste sie so schnelle es ging entzünden.

Diesmal konnte es sich Devy einfach nicht verkneifen. Normalerweise konnte man ihr eine gewisse Friedfertigkeit nachsagen, und einen sparsamen, regelkonformen Umgang mit ihren Kräften, aber nun fühlte sie sich zu einer Ausnahme berechtigt. Nicht zuletzt auch daher, weil die Gelegenheit sich wohl nicht deutlicher hätte anbieten können, wie das Mädchen fand.

Mit merkwürdig federleichten Schritten und „lightheaded“, was ihre Stimmung anging, war Devy Hiroo gefolgt. Jeder Meter kam ihr vor wie ein Wagnis, aber daher auch wie ein Erfolg – und wenn ihr diese Art von Antrieb bisher auch eher unbekannt war, im Moment funktionierte er ganz gut. War es die Genugtuung darüber, einmal die Listigere zu sein, Rache für tiefgefühlten Verrat üben zu können? Denn Hiroo hatte sich wohl bereits daran gewöhnt, die Gutmütigkeit und Sympathie ihrer Mitbewohnerin ausnutzen zu können. Die Badgeschichte war längst nicht das Einzige, was vorgefallen war, und inzwischen brauchte auch Devy niemand zu erzählen, dass die Neue in Wohngruppe 11 in krumme Dinger verwickelt war. Keiner musste ihr ein weiteres Mal sagen, dass man sich von fragwürdigen Espern wie ihr fernhielt. Es war nun eine Sache zwischen den Zweien. ,Hiroo kommt diesmal nicht so leicht davon‘, dachte Devy, während sie weiter durch den Schnee stapfte und die gut Vermummte nicht aus den Augen verlor. ,Ich habe wirklich bis zuletzt meine Zweifel bezweifelt, aber Mrs. Nelsons originale Einkaufsliste lässt mir keine andere Wahl.‘ fügte sie bestärkend hinzu.

Was Hiroo mit der merkwürdigen Auswahl an Diebesgut vorhatte, das war die nächste Frage, und vielleicht hätte Devy diese bereits gestellt, wenn nicht eine Neue dazugekommen wäre: Was wollte das Mädchen mit den inzwischen knallrot-pink gefärbten Haaren in dieser Dunkelheit und Kälte hier draußen? Am Heilig Abend, verdammt noch mal! Hiroo machte es einem echt nicht einfach, sie zu verstehen, was Devys Neugier befeuerte. Das musste auch so ein Grund dafür sein, dass sie sich hier rausgewagt hatte – obwohl es nicht ihrem gewöhnlichen Verhaltensmuster entsprach, gegen so offensichtliche Regeln wie die nächtliche Ausgangssperre zu verstoßen.

Von Devy selbst unvermutet spielte wohl auch reine Abenteuerlust hinein, wenn es darum ging, sie zu einer solchen illegalen Verfolgungsjagd zu motivieren. Ein stärker absteigendes Gelände zwang sie sogar dazu, Hiroo immer näher auf die Fersen zu rücken, um sie diskret im Blick zu behalten. Aber dann – dann pfiff Devy auf einmal auf Unauffälligkeit. Es war einfach die perfekte Stelle für etwas noch viel Aufregenderes und etwas, was sein musste – ein kleiner Stups, mehr war kaum nötig. Die Lawine hatte sich als kleiner, überhängender Haufen formiert und war rasendschnell gewachsen -an Größe und Schnelligkeit. Von oben war gut zu beobachten, dass es diesmal Hiroo war, die es unerwartet traf.

Jay betrachtete sein Werk. Girlanden in Rot, Grün und Weiß schlängelten sich an den Wänden des Raumes entlang. Neben dem Kamin stand ein kleiner Plastikweihnachtsbaum, den nach Jordans Auskunft keiner mehr für Weihnachtsfeiern benutzte und der deswegen lange im Keller versackt war. Aber geputzt und mit bunten Weihnachtskugeln behängt sah er schon viel ansprechender aus. Der verbogene Weihnachtsstern auf der Spitze lotete die etwas schief stehende "Tanne" wieder etwas aus. Jay nahm ein paar Schnipsel Konfetti aus einer der Tüten und ließ einen bunten Papierregen über dem Tisch niedergehen. Alles für Gwens Vision von Weihnachten. Ein paar der Papierfetzen landeten auf den Papptellern und der Kuchenabdeckung. Eine weitere Ladung Konfetti ergoss sich über den Boden.

Jetzt fehlte nur noch Hiroo. Sie war spät dran. Gwen war zwar auch noch nicht da, würde aber bald bei der Hütte aufkreuzen. Eigentlich wollten sie vorher alles fertig haben. Jays Blick glitt zum Fenster. Es war schon seit einer Weile dunkel.

Hiroo spürte einen Ruck der durch ihre Beine ging. 'Did I...? Whats this heat signature doing up there? Someone followed me...' Ihr fiel keines von den Mädchen in ihrer Wohngruppe ein, das es sich getraut hätte ihr zu folgen. Oder viel mehr, war es denen sicher Recht, wenn sie auf und davon war für den Weihnachtsabend. "Dare... who's there?" Sie schaute sich nach oben um und bevor sie mehr als die Silhouette der an der Hügelspitze stehenden Person erkennen konnte, erfasste sie eine Schneelawine aus dem Nichts.

Sie musste sich für einen Moment besinnen, während sie unter einem Meter Schnee begruben lag. Im letzten Moment hatte Sie die Umhängetasche losgelassen. 'I hope the packages aren't damaged...' Der Schnee drückte sich in ihren Nacken hinein, ebenso wie der Rucksack in ihre Schulterblätter. "Fuck, my shokupan. Fucking damnit." Während Sie sich aus dem Schnee heraus kämpfte malte sie sich aus, was sie gleich machen würde. "Gotta be this shikkui, Vela... This time she came alone. That's her last fault.", fluchte sie vor sich hin. Sie schmiss den Rucksack herum, während sie auf den nun eingeschneiten Weg heraustrat. Der Reißverschluß hatte sich unter der Lawine gelöst und um sie herum lagen die gerade erst fertig geklebten Sushi. Ein Reiskorn klebte in ihrem pinkroten Haar. Der Schnee verdampfte in Hiroos Nacken. Sie legte den Rucksack mit dem Weihnachtsessen zur Seite und machte einen Schritt auf den Hügel zu.

Im letzten Moment erschrak Devy selbst darüber, wie viel Energie sie  in den kleinen Stupser gelegt hatte, der nun den schneebedeckten Abhang in Bewegung setzte. Als Hiroo unter der weißen Last begraben wurde, fürchtete sie Schlimmstes. Erstarrt beobachtete Devy dann, wie ihre Zimmergenossin dampfwnd- gleich einem Phönix - dem Grab  entschieg und sich geistesgegenwärtig umwandte. Devy war nach Weglaufen zumute, als hätte sie einen Bienenschwarm mutwillig aus dem Winterschlaf gerissen. Und doch, sie wusste, dass das nicht ankäme, weder bei Hiroo noch bei den andern und der Heimleitung, die zu alarmieren ihre Mitbwohnerin nun jedes Recht hatre, fühlte Devy. Wer hätte es nicht gegen sie verwendet? Also standen  die beiden  Mädchen da, eins oben, eins unten- und irgendwie dennoch auf einer Ebene. nEine merwürdige Lage, auf die Devy nur reagieren konnte, indem sie umso lauter ihren Standpunkt verkündete: "Guck, ich kann mit viel leben, aber nicht mit Dieben. Komm mit und gib alles zurück oder....es gibt was!"

Bevor Devy ihren Satz beenden konnte, stürmte Hiroo bereits los. Devy kam währenddessen seelenruhig den Hang heruntergestapft. "What do you even know?", hallte es über den Abhang. "You... all of you. What do you think you know of me? Living in this sheltered home of yours. Getting presents for christmas, or even just a letter from your parents. So annoying, your parents're probably even paying them for you to stay. And I..." Sie kam keine zwei Meter vor Devy zum stehen.

Devy war nicht darauf vorbereitet, von dieser Seite auf die Angelegenheit zu blicken. Gut, irgendwo hatte sie schon immer Neid auf diejenigen -und die wenigen - im Trainingszentrum empfunden, die auf Wunsch ihrer Eltern ins Programm gekommen waren und maximal möglichen Kontakt zu ihnen hielten. Solche fanden sich oft im Elitebereich wieder, zu dem Devy sich mit gewissem Stolz zählte. Daher fiel es ihr nicht ein,über die von der Orga verteilten Gutscheine hinaus große Ansprüche zu stellen, zumal die ab einem gewissen Alter leistungsabhängig ausfielen. 

Dieser Logik nach hätte Devy Hiroo Faulheit vorwerfen können, weil sie nicht vermutete, dass ihre Zimmernachbarin am nächsten Tag irgendwie an der Bescherung beteiligt sein würde. Gleichzeitig verstand sie etwas von der Enttäuschung darüber, was an Weihnachten an diesem Ort nicht kindlichen Erwartungen genügte. Mehr, als sie sich selbst gegenüber zugegeben hätte. "Hey, bei blöden Kommentaren über meine Eltern werd ich ganz allergisch. Da würdest du von anderen noch was ganz andres hören." grummelte sie daher nur. "Wenn du jetzt sofort mitkommst, haben wir vielleicht noch die Chance auf ein anständiges Weihnachten. Mach es ums doch nicht so schwer."

"I'm not sure where you got this idea of winter wonderland with Sgt. Hofmann, but I'm not coming with you. Got that?" Sie klopfte ihre lange zerschundene Jacke zurecht. "You're only thinking about your shortlived dream of a proper christmas with the others." Sie zog ihre Jeanshose zurecht und zog etwas von ihrem Hinterteil ab. "Meanwhile you ruined everthing I've worked this whole day on." In ihrer Hand lag ein zusammengeklumpter halb zerfallener Sushihappen.

Vielleicht kam Devy gerade der Antwort auf die Frage näher, wo in aller Welt Hiroo an diesem Abend noch hinwollte - Devys Neugier wurde durch den Anblick des halben Reisbällchens jedenfalls nurgrößer. "Also das Weihnachtsessen macht keiner aus der Wohngruppe, das wird morgen geliefert." merkte sie dennoch in einem sachlichen Tonfall an. "Daher kann es nicht so schlimm sein. Überhaupt... schlimmer als was, das wüsst ich gern." fügte Devy herausfordernd an. Im Augenblick fühlte sie sich doch eher auf der sicheren Seite vor Hiroos gefürchteter Feueresper.

"Maybe I can grant you a preview. ", führte Hiroo bedeutend aus und drehte sich den Sushihappen wie ein Unikat hochhaltend um. "But you definetly want a taste of the real thing, don't you?" Sie stapfte einige Schritte und beugte sich zu einem Schneehaufen hinunter. Sie pappte ein wenig Schnee um den Sushi. "So... let's have a taste of this!", und mit diesen Worten drehte sie sich in einer Bewegung und ein puderverzauberter Sushiball flog auf Devy zu und landete bei ihr im Gesicht. Einige Reiskörner klebten an ihrer Wange, während sie verdutzt in das kindisch grinsende Gesicht von Hiroo blickte.

Ein Rumpeln durchbrach die weihnachtliche Stille. Jay fuhr zusammen. Was war das?, schoss es ihm durch den Kopf. Eine Dachlawine vielleicht? Doch dann hörte der junge Esper Stimmen von draußen. Einen Moment war er unsicher, ob er nachsehen sollte. „Ach, was soll's.“ Jay stiefelte zur Tür, trat hinaus in den kalten Dezemberabend und spähte in die Dunkelheit. Seine Augen brauchten einen Moment, bis sie sich angepasst hatten.

"Hiroo? Bist du das? Du bist verdammt nochmal spät!", rief er. Zuerst konnte er Niemanden sehen. Dann erspähte er jedoch das Schneechaos und als sein Blick nach oben schwenkte auch die beiden Gestalten, die vermutlich dafür verantwortlich waren. Das verwirrte ihn ein wenig. "Was ist denn hier los?", wollte Jay sagen. Er kam ganz genau bis "Wa-", bevor ihn etwas kaltes, nasses ins Gesicht traf. Dementsprechend veränderte sich seine Message zu einem schneespuckenden "Fuck!"

"With this aim, you better aim twice.", lachte Hiroo los. Aus ihrer Ausweichrolle heraus schaute sie in Richtung der vor sich hinfluchenden Stimme. Das Gesicht von Jay hatte eine pudrig weiße Nase. In Kombination mit dem gezwungen strengen Blick, den sie von ihm erhielt konnte Hiroo nicht länger und begann prustend vor sich hinzuglucksen. Ein dritter Schneeball flog durch die stille Nacht. Das Glucksen hielt für einen Moment an. Hiroo wischte sich den Schnee aus ihrem Gesicht. Mit dem weiß glänzenden Schnee in den Spitzen ihrer roten Haar hätte man sie glatt mit Santa oder wenigstens einem seiner Gehilfen verwechseln können. Sie schaute kniend von links nach rechts. In ihrer rechten Hand formte sie bereits den nächsten Schneeball.

Es war lange her, dass Devy ihre letzte Schneeballschlacht gemacht hatte. Wenn sie es in den letzten Jahren mit fliegenden Dingen zu tun hatte, dann war das samstags beim Teamsport, wo sie mal beim europäischen Fußball, mal beim Cricket dabei war, und neuerdings auch im Training. Die Gravitation sich schnell bewegender Gegenstände beeinflussen - sehr schwer und im Unterricht gar nicht so spannend, sondern konzentrationslastig. Im Moment genoss Devy es einfach, sich nicht viel Sorgen darüber zu machen, welche Beschleunigung sie auf eigene Faust in fallenden Objekten erzeugen konnte. Nicht mal, woher der Typ kam, dem sie aus Versehen eben eine volle Portion gegeben hatte, scherte das Mädchen im Moment sonderlich. Hiroo zu treffen - das schien als das wichtigste Ziel überhaupt, unabhängig von allem, was an diesem Tag bisher geschehen war oder noch passieren würde. Als es ihr gleich beim zweiten Ball gelang, hatte Devy umso mehr Grund, auf der Hut zu sein und zu neuen Attacken bereit. Es war eine Art zwangloser Spaß, wie Devy sich kaum an solchen erinnern konnte.

Es war einer dieser Momente. Jay verstand die Welt nicht. Er wischte sich den Schnee aus dem Gesicht und schaute zu den lachenden Mädchen hoch. Seine Miene spiegelte Verwirrung wider, gepaart mit einer Spur von Ärger. Jetzt hätte er gerne eine Wasser- oder Eisesper gehabt. Aber nein, das wäre ja zu schön gewesen. "Was zum Geier geht mit euch ab?!", rief er den Schneehügel hinauf. "Und wer bist du eigentlich?" Er zeigte auf Devy.

"Hey, don't point your finger like that, Rudolph. Just aim your red light on her." Ein saftiger Schneeball folgte ihrem Zuruf. Sie sah wie der Schneeball Jay knapp verfehlte.

Der Typ in der Tür der alten Hütte kam Devy auch auf den zweiten Blick völlig unbekannt vor. Vielleicht, weil er ein paar Jahre älter schien - dennoch, er hatte wohl nicht die Esper-Schule auf dem Campus besucht, in der nie mehr als hundert Schüler unterrichtet wurden. Die verteilten sich dann so über das Gelände oder verließen das Zentrum, dass man sich aus den Augen verlieren konnte, aber Devy war sich sicher, dass sie sich erinnern würde, wenn er einer der "alteingesessenen" Delinquenten gewesen wäre. Dass er ein Delinquent war, war indessen klar für sie. Anderenfalls würde er sich jetzt nicht hier in einer Hütte mit Hiroo treffen wollen - das schien schließlich Sache zu sein. Für Devy machte es mehr aus als eine von den üblichen Ordnungswidrigkeit ihrer Zimmergenossin. Tatsächlich legte sie es so aus, wie ihre verschiedenen Hausleiterinnen es ihr seit Jahren nicht anders vermittelt hatten- als Gefahr, und fahrlässiges Verhalten von Hiroos Seite. "Gut, dass ich hier bin." dachte das Mädchen und hätte gerne auch ihren nächsten Angriff voll auf den langhaarigen Fremden gerichtet, dem sie ganz bestimmt keine Antwort schuldete. Da aber Hiroo näher dran und wieder in Aktion war, verschob sie das auf einen anderen Zeitpunkt.

Jay rollte mit den Augen. "Are you fucking kidding me? But hey, let's find out who is better with red lights then." Ein weiterer Schneeball flog auf ihn zu und zischte an seinem Kopf vorbei. Vielleicht hätte er sich unter anderen Umständen an der Schneeballschlacht beteiligt, aber momentan war er nicht in Stimmung. Außerdem wurde ihm langsam kalt. Jay fröstelte. "Why don't we just go inside? I need to get some warmth."

Hiroo hatte Jay zwar schonmal schlagfreudiger auf ihre Sticheleien erlebt, aber dennoch amüsierte es sie. "Okay, okay... always in a hurry. I can warm you up and after that we'll see who looks better in the red light, how about that?" Sie grinste in sich hinein. "Just take the bag with the food, we'll come after you in a minute. We've got girls stuff to discuss."

"I see you are on fire again." Jay entschied sich, zumindest diese Herausforderung anzunehmen. Weil Weihnachten war. "Well, I can't wait", grinste er zurück und fischte den Rucksack aus dem Schneehaufen. Dann ging er zurück zur Hütte.

Devy hörte alles, hatte aber das Gefühl, nur jedes zweite Wort dieser Unterredung zu verstehen. Woher sich die beiden kannten, war zum Beispiel nicht festzustellen; aber dass sie sich kannten, umso mehr. Vielleicht brauchte das Mädchen wegen der Kälte und der Aufregung einen Extramoment, aber dann erschien es vor ihr wie ein rotes Tuch: Zusammen reingehen, gegenseitig aufwärmen, Rotlicht? Es wäre Devy vielleicht unangenehm gewesen, Hiroo ein unrüchiges Verhalten einfach so zu unterstellen, aber nun konnte sie sich keine andere logische Erklärung mehr denken. "Hey, hey!" brach es aus ihr heraus, bevor sie sich selbst eine kurze Bedenkpause geben konnte oder wenigstens ihre Kampfansage sinnvoll formulieren. "Hütten-Typ! So schnell ist das nicht beschlossen. Wenn du sie nur anfasst, solange ich hier bin - nur über meine Leiche!"

Jay war schon bei der Hütte, als das fremde Mädchen ihm noch etwas hinterherrief. Was hat die denn für ein Problem?, dachte er. Dann öffnete er die Tür, drehte sich noch einmal auf dem Absatz um und rief zurück: "Jetzt mach keinen Stress. Hiroo und ich werden uns schon nicht schlagen. Schließlich ist heute Weihnachten." Mit diesen Worten ließ er sie stehen.

Devy sah dem Fremden einen Moment verdutzt hinterher. Jemand wie er hatte kein Recht, sich über sie auf diese Weise lustig zu machen, als verstände sie nicht, was hier wirklich vor sich ging. In ihrer Fantasie ließ sie bereits seine Füße im Schnee einsinken. Devy hob gerade ihre Hand und bündelte ihre Konzentration, als Hiroo sie aus dem Fluss riss.

Der Winterweihnachtzauber war gebrochen. Das breite Grinsen von Hiroo legte sich. Hiroo drehte sich zu Devy um. "So, uhm, you have anything else planned for todays evening? Sgt. Hofmann probably missing us. Or at least you." Hiroo schaute sich in der Nähe des Lochs aus dem sie ihres Schneelawinengrabes enstiegen war nach ihrer Umhängetasche um.

Bei dem Gedanken drehte sich Devy fast der Magen um. Sgt. Hofmann konnte ganz schön unangenehm werden, nicht prinzipiell, aber in gewissen Situationen, die man kaum voraussehen konnte. Dass es sich im Moment um so einen Zeitpunkt handelte, war allerdings weniger schwer zu erraten - mit den Worten "Ich habe vieles vorzubereiten, meine Jahresrückblicksrede und so, stört mich für ein paar Stunden mal nicht." war die Ersatzhausleitung schließlich in dem ihr zugeteilten Gästezimmer verschwunden. Das war der Auftakt zu allem, weil Hiroo an der Stelle ebenfalls ihre Sachen gepackt hatte und versucht hatte, sich unbemerkt aus dem Staub- oder besser gesagt- in den Schnee zu machen.

Vielleicht war es sehr viel besser, wenn Devy und Hiroo zurückkamen, bevor Sgt. Hofmann oder irgendwer anders Wind von der Sache bekamen, aber andererseits...ohne Hiroo heimzukehren erschien dem Mädchen nicht viel geschickter. Sie fühlte die ihr von Anfang an aufgetragene Verantwortung, ein Auge auf ihre Zimmernachbarin zu werfen, schwer auf den Schultern. Devy sah ein, dass sie zwar die Macht hatte, jemanden für einen bestimmten Zeitraum dort festzuhalten, wo er sich befand, aber in Bewegung versetzen konnte sie keinen. Ja, vielleicht war es angesichts der Situation am Klügsten, dazubleiben und die Situation, die nun mal eben war, sie war, unter Kontrolle zu halten. Da sagte sich Devy jedenfalls. "Na gut...wenn das so ist...Ich glaub, wenn wir schon eine Ausrede brauchen, dann denken wir uns irgendwas Gemeinsames aus." entschied sie sich also nach einer sehr angebrachten Bedenkzeit, in der Hiroo ihre Tasche im Schnee wiederfand. Sie schaute noch einmal argwöhnisch zur Tür, hinter der der Fremde sich bereits zurückgezogen hatte. Was immer hier vorging - im Notfall konnte es nützlich sein, von Innen heraus Informationen zu sammeln, die man zur Erklärung immer noch auf den Tisch bringen konnte. Mit dem Gefühl, ihre Prioritäten geordnet zu haben und im Grundprinzip geradlinig zu handeln, ließ sich Devy auf dieses Experiment ein.

"Sutekina", Hiroo nahm die Umhängetasche aus dem Schnee an sich und schloss sie. Sie drehte sich in Richtung der Hütte und kam geradewegs auf Devy zu die irgendwie gedankenverloren da stand. "Hey, Devy. If you could just do anything for me today: Zip it." Ihr einschüchternder Blick löste sich auf und wich zur Seite aus. "I know I'm not being fair to you, probably getting you into trouble with Sgt. Hofmann. But i If you want to denigrate me, please do it before the other girls, not this evening."

Hiroo hatte Devy gerade an den richtigen Stellen erwischt. Um Mitgefühl bitten, Fehler zugeben und bedauern, und dann in dem gleichen wehleidigen Tonfall ein schlechtes Gewissen wecken - es funktionierte. Nicht zuletzt kam Devy sich nun ertappt vor, da ihre Zimmergenossin anscheinend schon vermutete, dass sie deren Fehltritt zumindest als entlastendes Material in der Hinterhand behalten wollte. Auf einmal kam ihr das noch nicht einmal als Notfallplan korrekt vor. Irgendwie steckte sie ohnehin nun mit drin - und hatte schon vor Hiroos letztem Schachzug Möglichkeiten für ein Matt  freigegeben "Ja, dann lassen wir es für heute gut sein." schob das Mädchen dennoch bluffend ein. "Ich schau bei eurer komischen Hütte rein und morgen früh...gucken wir nochmal." Mit dieser vorgetäuscht selbstbewussten Antwort war Devy erst einmal zufrieden.

Hiroo fiel ein schwerer Stein vom Herzen. In der Bewegung an Devy vorbei fasste sie ihr kurz mit der Hand auf die Schulter. Sie hielt einen Moment inne, nachdenkend, setzte ihre Bewegung jedoch in Richtung der Tür fort. Sie sammelte noch einige der herumliegenden Sushi ein. "Hope the rest of the food made it... didn't expect a fourth plate on the table." Sie lächelte verlegen. "You coming?" Sie hielt die Tür für Devy auf.

Devy wusste nicht, was sie erwartet hatte. Das militärische Sperrgebiet, in dem das UnEsCo-Zentrum lag, war voller merkwürdiger Geheimnisse, über die sich an Lagerfeuern und auch sonst gruselige Geschichten erzählen ließen. Die Außenwelt, die vielen auch nur noch von Fieldtrips, aus Berichten und seltenen Filmvorführungen bekannt vorkam, konnte den Kindern sogar noch viel mysteriösere Vorstellungen elizitieren ( ;) ). Was Devy also über den Inhalt einer Hütte, die an einem abgelegenen Ort des Trainingszentrums gelegen war und anscheinend von einem Organisationsfremden beschlagnahmt wurde, befürchten musste, lag irgendwo zwischen diesen Extremen: Den Einrichtungsgegenständen eines verfluchten victorianischen Salons, dem Eingang zu einem unterirdischen High-Tech-Bunker oder dem Equipment eines fusionierten Drogenumschlagplatzes/Sado-Maso-Dungeons. Letztere Option erhielt durch Devys unvergessenen ersten Eindruck bezüglich des aus dem Haus aufgetauchten Langhaarigen eine besondere Glaubwürdigkeit. Und doch - es hätte keinen größeren Kontrast geben können als zwischen ihrer ersten Vorstellung und dem, was sich Devy nun auftat.

Die Tür öffnete sich und ein kalter Schneehauch wehte mit den Mädchen herein. Die dunklen, mit Girlanden geschmückten Holzwände der Hütte schimmerten golden im Licht der wenigen elektrischen Lampen. Trotz der Tatsache, dass das Holzhäuschen klein und abgelegen und zudem nicht gerade neu war, besaß es einen vernünftigen Stromanschluss. Davon zeugte auch der Fernseher, der im hinteren Teil des einfachen, aber gemütlich eingerichteten Raumes stand. Um ebendiesen gruppierte sich eine Sitzecke mit Sofa und zwei Sesseln. An der Wand rechts daneben befand sich ein Kamin, neben dem der dekorierte Plastikbaum Platz gefunden hatte, der maximal so groß wie Gwendolyn war. Also, in ihrem zehnjährigen Zustand. In der Mitte des Raumes stand der gedeckte Tisch. Er wirkte mit dem Wegwerfgeschirr und den einfarbigen Servietten recht bescheiden. Doch gleichzeitig sorgten ein paar (noch unangezündete - schließlich würden sie damit auf Gwen warten) Kerzen, sowie Konfetti für einen stimmungsvollen Anblick. Das zumindest hatte Jay gehofft, der gerade den Inhalt von Hiroos Rucksack auspackte und mit einem leicht skeptischen, aber zugleich neugierigen Blick inspizierte. Er drehte sich um, als er Devy und Hiroo hereinkommen hörte und sprach letztere gleich an:

"Hey, ich hab zwar nicht noch mit jemand viertem gerechnet, aber das Essen sollte trotzdem reichen. Apropos Essen." Er hielt eines der Sushi-Röllchen hoch. "Sowas hab ich noch nie gesehen. Was ist das?"

"Okay, Cowboy. I understand what you want to say. You've only seen beans on your table and I'm not the best of cooks." Sie kam geradewegs auf Jay zu und zeigte auf die teils angedellten Reisröllchen. "This is called sushi. It's sticky rice with vegetables and arranged in a roll of nori." Sie holte eine zerknautschte Papiertüte aus dem Rucksack heraus. "And this is sweet bread my mother used to make. It's not really her receipt, its more like I remember it. Called shokupan. You can eat it with anything, I mixed in some of the regional food around here." Während sie das so erzählte holte sie kleine viereckige Brote heraus die am Rand zusammengebacken waren, fast so klein wie Cupcakes. Daneben holte sie zwei geschlossene Schüsseln heraus. Der flauschige Teig begann sich wieder in seine ursprüngliche Form zu bewegen. Hiroo öffnete die Schüsseln. "This is blueberry and in this one's cranberry creme." Sie nahm einen Löffel und fing an das Shokupan mit der Creme zu dekorieren. "Probably because I expected some vigilante ambush I didn't add the topping at home. Didn't think them to be such a rarity to be hunted down for them though." Sie schaute über die Schulter zu Devy herüber. "You wanna help, Devy?"

Eine Weihnachtsfeier? Danach sah die Deko jedenfalls aus. Mit Tannenbaum und allem drum und dran. Gut, Wohngruppe 11 hatte leicht höhere Ansprüche, aber irgendwie machte diese Kulisse einen heimeligeren Eindruck. Geradezu ... familiär. Anders als ihre Pflegemutter in England hatte Devy auch kein Problem mit Plastikbäumen. Ihre ersten Weihnachtsfeste in Australien hatte sie ja gar nichts anderes gekannt.

Das Essen kam dem Mädchen schon eher exotisch vor, aber eine gewisse Vielfalt kam auch im Trainingszentrum auf den Tisch. Einen Moment musste Devy darüber nachdenken, wie Hiroo wohl zu den ungewöhnlichen Zutaten kam, dann hatte sie Flashbacks von den letzten zwei oder drei Botengängen. 'Interessant', dachte sie fast mehr bewundernd als vorwurfsvoll in Hiroos Richtung. Dieses Event schien ja von langer Hand geplant zu sein. Umso mehr bereute Devy es, in ihrer Unwissenheit Teile des Abendessens in alle Windrichtungen verteilt zu haben. Und umso mehr sah sie auch den Fremden mit neuen, fragenden Augen. Jedenfalls nickte sie, als Hiroo sie um Hilfe bat.

"Ich meine, eigentlich haben wir ja keinen Kochdienst heute, aber es gab ja... eine Planänderung", murmelte Devy und zuckte mit den Schultern.

Jay hörte Hiroos Vortrag aufmerksam und mit gewissem Interesse zu. Sie hatte ganz schön was aufgefahren, das musste man ihr lassen. Die Namen der verschiedenen Speisen klangen zwar seltsam und Jay hatte sie schon wieder vergessen, kaum dass er sie gehört hatte. Doch mindestens die kleinen Brote sahen ähnlich aus wie das populäre Weißbrot. "Und sowas isst man in Japan?" Er drehte das Wie-hieß-das-nochmal?-Reisding in der Hand. Es war ein wenig zerknautscht, aber noch ganz ansehnlich. Der schwarze Rand turnte ihn noch ein wenig ab, aber er würde in Hiroos Gegenwart nicht ihr Essen beleidigen - zumal er es ja zugegebenermaßen noch nicht probiert hatte. "Na, dann probieren wir doch mal", sagte er mehr zu sich selbst und schob sich das Sushi in den Mund.

"Maybe you could...", Hiroo reichte Devy eine der Schüsseln, "...add the topping with the cranberries and after that, you can sprinkle some of the pistachio nuts on top of it." Zwischendurch beobachtete sie Jay, wie er einen der angedellten Sushihappen in den Mund warf.

Die Konsistenz des Röllchens und der Geschmack der Zutaten überraschten Jay. Reis hatte er schon gegessen, doch selbst der war anders zubereitet worden. Alles in allem war die Kombination gewöhnungsbedürftig, hatte aber auch was. "Strange, but kinda nice", kommentierte er seine Geschmackserfahrung. "Du hast dir auf jeden Fall echt viel Mühe gemacht." Er warf Hiroo einen anerkennenden Blick zu und begann, das Essen auf weiteren Papptellern zu drapieren. Anscheinend hatte sie sogar verschiedene Varianten von dem Reiszeug gemacht.

"Arigato.", sie versuchte ihre Verlegenheit zu überspielen, indem sie weiter anfing über die richtige Essweise von Sushi zu nuscheln. "You should definitely try them with some of the soy sauce or pickled ginger. Or you could try some of the was..." Gerade als sie zu ihrem liebsten Teil kam wurde Sie von Jay in ihrer Ausführung unterbrochen.

"Wo wir gerade von Überfällen reden - wollt ihr mir vielleicht mal erklären, wie das eigentlich alles zustandegekommen ist?" Er nickte mit dem Kopf in Richtung der Rothaarigen. "Devy, oder? Was machst du hier?"

"Äh ja, Devy, so heiß- so nennt man mich", stammelte Devy verwirrt. Sie konnte sich kaum vom Nachdenken darüber lösen, wann inmitten der Essensdikussion von Überfällen die Rede gewesen war. Als einen solchen hatte sie ihre kleine Überraschungslawine auch nicht wahrgenommen. Dennoch: Devys Entwicklung von einer Heldin, die gekommen war, die fehlgeleiteten Pläne ihrere Zimmernachbarin zu vereiteln, zu einem spontanen Weihnachtsparty-Gast musste natürlich Fragen auslösen, die jetzt schwer zu beantworten waren. Für sie selbst in erster Linie, fand sie.

"Ich wollte nur aufpassen, dass ... dass Hiroo nichts passiert", erklärte das Mädchen so selbstsicher wie möglich, obwohl es ja gewissermaßen der Wahrheit entsprach. Die Implikation, dass der Fragensteller für sie Gefahrenpotential besaß, wollte Devy schon mitvermitteln, aber vielleicht nicht so, dass die Gefahr tatsächlich eintrat. "Also, wir gehören ja als eingeteiltes Team zusammen, mit Verantwortung und so", fügte sie hinzu und dann noch, mit einem Rest von Übermut, der übriggeblieben war: "Ich hab ne Menge mit Hiroo zu tun, aber woher du sie kennst, das wundert mich."

Hiroo schien noch mehr in petto zu haben, als ohnehin schon. Der Ausflug in die Welt der japanischen Kochkunst verschob sich allerdings ein klein wenig. So langsam begann sich die Geschichte um die beiden - wie Jay nun erfuhr - Zimmernachbarinnen zu lüften. Alles konnte Jay trotzdem noch nicht nachvollziehen, zum Beispiel warum man sich um Hiroo hätte Sorgen machen müssen.

"Süß. Auch wenn ich finde, dass das für die Geburtstagsparty eines zehnjährigen Mädchens bisschen übertrieben klingt. Aber hey - wenn ihr so zusammenhängt, dann feier ruhig mit." Kurz dachte Jay, Hiroo hätte ihm auch Bescheid geben können. Aber sie hatten sich in den letzten Tagen nicht wirklich gesehen und so wichtig war es jetzt auch wieder nicht. Ob Gwen das Auftauchen dieser Devy vorausgesehen hatte? Falls nicht, würde sie auf jeden Fall überrascht sein und dann - wie man die Kleine eben kannte - ziemlich schnell Freundschaft mit der anderen Esper schließen. Jay musterte Devy. Er war nicht gut darin, das Alter anderer Leute zu schätzen. Aber sie sah definitiv jünger aus als er. 

"Wir hatten das Vergnügen, in einer Mission ... uhm zusammenzuarbeiten", beantwortete Jay ihre letzte Frage. "Aber von der hat dir Hiroo ja wahrscheinlich schon erzählt."

Seit der Anspielung auf die Kindergeburtstagsparty hatte Devy eine neue Welle der Verwirrung überrollt. Es kam oft genug vor, dass sie ironische Aussagen nicht richtig verstand, und auch die darauf folgende Aussage "wenn ihr so zusammenhängt, dann feier ruhig mit" klang irgendwie mehr passiv-aggressiv als einladend. Das Mädchen fühlte sich ohnehin klein diesem Fremden gegenüber, der sie von oben herab abschätzte. Und dann kam die Sache mit der Mission. 'Natürlich weiß ich, dass sie auf einer Mission war.' dachte Devy im ersten Moment, als hätte jemand das spöttisch angezweifelt. Ihre defensive Haltung zu dem Thema entsprang der Tatsache, dass Devy von Hiroos Einsatzerfahrung erst vor ein paar Wochen mitbekommen hatte - und dass sie es viel eher realisieren hätte können. Bei der Hausarbeit, den Trainingsstunden, beim Heimstudium und in den Pausen verbrachten die beiden 17-Jährigen eine Menge Zeit zusammen, wenn zusammen "im selben Raum" bedeutete. Und ja, manchmal sprachen sie wirklich miteinander, tauschten Bemerkungen aus, erzählten sogar kleine Anekdoten, wenn sie passten. Zwischen Kommentaren wie "Oklahoma? Da war ich schon, aber nur für ein paar Stunden, weil es dort brennen sollte." und "Der Staubsauger erinnert mich an einen Gabelstapler, der mich mal töten wollte. Sie hieß Tetya." hätte Devy etwas schwanen können. Ganz zu schweigen von den Gerüchten, die in Wohnheim 11 kursierten - aber das waren ja viele gewesen, die sich sogar widersprachen. Manchmal war es besser, nicht alles wortwörtlich zu nehmen, ließ sich feststellen. Mit Hochdruck versuchte das Mädchen nun trotzdem, den Fremden irgendwie in ihren Erinnerungen von Hiroos Erzählungen wiederzufinden, als kleinen Beweis, dass sie total eingeweiht war in Hiroos beeindruckende Agenten-Vergangenheit. Sie konnte vor ihm nicht so klein dastehen, wie sie sich fühlte, und vielleicht war es aus dieser Art Verzweiflung, dass sie ihren Geistesblitz ohne nachzudenken hinausposaunte: "Warte, du kannst nicht  ‚2 meters tall. That’s like 7 feet.‘ Sein. Du bist also…‚irritating electronics guy‘.“

Jay hatte sich nach seinen letzten Worten von Devy abgewandt und weiter den Vorbereitungen für das Essen gewidmet. Er konnte sie nun einordnen und das hatte sein Interesse an ihrer Person weitesgehend getilgt. Manche ihrer Aussagen verwirrten ihn auf eine gewisse Weise, doch er hatte schlichtweg keine Lust sich großartig damit auseinanderzusetzen. Sie war eben jetzt da und trotzdem änderte das den Plan für den Abend nicht wirklich. Devy andererseits schien das Ergebnis ihrer Gedankengänge in Worte fassen zu wollen. Jay, der gerade dabei war, die letzten Sushi-Röllchen auf einem Teller anzurichten, hielt kurz inne. "Irritating electronics guy." Er ließ sich die Phrase auf der Zunge zergehen und konnte dabei ein Kichern nicht ganz unterdrücken. "Well, that's fairly accurate."

In dem Moment in dem Jay nach Informationen von Devy fragte und Devys Nachdenk-Apparat loslegte, fühlte Hiroo wie viele kleine Nadeln ihr über den Rücken sprangen. 'Please, keep it simple...', flüsterte sie Devy mental zu und führte ihre Vorbereitungen fort. Ihre Ohren spitzen sich mit jedem Räuspern und Wort das aus Devys Mund erklang. Sie war etwas erleichtert, als Devy ihre Spitznamen von Jay lediglich wage umschrieb. Für einen Abend hatten die beiden genug Stress verursacht. Mit dem Dessert war sie auch gerade fertig geworden. Nachdenklich schaute sie sich um und blickte in Richtung des kalt und dunkel stehenden Kamins. "You really did wait for me to warm you up, huh?"

Hiroo hatte sich aus dem Gespräch der beiden bis jetzt weitesgehend rausgehalten. Da Jay gerade gedanklich noch woanders war, verwirrte ihre Aussage ihn kurz. "Warte, was?" Er drehte sich zu ihr um und folgte dann ihrem Blick. Oh. Das meint sie. Sie drückte sich heute echt interessant aus. "Naja." Er zuckte mit den Schultern. "Ist ja schließlich dein Spezialgebiet, was?"

Das ließ sich Hiroo nicht zweimal sagen. Wenn es jemandes Job war die Hütte abzufackeln dann wohl ihrer. Sie inspizierte den Kamin. "Did you forget something? Where's the wood?" Die Holzstelle neben dem Kamin war wie leergefegt. "I'm gonna look outside. There's probably some shack on the back." Sie zog ihre Jacke um, die sie um einen Stuhl gepfeffert hatte. "Be right back.", und schaute über den Shokupan, den Devy gerade emsig dekorierte. "You're good Devy?"

Devy runzelte die Stirn. "Ja, ja klar, ich schaff das schon...mit dem Typ. Wenn du es mit ihm aushältst." Das sollte ein wenig wie ein Witz klingen, aber sie war gerade doch in einem eher nachdenklichen Modus, sodass es bierernst und wahrscheinlich ziemlich awkward rüberkam. Devy bekam das alles nicht so gut in ihr Weltbild eingeordnet, wie sie es gern hatte, und beschloss erst einmal, sich im Hintergrund zu halten.

Es war kalt, als ich morgens aufwachte. Eiskalt. Aber das war auch meine Schuld, schließlich hatte ich ja vergessen das Fenster zu schließen, bevor ich ins Bett gegangen bin. Es war nur so wunderschön, wenn es unter der Decke herrlich warm wurde und die Nasenspitze ganz kalt, weil alles im Zimmer fast gefror. So lag ich in meinen Bett und wollte nicht aufstehen, als die Tür aufging.
"Um Himmels Willen, ist das kalt hier!", rief Hannah laut und stürmte zum Fenster um es schnell zu schließen. "Was hast du dir denn dabei gedacht?"
Ich zog mir verschlafen die Bettdecke nach unten und grinste. "Es roch so gut nach Schnee!"
"Du bist zwar das Geburtstagskind, aber ganz ehrlich, an die Heizkosten, an die musst du doch denken!!!"
Irks, dachte ich aber nur und grinste weiter in mich hinein.

Als ich angezogen war ging ich vorsichtig zum Fenster zurück, strich mir die Haare hinter die Ohren und öffnete es einen Spalt breit. Schließlich streckte ich die Hand nach draußen und berührte den Schnee. Helles Licht blitzte in meinem Kopf auf, das war so lang nicht mehr passiert! Beim Berühren einer Flüssigkeit hatte ich das letzte Mal bei Colonel Falk... Ich verdrängte den Gedanken sofort.
Ich sah fliegende Reisbälle (kann man das essen?), etwas, dass aussah wie Fisch. Eine Schneeballschlacht zwischen Hiroo und einem fremden Mädchen. Lieb sah sie aus. Jay stand in der Tür einer Hütte, die daneben stand und schaute kritisch und jemand sagte "Vorbereitung" und "Geburtstag". Hui, dachte ich und hätte mich am liebsten in den Schnee gesetzt um mehr zu sehen. Aber wie sagte Jamey immer: "Nicht zu viel Spoilern, mein Schatz."
Also wartete ich ungeduldig.

Beim Frühstück war ich so aufgeregt, dass ich kaum darauf achtete dass ich die Milch meiner Nachbarin vergoss. Sie schrie kurz auf, boxte mich an die Schulter und jammerte über eine nasse Hose. Jamey sammelte mich auf. "Guten Morgen, Geburtstagskind!", sagte er erfreut. Und das trotz dem Zwischenfall mit dem Finger.
"Es wird Zeit zum trainieren!"
"Oh Jamey, ich werde einen Kuchen bekommen!!!", rief ich.
"Nicht so viel Spoilern, mein Schatz.", antwortete er. Sag ich doch, dachte ich bei mir, das sagt er eben jedes Mal.

Im Trainingsraum saßen wir auf dem Boden und wie so oft sollte ich erstmal meine Umgebung spüren. "Wo im Raum sitzt du?", fragte Jamey und ich legte die Hände auf den Boden und schloss die Augen. Es summte leise in meinem Kopf, ich atmete tief durch und ich erahnte eine Wand unweit hinter mir. Ein Fenster, denn ich hörte leise Geräusche von Menschen die durch Schnee liefen. "Unter dem Fenster. Etwa sechs Schritte entfernt.", sagte ich.
"Fast.", meinte Jamey. "Es sind nur zwei Schritte."
Er stand auf und bewegte sich durch den Raum. "Komm zu mir.", sagte er bestimmt. Ich spürte, dass er sich hin und her bewegte, also kniete ich mich auf den Boden, legte die Unterarme auf und versuchte konzentrierter die Schwingungen wahrzunehmen.
Da stand ein Schrank im Raum, ein Tisch, ein Stuhl und etwas kleines Viereckiges auf dem Boden. Jamey hingegen lief zum Schrank. Ich stand auf, versuchte das Gefühl für den Raum festzuhalten, griff nach vorn um ihn zu berühren und berührte... Nichts. Ich stolperte ein bisschen, weil ich mich so in die Bewegung gelegt hatte, blieb dann ruhig stehen und hörte ihn neben mir atmen. Also griff ich schnurstracks nach seinem Arm, grinste und rief "Hab dich!"
Das er grinste musste ich nicht erspüren, dass wusste ich auch so. Er räusperte sich und drückte mir das kleine viereckige Ding in die Hand. "Das ist für dich."
Es war ein flaches Päckchen, hart und irgendwie in der Mitte vertieft, ebenso aber auch von der anderen Seite. Ich machte es vorsichtig auf, Jamey tippte mich an. "Wasser.", warnte er mich vor und ich verstand. Ich sollte es sehen.
Vorsichtig steckte ich einen Finger in das Glas.
Ich hielt zwei Bilderrahmen in der Hand. Der eine, der oben auflag, war leer, schlicht. Nur ein kleiner Zettel war hinter das Glas geklemmt. "Deine Zukunft.", stand da. In dem anderen Rahmen war tatsächlich ein Foto. Von meiner Mama, im Arm meines Papas. Und meinem Bruder. Ein Familienbild. Es sah sehr aktuell aus, sie lächelten.
Ich weiß nicht, ob das Lächeln echt war, aber auf jeden Fall war es echt genug. Wie konnten sie ohne mich so glücklich aussehen. Ich weinte, beinahe sofort.
Jamey streichelte mich am Arm, bevor er mir die Rahmen abnahm und mich umarmte.
"Nicht weinen.", sagte er.
"Aber... Aber sie sind glücklich ohne mich.", weinte ich in seinen Pullover und es war wirklich ein furchtbarer Moment für mich.
"Schlimmstes Geschenk der Welt.", murmelte ich und Jamey lachte leise. "Nein.", sagte er. "Es ist die Möglichkeit für dich zu sehen, was die Zukunft deiner Familie ist. Deine Eltern lieben dich, verstehst du? Das werden sie immer. Aber diese Familie kann kein Teil mehr von dem sein, was deine Zukunft ist. Du hast gesehen, was auf dich zukommt, mein Schatz. Stimmts?"
Ich fand das hart. Hart formuliert, hart erklärt. Ja, ich wusste, ich durfte den Schritt zurück nicht machen. Noch nicht. Dinge wurden in Kraft treten, die nicht berechenbar waren. Aber daran sollte er mich nicht an meinem Geburtstag erinnern. Ich würde wütend und trat einen Schritt zurück.
"Aber!", sagte er. "Du hast einen leeren Rahmen. Einen, der deine Zukunft sein kann. Deine Familie. Eine, die du nicht verlassen musst, weil du besonders bist, eine, die du dir aussuchen kannst. Eine, bei der dir nicht das Herz brechen muss, Gwendolyn." Er legte eine Hand auf meine Schulter.
Ich wusste, dass es nicht bedeutete, dass ich meine Mutter vergessen sollte. Oder meinen Vater oder meinen großen Bruder. Ich wusste, dass er auf die Familie anspielte, die für mich Reisbällchen durch die Gegend warf - auch wenn ich nicht wusste warum.
Ich spürte Jameys Blick auf mir. Und die Hand, an der ein Finger fehlte auf meiner Schulter. Er war Familie. Jay war Familie. Sogar Hiroo war Familie. Exit war Familie. All diese Menschen, die waren hier. Und heute bei meinem Geburtstag dabei, bis auf Exit, aber auch den würden wir wieder sehen. Und das bedeutete die Zukunft.

Am Abend schlüpfte ich in einen kuscheligen Pullover und wartete auf Hannah. Sie würde mich zu meiner Geburtstagsparty bringen und ich war sehr aufgeregt. In meiner Tasche hatte ich den leeren Bilderrahmen, mein Knochenmesser (man weiß ja schließlich nie) und heißen Himbeertee in der Thermoskanne.
"Bereit?", fragte Hannah, als sie die Tür öffnete. Sie hielt mir noch eine Jacke und eine Mütze hin, die ich schnell anzog bevor ich nach draußen begleitet wurde.
Der Schnee war so tief, dass ich die Beine richtig weit heben musste. Meine Finger ließ ich über den Schnee gleiten und ich spürte das Kitzeln, die Möglichkeit der Vision, aber ich widerstand ihr. Kein Spoilern.
"So, wir sind da. Ich lass dich hier alleine.", sagte Hannah. "Viel Spaß!" Sie kicherte, hatte wohl durchs Fenster geschaut. Ich klopfte an die Tür.

"That should suffice." Hiroo ließ die letzte Ladung an feuchtem Brennholz neben den Kamin fallen. Der Schneematsch bildete kleine Pfützen in der Ecke. Devys skeptischen Blick strafte sie mit einem selbstsicheren Spruch ab. "No problemo, senorita Grey. We'll warm you up in no time." Sie hörte ein Klopfen von der Tür. "How about you make yourself useful and welcome our birthday child. I'm late in my preparations." Sie fasste die etwas unsichere Devy an den Schultern und drehte sie in Richtung der Tür. "No false modesty. The evenings to short for long introductions." Ein leichter Schubs und Hiroo wendete sich wieder vorfreudig ihrer Aufgabe zu. "I gotta take care of the fire."

Das Geburtstagskind. Irgendwas musste also an der Sache mit der Geburtstagsparty dran sein. Devy hatte dennoch keine Ahnung, was sie erwarten sollte. Sie näherte sich der Tür vorsichtig und öffnete sie nur einen Spalt, als könne sich ein dreiköpfiges, männliches Monster dahinter verbergen.

Stattdessen war es ein kleines Mädchen, das da stand, mit Sicherheit aus der Grundschulabteilung. Man hätte sie für einen leibhaftigen Engel halten können. Alles an ihr, was man unter der Winterkleidung sehen konnte, erschien schneeweiß, selbst der Blick aus ihren blinden, aber neugierigen Augen. Gabrielle? Devy kannte sie in verschiedenen Alterstufen vom Sehen und hatte bereits von ihr gehört. Eine merwürdige Aura umgab die Kleine. Was tat sie hier? Vor Staunen vergaß Devy fast, dem Mädchen den Weg in die Hütte freizugeben.

Die Tür ging auf und der Geruch von frisch entzündetem Holz kam mir entgegen. Aber da stand weder Jay, noch Hiroo. Ich schnupperte kurz und hoffte, dass sah nicht all zu blöd aus, weil ich dachte es könne sich um Exit handeln, den hatte ich lang nicht mehr um mich gehabt und konnte den Geruch deshalb vielleicht nicht gleich identifizieren. Aber nein, da stand jemand anderes. Und plötzlich erinnerte ich mich an die Vision von heute Morgen. Das müsste dieses Mädchen sein, die, die so lieb aussah.

"Hallo du!", sagte ich deshalb. "Dich kenne ich noch nicht. Ich bin Gwendolyn, aber du kannst mich Gwen nennen. Toll dass du da bist und zu Weihnachten mit uns hier feierst!"

Ich trat einen Schritt näher an sie heran, spürte die Wärme aus der Hütte mir entgegen strömen und hielt dem Mädchen meine Hand entgegen. "Hilfst du mir rein? Ich sehe nichts, weißt du?"

Devy stellte sich vor, während sie das engelhafte Mädchen zum Tisch führte. Auf eine unerwartete, aber naheliegende Art begann diese winterliche Hüttenparty Sinn zu ergeben. Gwen war eine der Personen, die in Hiroos Einsatzerzählungen vorgekommen war. So absurd das auch klang. Die UnEsCo würde doch keine Kinder mit auf einen Geheimauftrag schicken! Das hatte Devy noch nie gehört und entsprach nicht dem Bild, dass sie hatte.

"Herzlichen Glückwunsch...also, du hast heute Geburtstag.", bemerkte sie nur laut. "Oder? Ich meine, das würde erklären, wieso Hiroo das ganze besondere Essen gemacht und der andre geschmückt hat. Soll ich dir das alles mal beschreiben? Es ist echt schön."

Hiroo gab sich Mühe die Hitze nur langsam in das Holz fließen zu lassen. Es war ihr zwar ein leichtes Energielevel zu senken oder anzuheben, häufig fehlte ihr aber ohne ihre Hilfsmittel ein gewisses Feingefühl für ihre Kräfte. Das Wasser brutzelte und dampfte aus dem nun langsam in Flammen gehüllten Holzscheit und sie warf es in in den Kamin zu einigen trockeneren Exemplaren. Das Feuer wollte noch nicht so richtig übersteigen. Sie nahm also einen weiteren und pustete langsam mit ihrem heißer werdenden Atem über das feuchte Stück Holz. Devy ließ unterdessen Gwen herein. In dem Moment in dem Devy Hiroos Namen erwähnte verschluckte sie sich plötzlich. Eine Hitzewelle schoss aus ihr heraus und der Holzscheit in ihren Händen zerplatzte in einer kleinen Stichflamme. Funken flogen bedrohlich an ihrem Auge vorbei in Richtung des Baumes und auch der näher kommenden Partygäste. Sie musste reagieren. Sie breitete ihre Hände aus und entzog mit einem Moment jegliche Energie in einem Kreis um sie herum. Das Kaminfeuer erstarrte.

"Woah." Auch Devy bekam nicht allzu häufig Gelegenheit, eine Präsentation von Hiroos Kräften zu erleben. In ihrer Stimme war somit Schrecken, aber auch Staunen zu hören. Als das Mädchen in zweiter Reaktion Gwen deckte und "Vorsicht!" rief, war die größte Gefahr bereits gebannt.

Auf den ersten Blick schien nichts in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Das Geburtstagkind wirkte geradezu ungerührt, und nach der ersten Welle Adrenalin fühlte sich Devy auch eher wach und aufgewärmt und nicht verletzt. "Bist du okay, Hiroo?"  war jedoch noch festzustellen.

Ich wurde von Devy beiseite geschubst und war kurz irritiert, als ein warmer Feuerball an meinem Ohr vorbei schoss. "Huch!", rief ich und ging in den Vierfüßlerstand. So konnte ich den Raum besser Wahrnehmen, eine fremde Umgebung war so besser zu erschließen. "Brennt der fucking Weihnachtsbaum? Ist das der Kuchen den ich auspusten muss? Hiroo?", rief ich und krabbelte über den Boden, verlor die Mütze und tastete nach der Tasche die mir von der Schulter rutschte. Aber als Devy nur fragte ob es allen gut ging wurde mir schnell klar, dass alles in Ordnung war und ich sank auf den Boden, grinste und meinte an Devy gewandt: "Ja, ich werde heute zehn Jahre alt! Aber du musst nicht so viel erklären. ..Ich hab in einer Vision gesehen, dass es essen gibt und dich und Girlanden! Aber du darfst mir die Deko beschreiben. Das wäre so toll."

Ihre schwarzen gerade noch von Funken durchzogenen Augen starrten auf die kalte Feuerstelle. Hiroo löste ihren Blick. "Uhm, yeah.", antwortete sie schließlich auf Devy. Ihre Stimme hatte einen hallenden Klang. Sie schaute sich um und zerdrückte eine schwelende Stelle am Boden. Direkt vor ihr kam Gwen am Boden entlang gerobbt. "Hey, Gwen." Sie hockte sich zu dem kuschelig weich eingepackten Pulloverknäuel. Sie tätschelte Gwen am Kopf und nahm ihre Hände. "Happy birthday, little one." Ihr ging es zu Hiroos Erleichterung gut. "Come, the party's ready. I hope you didn't spoiler yourself too much." Sie half Gwen auf und leitete sie in Richtung des gedeckten Tisches. "And by the way, don't talk like that. Fucking is for older people." Dass Gwen ihre Sprachgewohnheiten imitierte amüsierte sie doch zu sehr. Sie lachte in sich hinein und ein Grinsen huschte würde über ihr Gesicht.

Okay, das war ein bisschen peinlich und vermutlich wurde ich gerade rot. Aber ja, Hiroo hatte ja Recht, so ganz toll war das nicht. Also räusperte ich mich und zog meine Jacke aus, legte die Tasche auf den Boden und umarmte Hiroo. "Danke für die Feier und das seltsame Essen das du gemacht hast!"
Ich lies sie los und stand vorsichtig auf. "Und ab wann darf man so schlechte Worte sagen?" Ich grinste breit. "Du sagst sowas dauernd!"

"Für Schimpfwörter braucht man keine Erlaubnis." Jay gesellte sich zu den beiden Mädchen. "Aber du bist im Gegensatz zu uns noch nicht so verdorben. Und wenn du sowas sagst, merken wir, dass wir vielleicht auf dich abfärben." Nach diesem Statement nahm er sich seine andere Teamkollegin vor. "Was zur Hölle, Hiroo? Wolltest du uns grillen oder was? So wörtlich hab ich das mit dem Aufwärmen nicht gemeint." Jay schüttelte den Kopf. Man sah ihm jedoch an, dass er nicht wirklich verärgert war. Dann wandte er sich wieder an Gwen. "Achja, Happy Birthday auch von mir. Ich hab das Gefühl, dass das-" Er warf je einen Seitenblick zu Hiroo und zu Devy "-ein ziemlich interessantes Weihnachten wird."

"Du hast Recht! Das wird ein wunderschönes Weihnachtsfest! Und ich verspreche nicht mehr so viel zu fluchen. Oder ihr bringt mir ein tolles Wort bei, dass ich benutzen kann!", rief ich aufgeregt. 

 

„Das wird das merkwürdigste Weihnachtsfest aller Zeiten.“ Dachte Devy. Ihr war aber klar, dass sie nun mitten drin war, zumindest mit in dieser abgelegenen Hütte, die zunächst nichts Gutes verheißen hatte. Das Mädchen hätte nicht voraussehen können, dass ihre Wut sich binnen Minuten in Überraschung verwandeln würde, und ihre Überraschung in...nun, das warme, etwas kribbelnde Gefühl, was sich bald breitmachte. So wie die vier unterschiedlichsten Persönlichkeiten, die sich zum Weihnachtsessen um den Tisch versammelten. Devy probierte erst ganz langsam und vorsichtig von den fremdartigen Spezialitäten, die nach jahrelanger UnEsCo-Essensplanerfahrung tatsächlich etwas äußerst Exotisches hatten. Nach und nach verlor sie jedoch ihre Vorurteile, und irgendwann fühlte es sich beinahe ein wenig heimlig an, bei warmem Kakao. Wer ein klares Heimatgefühl während seiner Kindheit nur selten verspürt hatte, konnte es hier vielleicht umso schneller wahrnehmen, und das tat Devy nach einer Weile – trotz allem, was sie vielleicht hätte befremden können.

Vielleicht war das hier das eigentlich normale Fest. Im Rahmen einer kleinen, wenn auch ungewöhnlichen Familie, bei Tannenbaum und Weihnachtsessen und beim Geschenkeauspacken – Devy hätte sich wie eine Außenseiterin fühlen können, aber irgendwie war für ein paar Stunden alles, wenn auch aufregend und abenteuerlich, in Ordnung. Als die Mädchen später bei völliger Finsternis durch den Schnee tappten, kam es der einen von ihnen immer noch wie ein Traum vor. Erst recht am nächsten Morgen, dem ersten Weihnachtstag, der sich in der Wohngruppe 11 vergleichsweise alltäglich anfühlte. Doch auch wenn so gut wie niemand anders diese Erfahrung mit Devy teilte, sie wusste, dass sie sie niemals vergessen würde.

Tales of Esperia

Hibernate

So, liebe Kinder,

Es geht weiter. Mit Sicherheit wollt ihr endlich erfahren, welche Möglichkeiten, eure Skills angemessen aufzumotzen, ihr nun bekommt. Das HTBAH-Spielsystem ist zugegebenerweise und wie schon oft bemerkt eher für Oneshots ausgelegt, außerdem habe ich festgestellt, dass darin wenigstens ein Parameter fehlt: Die psychische Belastbarkeit. Ich denke, dass es angemessen ist, diesen Bereich einzuführen, wenigstens testweise und ansatzweise. Wenn ich es richtig verstehe, hat Jay seine psychische Belastbarkeit in Bezug auf Strom ausgebaut, und das möchte ich gerne widerspiegeln. Allerdings scheinen "die Nerven" für uns alle eine gewisse Bedeutung zu haben, was unsere Reaktionen angeht. Daher würde ich das alles über einen Kamm scheren und wenigstens für die nächste Runde einen Bar einführen, mit dem die psychische Widerstandsfähigkeit oder Belastbarkeit dargestellt wird. Zu Beginn liegt sie bei euch alle auf einem Wert zwischen 80 und 120 (mit 100 als dem durchschnittlichen Wert bei einer durchschnittlichen Person an einem durchschnittlichen Tag), und sie kann bei Stress und ähnlichem im Lauf des Tages  fallen, was zunehmend dazu führt, dass eure Würfe erschwert werden. Ist vielleicht nicht extrem logisch, aber was ist das schon. Noch weniger logisch ist wohl der nächste Schritt: Ihr habt 150 Skillpunkte zur Verfügung, die ihr zunächst für eure Belastbarkeit am nächsten Spieltag ausgebt. Den Rest benutzt, wie ihr lustig seid (nachdem ihr mich gefragt habt, ob das so in Ordnung geht :D :D :D).

P.S. Klar ist "psychische Belastbarkeit" ein verdammt weiter Begriff, nicht nur Fähigkeit, sondern auch Persönlichkeitsmerkmal und tagesabhängig. Wie belastbar man ist, hat sicher nichts damit zu tun, wie gut man sich in letzter Zeit weitergebildet hat. Schon gar nicht in der Beziehung. Ich versuche hier nur rudimentär einen relevanten Zustand darzustellen und Vorteile und Nachteile "gerecht" zu verteilen. So viel dazu....viel Spaß beim Skillen! Und wenn ich was doch nicht richtig durchdacht habe, sagt mir Bescheid.

Tales of Esperia

Springbreak

Vorwort

@alle: Falls was nicht passt, einfach sagen. Mehr folgt demnächst.

 

Dornröschen erwache

Jackson telefonierte immer noch. Oder wieder? Jay hatte nicht darauf geachtet. Er benötigte all seine Konzentration für's Fahren. Das hielt ihn nicht nur davon ab, die Gespräche seiner Vorgesetzten mitzuhören, sondern auch, über die Ereignisse der letzten Stunden nachzudenken. Scheinwerfer sausten durch die Dunkelheit an ihm vorbei – allerdings immer spärlicher. Jackson unterbrach ihre Telefonate ab und an für eine Bemerkung wie „Die nächste rechts raus“ und lotste den jungen Esper so wieder zurück zu dem etwas abgelegenen Unesco-Flughafen. Die Rückbank lag vergleichsweise in Stille da. Gwen war fast sofort weggenickt und Hiroo hatte es ihr bald gleichgetan. Nur das gleichmäßige Atmen der beiden Schlafenden drang nach vorne, wenn man genau hinhörte - was keiner von den beiden vorne Sitzenden tat.

Irgendwann hatten sie dann den Parkplatz erreicht, von dem sie am selben Nachmittag noch aufgebrochen waren. Dort wurden sie schon von einem Typen in Unesco-Kluft empfangen, der sich als ihr Pilot zurück zum Campus vorstellte. Der Weg zum Flugzeug war nicht allzu lang, aber trotzdem unangenehm genug. Jay fror in der schneidend kalten Nachtluft und die Müdigkeit, die langsam aber sicher Besitz von ihm ergriff, machte die Sache nicht besser. Unter anderen Umständen hätte Jackson ihm jetzt sicher eine Predigt gehalten. Von wegen Verantwortungsbewusstsein und so. Glücklicherweise war sie zu sehr mit sich und der Organisation aller weiteren Dinge beschäftigt, um für dieses Detail Zeit zu haben. Das würde dann wahrscheinlich in der Nachbesprechung erwähnt. Jay hatte nicht so eine böse Vorahnung wie nach der letzten Mission, aber diese Sitzung würde wohl trotzdem nicht sonderlich angenehm werden. Gut, sie hatten den Abend gerettet. Und doch hatte er das dumpfe Gefühl, dass Jackson mit einigen Details nicht zufrieden war. Das würde sich bestimmt noch bemerkbar machen. Leider. Jay schreckte aus seinen Grübeleien auf, als ein kleiner zehnjähriger Mädchenkörper in ihn hineinstolperte. Gwen war offenbar noch müder als alle zusammen, sodass ihre Kraft und Orientierung sie ein wenig im Stich ließen. Kurzerhand hob ihr Teamkamerad sie hoch und trug sie die restliche Strecke zum Flugzeug.

Der Wagen hielt abrupt an. Für Hiroo war noch Schlafenszeit und sie zog die Decke in Form ihrer Jacke über sich zurück. Sie richtete ihr kuscheliges Kissen auf und döste wieder ein.

In ihrem wiederkehrenden Traum sah sie eine farbenfrohe Nebelwolke. Ein Gesicht aus abertausenden leuchtenden Sternenpunkten war hinter dem Sternenstaub verdeckt erkennbar. Sie schwebte näher heran durch den fast luftleeren Raum. Nur die Nebelschwaden zogen an ihr vorbei. In der Ferne flogen perlfarbendurchzogene Gesteinsbrocken entlang. Sie kam gemächlich an das riesige im Himmelszelt schlafende Gesicht heran, das sich leuchtend wie ein Sternenbild hinter der Wolke hervortat. Die Augen waren geschlossen. Während sie das Gesicht betrachtete, konnte sie plötzlich eine langsam lauter werdende Melodie vernehmen. Die Augen öffneten sich und sie konnte eine infernale Feuersbrunst in der Iris entdecken, die sie fixierte. Sie wurde nach unten gezogen. Die Himmelsgesteine entflammten und schossen ihr in tausend Farben aufgehend hinterher. Während die Schwerkraft sie gnadenlos nach unten zog, versuchte sie sich hilflos wankend nach hinten zu drehen. Sie konnte etwas altvertrautes bekanntes in der langsam auf sie zukommenden Schwärze erkennen.

Sie schreckte auf. Ihr Kopf stieß auf etwas abrupt hartes und sie schaute sich nur langsam orientierend um. Ihr Kissen war verschwunden. Ein Blick zur Seite ließ sie durch einen verschwommenen Blick Jackson erkennen, die Gwen aus dem stehenden Auto geladen hatte. Sie stellte das schläfrige Mädchen auf den Boden, welches sich aber nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Hiroo robbte auch aus der Tür heraus und ließ sich von der hinteren Sitzbank heraus fallen. Sie zog ihre zusammengeknautschte Jacke zurecht und folgte dem sich langsam in Bewegung setzenden Gänsemarsch, angeführt von Jackson. Gwen stolperte in Jay hinein und er nahm sie behutsam auf seine starken Schultern. Was hätte sie dafür gegeben auf die gleiche Weise in ihr Bett getragen zu werden. Mit diesen Gedanken widmete sie sich wieder ihrer fast real erscheinenden Traumwelt aus der sie gerade entrissen wurde und trottete der Bande hinterher.

Endlich, dachte Jay. Die drei Esper lehnten müde in den Flugzeugsitzen, während die Maschine sich in den Himmel erhob. Jetzt konnte auch er sich sich ein wenig ausruhen. Jay kuschelte sich so gut es ging in das Sitzpolster und schloss die Augen. Es brauchte allerdings nicht einmal fünf Minuten, bis er realisierte, dass das mit dem Schlafen nichts werden würde. Er spürte den Strom des Flugzeugs vom Heck bis vor zum Cockpit. Die Energie schien dröhnend und penetrant um ihn herumzufließen und ließ dem jungen Mann keine Ruhe. Jay hing in dem Sessel, völlig erschöpft und doch hellwach. Genervt warf er den Kopf zurück und fluchte. Für eine ganze Weile saß er einfach nur da und starrte ins Nichts. In dieser Leere begannen seine Gedanken sich zu verselbstständigen und kehrten zu den Ereignissen des Tages zurück. Für einen Moment fühlte es sich so an, als wäre das alles nicht erst vor ein paar Stunden geschehen. Doch je weiter Jay sich physisch davon wegbewegte, desto näher kamen seine Erinnerungen – oder auch seine Nicht-Erinnerungen. Was zwischen der Konfrontation mit dem seltsamen Mann im Keller und der Versammlung in der Tiefgarage passiert war, hatte er immer noch nicht so ganz mitbekommen. In seinem Kopf fand sich nichts dazu. Es kam Jay vor, als hätte zwischen diesen beiden Erlebnissen nichts existiert. Gwen und Hiroo hatten nur ein paar kurze Worte dazu verloren, aber angedeutet, dass Jackson auch hypnotisiert gewesen war. Sie hatte ein wenig neben sich gestanden. Genau wie er. Vor Jays innerem Auge tauchte er wieder auf: Der Mann mit der schwarzen Maske, hinter der brennende Augen ihn fixierten. Dieser Esper hatte Jay ausgeknipst und kontrolliert, ohne dass er sich hatte wehren können – ja sogar ohne dass er sich dessen bewusst gewesen war. Er war einfach weggewesen. Dieser Gedanke ließ Jay erschaudern. Er machte ihm Angst. Hilflosigkeit überfiel ihn. Er hatte nichts tun können. Nichts. Dann kam ihm eine andere Überlegung. Was, wenn er etwas Furchtbares getan hatte? Was, wenn die anderen beiden ihm das verschwiegen? Nein. Er schüttelte den Kopf. Hiroo und Gwen waren zu direkt und ehrlich, als dass sie ihm nichts gesagt hätten. Oder? Zweifel umsponnen ihn und das perfide Gefühl der Panik schnürte ihm die Luft ab. Jay fluchte erneut. Das würde er nicht mehr lange aushalten. Aber was sollte er schon machen?

Kaum hatte er das zu Ende gedacht, traf ihn der Geistesblitz. Er drehte seinen Kopf zur Seite. Hiroo lehnte friedlich schlummernd – was hatte sie doch für ein Glück – in ihrem Sitz, die Earbuds in den Ohren. Jay zögerte kurz. Dann beugte er sich vor, griff nach den Earbuds und zog sie vorsichtig weg. Hiroo rührte sich nicht. Jay atmete erleichtert aus und stöpselte sie sich selbst ins Ohr. Nichts. Sie waren tatsächlich noch aus. Jay betrachtete die winzigen Geräte genauer, fand nach ein wenig Herumprobieren die Einschaltefunktion und setzte die nun performenden Ohrhöhrer ein. Er konnte zwar immer noch nicht verstehen, warum Hiroo das genießen konnte. Doch wie schon vorher im Club, halfen sie wenigstens, die düsteren Gedanken und Gefühle zu vertreiben. Und das war immerhin etwas. Der junge Mann seufzte auf, lehnte sich zurück und starrte wieder ins Leere, während die Musik durch seinen Kopf tanzte. Irgendwann bemerkte er am Rande, dass das Flugzeug zum Landen ansetzte, fischte die Earbuds aus seinen Ohren, schaltete sie aus und versuchte sie Hiroo wieder einzusetzen – hoffend, dass sie nichts bemerkt hatte.

Nachdem sie in das Flugzeug gestiegen waren, war es ihr leider nicht vergönnt Gwen als persönliches Kissen auszunutzen. So setzte sich Hiroo neben Jay, der sich jedoch nur schlaflos hin- und herdrehte. Die lange Fahrt durch die schneebedeckte Nacht hatte einiges von ihm abverlangt. Er schien starkem Stress ausgesetzt zu sein. Aber so war er oder vielmehr seine Esper eben. Hätte sie ihm ihre Schulter zum anlehnen anbieten sollen? Sie steckte sich ihre Earbuds in die Ohren, ließ sie jedoch ausgeschaltet um Jay in seiner Anspannung nicht weiter unter Strom zu setzen. "What can I do...?", dachte sie sich noch, während sie immer schläfriger wurde und ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Trotz ihrer Gedanken um Jay schlief sie bei der einsetzenden Vibration des abhebeneden Flugzeuges ein. Diesmal war ihr Schlaf fester, ihr Traum tiefer als zuvor. So kam sie zuerst nur langsam aus ihrem Schlaf heraus, als etwas an ihren Ohren herumspielte. War es schon wieder Sommer? Irgendeine Mücke oder eine anderes Insekt, das ihr in ihrem hitzigen Schlaf den letzten Nerv rauben wollte? 'No fucking way, you scum', und sie schlug in die Richtung in der sie das herumfliegende Insekt vermutete. Ihr flache Hand landete auf etwas größerem als einer Fliege und ein lautes Klatschen weckte sie auf.

Das hatte Jay nicht kommen sehen. Hiroos unbeabsichtigte Backpfeife erwischte ihn kalt und für einen Moment wusste er nicht, wie ihm geschah. Im nächsten folgte seine natürliche Reaktion: "Ah, Verdammt!" Das Nachbeben des Schlags kroch als unangenehmes Prickeln durch seine Wange.

Sie hörte eine ihr bekannte Stimme und öffnete ihre verträumten Augen. Ihr Blick folgte dem ausgestrecktem Arm der unter ihrer Jacke herausragte. Ihre Hand klebte noch halb an der Wange von Jay. Seine Hand hing wiederum in ihrem Haar. Sie blickte ihm peinlich berührt in die Augen. Einen Moment später fasste sie sich wieder. Sie zog ihre Hand zurück und zog ihr Gesicht von seiner weg. "Why you touching me?"

Durch ein klatschendes Geräusch wurde ich wach. Jay hockte über Hiroo, die sah verschlafen und zerstrubbelt aus. Und ich, ja, ich war einfach verwirrt. Hatte ich doch gerade noch von einer Welt geträumt, in der die Menschen am Grunde eines Brunnens lebten. Und jetzt waren beide so merkwürdig ineinander verknautscht. Jay hatte mich vorhin ins Flugzeug getragen, nachdem ich ausgiebig mit Hiroo geschmust hatte. Sie war warm, roch nach zuhause und bei ihr fühlte ich mich sicher. Sie würde alles anzünden, was gefährlich war. Und Jay - der war wahnsinnig stark und fast wie ein großer Bruder für mich, nur leider nicht so kuschelig.

Ob ihm das Flugzeug gut tat? Was Jackson nach diesem Ausflug sagen würde? "Hey, ihr.", murmelte ich mehr als das ich es sagte, gähnte und streckte mich. "Was macht ihr denn da seltsames?" 

Jay erwiderte den verblüfften Blick von Hiroo, die offenbar erst jetzt so richtig vom Schlaf in die Realität zurückkehrte. Ihr verschlafener Blick klärte sich und sie fand als erste ihre Sprache wieder. Jay verschlug es eben jene. Er war ein wenig perplex und gleichzeitig war ihm die Szene ziemlich unangenehm. "What? You ...? Oh crap. I -" Er unterbrach sich, suchte nach einer guten Ausrede, fand keine und entschied sich für Ehrlichkeit: "I borrowed your earbuds, because I'm a jerk. Sorry."

Sie fasste an ihr rechtes Ohr und tatsächlich, sie fand einen ihrer Earbuds. Ihr linker Earbud fehlte, sie blickte sich kurz in Richtung des Bodens um ohne erneut den Blick mit dem von Jay zu kreuzen und sah ihn in der Hand von Jay. Er reichte ihn ihr hin. In einer seichten Bewegung schnappte sie ihn sich und stand auf. Das Flugzeug war gerade im Landeanflug. "Don't mention it.", erklang es nur beiläufig aus ihrem Mund und sie drehte sich zu Gwen. "You're awake, little one. We're... doing nothing." Sie kniete sich zu ihr herunter um das Thema zu wechseln. "How you feeling?"

"Nichts für ungut, Turteltäubchen, aber schafft ihr es, noch ein paar Minuten die Finger voneinander zu lassen?" Jackson sah zehn Jahre älter und sogar für ihre Umstände lädiert aus, aber auch in diesem Zustand wirkte wohl ihre Agentenausbildung. Sie schaute vielleicht schon seit einigen Sekunden aus der Tür zum Cockpit und beobachtete, was da vor sich ging - mit zerknautschten Klamotten, zerstaustem Haar und dunklen Ringen unter den Augen wirkte die Teamleitung womöglich noch gefährlicher, und ihre Stimme klang trotz aller Müdigkeit drohend genug. Der Tonfall änderte sich ein wenig, als sie fortfuhr. „Wir sind schon über dem UnEsCo Sperrgebiet und gehen gleich in die Landung. Schnallt euch an und so weiter. Damit meine ich auch dich, Hiroo!“

Jay hätte beinahe seine Fassung wiedererlangt, wenn da nicht Gwen und Jackson gewesen wären. Die Frage des kleinen Mädchens ließ ihn abrupt innehalten. Was hatte sie mitbekommen? Und was zur Hölle dachte sie da gerade? Für einen kurzen Moment war er erleichtert, als Hiroo sich der Sache annahm. Doch dann schaltete sich Jackson ein. Jay fuhr herum. Normalerweise hätte er auf so eine Bemerkung einen pampigen Kommentar folgen lassen. Schließlich hätte es ihn ziemlich genervt, so dargestellt zu werden, als ob er mit jemandem anbandelte. Doch als Jay den Blick seiner Vorgesetzten sah, gefror er innerlich. Es war einer dieser Momente, in denen er etwas an Jackson wahrnahm, was nur unterschwellig rüberkam und ihm Angst machte. Er riss seinen Blick von Jackson los und starrte zu Boden. Dann realisierte er, dass er sich noch nicht angeschnallt hatte und tat das. "You got to be kidding me", flüsterte er immer wieder leise vor sich hin.

Hiroo hielt Gwens Hand und setzte sich neben sie. Sie wartete noch eine Antwort auf ihre Frage ab, doch nach der Ansprache von Jackson hatte es Gwen die Sprache wohl verschlagen. "Always the same with her... Don't worry about it too much, Gwen." Sie legte einen Arm beruhigend um sie, während das Flugzeug seine Nase nach unten neigte, nach kurzer Zeit die Landebahn entlangrollte und schließlich an einem der Hangar zum Stehen kam.

Unten angekommen fiel die Besprechung überraschend kurz aus. Bis auf die zum Nachmittag angeordnete Sondersitzung auf der Krankenstation, wurde die Gruppe zügig entlassen. Hiroo atmete die kühle Luft ein. Bis auf den rauschenden Wind war es nach den letzten verabschiedenden Worten von Jackson zwischen den drei Schülern recht still geworden. Für Jay war dies nichts aussergewöhnliches, doch selbst Gwen verhielt sich überraschend ruhig. Der Schlaf, den sie in den Flugzeugsitzen nachgeholt hatten, war wohl nicht genug gewesen und Hiroo sehnte sich nach der weichen Decke in ihrem Bett. Ein weißes Wölkchen entkam ihrem Atem. So trotteten sie den Weg zur Administration gemeinsam zurück.

 

No Jacking Around

Es war bereits eine Woche vergangen, als unsere Helden in ihren Wochenplänen einen Jackson-Termin vorfanden. Irgendwie war das ein ebenso überraschendes wie erwartbares Ereignis, und die "Ereignisse in New York" schienen zur gleichen Zeit taufrisch und ewig zurückzuliegen. Womöglich präferierten nicht alle Betroffenen es, sich an alle Einzelheiten zu erinnern, aber nun würden gewisse Flashbacks unumgänglich sein. Die Nachbesprechung sollte noch vor dem offiziellen Ende der Mittagspause enden.

Der Schnee verschluckte Jays Schritte. Er lief ziemlich zügig über den Campus, denn laut Plan besaß das Treffen mit Jackson strikte Zeitvorgaben. Das, sowie die Tatsache, dass es eine Besprechung geben würde, hatte ihn nicht sonderlich überrascht. Jay hatte sich nur gewundert, dass sie noch nicht eher ins Büro ihrer Chefin zitiert worden waren. Aber vielleicht war sie zu sehr mit den Folgen ihres letzten Ausflugs gewesen, als sich um ihre Einsatztruppe zu kümmern. Alle akut notwendigen Dinge konnten ja ohnehin delegiert werden. Jordan hatte Jay bereits eingeweiht, dass auch nach dieser Mission Änderungen im Trainingsplan anstanden. Details hatte er ihm noch nicht nennen können, aber das würde Jackson sicher bald verlauten lassen. Einerseits war Jay erpicht auf die bevorstehende Sitzung - vor allem, weil er diesen To-Do-Punkt dann abgehakt hätte - und gleichzeitig wäre er am liebsten wieder umgekehrt. Sich in Jacksons Nähe aufzuhalten jagte ihm meistens einen kalten Schauer über den Rücken. Er hätte es - wenn überhaupt - nur ungern zugegeben, doch diese Frau machte ihm Angst. Und dummerweise war sie sein Boss. Natürlich war er zu früh, wenn auch nur ein bisschen. Jay stieß die Türen zu dem Gebäudekomplex auf, in dem sich Jacksons Büro befand. Warme, etwas stickige Luft wehte ihm entgegen und vertrieb die schneidende Kälte. Er durchquerte das Gebäude und fand den Wartebereich leer vor. Also entledigte der junge Esper sich seiner Winterjacke und ließ sich auf einen der Stühle sinken.

Ein schwarzer Schatten flog gemütlich über das Campusgelände. Devy war so nett gewesen und hatte die Haushaltsaufgaben ohne größeres Murren übernommenen. Seit den Ereignissen zu Weihnachten kamen die beiden etwas besser miteinander klar. Hiroo lächelte gedankenverloren in sich hinein und kam schließlich am Administrationsgebäude an. Seit der kurzen Session auf der Krankenstation hatte sie die anderen nicht mehr gesehen. Sie selbst hatte nur einen kurzen Check ertragen müssen, über den Status der anderen war sie weitestgehend im Unklaren. Jackson hatte sich auch nicht mehr blicken lassen. "Let's get this over with." Sie durchschritt die Eingangshalle zu Jacksons Büro.

Es war immer noch kalt. Ich hatte langsam die Nase voll davon mich immer so einhüllen zu müssen, auch wenn ich zugeben musste, dass ich den Schnee manchmal nutzte um kleine Visionen zu erzeugen von dem, was ich zum Abendessen kriegen würde oder ob mir meine neue Freundin im Wohnheim wieder nachts auflauern würde, damit wir zusammen lernen konnten. Sie las mir vor, ich erklärte und manchmal spielten wir dann lustige Streiche. Briannas Esperauslöser war das Feuer. Feuer und Wasser steckten sie nicht zusammen, also mussten wir unsere Treffen heimlich organisieren, auch wenn wir jedes Mal damit rechnen mussten... Okay, nein, ich muss ja nicht lügen. Ich würde sehen wenn sie uns erwischen würden. Also: Danke, Schnee!

Als mir meine Betreuerin Hannah heute morgen verkündete, dass ich zu Jackson musste, zur Nachbesprechung, war die Angst groß. Was würde sie sagen? Hatte sie sich erholt? Wie ging es den anderen?
Widerwillig ließ ich mir beim Anziehen helfen und stapfte hinaus in den Schnee. Über die Finger ließ ich mir kleine Bilder zeigen, wo ich mich befand. Ja, Jamey wollte dass ich das anders löse, aber er würde es nicht erfahren. Das hatte ich kontrolliert.
Als ich am Gebäude angekommen war, machte ich die Tür auf und kniete mich hin. Mit den Händen auf dem Boden nahm ich die Umgebung besser war, ermittelte Jay. Freude durchströmte mich und ich krabbelte los, kurz vor dem Flur in dem er auf einem Stuhl saß richtete ich mich auf, trat um die Ecke und rief: "Hallo Jay!" Ich lächelte breit.

Jays Gesicht hellte sich tatsächlich auf, als er das kleine Mädchen entdeckte.
"Hi Gwen", antwortete er auf die Begrüßung. "Wie gehts-"

Diesen Moment, in dem auch Hiroo sich zu den anderen gesellte, schien Jackson gerochen zu haben. Sie öffnete  - per Schalter - die Tür und gab damit den offensichtlichen Startschuss zur Nachbesprechungssitzung.

Im Büro der Ausbildungsbeauftragten hatte sich im Vergleich zum letzten Mal bemerkenswert wenig bis gar nichts verändert. Es wirkte immer noch kühl, diskret und wie aus einer anderen Epoche, was genauso auch über Jackson zu sagen war. Auf den ersten Blick - vielleicht hatte ihr Deckmantel der Unerschütterlichkeit dieses Mal einen nachhaltigen Riss davongetragen. Wie das letzte Mal saß die Frau, auf ihren Bildschirm starrend, da, und nahm von den Eintretenden nicht offiziell Notiz. Die wussten ja auch, wo sie sich zu platzieren hatten: Auf drei Stühlen vor dem riesigen Schreibtisch, an dem täglich über Lebensveränderndes entschieden wurde. In dieser Haltung tippte sich Jackson immer noch auf ihrer Tastatur herum; so, als hätten nicht vor Kurzem die gerade Erschienenen ihr Schicksal bestimmt. Dann schloss sich, ohne, dass man den dafür angewandten Handgriff hätte nachvollziehen können, die Tür hinter Jay, Gwen und Hiroo. Jackson nahm ihre Besucherschaft in den Blick. "Die Ergebnisse der Krankenstation sehen bis jetzt solide aus- 'keine bleibenden ... Schäden'." Eventuell hatte sie beim Vorlesen, zu dem sie zurück auf ihren Bildschirm starrte, das Wort "körperlichen" ausgelassen. "Das ist schon ein beachtliches Ergebnis, im Zusammenhang mit den Vorkommnissen. Gutes Training und ein herausragender Kampfgeist, das ist, was man diagnostizieren kann." verpackte die Einsatzleiterin eine Untertreibung der Gefahren-Ausmaße in ein vages Lob. Niemand hatte Zeit, auf diesen Gesprächseinstieg zu reagieren, da Jackson sofort fortfuhr. "Trotz der vielleicht - ungewöhnlich scheinenden - Ereignisse ist es notwendig, sich an Protokolle zu halten. Nun, jedenfalls in einem gewissen Rahmen, der ebenfalls klar abgesteckt ist." Mit dem Ende dieses Satzes fixierte Jackson ihre Zuhörer wieder, schaffte es jedoch, für einige weitere Sätze den relativ monotonen, nah an der Cuecard vortragenden Tonfall beizubehalten. "Ich hab mich entschlossen, aufgrund der Umstände einige übliche Förmlichkeiten aufzuweichen und mich ganz persönlich der Bearbeitung eurer Erfahrungen anzunehmen. Das soll einen ehrlichen Austausch bedeuten; vertraulich in beiden Bedeutungen, also unter anderem außerhalb der Bücher. Fragen dürfen gestellt werden. Ich fange an: Wie geht ihr mit den jüngsten Ereignissen um?" Erst hier schien Jackson ins spontane Formulieren hineinzugleiten, kurz bevor sie das Wort an ihre "Gäste" abgab.

Die Tür hatte sich noch geöffnet, bevor sie ein Wort mit den anderen hätte wechseln können. "Better fast, than to last." und hatte wie die anderen den Büroraum von Jackson betreten. Sie würde schon noch Zeit haben sich bei Gwen und Jay nach deren Genesungsgrad im Detail zu erkundigen. Jetzt wollte erst einmal Jackson behelligt werden. Mit diesen Gedanken saß sie mit ihren Beinen überschlagen und nach hinten gelehnt auf ihrem Stuhl zu Jays Rechten. Ihre neue schwarze Jacke hing an den Seiten der Lehne herab, knapp über dem Boden. Teils hatte sie diese auch schon umgeschneidert um das Aussehen ihrer alten in gewisser Art zu imitieren ohne allzu gleich zu wirken. Hier und da hatte sie ein paar neue Accessoires angenäht. Ansonsten saß sie ruhig und schaute Jackson direkt an, während diese ihren Monolog abhielt. Sie wollte sich zurück nehmen um ihre Begegnung so kurz wie möglich zu halten. "Umm, I feel pretty good. Thanks for asking.", beantwortete sie mit klaren Worten die im Raum stehende Frage von Jackson und schaute nach links zu Gwen und Jay.

Jay nahm wahr, dass Hiroo ihren Kopf in seine Richtung drehte, sah aber weiter geradeaus. Sein Blick war auf Jackson gerichtet. Sie war ja schon bei dem letzten Termin ungewöhnlich "nett" gewesen. Doch die Art von Gespräch hatte Jay nicht erwartet. Er war nicht darauf vorbereitet. In seiner Vorstellung hatte Jackson stoisch und in der gewohnt rational-sachlichen Art die Mission ausgewertet und damit einhergehende Konsequenzen erläutert. Ein Austausch auf diesem Level - das überforderte den jungen Mann. So steckte in seinen Worten anfangs zumindest eine gewisse Ehrlichkeit:
"Ich äh.. Keine Ahnung. Ich hab ehrlich gesagt nicht viel drüber nachgedacht." Das war der Lückenfüller, der ihm ein wenig Zeit verschaffte und ihm half, sich zu sortieren. Für einen kurzen Augenblick war Jay geistig wieder im Hostel.
"Eigentlich war es halt ziemlich.. nervig und anstrengend. Aber ich durfte mich ja ausruhen." Er zuckte mit den Schultern.
"Naja.. Und den .. spannendsten Teil hab ich ja anscheinend eh verpasst." Erst jetzt drehte er den Kopf und erwiderte Hiroos Blick. Vielleicht wich er aber auch nur dem von Jackson aus.

"Gut, ich denke, ich komme gut zurecht.", antwortete ich nachdenklich. "Es... Also es war aufregend und spannend und neu... Und ich war so stark und konzentriert..." Ich atmete aufgeregt, als ich mich daran erinnerte welches heiße Gefühl mich durchströmte als ich dem Typ den Arm abhakte. Ich hatte mich gut dabei gefühlt, das erste Mal mächtig und unsagbar gefährlich. Hätte ich Ausdruck in den Augen gehabt, so würden sie jetzt blitzen.
"Ich hatte keine Angst.", sagte ich mit fester Stimme. "Erst... Erst als Sie auch weg waren. Als diese Frau gesungen hat."
Kalte Schauer liefen mir über den Rücken.

Diesen geordneten und relativ schnell ablaufenden Gesprächsbeiträgen hatte Jackson aufmerksam gelauscht. Diesmal machte sie sich keine Notizen und war daher nur damit beschäftigt, den jeweils Sprechenden konzentriert anzuschauen. Was die Trainingsleitung dabei dachte, zeichnete sich nur auf eine Art auf ihrem Gesicht ab, die einiges an Interpretation bedurfte. War das wirklich Überraschung, die sich hinter den immer wieder gehobenen Augenbrauen verbarg? Wenn ja, dann hatte Jackson den überwiegend positiven Nachklang des letzten Abenteuers nicht erwartet. Bei Hiroo war der Gesichtsausdruck binnen Minisekunden wieder zu gewohnter Verschlossenheit zurückgekehrt, bei Jay dauerte der erstaunte Blick länger an und wurde spätestens von einigen schnellen Augenblinzeln abgelöst, als er einen "spannendsten Teil" erwähnte. Gwens Beitrag begleitete Jackson mit einer ungleichmäßig gefurchten Stirn, die sie natürlich ihren auffälligen Narben verdankte, die aber zusätzlich als ein Symptom von Verblüffung gelesen werden konnte. Dieser Ausdruck blieb wie versteinert, als die Rede auf die singende Frau kam. Tatsächlich schien die Einsatzleiterin an dieser Stelle nach Worten zu suchen, denn es entstand eine kleine Lücke. "Ja, das war besorgniserregend." schloss sie sie schließlich ab. "Sowas kommt vor in dem Arbeitsfeld. Man kann nicht sagen, dass es für jeden ist. Im Gegenteil, viel eher." Jackson atmete kurz hörbar ein und fuhr fort: "Es ist jetzt soweit überstanden. Wenn trotzdem noch Angstmomente zu diesem Ereignis auftreten - ihr wisst, UnEsCo kümmert sich darum. Hier kann euch niemand etwas tun. Das Zentrum ist der sicherste Ort auf der Welt für Esper." Der letzte Satz entsprach einem der obskureren Organisations-Slogans und wurde in einem der Hauptgebäude alle fünf Minuten auf einem der Informationsmonitore angezeigt. [hier evtl. Reaktion einfügen, oder auch nicht]. Jackson benötigte wieder einen Moment, um zu einem Gedankenfaden zurückzukehren, zu dem in ihrem Gehirn eventuell kein vorgefertigtes Script vorlag. "Ich denke, es sollte gesagt werden, dass ihr zur Sicherheit vieler Personen immens beigetragen habt beim letzten Einsatz. Und es geht sogar um mehr." fügte sie hinzu, vielleicht etwas vorschnell, weil sie sich wieder Zeit zu einem kurzen Nachdenken gab. "Nun, das kommt in einigen Monaten auf uns zu. Nach wie vor seid ihr für das...sagen wir, Ereignis, eingeplant und solltet darauf vorbereitet sein. Entsprechendes Training is bereits anberaumt. Natürlich wird das jetzt als gemeinsames Gruppentraining zwischen euch Dreien stattfinden. Zunächst ein Mal wöchentlich, dann aufgestockt. Sobald das richtige Personal dazu eingetroffen ist." reihte Jackson Andeutung an Andeutung.

Hiroo hatte den Blick mit Jay kurz gehalten und schaute nach Gwens Ausführung auf Jackson. Die Gefühle die ihr bei den Worten der beiden Mitschüler durch den Kopf gingen unterdrückte sie. Ohne ein Zucken ihrer Miene hatte sie den beiden zugehört, bis Gwen in zitternder Stimme das Wort weiter an Jackson gegeben hatte. 'Fuck it.' Sie hatte ihre aufgesetzte Art langsam satt. Nicht nur die von Jackson. Ständig hatte sich Hiroo verstellen müssen um ihre Privilegien behalten zu dürfen, die ihre zuerst genommen wurden und dann in Kleinstarbeit zugesprochen wurden. Sie hatte diese auswendig gelernten Parolen ihrer unfreiwilligen Vorgesetzten satt. "Nice to hear the UnEsCo wants to protect us... well after the last incident I'ld like to handle that on my own. You may not like my proposition, but I want to make one thing clear: I want my swords back." Sie blickte Jackson direkt an. "No offense."

"No offense taken" fiel Jackson der Rekrutin fast ins Wort. Vielleicht war sie auf diese Art Gespräch diesmal sogar besser vorbereitet. "Ohne die Organisation sähe es für über hundert Zivilisten gerade ganz anders aus und im Endeffekt auch für jeden von uns. UnEsCo, das sollte man nicht vergessen, macht diese Einsätze möglich und sichert die Beteiligten rechtlich ab. Es gibt eben Gesetze. Auch die UnEsCo kann keine Rächer auf eigene Faust dulden und keine schwertfuchtelnden Teenager" Das alles, bis vielleicht auf die letzten Worte, waren weniger emotional als mit einem sachlichen Eifer gesprochen worden. Jackson fuhr fort, als sie einem immer noch unbefriedigten Gesichtsausdruck begegnete. "Also, sollte die Basis demnächst von einer Bande esperbegabter Banditen überfallen werden - und sollten wider aller Logik sämtliche UnEsCo-Sicherheitsmaßnahmen versagen, komme ich als Erstes auf dich zurück, wenn dich das tröstet." Hier vermied Jackson einen allzu böswillig-sarkastischen Tonfall und klang fast mitleidig ernst. Im nächsten Satz kam dennoch eine Drohung durch. "Wenn allerdings in der Zwischenzeit irgendwo auf dem Gelände ein Feuerchen oder dergleichen entdeckt wird, werde ich ebenfalls an dich denken. No offense." Offensichtlich mit der Intention, das Thema fürs erste zu beenden, wandte die Leiterin des Trainingszentrums sich Jay zu. "Bei dir neue Vorschläge?"

"Offense taken", zischte es unmerklich aus Hiroos zusammengepressten Lippen heraus. Eine derartige Reaktion von Jackson hatte sie eigentlich schon erwartet. Dennoch fühlte sie sich wieder einmal wie vor eine Wand gefahren.

Jackson hatte zuerst still zugehört und die Aussagen der jungen Esper nur durch ihre Mimik kommentiert. Danach kehrte sie allerdings wieder ein wenig zu ihrer typischen Förmlichkeit zurück. Jay fühlte sich durch den Unesco-Slogan nicht großartig versichert, behielt aber eine möglichst ausdruckslose Miene bei. Er war es gewöhnt, dass einige Unesco-Funktionäre gern mit solchen Parolen um sich ballerten, auch wenn das meistens ziemlich abgedroschen war. Immerhin kehrte damit die Jackson zurück, die er ein bisschen besser einschätzen konnte. Ihre Andeutungen waren leider nur sehr vage und Jay fragte sich so langsam, warum sie immer nur diese kleinen Informationsbrocken bekamen. Klar, es gab Dinge, die sie eben mit ihrem Status nicht wissen durften. Doch diese Teaser hatte er langsam satt. Wenn sie in eine Sache involviert waren, brauchten sie Informationen. Das hatte die letzte Mission ja eigentlich auch gezeigt. Doch dann schaltete sich erstmal Hiroo ein und die Unterhaltung nahm eine besorgniserregende Wende. Jays Blick huschte zwischen den beiden Grimassen der Ladies hin und her. Er musste was tun, sonst würde diese Besprechung böse enden. Also entschied er sich dazu, das Thema zu wechseln.

"Ja also. Ich hätte eher Fragen. Ich hab von einem Teil der Mission ja überhaupt nichts mitbekommen. Was ist denn jetzt eigentlich mit diesen Sirenenespern? Und was meinen Sie jetzt genau mit der nächsten Mission? Ich weiß, wir sollen manche Informationen nicht bekommen, aber wir brauchen auch welche, sonst sind wir im Einsatz nicht effektiv oder gefährden alles." Er hoffte inständig, dass er sich damit nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt und seine ohnehin angesäuerte Chefin nicht auf die Palme gebracht hatte. Aber die Tatsachen standen halt so.

Jackson nickte und atmete hörbar ein- und aus, während sie sich auf ihrem Computer irgendwohin manövrierte. Das dauerte nur ein paar Sekunden, und ihr Verhalten gab den Anschein, als habe sie die Fragen erwartet sowie Antworten vorbereitet, aber gehofft, um beide herumzukommen. "Also, was mit Georg Tripkovich passiert ist, müssten die meisten von euch mitbekommen haben." murmelte die Einsatzleiterin. "Er wird nie mehr den "Pied Piper von Hamelin" spielen. Seine Frau, Selma, ist in UnEsCo-Gewahrsam unter höchster Sicherheitsstufe, ihren Fähigkeiten angepasst." Jacksons Blick hatte sich wieder vom Bildschirm abgewendet und traf an dieser Stelle nicht rein zufällig Hiroos. "Es sieht jedoch...interessant aus." fuhr die vernarbte Frau dann fort, als wäre nichts gewesen. "Die UnEsCo vergibt verdammt viele zweite und dritte Chancen. Man könnte behaupten: ein paar zu viel. Quellen, und ich rede von streng vertraulichen Quellen, flüstern schon, dass die Symptome der Dauer-Hirnwäsche, der sich Frau Tripkovich unterzogen lassen hat, bereits am abflauen sind. Seit sie aufgewacht ist, hat sie Gedächtnislücken, scheint sich an die letzte psychotische Phase kaum zu erinnern. Und vor allem weiß sie inzwischen, dass ihr Sohn nicht wirklich tot ist. Menschenopfer zu seiner Wiederauferweckung stehen nun wohl nicht ganz oben auf ihrer To-do-Liste."  Anscheinend spürte Jackson, dass sie soeben eine Neuigkeit preisgegeben hatte, die diesen Namen wirklich verdiente. Sie schaute ihre Zuhörerschaft prüfend an "Also gut, das habt ihr nicht mitbekommen. Wie ich sehe, wollt ihr es aber genau wissen. Simon Tripkovich wurde seinen Eltern entzogen, weil diese offensichtlich, und das dürfte keine Überraschung auslösen, nicht den höchsten Eignungsgrad für die Erziehung eines Kindes vorweisen konnten. Es war ein monatelanger Kampf, an dem unter anderem meine Person beteiligt war, Georg und Selma zu...überzeugen. Um noch weiter in den Bereich absoluter Diskretion zu rücken: Die beiden waren auch zu dem Zeitpunkt nicht als reine Lämmer bekannt und die Organisation konnte entsprechenden Druck aufbauen." Jackson lächelte leicht süffisant, als erinnere sie sich an amüsante Details dieser Geschichte, aber auch das konnte nur Teil einer Maske sein, die sie sich aufsetzte. Im nächsten Moment war nichts davon zu sehen und sie fuhr, in deutlich ernstem Ton, fort: "Trotzdem, und gerade deshalb, waren die Ereignisse von New York nicht zu antizipieren. So viel muss wohl gesagt werden, auch, wenn die Überlegungen dazu noch auf höchst unsicherem Grund stehen. Die Tripkovichs standen natürlich unter UnEsCo-Beobachtung und immer wieder im Kontakt mit der Organisation. Die Akten geben nicht unbedingt äußerste geistige Klarheit während dieser Phase wieder, aber das ist leicht auf die Medikation zurückzuführen, mit der die beiden auf freiwilliger Basis ihre Kräfte unterdrückten. Von da an gibt es mehrere Theorien." Die Leiterin des Trainingszentrums scrollte eine Weile und schüttelte ein paar Mal den Kopf. "Desto weniger Stümper man in diese Diskussion verzettelt, desto besser. Es gibt jedenfalls keine logische Möglichkeit, die ohne einen äußeren Einfluss auf den Sinneswandel der Sirenen auskommt. Sprich: Irgendjemand muss die beiden in einen Zustand versetzt haben, in dem sie die Trennung von ihrem Sohn noch nicht verarbeitet hatten. Dann ist, durch ihr angesammeltes Dossier an Vergehen, den Fakt, dass sie die Medikation abgesetzt hatten und den gegenseitigen Einfluss der beiden aufeinander eine Kettenreaktion mit den Ergebnissen, die wir gesehen haben, im Nachhinein leicht zu erklären."

Hiroo hörte widerwillig aber dennoch gespannt zu, während Jackson Mal mehr Mal weniger schwammig gehaltene Informationen zu ihrem letzten Auftrag auspackte. Trotz der Sticheleien versuchte sie einen kühlen Kopf zu bewahren und die gerade ertragene Schmach ohne Zucken wegzustecken. Jacksons geschultem Auge war es jedoch ein leichtes die Unmut, die sich in Hiroos Gesicht abzeichnete, mit Verachtung zu strafen. "Wait a second, you lost me somewhere..." Die Informationen kamen alle zu schnell. "This Georg guy... is he really dead?" Sie hatte nur kurz seinen Puls gefühlt, bevor sie geflüchtet waren. "And what about their son? Are his esper powers the same? Or could he still have some connection with them through whatever powers he has?"

"Ihr habt Herrn Tripkovich ja nicht mit Samthandschuhen angefasst." merkte Jackson an. Sie schüttelte tadelnd, das jedoch mit einer gewissen Ironie, den Kopf. "Den Bildern aus der Leichenhalle zufolge. Vielleicht hätte er es überlebt, wenn ihm nicht eine - seit wenigstens Wochen anhaltende - manische Psychose schon ordentlich zugesetzt hätte. So gesehen seid ihr ganz und gar nicht allein für seinen Abgang verantwortlich zu machen." bemerkte sie auch. "Manche tröstet das. Was Simon angeht; offensichtlich fehlte den Eltern der Kontakt zu ihm. Es wurde einiges an Arbeit geleistet, um sie auf Abstand zu halten. Und ja, bei zwei esperbegabten Elternteilen ist es wahrscheinlich, dass ein Kind irgendeine Form von Anomalie entwickelt. Meist ist das eine, die irgendwie mit den Fähigkeiten wenigstens eines seiner genetischen Erzeuger in Beziehung gesetzt werden kann. Das bedeutet zum Beispiel, dass zwei Sirenen nur unwahrscheinlicher Weise einen Langstreckentelepathen in die Welt setzen." Jackson scrollte wieder auf ihrem Bildschirm rum. "Aber wo du es sagst, das klingt nach einer weiteren denkbaren Theorie für mein Denkerteam. Fernsteuerung durch Sohn. Das wird ihnen gefallen." Tatsächlich tippte die Trainingsleitung irgendetwas in ihre Tastatur und genehmigte sich ein verschmitztes, aber auch etwas müde wirkendes Lächeln. "Gut, wenn wir das geklärt haben. Was genau wüsstet ihr gerne über euren nächsten Einsatz?"

Jay war überrascht. Dass Jackson begann, so viel und so detailliert Informationen preiszugeben, hatte er eigentlich nicht erwartet. Dementsprechend aufmerksam hörte er seiner Chefin zu und versuchte, während ihres Monologs dieses neue Wissen in seine (leider lückenhafte) Konstruktion der Ereignisse einzubauen. Je mehr Jackson jedoch erzählte, desto mehr entglitten ihm die Gesichtszüge. Der ganze Einsatz war auf gewisse Weise absurd gewesen, aber die Neuigkeiten seiner Trainingsleiterin toppten das noch. Der junge Mann blieb eine Weile stumm sitzen, mit großen Augen, und versuchte das eben gehörte zu verarbeiten. Unbekannte, die das Duo manipuliert hatten ... ein totgeglaubter Sohn, für den Menschenopfer dargebracht - waren sie die - vermutlich ... Medikamente .. Psychose ... Unesco-Gewahrsam und:

"Ihr habt was?", entfuhr es Jay. Sein Blick schwenkte zu den beiden Mädchen neben ihm. Seine Entgeisterung sah man ihm deutlich an. Klar, er wusste, was für gewaltige Kräfte in seinen zwei Teamkolleginnen schlummerten. Aber das - das schockierte ihn jetzt doch.

Jackson schien das Thema damit abgehakt zu haben. Jay war gedanklich zwar noch nicht so sortiert, aber die Frage seiner Vorgesetzten war wichtig genug, um nicht übergangen zu werden. Je mehr sie wussten, desto besser. Das gab ihm zumindest die Hoffnung, einige Faktoren für den Einsatz besser unter Kontrolle zu haben. "Naja, je mehr, desto besser. Erstmal vielleicht: Wo, mit wem und welche Details kennen Sie schon? Ich nehme mal an, dass sie die Informationen dazu aus einer Vision von Gwen haben?" Kurz kam ihm auch der Gedanke, ob auch diese Mission wieder mit diesen geheimnisvollen Dritten zu tun hatte. Er ging davon aus, dass ihre bisherigen Missionen einen gemeinsamen Hintergrund hatten. Andererseits war Jackson - oder einer ihrer Untergebenen - vermutlich schon selbst drauf gekommen. Und irgendwie wollte Jay nicht danach fragen. Der Gedanke daran ließ ihn leicht unruhig werden.

Jays offensichtliches Entsetzen und seine Verwirrung machten auf Jackson keinen Eindruck. Vielleicht beruhigte diese Reaktion sie sogar. Die Frau hörte ihm bereitwillig zu und nickte schließlich bestätigend, bevor sie nach einem Denkmoment zur Antwort ansetzte: "Natürlich stehen mir mehrere Quellen zu Verfügung, die mich veranlassen, einer von Gwendolyns Visionen besonderes Gewicht zu geben. Unter den im Moment gegebenen Umständen wäre es nicht angemessen, die Bilder, die uns mitgeteilt wurden, noch einmal wachwerden zu lassen." Jackson warf einen beinahe besorgt wirkenden Blick auf das Mädchen, das seit geraumer Zeit kein Wort mehr von sich gegeben hatte. "Ich denke, dass ihr alle noch einiges zu verarbeiten habt, bevor wir daran gehen können, die nächste Katastrophe zu verhindern. Dafür bleiben euch sechs bis acht Monate, da weitere Zwischenfälle für euch nicht angedacht sind. Die Vorbereitungszeit gilt genauso auch für die anderen Beteiligten, von denen es diesmal recht viele geben wird. Ihr werdet einige schon im Voraus kennenlernen - ich hoffe, nicht früher als absolut notwendig." Jackson unterbrach ihren Sprachfluss, um auffällig Luft zu holen. "Spätestens jedoch, wenn wir vor Ort sind. Das soll zunächst für euch heißen: Nicht auf diesem Kontinent, in keiner vergleichbaren Klimazone, und wenigstens eine Woche vor dem...Event...dem eigentlichen Teil des Einsatzes." Auch an dieser Stelle benötigte die Einsatzleiterin eine überdurchschnittliche Menge Sauerstoff. "Das wäre, was ich euch mitteilen kann." beendete sie die Ansprache und schaute auf ihre Armbanduhr.

'6 months... trapped in here. My thoughts're going hazy just reminiscing about the past.' Dieser eine Gedanke kreiste neben den vielen anderen Informationen die Jackson fast Stichpunkt-artig abgelesen hatte durch Hiroos Synapsen. 'Maybe things are better that way.' Jackson hatte wohl irgendwo einen wunden Punkt bei ihr gefunden. 'No, I... I don't want to sit here idly by, while... Whatever is going on out there waiting on the horizon, I want to see it with own eyes.'

Hiroo richtete sich etwas auf und atmete kurz ein. Sie wollte sich erstmal auf die Gegenwart konzentrieren. "So... it's still half a year away. This new weekly shedule we get, what's it going to be? Will it be some exotic stuff? Survival of the fittest?" Ein wenig konnte man ein Feuer in ihren Augen sehen.

Jay war doch recht .. unzufrieden mit den Reaktionen der anderen im Raum. Die beiden Mädchen gingen nicht wirklich auf seine Feststellung ein und Jackson, die eben noch so viele Infos rausgerückt hatte, ging wieder zur Masche "ich bin eine Frau, ich bin geheimnisvoll" über. Nach ihren letzten Worten war er fast genauso schlau wie vorher. Nur die Tatsache, dass sie irgendwo auf einem fremden Kontinent rumgondeln und mehr sowie sorgfältigere Vorbereitung erhalten würden, waren wirklich neu. Gut, und noch eins.

"Viele Beteiligte?", hakte er nach. "Heißt das, wir werden mit anderen Einsatzteams zusammenarbeiten?" Eigentlich hätte er sich freuen müssen, aber irgendwie hatte er so gar keinen Bock darauf. Hiroo allerdings schien plötzlich richtig Bock zu bekommen - und zwar auf das Training. Hatte Jay vorher das Gefühl gehabt, dass sie beinahe abwesend war, so schien die junge Frau wieder gewohnt Feuer und Flamme zu sein. Na ganz toll, dachte Jay. Das hat mir ja gerade mal wieder gefehlt. Er atmete hörbar aus, verkniff sich jedoch einen Kommentar. Stattdessen sah er zur Seite. Sein Blick streifte Gwen, deren blinde Augen schon wieder vor Unternehmungslust glänzten.

Jackson schickte ihren Antworten ein schnelles Nicken voraus. "Der neue Stundenplan wird nach und nach aufgebaut, beginnend bei mehr teamfördernden Aufgaben, dann speziellerem Esper-Einzeltraining und dann vermutlich gefolgt von wenigstens einem Probeeinsatz außerhalb des Geländes. Eine größere Veränderung." hier entstand eine dramatische Pause. "wird ein Bewertungssystem sein, dass eure Performanz und deren Steigerung messen wird. Dazu werdet ihr noch eingewiesen, wenn es soweit ist. In einer- oder zwei Wochen geht es los, bis dahin sind noch entsprechende bürokratische Prozesse abzuschließen." Die Teamleiterin vergewisserte sich mit Blicken darüber, ob die Informationen wohl angekommen waren und fuhr dann in noch hastigerem Tempo fort: "Natürlich werdet ihr Teil eines Projekts, indem ihr nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es läuft schon seit Jahren und seitdem weltweit. Durch die von Gwendolyn gelieferten Impressionen dessen, was uns erwartet, können wir allerdings zur besseren Vorbereitung der Einsatzdurchführung beitragen, und wenn ihr euch gut macht, könnten euch ganz neue Möglichkeiten offenstehen." Noch einmal ging ihr Blick herum, Hiroo besonders lange fixierend. Nun langsam und betont sprechend kam Jackson zu einer Art Zusammenfassung, die wohl als motivational Speech dienen sollte: "Ihr habt zuvor bewiesen, dass ihr einiges zu bieten habt. Bildet euch aber nicht ein, dass ihr schon alles habt, was es braucht. Was ihr habt, sind Chancen. Nutzt sie." Ab hier war zu spüren, dass die "Gäste" ihre Zeit des Willkommenseins zu überziehen begannen.

 

Yin und Yang

Jays Gesicht glühte als er die Trainigshalle betrat. Der Winter hielt Kansas in seinen eisigen Klauen gefangen und obwohl es Jay sonst nie gekümmert hatte - in diesem Jahr sehnte er sich den Frühling herbei. Der junge Mann trottete zu den Umkleideräumen, warf die Sporttasche auf eine der Bänke und begann, sich für das Training umzuziehen. Warme Winterklamotten wichen einem ärmellosen Sportshirt samt Jogginghose. Barfuß und mit hochgebundenen Haaren betrat er die Halle. 

Jordan war bereits da, wie immer. Er hockte auf dem Boden, die Beine verschränkt, und wartete, bis Jay sich zu ihm gesetzt hatte. Dann erklärte er: "Ich weiß, es wird dir nicht gefallen, aber du wirst heute nicht gegen mich antreten." 

"Was soll das denn heißen?" Jay verzog das Gesicht. Jordans Miene blieb ungerührt. 

"Du hast meinen Kampfstil sehr gut beobachtet und dich daran angepasst. Es ist äußerst bemerkenswert, wie gut du mir inzwischen standhalten kannst. Aber du hast dich auch sehr daran gewöhnt und das ist gefährlich." Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: "In Einsätzen wirst du auf ganz unterschiedliche Gegner treffen. Aber sie werden alle eine ernstzunehmende Bedrohung sein. Du musst lernen, dich innerhalb von Sekunden auf sie und ihre Art zu kämpfen einzustellen. Sonst wirst du ihnen schnell ausgeliefert sein. Und vermutlich ziemlich schnell sterben." Für einen Moment huschte Jordans Blick zu einer der Türen auf der rechten Seite der Halle. Dann fokussierten sie wieder Jay. "Du lernst schnell. Und - aber du hast noch viel zu lernen. Deshalb wirst du ab jetzt im Sparring gegen verschiedene Leute antreten, damit du lernst. Ich will, dass sich dein Kampfstil entwickelt. Du wirst dich entwickeln."

Er gab seinem Schüler einen kurzen Augenblick Luft, das Gehörte zu verdauen. Jay sagte nichts. Doch seine Körperhaltung verriet seine Anspannung. Er seufzte auf. "Ok, na schön. Und wer ist mein Gegner heute?" Es war keine Frage aus Neugier. Jordan stand auf und sein Schüler tat es ihm gleich. 

"Mach dich warm." Natürlich. Was hatte Jay auch erwartet? Er begann mit den Aufwärmübungen. Jordan sah kurz zu und stieg dann mit ein. "Übrigens gilt unsere Regel trotzdem immer noch."

Neugierde breitete sich in Hiroos Gesicht aus, als sie verstohlen durch das Fenster zur Trainingshalle blickte. Satoshi hatte ihr eine echte Herausforderung versprochen. Während seiner Abwesenheit hatte sich etwas an ihrem Kampfstil verändert. Doch diese Veränderungen wirklich zur Schau stellen, das hatte sie in ihrer ersten Trainingseinheit mit ihrem Lehrmeister nicht können. In seinen Augen hatte sie erkannt, was ihr immer noch fehlte: Selbstbeherrschung. Auch in der drohenden Niederlage. 'If you have no constrains that will guide you, this loss of self control will be your demise, watashi no deshi.', echote es durch ihr Gedanken. 'Better than dying in shackles. And where would be the fun in that.', flüsterte es in ihr aus einer anderen Richtung. 'Where did that thought come up again?' 'Come on, it'll be fun.' Sie versuchte wieder einen ruhigeren Atem zu bekommen und versank mit ihrem Gesicht in ihren Händen. Ihr schwarzen Haare hingen in Strähnen herunter. 'Keep calm, it's just another one of his tests.' Sie atmete tief ein und wieder aus. Sie versuchte sich auf das zu konzentrieren, was ihr Satoshi in der vergangenen Zeit beigebracht hatte.

In der Zeit in der sich Hiroo selbstverloren ihren Gedanken hingab öffnete sich langsam die Tür zu der Trainingshalle. "You look like you're up to the fight. You just need some proper warmup, right?" 'Not this voice again.' Sie fuhr auf. "Would you please shut up?" Sie richtete ihren Kopf nach oben und blinzelte leicht mit den Augen, während sie langsam erkannte wer gerade vor ihr stand.

 

Dojo

Satoshi hatte anscheinend nicht zu viel versprochen. Jordan grinste und erwiderte nur: "Ich mag dich jetzt schon. Komm rein." Er unterstrich das Gesagte mit einem Kopfnicken. Dann wandte er sich um und kehrte in die Trainingshalle zurück, wo Jay gerade den letzten Teil der Übungen beendete.

"You .. you're Jordan White." Um ihre Verlegenheit etwas zu überspielen verbeugte sie sich knapp und folgte Jordan in etwas Abstand. Ein elektrifizierender Geruch durchzog die Luft.

"Oh ja. Du kannst mich auch einfach Jordan nennen." Jordan blieb kurz stehen, um das Mädchen aufschließen zu lassen. Sein Blick ruhte dabei auf seinem Schüler. Der hatte sich den beiden bisher nicht zugewandt und ging die letzten Schritte der Form durch, die sie in den letzten Wochen weiter vertieft hatten. Jordan verlagerte seinen Fokus wieder zu Hiroo. "Naja, Jay muss ich dir ja nicht vorstellen."

Das erregte Jays Aufmerksamkeit. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen und führte die Form zu Ende, indem er die Arme langsam sinken ließ und im Einklang mit der Bewegung seinen Atem fließen ließ. Dann drehte er sich zu den beiden um. Überraschung breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er die Gestalt neben seinem Trainer erkannte. Sofort schwenkte sein Blick zu Jordan. "Dein Ernst?" "Mein voller Ernst", antwortete Jordan mit einem geduldigen Lächeln. Er beobachtete das Spiel der Emotionen in Jays Miene, die von überrascht zu verärgert zu resigniert wechselten und Mischungen daraus bildeten. "Na schön", seufzte der junge Esper. "Lass es uns hinter uns bringen." Bei diesen Worten wanderte sein Blick zurück zu Hiroo.

Für einen Moment wartete sie die Stille ab in der sie Jay betrachtete. In einem gekünstelt freundlich klingenden Ton und einem mehr schlecht nachgestellten südlichem Akzent führte sie das Gespräch fort. "Nice to see you, too. No need for a warm welcome. It's just your old buddy, Hiroo." Ihre freundlich dreinblickende Grimasse verzog sich wieder. Sie schmiß ihre Trainingstasche halb offen zur Seite, zog ihr Oberteil über den Kopf und nachdem sie auf der anderen Seite wieder hervorschaute, landete die Trainingsjacke auch schon in der am Boden liegenden Tasche. Sie zog kurz ihre herumhängenden Haarsträhnen zurecht. "Okay, I think I'm ready." Sie schaute kurz Jay und dann Jordan in einem regungslosen Blick an.

Jay stöhnte und verdrehte die Augen. Sein Oberkörper sackte ein wenig in sich zusammen, während er die Hände offen nach vorne fallen ließ. "Look, I don't wanna fight you. I've said it before." Gleichgültigkeit lag in seiner Stimme, doch sie schien auch noch durchzogen von etwas anderem zu sein. Jordans Blick wanderte zwischen den beiden jungen Menschen hin und her. Dann ging er ein paar Schritte auf Hiroo zu. "I apologize for my student. He is mad at me." Er schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. "Do you want to warm up a bit before you start?"

Ihr steinernes Gesicht wich bei Jordans Worten etwas auf. "Well, I'm rarely on time... and definetly not the one with the best orientation. So I've already warmed myself up on the way here..." Ein verlegenes kurzes Lachen kam ihr hervor und verschwand wieder. Sie orientierte sich kurz in der Trainingshalle. Der Dojo war recht überschaubar. Man merkte der Halle mit den mitten in der Halle verteilten Stützpfeilern an, dass sie nicht mehr zu den jüngsten gehörte, die Holzfassaden an den Wänden zeugten jedoch von guter Pflege. In diese Halle hatte sie bisher nur die älteren Schüler hinein gehen sehen.

"I'm not here to hurt you." Sie schaute kurz Jay an und drehte sich zu ihrer Tasche herunter. Sie holte zwei schwarze Kampfhandschuhe heraus und zog sie an. Den Reißverschluss ihrer Tasche zog sie hörbar zu. Fast schon nebenbei sprach sie weiter, die Worte an Jay gerichtet. "So, what's this about you not fighting? Did you loose your spirit on your way out this morning?" Mit Handschuhen, einem schwarzem Tanktop, das von Schnitten durchzogen war und einer schwarzen losen Trainingsshorts mit rotpinken Motiv, die ihr bis knapp über die Knie reichte, stand sie wieder vor den beiden. Die türkisen Sportschuhe rundeten den Mix aus schwarzbunt ab.

Die Spannung, die sich im Laufe der Situation in Hiroo aufgebaut hatte, schien wieder ein wenig abzufallen. Jordan erwiderte die Reaktion des Mädchens mit einem verschmitzten Lächeln. "Sorry, I like the .. remote sites for training. Even if you have to do kind of a pilgrimage to get there. Anyway." Während Hiroo die Handschuhe aus ihrer Sporttasche hervorkramte, fixierte er seinen Schüler aus den Augenwinkeln. Jay hatte die Arme verschränkt und beobachtete Hiroo. Seine Miene schien stoisch, Jordan erkannte aber leichte Anzeichen von Unruhe. Dieses Training würde anscheinend gleich auf mehreren Ebenen interessant werden.

Jay wusste nicht so richtig, was er darauf erwidern sollte. Oder, ob er überhaupt etwas sagen sollte. Er betrachtete Hiroo - die unüblicherweise ihre ursprüngliche Haarfarbe trug - genauer. Dabei fiel ihm zum ersten Mal auf, dass sie einen gut trainierten Körper besaß. Sie war nicht übermenschlich muskulös. Doch ihre Statur war alles andere als zierlich und gab einen Hinweis darauf, dass man die kleine Frau besser nicht unterschätzte. Jordan hätte sie sonst auch nicht als Gegnerin ausgewählt. Jay fragte sich zwar, ob sein Trainer damit nicht noch etwas anderes bezweckte. Aber das war für den Moment egal. Er hatte gesagt, dass ihre Regel noch galt. Wie schwer würde es sein, Hiroo zu besiegen? Was konnte sie? Er realisierte, dass er sie ja vorher nie hatte kämpfen sehen. Also .. wirklich, nie. Gut, bis auf die kleine Auseinandersetzung mit diesem Russen, aber das konnte man schlecht gelten lassen. Es würde also schwierig werden. Aber er musste da durch. One way or the other. "I guess, I don't really have a spirit."

"Then you've got nothing to loose or hold back. Let's do this." Hiroo stellte sich ihm auf der Kampfmatte gegenüber und nahm Haltung an.

Jay tat es ihr gleich. Er beugte die Knie leicht, um trotz der standfesten Haltung sofort agieren zu können, und hob die Arme.

"Ok, here are the rules. For this first round we will only have a little sparring. Means no trying to injure or kill and I don't want to see any techniques that would make that happen." Jordan gab den beiden Kontrahenten ein paar Sekunden, um das zu verinnerlichen. Dann nickte er. "Go."

Hiroo analysierte die Haltung von Jay. Durch seine etwas breitere Struktur und längeren Arme hatte er definitiv einen Vorteil in einem frontalem Angriff. Auf den ersten Blick gab auch die Haltung seiner Beine keinen freien Angriff von unten frei. Sie musste ihn also aus der Haltung herauslocken. Mit dem linken Bein vorpreschend, und einen Schlag von links ausholend führte sie in einer rasanten Bewegung einen Tritt von rechts durch die sich gerade nach links bewegend Verteidigung.

Jay konnte aus Hiroos Haltung weniger lesen, als er sich gewünscht hätte. Nach Jordans Kommando wartete er ab, was sie tun würde. Warten musste er allerdings nicht lange. Mit Hiroos Angriff schoss das Adrenalin durch Jays Körper. Er blockte den ersten Schlag, sah ihr rechtes Bein auf sich zusausen und wechselte im letzten Moment die Haltung, indem er ein wenig zurückwich und den Angriff mit beiden Händen abwehrte. Seine Bewegungen waren schnell und präzise. Doch er machte keine Anstalten, anzugreifen. "Komm her", sagte sein Blick.

Bevor sie seinen Blick erwidern konnte, folgte bereits ihr nächster Kick horizontal von links in Vorausahnung, dass sich nun langsam die Beinhaltung von Jay nach hinten verlagern müsste. Mit Bedacht darauf ihn mit einem tiefen Tritt von rechts in die Kniehöhle die Balance zu nehmen.

Jay wich dem nächsten Tritt nach hinten aus und blieb weiter in Bewegung. Während der nächsten Angriffe hielt er sie weiter so gut wie möglich auf Distanz, indem er mit den jeweils entgegengesetzen Händen oder Beinen parierte und gleichzeitig versuchte, seitlich an ihr vorbeizukommen.

Sie hatte ihn zwar nicht aus der Haltung gebracht, doch so langsam merkte sie wie er aus seiner Reserve kam. Noch bot er ihr keine Gelegengheit einen seiner Angriffe gegen ihn einzusetzen. Um einen guten Treffer zu landen und ihn zu Fall zu bringen, musste sie ihn zu einem Angriff provozieren. Hierfür war es am einfachsten ihm eine schwache Stelle vorzugaukeln, doch so leicht ließe er sich nichts vortäuschen lassen. Zwei Schläge hier, zwei Tritte von links. Mit dem zweiten tritt darauf bedacht an ihm vorbeizutreten. Der Tritt war zu stark um ihn abzuwehren, er würde nach links an ihr vorbei ausweichen. Dort wo sie seinen Angriff erwarten würde.

Lange würde der Kampf so oder so nicht mehr dauern. Hiroo übte kontinuierlich Druck aus. Früher oder später musste Jay ein Opening finden. Er wich ihrem Tritt aus, entlang der linken Seite ihres Körpers. Seine Hand schnellte vor, zielte auf ihren Nacken.

Während sie sich in einer Kreisbewegung nach rechts drehte spürte sie den eingehenden Windhauch, spürte den nahenden Schlag. Sie federte kurz den auf ihre Rückenpartie gerichteten Schlag mit ihrem rechten Ellenbogen ab und griff mit der linken Hand fest zu, drehte den Arm von Jay nach vorne weg, griff mit ihrer rechten Hand nach und ließ sich mitsamt seinem Gewicht nach vorne wegfallen, ihn hinweg über sie werfend.

Jay war auf diesen Angriff in keinster Weise gefasst. Sein rechter Arm wurde in einer Bewegung gedreht und ein Schmerz durchzog ihn. Doch bevor er sich dem Griff hingab und seinen Körper nachziehen ließ, verlagerte er seine Balance und setzte zu einem Sprung aus dem Stand an. Mit dem rechten Fuß federte er sich ab. Sein agiler Oberkörper drehte sich links herum über den Kopf von Hiroo hinweg. Seine linke Hand packte Hiroo kopfüber von der Rückseite an der Taille, löste sich mit der rechten binnen Bruchteilen einer Sekunde aus dem Griff und hielt nun selbst Hiroo in einem Wurfgriff gefangen. Mit seinen Körper folgte er der Wurfbewegung von Hiroo, landete leicht seitlich von ihr geradeso auf seinen Füßen, um auf die Knie zu gehen und Hiroo in doppelter Geschwindigkeit über seinen Kopf zu werfen.

Die gesamte Szene dauerte nur wenige Augenblicke an. Hiroo nahm diesen Moment wie in Zeitlupe wahr, in dem sie jeden seiner Griffe genau spürte, langsam empor gehoben wurde und aus der Drehung mit dem Hinterkopf auf der Matte aufschlug. Gerade noch hatte sie ihn mit jedem ihrer Schläge und Tritte weiter in Bedrängnis gebracht und jetzt brachte ein lauter Knall auf den Boden sie in die harte Realität zurück.

Jay löste den Griff und ließ sich nach hinten fallen. Langsam verebbte der Adrenalinschub, sein Atem begann sich zu beruhigen und wich einem leisen Stöhnen. In seinen Gedanken versuchte er zu verarbeiten, was gerade passiert war. Es kam ihm vor, als wäre alles so schnell abgelaufen, dass sein Verstand erst jetzt hinterher kam. Er stützte sich auf den linken Arm und richtete sich vorsichtig auf. Vor ihm lag Hiroo und schien sich auch erstmal sammeln zu müssen. In dem Moment als Hiroo ihn gepackt hatte, hatte er nicht großartig nachgedacht. Jetzt fragte Jay sich, ob er es nicht vielleicht übertrieben hatte. Er hatte reflexartig viel Wucht in den Wurf gelegt. "A-Are you .. ok?", fragte er zwischen zwei Atemzügen.

Bevor sie eine Antwort geben konnte, musste Hiroo die angestaute Sauerstoffknappheit bekämpfen und atmete erstmal tief ein. "Yeaah....", antwortete sie in einem leicht erschöpft klingenden Ton. Sie lag noch einen Moment regungslos. "Damn, I thought I've been impressed when I heard you're into martial arts. But this suplex... kakkoii." Sie richtete sich in einer kreisenden Bewegung auf. "I didn't know you're into wrestling, too."

Hiroo schien sich auch so langsam zu erholen. Sie klang etwas mitgenommen, doch die Kraft kehrte relativ schnell wieder in ihre Stimme zurück. Und noch etwas lag darin ... war es - Anerkennung? Jay war ein wenig verwirrt, wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Er hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Er drehte den Kopf und sah sie direkt an - sein Blick eine Mischung aus Verwunderung und Frage. Und einem leisen Hauch von Faszination. Es dauerte einen Moment, bis Jay tatsächlich zu einer Antwort ansetzte.    "Uh-I ...  uhm. You .. really enjoyed that, didn't you?"

"I'm all in for a good bashing." Sie faltete ihre Hände nach aussen und dehnte ihre Arme. Sie streckte sie nach oben weg, in einer Kreisbwegung von ihrer linken zu ihrer rechten Seite übergehend. Zu guter Letzt lockerte sie ihren Nacken, während ihre schwarzen Haare herumwirbelte. "I hope you're just as eager for round two..." Sie zog ein Stoffband aus ihrer luftigen Shorts, zog sich die Haare hinten zusammen und pflechtete kurzerhand einen Zopf nach oben weg. "...as do I." Mit den letzten Worten schaute sie Jay direkt in die Augen.

"Well, I can say that I am." Jordan hatte sich den jungen Erwachsenen genähert. "If you are both okay, I'd say we go on. In case you need some refreshment, I got water prepared." Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter. Neben Hiroos Sporttasche stand eine kleine Reihe aus 4 Wasserflaschen. Jordan zog zwei Stofftücher hervor, eins rot und eins blau. Er wedelte ein wenig damit herum und erklärte mit einem vorfreudigen Lächeln auf den Lippen: "We are going to play a little game." Er warf Hiroo das blaue Tuch zu und ließ das rote in Jays Schoß fallen. Der löste seinen Blick von Hiroo und sah zuerst das Stück Stoff an, dann Jordan. "I'm thrilled to hear what were are gonna do with these." Jordan lachte. "You stuff it in your pants behind your back." Er genoss kurz den Ausdruck auf den Gesichtern der beiden jungen Esper. Dann drehte er sich um und zeigte mit beiden Daumen über die Schulter nach unten. Aus seiner schwarzen Trainingshose ragte der Zipfel eines lilafarbenen Stoffstücks. "Like that." Jordan fuhr herum. "Guess, that's clear. The rules are as simple as that. Get your opponents cloth." Er klatschte in die Hände. "Ok, let's go."

"I... think I've experienced worse instructions with Satoshi." Hiroo ließ ein halb gestelltes Lächeln ihren rechten Mundwinkel entlang ziehen und drehte sich wieder zu Jay. Mit der linken Hand klemmte sie sich den türkisblauen Stoff hinten an die schwarzpinke Shorts. "At least it matches my color pattern."

"Ah, excuse me for a moment." Jay rappelte sich auf und joggte zu den Flaschen hinüber. Er schnappte sich eine davon, genehmigte sich flugs ein paar Schlucke und nahm sie mit sich. Dann schlenderte er zu Hiroo und Jordan zurück. Im Laufen brachte er das Tuch an. "I'm sorry to say that, but you won't wear it for long." Es war, als wäre ihm auf dem Weg zurück die Erkenntnis zusammen mit dem Wasser in den Körper gesickert. Die Regel galt immer noch: Wenn er gewann, hatte er einen Wunsch frei. Warum es also nicht versuchen, wenn er ohnehin schon hier war? Jay fixierte Hiroo. Sie war schnell und besaß viel Energie. Und sie schien heiß auf dieses Match.

"I didn't plan to and I won't. Once I have yours." Hiroos Augenbrauen zogen sich kurz zusammen. "Or I could wear it for the rest of the afternoon. Then maybe you'll be able to sneak up on me again." Sie bedeutete Jay mit ihren vier Fingern zu einer Einheit verbunden zurück in das Kampfareal zu kommen. "Now come get some." Jay hatte kurz inne gehalten und bewegte sich weiter auf die Matte zu. In diesem Moment meldete sich nochmals Jordan zu Wort. "Oh did I forget to mention it? Your fighting area will be the whole building." Er ließ diesen kurzen Satz nochmal sacken, bevor er fortfuhr: "Round two starting now!"

Verdammt, dachte Jay. Wie sollte er das also anstellen? Jetzt, da Jordan es erwähnte, versuchte Jay, sich schnell einen Überblick zu verschaffen, was er von dieser neuen Regelung gewinnen konnte. Viel Raum auf jeden Fall. Das konnte eventuell ein Fangen-Spiel werden. Nein, definitiv. Na schön, überlegte er. Dann spielen wir. Jay begann, locker auf Hiroo zuzujoggen. Er hielt nur kurz an, um die Flasche Wasser neben die Matte zu stellen.

'Let's adopt his way this time around. Some defense will be necessary... what did Jordan say about my techniques? No injuries... got it.' Sie nahm eine für sie keck wirkende Pose ein. "Maybe you could get me the water bottle first. This heat... and I've got a thirst coming up." Um ihr Leiden zu verdeutlichen wedelte sie sich künstlich Luft zu. Nach unten gebeugt schaut Jay seitlich zurück zu Hiroo. "Sure, help yourself.", und in einer Handbewegung zischte die Plastikflasche durch die Luft. Mit einer erwartenden Bewegung griff Hiroo reflexartig zu. Ihr Grinsen breitete sich in ein schelmisch dreinblickendes Gesicht aus. Ihre Hand erhitzte sich und in einer kochenden Explosion brach ein Nebelmeer aus dem kleinen Behälter heraus. Nebelschwaden schossen an Jay und auch Jordan vorbei und breiteten sich im Raum aus. Das Gesicht von Hiroo verschwand.

Eigentlich hätte er so etwas erwarten müssen. Doch Jay war tatsächlich überrascht, als die Dampfwolke auf ihn zuschoss. Er unterdrückte einen Fluch. Seine Gedanken rasten und kamen schnell zu einer Schlussfolgerung. Mein Rücken ist völlig offen. Sie kann sich einfach durch den Nebel anschleichen und dann - Schnell handeln! Los, denk nach! Da traf ihn der Geistesblitz. Sofort ließ Jay sich nach hinten fallen und blieb auf dem Boden liegen. "What are you gonna do know?", wisperte er durch den Nebel. Die Schwaden waren flüchtig und begannen schon wieder, sich ein wenig zu lichten. Da hörte er Jordans Stimme: "Oh, by the way. Maybe I lied to you. I also put some cloth in your bags. Get them. The other ones don't matter."

"Oh. Come. On.", fuhr es jede Silbe betonend aus ihr heraus. Sichtlich irritiert und vor den Kopf gestoßen stand Hiroo für einen Moment wie angewurzelt herum. Dahin war der Vorteil den sie sich gerade erst erschaffen hatte. "Where the fuck are the changing rooms in this place again?", löste sich ein Flüstern von Hiroos Lippen, bevor sie sich wieder ganz ihren Gedanken hingab. Sie musste schnell agieren. 'Where's my bag? Behind Jordan... somewhere. Jay knows. Just hurry.' Sie musste ihre Priorität scheinbar weiter auf Verteidigung setzen. Sonst war diese Runde der zweite Fehlschlag den sie heute verbuchen dürfte. Direkt durch die Mitte war also ihre Devise. Sie nahm Anlauf und setzte zu einem Sprung auf die Position von Jay an. Aus den Nebelschwaden löste sich ein Schatten von oben herab auf Jays am Boden liegenden Körper. Aus dem Sprung heraus traf Jay ein harter Tritt auf der Brust, den er nur leicht abfedern konnte. Mit einem Flickflack über seinen Kopf hinweg war sie auch schon aus seinem Blickwinkel verschwunden.

"Fuck!" Gerade hatte Jay gedacht, für einen kurzen Moment Sicherheit zu haben. Aber nein - diese neue Regel zwang ihn zum Handeln. Hiroo hatte natürlich in dem Moment den Geschwindigkeitsvoreteil, das musste er unbedingt wieder ausgleichen. Er drückte sich vom Boden hoch. Just in diesem Moment traf ihn ein Sprungkick von Hiroo, der ihn wieder zurückwarf und die Luft aus seinen Lungen presste. Jay keuchte auf und versuchte, sich hochzustemmen. In dem restlichen Dunst brauchte er einen weiteren Moment, bis er seine Kontrahentin ausgemacht hatte, die natürlich schon fast bei ihrer Sporttasche angekommen war. Jetzt galt es. Jay sprintete in ihre Richtung.

Hiroo rannte an Jordan vorbei, griff mit ihren beiden Händen zu ihrer Tasche und lief direkt weiter auf die Pendeltür zu, durch die sie hineingekommen war. Die schnellen Laufschritte von Jay im Nacken. Ihr Tritt hatte ihn nur kurz ausbremsen können. Mit einem weiteren Tritt flog die Pendeltür nach aussen auf und stürmte hindurch. Jay war gerade hinter ihr angekommen. Die rechte Hand zog sich aus der Schlaufe ihrer Tragetasche heraus und beschleunigte mit einer Handbewegung die zurück schwenkende Tür in Richtung von Jay. 'Where're the changing rooms... where are they?' Ihre Augenbewegung hasteteten durch die Eingangshallen.

Jay spurtete Hiroo hinterher. In seiner Hast hätte er beinahe die zurückschwingende Tür abbekommen. Er bremste ab, stieß die Türflügel auf und erblickte Hiroo im Gang. Sie hatte anscheinend noch keine Ahnung, wo er sich umgezogen hatte. Das gab ihm zumindest eine kleine Chance. Jay rannte auf sie zu. Er musste jetzt offensiv vorgehen, sonst würde er diese Disziplin nicht gewinnen.

Sie hatte gerade keinerlei Zeit für Jay. Den falschen Gang zu nehmen würde ihr jedoch Zeit nehmen, die sie wieder wett machen müsste. 'But what if...' Ein Geistesblitz durchfuhr sie. Selbst wenn sie den falschen wählen würde, die Reaktion von Jay würde ihr genug zu verstehen geben. Um dies auszuspielen müsste sie sich das Ass in ihrer Buchse nur ganz genau zurecht legen. Dafür musste sie Jay loswerden, der bereits in vollem Tempo auf Hiroo zulief. Den Vorsprung, den sie noch inne hatte, nutzte sie aus und verschwand aus Jays Blick in der Doppeltür zum linken Gang. Sie riss ihre Tasche auf, zog ihre Trainingsjacke heraus und band das Stück Stoff in einem wilden Achter-Knoten um die Türknaufe der beiden aneinanderliegenden Schwenktüren. Sie wartete die nun folgende Reaktion ab.

Hiroo fackelte wie immer nicht lange und war - kaum entdeckt - schon wieder verschwunden. Allerdings war Jay erstmal kurz erleichtert, da sie nicht in den Gang eingebogen war, wo sich sein üblicher Umkleideraum befand. Trotzdem eilte er hinter ihr her, denn sie besaß das Tuch, welches er zum Gewinnen brauchte. Jay drückte die Tür auf - das hatte er zumindest vorgehabt. Doch sie schien zu klemmen. Natürlich konnte er sich sofort denken, wer dafür verantwortlich war. 'Du...! Na warte.' Er trat zwei Schritte zurück, holte aus und versuchte es mit einem gezielten Tritt. Die Türflügel bebten unter der Kraft des Tritts, doch der erwünschte Effekt blieb aus. Was sollte er jetzt tun? Weiter Druck ausüben oder lieber sein eigenes Item sichern? Da kam ihm ebenfalls ein Gedanke. Jay warf sich noch zweimal fest gegen die Tür, machte dann kehrt und hastete in den anderen Teil des Flurs zu seinem Umkleideraum. Im Rennen zerrte er das Stoffstück aus seiner Hose. In der Kabine angekommen stürzte er zu seiner Tasche, öffnete sie und hielt zwei Sekunden später ein zusätzliches rotes Tuch in der Hand. Es sah dem anderen zum Verwechseln ähnlich - bis auf ein blitzähnliches Symbol, das Jordan vermutlich mit einem Edding oder Ähnlichem daraufgemalt hatte. Es lag einiges an Risiko in seinem Plan, aber Jay hoffte, er würde trotzdem aufgehen. So stopfte er das gerade gewonnene Stück Stoff an die Stelle, wo zuvor das andere, nun unwichtige Tuch gehangen hatte.

Den ersten Stoß wartete sie noch ab, bevor sie anfing wie wild ihre Tasche zu durchwühlen. Sie brauchte nicht allzu lange, bis sie das türkise Band fand, das ihrem bis auf einen schwarzen Stern glich. So leicht würde sich Jay also nicht austricksen lassen. Sie zog das Band aus ihrer Shorts heraus. Sie fokussierte Energie in ihrem Zeigefinger und malte einen sich schwarz einbrennenden Sichelmond auf das blaue Band. Die Form war weniger das Problem, als die Hitze genau an dem Punkt zu halten, an dem es den Stoff nicht in Flammen hüllen würde. Zwei weitere Tritte waren noch gefolgt, bevor sich die Schritte auf der anderen Seite zügig entfernten. Sie war gerade fertig, steckte sich das Band mit dem Symbol gut sichtbar wieder hinten in die Hose und schlussfolgerte aus dem ausstehenden Gewittersturm, dass sich Jays Band auf der anderen Seite befand. Das Band mit dem Stern stopfte sie sich noch schnell unter ihr Top zwischen ihre Brustbandage und lief bis zum Ende des Ganges. Die Tasche schmiss sie beim vorbeilaufen in eine der offenen Tür hinein. Ihr Kopf lugte kurz um die Ecke zu ihrer Linken. 'No sign of him yet... he's probably up to something.'

Jay hörte ein Geräusch. Mit einem letzten Ruck zog er das Tuch fest, dass er sich eben ans Handgelenk gebunden hatte. Es saß. Der junge Esper hoffte, das würde Hiroo genug ablenken. Aber wo war die eigentlich? Vorsichtig spähte Jay aus der Tür heraus in den Flur. Nichts. Der Gang war leer. Woher war das Geräusch gekommen? Jay spitzte die Ohren, ob er noch etwas hörte. Kurz überlegte er, in welche Richtung er sich vorwagen sollte. Dann entschied er sich, zurückzugehen. 'Mal sehen, ob sie sich immer noch verbarrikadiert hat.'

Langsam pirschte sie sich vor. Da er sich hier besser auskannte, würde er ihr sicher auflauern. Die Türen im nördlichen Flügel waren allesamt geschlossen. Hier würde sie Jay ohnehin nicht erwarten können. Eine Doppeltür führte in Richtung der Haupthalle. 'Damnit, locked. Only one way out.' Sie musste also eine mögliche Falle in Kauf nehmen. Sie kam an der Ecke zum Westflügel an. Weiterhin keine Spur von Jay. 'What's on his mind? Where could he've gone.' Jederzeit Jay erwartend durchsuchte sie die einzige offene Tür in dem Gang. In dem Umkleideraum fand sie nur eine durchwühlte Tasche vor. Kein rotes Band. "So, it's back to rule #1." Sie drehte sich um. Er konnte sich nicht weiter zurückziehen. Spätestens in der Haupthalle würde er ihr wieder gegenüberstehen. Sie bereitet sich noch einmal mental vor und durchschritt die Tür zum Eingangsbereich.

Jay fand die Tür vor, wie er sie verlassen hatte. Hiroo musste sie mit irgendetwas blockiert haben. Doch eigentlich war das nicht problematisch. Nur, wenn sie ihr Tuch irgendwo versteckt hatte. Im anderen Fall musste er nur darauf warten, dass sich eine der Türen neben ihm öffnete. Vermutlich würde es die sein, aus der er gekommen war, aber er hielt einen Teil seiner Aufmerksamkeit für die Alternative bereit. Eine gewisse Spannung lag über dem Gebäude. Bis jetzt hatten sie Verstecken und Fangen gespielt. Doch dieses Spiel neigte sich in jeder Hinsicht dem Ende entgegen. Jay zuckte zusammen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Doch es war nur Jordan, der sich vorsichtig durch die Tür zur Trainingshalle schob. Er hob die Augenbrauen und begutachtete die "neue Arena". Jay verlagerte seinen Fokus zurück auf die Situation. Er war einerseits nervös, aufgekratzt. Und gleichzeitig hatte sich eine gewisse .. Ruhe in ihm ausgebreitet. Geduldig wartete er, bis die Türflügel zu seiner Linken endlich aufschwangen. Jay drehte sich vollends zu Hiroo um und fixierte sie. Keine Sporttasche. Kein blaues Tuch. Das war schonmal schlecht. 'Egal', dachte er. Die Karten waren gespielt. Wenn er noch eine Chance hatte, würde sich das zeigen. Er ging in Kampfstellung und mimte Hiroos fordernde Handstellung. Natürlich mit der, an welcher sein rotes Tuch prangte.

"No chit-chat or monologue. Let's get right to the point." Mit einem Sprungkick startete sie den direkten Angriff.  Im Augenwinkel nahm sie ein rotes Blitzen am Handgelenk von Jay wahr. 'He can't be serious... or does he want to loose?'

Hiroo griff sofort an. Jay unterbrach die herausfordernde Geste, die er eigentlich anbringen wollte. Für einen kurzen Augenblick flammte Verwirrung in Hiroos Augen auf. Jay nutzte den Moment, kickte ihr Bein leicht zur Seite weg und rammte ihren heranfliegenden Oberkörper mit der Schulter.

Die Schulter von Jay löste einen stechenden Schmerz aus und ließ sie kurz nach Luft schnappen. Die Wucht schlug sie auf den Boden. 'Just focus.' Sie unterdrückte einen Aufschrei und fing sich wieder. Aus der Bewegung am Boden entlang landete sie einen gezielten Kick in Jays Kniekehle.

Der Schmerz kam genauso schnell und unerwartet wie der Tritt, der ihn auslöste. Jay schrie auf. Sein Bein knickte weg. Es gelang ihm zwar sich abzurollen, doch beim Aufstehen merkte er, dass er es nicht mehr so stark belasten konnte. Das war ein verdammtes Problem. Jay fluchte innerlich und sah zu Hiroo hinüber, die sich auch gerade aufgerichtet hatte.

Sie fasste sich kurz an ihre Seite, atmete ein und ging wieder in Angriffsposition. Langsam vorstoßend wollte sie einen Angriff provozieren. Sie merkte zwar, wie Jay versuchte seine Balance auf sein rechtes Bein zu verlagern, doch auch einen seiner Schläge dürfte sie keinesfalls unterschätzen.

Hiroo hatte durch seinen letzten Angriff anscheinend auch etwas abbekommen. Doch er durfte sie deshalb nicht falsch einschätzen. So stur und energiegeladen wie Jay sie kannte, würde sie vermutlich noch einiges durchhalten. Hiroo kam auf ihn zu. Jay versuchte, sich auf ihre Bewegungen zu fokussieren. Er wusste nicht, was er am besten tun sollte. Doch es spielte auch keine Rolle, denn er hatte sich bereits entschieden. 'No running.' Er verstärkte seinen Stand. Mit erhobenen Händen wartete er darauf, dass seine Gegnerin ihn angreifen würde.

Hiroos Erwartung eines Angriffs wurde enttäuscht. Sie tänzelte sich um ihn herum und ließ sich Zeit seine Defensive genau zu studieren. Dabei fiel ihr neben dem roten Band an seinem Ärmel auch das an seinem Hosenbund auf. An beiden jedoch kein Symbol. 'Seems like two can play this game.' Es war keine Zeit mehr zu verlieren. "Well, if you're not up to the task, let's get this over with." Hiroo zog ihre Hände zusammen und setzte zu einer Furie an kurzen Schlägen an. Von Links kamen zwei schnelle Schläge auf ihn zu, direkt dahinter prasselten weitere von Rechts, dann wieder von Links auf ihn ein. Er machte ihr es ein leichtes das rote Band an seinem Ärmel im Fokus zu halten. "Who do you want to fool with that one?" Sie hoffte auf eine Reaktion von ihm.

Sie schien etwas frustriert zu sein. Irgendwo verständlich - schließlich hatte sie klar und deutlich signalisiert, was sie von diesem Kampf erwartete. Jays Motivation schwand allerdings immer weiter. Selbst wenn er noch eine gute Chance gehabt hätte, fehlte ihm mittlerweile der Elan. Außerdem war er ein wenig genervt. 'Yeah, let's get it over with', dachte er. Doch er antwortete nicht auf ihre Provokationen. Zumindest nicht verbal. Er blockte die Schlagserien mit seinen Händen und als Hiroo einmal zu weit in die Attacke hineinging, schlug er ihren Arm nach unten weg, um gleich darauf nach oben zu schnellen und ihr eine Backpfeife mitzugeben. Gleich im nächsten Moment bereute er den Move. Schmerz jagte durch sein linkes Bein und er verzog kurz das Gesicht.

Der Schlag ins Gesicht ließ sie zur Seite zurückfallen. Der Knick in seiner Verteidigung bedeutete ihr aber weiterzumachen. Die Sauerstoffknappheit in ihren Muskeln unterdrückte sie weiter. Das Blut schoss in ihr linkes Bein. Ihr Schienbein landete blitzschnell in seinem rechten Oberschenkel, ein zweiter Tritt traf ihn am Knie und ein weiterer seinen Knöchel. Seine bisher eiserne Verteidigung bröckelte langsam. Doch noch war sie nicht am Ziel.

Hiroo ließ sich die Chance nicht entgehen. Jay atmete scharf ein. Zwar taten diese Treffer weniger weh als der Tritt in die Kniekehle, den er sich davor eingefangen hatte. Doch sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Er würde ihr nicht mehr lange standhalten können. Den nächsten Schlag ihrerseits blockierte er mit seinem Arm. Jays Hand schloss sich um Hiroos Unterarm.

Jays Griff hielt sie fest. Sie versuchte sich aus diesem mit einer Drehung zu erwehren. Jays zweite Hand zog aber nach und drehte ihren linken Unterarm weiter. Bevor Hiroo herausfinden wollte, was er nun vorhatte legte zu einem Drehsprung an. Um dem Schmerz zu entkommen folgte sie mit ihrem restlichen Körper seinem Drehgriff und knallte mit einer Rolle auf den Boden, knapp vor einer der Eingangssäulen.

Jay war zugegebenermaßen überrascht. Noch überraschter war er allerdings, als er für einen kurzen Moment den Blick auf ein türkisfarbenes Tuch erhaschte. Entweder es war einfach nur das Stück Stoff von vorher oder sie hatten beide denselben Gedanken gehabt - was irgendwie ironisch gewesen wäre. Wie auch immer, er würde es herausfinden. Jay wirbelte herum und zielte mit zwei Schlägen auf ihre Schulterblätter.

Ihr Rücken zeigte aus der Rolle noch in Jays Richtung. Aus der gebückten Haltung verrriet ihr Blick nach hinten den zuschnellenden Jay, der es mit zwei gezielte Schläge auf ihren entblößten Rücken abgesehen hatte. Mit einem harten rechten Kick nach hinten revanchierte sie sich direkt für die die harte Rückenmassage, traf aber nur seine Hände und irritierte ihn nur kurz. Trotz des Schmerzes setzte sie es nun an: Alles oder nichts. Sie setzte wieder mit ihrem Fuß auf und führte eine schnellen Satz nach vorne aus. Ihr linker Fuß stieß sich mit aller Kraft von dem Holzpaneele der Säule ab und ihr Körper drehte sich in einem Rückwärtssalto über die Verteidigung von Jay. Ihr Hintern landete auf Jays Schultern, die angewinkelten Knie auf seiner Augenhöhe, seinen Kopf voll im Griff. Sie war ganz in Reichweite des Bandes. Aus der Bewegung ließ sie ihren Oberkörper weiter nach hinten fallen. Ihre Finger griffen nach der Stelle, an der sie das rote Band vor wenigen Augenblicken gesehen hatte.

'What the ... ?!' Jay war zu perplex, um schnell genug zu reagieren. Der Tritt hatte sich leicht parieren lassen, hatte ihn jedoch genug abgelenkt. Der junge Esper wusste kurz nicht, wie ihm geschah, als Hiroo direkt auf seinen Schultern landete. Ihr Gewicht drückte ihn nach unten und ihre Knie gegen seinen Kopf. Von der ersten Millisekunde an wollte Jay nur eins: Sie wieder loswerden. An das Tuch dachte er in dem Moment gar nicht. Und so tat er instinktiv etwas, was er an diesem Tag schon einmal getan hatte: Er ließ sich nach hinten fallen.

'Just a little bit.. closer.' Ihre Finger berührten bereits das Band, während sie kopfüber nach hinten gestreckt an Jays Hosenbund rumfuchtelte. Ihre Beine hielten sich fest um Jays Hals geschlungen. Zu ihrem Schrecken kam ihr jedoch just in diesem Moment die Erde Stück für Stück näher. Jays verlängerter Rücken federte sie mit der Nasenspitze voraus auf den Boden und sie rollte sich schmerzverzerrt am Boden entlang. Mit dem Gesicht nach unten gekauert wandte sie sich hin und her. Die Hände waren schützend zu ihrem Nasenbein geschlossen. Das blaue Band mit dem schwarzen Sichelmond flatterte am hinteren Ende ihrer Shorts wie eine Fahne im Wind. Ihr Zopf hatte sich gelöst und die schwarzen Strähnen hingen ihr verschwitzt die Wange entlang.

Der Aufprall kam abrupt. Zwar federte Hiroo den Aufschlag ein wenig ab, doch die Landung war trotzdem mehr als unsanft. Die beiden jungen Menschen lagen da wie ein wüstes Knäuel, unangenehm ineinander verkeilt, bevor Hiroo sich unter Jay hervorwand. Der wiederum lag, nach Luft japsend, auf dem Rücken. Er schloss die Augen. 'Scheiße', dachte er. So blieb er eine Weile reglos am Boden liegen, wie Hiroo ein Bild der Verwüstung mit wild zerzaustem Haar und rot im Gesicht - wie das Tuch, das Hiroo sich an die Nase presste.

Ihre ermüdete Stimme unterbrach die kurze Stille. "Fuck, I think I'm bleeding." Sie versuchte sich mit ihrem rechten Fuß aufzustützen, bemerkte aber schmerzerfüllt die Prellung an ihrer Ferse, an der sie den Hinterkopf von Jays Dickschädel abbekommen hatte und ließ sich wieder zurückfallen und auf die Seite drehen. Sie schaute zu Jay rüber, während sie sich ein mit rotem Blut getränktes Stück Stoff unter die Nase hielt. Er lag direkt neben ihr auf dem Boden. "Hey, are you okay." Sie streckte ihren Arm zu ihrer linken und stubste den regungslosen erhitzten Körper von Jay.

Jay öffnete langsam die Augen und drehte den Kopf zu ihr. "Shouldn't I ask that?", murmelte er. "Anyway, I would say Congratulations, but ... erh ..." Seine Augen ruhten auf Hiroos blutverschmiertem Gesicht. Sie sah schlimm aus - vielleicht schlimmer, als es eigentlich war. Aber wer konnte das schon sagen? Jedenfalls sah sie schlimmer aus als er sich fühlte. Und erschöpft. "Ah, hell. Sorry."

Jordan war durch den Flur zu den beiden Esper gekommen und ging neben ihnen in die Hocke. Sein schwaches Lächeln überspielte die Sorge auf seinem Gesicht nur bedingt. "Well, I guess we'll have to move teatalk to the sickbay. How are you doing? Can you walk?" Jay versuchte sich aufzurichten. "I .. I'm mostly okeeey I think", ächzte er.

"I think my ankle could get some rest. If it's not too much to ask, I could need a hand?" Das Blut aus ihrer Nase hatte aufgehört herunterzuströmen. Ohne große Worte half Jordan ihr auf und die drei verließen kurze Zeit darauf den Dojo in Richtung der Verwaltungsgebäude.

Die Krankenstation war mittelmäßig voll. Jordan hatte sich kurz verabschiedet, um die Anmeldung zu machen und Tee und Kaffee zu besorgen. Währenddessen lehnten Hiroo und Jay auf zwei Stühlen nebeneinander im Wartezimmer, so weit wie möglich entfernt von den röchelnden Bakterienschleudern, die sich sonst noch hier aufhielten. Man konnte sich fragen, wer hier vor wem das Weite gesucht hatte - die von der Wintergrippe Geplagten vor den lädierten Jugendlichen oder umgekehrt. Jay und Hiroo sahen ziemlich gefährlich aus, wie sie da mit wirrem Haar und zugerichtet in ihren Trainingsklamotten hockten, jeweils die Jacke lose über die Schultern geworfen. Bis auf ein gelegentliches gequältes Husten, Blättern von Seiten und Piepsen von irgendwelchen Geräten irgendwo im Raum herrschte angespannte Stille. Jay hatte die Arme verschränkt. Den Kopf zurückgelehnt, starrte er zur Decke. "Feels kinda familiar. We at the sickbay with you having a red nose." Er sah zu Hiroo hinüber.

"If it's just about my nose, you can keep it." Sie hielt sich mit zwei Fingern die Nase und wackelte plötzlich mit ihrer Hand. "I... I think it just... broke loose.", stolperte sie mit ernstem Ton los und schaute Jay mit entsetzten Gesicht an. Lange genug um seine bleich gewordene Mimik zu genießen. Ihr ernstes Gesicht wandelte sich in ein mit Blutspritzern glucksendes Lachen. "Ahhhg...", sie hielt sich unter dem beim Lachen aufkommenden Schmerz wieder die blutige Nase und kniff ihre Augen zusammen. "You should have seen your face... tehehe." Sie lehnte ihren Kopf amüsiert zurück in ihren Nacken und grinste Jay an.

"Nah, fuck you." Jay stieß sie an die Schulter. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Sein Blick schwenkte in den Raum. Ausnahmslos alle anderen Wartenden starrten zu ihnen herüber, die meisten mit einer Mischung aus Entsetzen und Verständnislosigkeit. Das Grinsen auf Jays Gesicht wuchs. Ein Kichern entglitt ihm. Dann noch eins, wurde größer und verwandelte sich schließlich in ein herzhaftes, unbeschwertes, anhaltendes Lachen. Jay warf den Kopf zurück und atmete seufzend ein. "You shouldn't forget their faces."

Hiroo schaute sich kurz um, sie hatte tatsächlich nicht mitbekommen wie ihre kleine Einlage die Aufmerksamkeit des gesamten Raumes auf die beiden gelenkt hatte. "Uhm... I hope they do.", flüsterte sie zu Jay rüber. Dabei hatte sie eigentlich nicht vorgehabt für weitere Sprüche ihrer Mitbewohnerinnen zu sorgen. Zum Glück sah sie in diesem Moment Jordan, der von der Rezeption zurück kam.

Hiroo schien die ganze Sache gar nicht mal so amüsant zu finden. Jay beugte sich zu ihr hin. "What are you worrying about? Let 'em think what they want." Er streckte sich, zuckte kurz zusammen, als sich sein rechter Arm über die Dehnung beschwerte. Dann faltete er die Hände im Nacken und lehnte sich zurück. 

Mit der rechten Hand stemmte Jordan drei dampfende Tassen, unter seinem linken Arm hatte er eine Mappe festgeklemmt. "We won't have to wait terribly long, so I'll make it short." Er hielt den beiden Esper die Tassen hin. Sobald sie sich bedient hatten, nahm er einen Schluck aus seiner und drehte mit dem Schwung seiner Hand die Mappe herum. "General things: I'm very much impressed. I didn't plan for sickbay, but it should still be .. ok..ish. Nevertheless, congratulation on winning, Hiroo." Er nickte ihr zu. "Our feedback discussion will not be that detailed, but I'm sure, Satoshi will have a word with you." Man merkte, dass Jordan sich - im Gegensatz zu den meisten Kollegen - Mühe gab, die Namen möglichst akkurat auszusprechen. "As for now: I like your spirit. You have drive and if you don't mind I would be most grateful if you came along for some session once in a while - of course, after recovering." Dann wandte er sich an seinen Schüler: "Jay, I think we let the lady go first and will talk more later." Jordan klappte die Mappe auf, nahm einen weiteren Schluck Tee und sah die beiden Jugendlichen erwartungsfroh an: "Ok, so. What have you learned today?" 

Hiroo nahm die Beurteilung von Jordan ohne sichtbare Reaktion auf. Vielleicht wusste sie auch garnicht wie sie mit dieser Art von positiven Feedback umgehen sollte. Satoshi war eher darauf bedacht, ihre Mängel zu analysieren. Bei der Menge an Fehlern, die sie sich heute geleistet hatte, war es ihrer Meinung nach auch kein Wunder, warum Satoshi da so ein Augenmerk drauf legte. Da es Jordan aber wohl nicht auf eine ausgiebige Analyse ihrer Fähigkeiten ablegte, nahm sie seinen Zuspruch an. "Pheew, what did I learn... Maybe I was too hasty. Most of the time I can read my opponents pretty well. Their defensive actions give me direct feedback of their intentions. How they would attack and for me a way to redirect their force. While I thought Jay is a bit passive, I didn't knew how much. Attacking without that knowledge almost broke my neck a few times." Es überraschte sie wie sich ihre Worte kaum von dem unterschieden, was Satoshi ihr an dieser Stelle vorgepredigt hätte.

"Good point." Jordan nickte. "You were able to put a lot of pressure on Jay with your attacks. However, if you attack head over heels your opponent can turn your force against you." Er sah Jay an.

Jay hatte sich bis jetzt zurückgelehnt und schweigend zugehört. Was hatte er gelernt? Diese Frage wurde nie alt und jedes Mal fand er sie auf's Neue schwierig. Er wusste, was Jordan ihm hatte beibringen wollen. Aber das wollte er nicht hören. Er hatte es oft genug betont. Während Jay noch am Nachdenken war, begann Hiroo bereits, ihre Gedanken zu äußern. Sie war ziemlich selbstkritisch. Jay fragte sich, wie ihr Lehrer wohl war. Schneller als ihm lieb war, ging die Auswertung jedoch an ihn weiter. Also, was zum Geier hatte er denn jetzt gelernt? Er sah Hiroo an. Stimmt, im Grunde war es mal wieder simpel: "I think, I have learnt ... more about you." Jay überlegte kurz und sah dann seinen Trainer an. "And that I .. can trust my instincts .. and at the same time I - can't." Er schnaubte und schüttelte den Kopf. "Does that even make sense?"

Jordan lächelte. "To me, it does. I'm a very big fan of balance. The thought that concepts have more than one side and that those sides weigh each other out in a way. When I look at you two I feel pretty much affirmed. I believe that you both can profit from each other a lot."

Hiroo hörte den beiden wohlwollend zu, ihre Gedanken verliefen sich jedoch zunehmend. Ihre Augen fielen etwas zu während die Gesichter von Jay und Jordan in ihrem Tagtraum verschwammen. Für Schüler und Meister war ihre Beziehung fast auf einem Level. Dies war sicher auch der geringen Altersdifferenz geschuldet, doch etwas schien die beiden auf eine besondere Art zu verbinden. Bei dem Gedanken etwas derartiges in ihrer Beziehung zu Satoshi zu finden, schmunzelte sie über ihre eigene Naivität. Seit ihrem Ausbruchsversuch war ein Jahr vergangen. Zeit genug ihre erste Sicht auf Satoshi als gnadenlosen Tyrannen aus einem anderen Blickwinkel zu studieren. Ihr initialer Antrieb während dieses Trainings wider Willen war es gewesen ihm mitsamt der UnEsCo zu entkommen. Da ihr das verwehrt geblieben war, hatte sie es auf sich genommen bei seinem Training wenigstens das für sie brauchbare mitzunehmen und ihm eine mitzugeben, wenn es ihr gelang seine Verteidigung zu durchbrechen. Häufiger war sie es jedoch gewesen, die mit blutigen Lippen das Trainingsgelände verlassen hatte. In den drei Monaten der Abwesenheit von Satoshi hatte sich einiges gewandelt. Vielleicht hatte sie sich auch einfach nur daran gewöhnt. In jedem Fall hatte sie das anstehende Training nach der langen Zeit fast schon freudig erwartet. Manche würden es wohl Stockholm Syndrom nennen. Aber auch Satoshi hatte von Beginn an einen neuen Ton angeschlagen. Allein dieses ausgelagerte Training mit Jordan zeigte, dass Satoshi mehr von ihr erwartete. "If he could at least stop nagging me about my clothes. Geez."

Das Licht des Behandlungszimmers erlosch und Hiroo sah wie die Krankenschwester auf sie deutete. Das Zeichen für Hiroo zu verduften. Sie hüpfte auf. "See ya around, Jay. - Jordan." Mit den Worten an Jordan folgte eine kurze Verbeugung. Die beiden verabschiedeten sich gleichermaßen. Beim Vorbeigehen klopfte sie noch kurz auf Jays Schulter. "You can keep this as a token of appreciation. Aaand because I just realized this thing stuck up your ass just before I put it in my nose.", und ließ das blutverschmierte rote Band an ihm hängen. In Erwartung auf Vergeltung legte sie einen Gang zu. In einem letzten Blick nach hinten, konnte sie noch einen schwer zu interpretierenden Gesichtszug von Jay an Jordan wahrnehmen.

 

Kapitel 4

"Guten Morgen!", ruft Jamey, und ich wundere mich, dass er so früh ist. Klar hatte ich heute mein Training und ich wusste auch, dass es ein bisschen anders ablaufen sollte. Aber ich durfte ja immer nicht spoilern, egal wie neugierig ich war, was er plante. Irgendwie bekam er es immer heraus, wenn ich es doch mal versuchte und dann bekam ich zur Strafe keinen Pudding zum Abendessen. Ich hatte so lange keinen Pudding gehabt. Heute wollte ich das. Ich habe nämlich geguckt. Es gibt Straciatella. Und den mag ich nun mal am liebsten. "Auf zum Training!", meint er und klatscht drei Mal. Orrrrr, denke ich, lasse mein Buch in Blindenschrift liegen und stehe auf. Ich spreize die Finger und atme ein. er will, dass ich ihm über die Wahrnehmung folge. Er klatscht nochmal. Er bewegt sich leise, aber ich spüre, dass er aus dem Zimmer geht. ER hält die Luft an, aber ich spüre wie seine Finger zittern. Er kann echt nicht lange die Luft anhalten. Ich laufe los, gehe schneller, stolpere über einen Baustein. Jamey weicht aus, das spüre ich, also rappele ich mich auf, gehe durch die Tür und springe ihm auf den Rücken. "BUH!", rufe ich. Er lacht. "Du bist besser geworden, mein Schatz." Er greift mir unter die Oberschenkel und zieht mich an sich hoch, damit ich richtigen Halt habe. Ich halte mich fest. "Du magst doch Jay, ja Kleine?", fragt er, während er läuft und anhand der Kurven, die er geht, erkenne ich: Ah. Halle 5.

"Klar, Jay ist toll!" Aber ich hab auch Hiroo total gerne, auch wenn sie Reis schmeißt und ich finde Exit klasse, weil der viel doller Boxen kann als ich und außerdem mag der Kekse auch gerne." Jamey lacht. "Darum ging es mir gerade nicht so wirklich, aber ich kann dir versprechen: Einen davon triffst du gleich. Wir haben da mal etwas zu tun, was wir versuchen wollen, ja?" Er lässt mich runter, nimmt meine Hand und öffnet die Tür. Er hebt die andere Hand, grüßt offensichtlich jemanden. "Hallo!", rufe ich also in den Raum hinein, nichtwissend wer da steht. Ich kenne die Person nicht. "Das ist Jordan, Jay's Trainer", sagt Jamey zu mir. Ich fühle nach. Jay ist noch nicht hier. "Oh, cool!", meine ich und halte meine Hand in die Richtung, in der ich den Mann vermute. "Jay ist noch nicht da, oder? Und ich darf heute mit ihm trainieren?" Jamey lässt meine andere Hand los. "Ja, wir haben da eine Theorie... Pass auf, es ist wichtig, dass du das verstehst..."

"Hallo Gwendolyn." Man hörte Jordans Begrüßung an, dass er lächelte. "Schön, dich kennenzulernen." Er nahm ihre Hand - sanft, aber bestimmt. "Das wird ein spannendes Training heute. Jamey und ich haben uns in letzter Zeit mal unterhalten und-" Er machte eine kurze Pause, um seine Worte sorgfältig zu wählen. "Du und Jay - eure Esperkräfte haben eine besondere Verbindung. Du kannst Energie für deine Portale aus Strom ziehen, stimmts?" 

"Wir wollen schauen, ob Jay dir dabei helfen kann. Keine Angst, wir werden das ganz anders machen als bei dem Training, an das du bestimmt grade denkst." Jordan ging neben dem Mädchen in die Hocke. "Wir werden Schritt für Schritt üben, ganz entspannt. Und Jamey und ich werden euch anleiten." Er sah zu ihrem Betreuer auf.

Jay schob die Tür zur Trainingshalle auf. Er wusste nicht so richtig, was er davon halten sollte, dass er wieder mit Gwen trainieren sollte. Jordan hatte nach der letzten Sitzung beim Tee alles erklärt. Jay vertraute ihm und er wusste, dass er eigentlich keine Angst haben musste. Trotzdem war ihm ein bisschen mulmig zumute. Was, wenn etwas schiefging? Er bemühte sich um ein Lächeln, trat in die Halle und meinte nur: "Hey."

Tales of Esperia

Communicate

Communication

 

Es ist halb sieben und ich stehe am vereinbarten Treffpunkt hinter dem Kinderwohnkomplex. Brianna muss auch bald da sein, ich spüre ihre Schritte vor dem Haus, wie sie sich duckt und versucht - vermutlich - den Blicken der anderen zu entgehen. Ich bin gut geworden, der Radius in dem ich mich ohne Probleme alleine bewegen kann wird größer. Das habe ich Jamey zu verdanken, das weiß ich, aber besonders leicht fällt es mir, wenn ich die Menschen mag und schon des Öfteren um mich hatte. Brianna nähert sich. Ich lächle.

"Hey Gwenny", kichert sie und zieht mich in das Waldstück hinter dem Wohnheim. Da sehen wir uns jetzt immer, weil wir dann austesten können, was wir zusammen erschaffen können. Neulich haben wir in einem meiner Portale zusammen Suppe gekocht. Okay, dass ist nicht so großartig, aber wir fanden es so faszinierend, dass sie in meine Portale eingreifen kann. Und so haben wir auch gemerkt, dass sie sie offen halten kann, durch einzelne Feuerringe, die sie um die Portal-Öffnung erzeugt. Allerdings verbrennt über kurz oder lang auch die inneliegende Welt.

Heute wollen wir die Sache mal austesten und ich hatte Lust den schwedischen Wald zu besuchen in dem ich mit meinen Eltern war. Sie hat versprochen das Portal offen zu halten und ich würde mal hindurchklettern. Nur mal kurz. Ich war noch nie in einer meiner eigenen Welten!

"Bereit?", fragt Brianna und stupst mich an.

"Aber sowas von!", sage ich und nehme mein Knochenmesser aus der Tasche. Mit einer geschickten Bewegung und dem üblichen vibrierenden Gefühl in meiner Brust öffne ich das Portal und ich spüre den Wind aus der Welt strömen, wie die Bäume rauschen, die Vögel zwitschern.

Brianna räuspert sich und es hört sich an als ob ein Toaster angeht, als das Feuer den Rand des Portals berührt. Ich stecke meine Füße durch das Portal und atme tief ein. Es riecht nach Schweden.

In meiner Brust vibriert es weiter. Aber irgendwas ist anders als sonst, anders als in meiner Erinnerung. Ich möchte in die friedlichen Klänge eintauchen. Aber da ist mehr. Ich lausche auf. Ein flüstern dringt durch das Geräusch des Feuers, löst die Kälte ab und intensiviert sie weiter.

 „Warum bist du hier?“ fragt jemand.

"Ich...", stottere ich und sammle mich. Sei mutig. Sei jetzt mutig, rede ich mir ein. "Ich suche meine Eltern. Ich bin... Bin ich in Schweden?"

Die Stimme sagt: "Die Reise war lang. Erinnere dich."

Ich bin verwirrt. Es wird kälter. Ich habe noch mehr Angst, ich zittere, kann kaum noch stehen, japse nach Luft.

"Was bist du? An was soll ich mich erinnern? Wo bin ich?" Und ehe ich mich beherrschen kann, laufen mir Tränen aus den Augen. Ich habe solche Angst, ich bin allein hier drin. Was passiert hier und: wo sind meine Eltern? Sie sollten doch hier sein? Ich halte mir die Ohren zu und breche auf der Stelle zusammen. "Wer bist du? Wo bin ich?"

Durch meine Hände lausche ich, als wollte ich gleichzeitig hören und nichts hören. Es hat noch nicht aufgehört. Nein, es kommt mir sogar lauter vor, und die Stimme, die nun spricht, scheint eine andere zu sein:

„Hab keine Angst. Das ist nur Kommunikation.“

Es ist nicht auditiv. Es ist in meinen Kopf, ich kann sie nicht loswerden oder übertönen, die Stimmen jagen sich darin und es ist nicht mehr auszuhalten. Ich höre es durch eine andere Ebene. Als hätte ich ein Portal in meinem Kopf geöffnet und nun sind sie da. Sie gehen nicht weg. Ich beginne zu zittern während neben mit die kalten Flammen nach mir greifen. Die Farbe löscht sich aus. Sie wollen mich fressen. Ich... Ich zittere. Suche Schutz in meinem Kopf.

Doch die erste Stimme meldet sich zurück.

"Wer bist du?

Wie bist du geformt worden, im weiten Ozean der Schöpfung?

Wir sind für die Sterne gemacht.

Du existierst innerhalb der Grenzen von Raum und Zeit, und darüber hinaus.

Befreie dich."

Ich kann nicht mehr handeln. Ich weiß nicht was ich tun soll als mir den Kopf zwischen die Knie zu klemmen und zu schaukeln. 'Geht weg', denke ich angestrengt und spüre wie die Tränen über mein Gesicht laufen, aber die Flammen lassen sie fast gefrieren. 'Geht bitte weg.' Doch was auch immer mit mir spricht geht nicht weg. Im Gegenteil, plötzlich erhebt sich eine weitere Stimme in meinem Kopf die den ersten zu antworten scheint:

"Ihr seid die Stimmen in meinem Kopf. Ihr seid gekommen, um mich zu verschlingen."

Ich öffne meine Augen. Ich hoffe das es etwas ändert und schreie in das niederbrennende Portal: "NEIN! IHR SEID STIMMEN IN MEINEM KOPF! RAUS! RAUS! RAUS MIT EUCH!" Ich stöhne, höre aus der Ferne Briannas Stimme, die angstverzerrt meinen Namen ruft, doch ich kann nicht auf noch das bearbeiten. Ich kann einfach nicht mehr.

Die erste Stimme scheint zu antworten:

"Ist das deine Wirklichkeit?

Du kannst sehen. Was siehst du?", während die zweite dazwischenfunkt mit: "Visionen in deinen Augen!" und die erste wieder sagt:

"Dass alles aus den Webmustern von Klang und Licht besteht?

Aus Echos und aus Regenbögen, Puzzleteilen des Unendlichen.

Erinnere dich."

Ich erstarre. Visionen in meinen Augen? Kann sie sehen was ich sehe? Sieht sie meine Welt als Schnittstelle zu ihrer? Kann sie mich gar nicht hören? Geht es um mich?

Meine Tränen versiegen. Mein Herz schlägt schneller, meine Atemfrequenz steigt. Ich habe Angst. Unfassbare Angst das jemand die Frequenz meines Gehirns nutzt. Das scheint eine andere Dimension zu sein. Etwas, was ich gar nicht sehen darf, etwas was rein auditiv funktioniert. Und sie antworten mir nicht wirklich. Die unterhalten sich. Das realisiere ich, als die dritte Stimme mir wieder die Worte aus dem Mund nimmt:

„Ich will nicht mehr. Ich will, dass es aufhört. Ich kann nicht...“ spricht sie leiser und wird von der Zweiten unterbrochen:

"Es liegt in unserer Natur, nach mehr zu streben. Bekämpfe das nicht! Bald wird es keine Grenzen mehr geben."

Stille. Nur das Knistern des Feuers, dass die Farben frisst dringt an mein Ohr. Als hätte jemand das Walkie Talkie in meinem Kopf ausgestellt, als würde er Schweigen, lauern. Oder ich habe ihm und ihr und der anderen ihr doch den Zutritt verweigert zu der Welt meiner Gedanken. Es wird kälter. Briannas Schrei dringt an mein Ohr und geht mir durch Mark und Bein: "DU BRENNST!", schreit sie und ich klettere aus dem Portal, stolpere halb aus dem schwedischen Wald und lande hinter dem Kinderwohnheim der UnEsCo auf dem Boden zu Briannas Füßen.

"Was war das?", brüllt sie mich weiter an. "Du bist fast verbrannt und dann sahst du aus als ob du dich einfach... Auflöst und... Was zum Geier hast du da geschrien? Mit wem hast du geredet?"

Ich rapple mich auf, schließe das Portal, beruhige mich erst, als es dieses Zipp-Geräusch macht, dass mir verspricht, dass es vorbei ist. Das die Welt nicht wieder kommen kann, dass sie nicht heraus kommen kann und ich wieder in meiner Welt bin in der ich nichts mehr teilen muss. Keine Sorgen aus den Portalen muss ich mit nehmen. Hier bin ich sicher. Jackson. Ich muss zu Jackson.

Vorsichtig ziehe ich mich an Brianna hoch. "Ich bin besessen.", murmele ich. "Da waren Stimmen in meinem Kopf, Bria. Ich..."

Und plötzlich schaltet sich die Stimme wieder zu. Schreiend halte ich mir die Ohren zu. Es kam also nicht aus dem Portal. Es hatte damit nichts zu tun. Es ist hier. Sie sind hier, sie sind in mir, ich kann sie nicht ablegen. Die erste Stimme sagt:

"Bist du müde?

Erinnere dich, wer du bist. Du bist nicht allein. Du bist nie verloren.

Das ist deine Heimat, die sich ausbreitet

Über die Grenzen von Zeit und Raum hinaus.

Strecke dich nach dem Himmel. Überquere die Brücke ins Endlose.

Das ist eine Tür. Du hältst den Schlüssel. Öffne sie."

Ich sacke zusammen, ich rolle mich auf der Erde zusammen, schreie, weine, Strample. Spricht sie mit mir? Meint sie diesmal mich?"Wer bist du?", wimmere ich, während ich auf dem Boden liege und Brianna anfängt um Hilfe zu schreien. Laut. Sehr laut. Und währenddessen versiegen meine Tränen. Ein kalter Schauer zieht sich durch meinen ganzen Körper als die vierte Stimme antwortet:

"Komm zu mir.

Verleugne mich nicht. Ich bin dein alter Dämon.

Verschmelze, werde eins mit mir. Ich bin dein neuer Teufel."

Eine uralte tiefsitzende Angst ergreift mich, greift nach meinem Herzen, umschließt mein Gehirn und ich verliere das Bewusstsein. Brianna schreit.

Jackson machte ein ernstes Gesicht. Sie hatte mehrere Seiten Papier in kleinen Buchstaben zusammengeschrieben; nach einigen Fragen waren diese Bleistiftspuren mit noch einer Schicht roter und blauer Kommentare versehen. Als sie schließlich einige Sekunden dagesessen hatte, hinter ihrem riesigen Schreibtisch, und Gwen nachdenklich angestarrt hatte, ging ihr Blick zu James über. „Es tut mir Leid.“ Begann sie mit einem Räuspern und holte tief Luft. „Aber es führt kein Weg vorbei. Ich glaube, jetzt ist klar, dass es keinen Weg zurück gibt.“

Gwen, neben ihrem Betreuer in einer Kugel zusammengerollt hockend, war zu rhythmisch schaukelnden Bewegungen zurückgekehrt. Ihr Schluchzen war noch zu hören, aber leiser und weniger heftig. Man konnte nicht genau sagen, was sie um sich herum wahrnahm; das schien Jackson in diesem Moment aber nicht allzu sehr zu stören. Auch Jamie hielt sich nicht lange zurück. „Es wurde schon genug versucht.“ Machte er einen Versuch des Rückzugs. Gleichzeitig strich er seinem kleinen Schützling etwas hastiger über das blonde Köpfchen. „Wieder und wieder. Sie hätte nicht mit hineingezogen werden dürfen. Von Anfang an nicht.“ „Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal darüber nachgedacht haben, aber Gwendolyns Schicksal war so ziemlich entschieden, bevor sie zum ersten Mal in mein Büro gebracht wurde.“ Bemerkte Jackson kühl, aber auch mit einem gewissen Groll in der Stimme. „Jetzt ist es definitiv zu spät, davor davonzulaufen. Jetzt, wo sie uns selbst zu einer wichtigen Spur geführt hat.“

Sie tätigte einen vielleicht drei Sekunden andauernden Sprachanruf innerhalb der Abteilung; wenige Sekunden später erschien eine weißgekleidete Mitarbeiterin der Krankenstation und hatte, ehe Jamie sich richtig darauf vorbereiten konnte, dem kleinen Mädchen eine Spritze in den Oberarm verabreicht. Ein Kollege tauchte auf, um ihr beim Tragen zu helfen, aber das war nicht nötig. Bis zum Transportbett waren es nur wenige Schritte, und was wog Gwen schon?

 

Kälte. Als ich erwache, bin ich nur in die dünne Krankenhausbekleidung des Trainingszentrums gehüllt, liege auf einem der Krankenhausbetten auf Rädern. Das Gefühl kenne ich gut. Ein wenig zu gut vielleicht. Die Fragen, die sich mir nun stelle, kann aber keiner beantworten, denn um mich scheint absolut kein Mensch zu sein – dem Hall zufolge befinde ich mich in einem kleinen, ziemlich leeren Zimmer. Eher einem kurzen Flur, wenn ich mir das so ansehe, einem Übergangsraum, der mindestens zwei Türen verbindet. Stimmen sind hinter einer von ihnen zu hören. Leute unterhalten sich, das ist gut, das bedeutet, ich bin nicht alleine. Ich sehe mir die Deckenleisten an, fokussiere mich ein bisschen und versuche die Stimmen zu verstehen... Aber es geht nicht. Was soll's, denke ich, ist ja niemand da. Also will ich aufstehen doch... Etwas hält mich fest. Die Arme kann ich nicht heben, etwas beißt bei dem Versuch in die Haut meines Handgelenks, wie eine ätzende Flüssigkeit, ebenso an den Füßen. Ich hebe den Kopf, Panik kriecht in mir hoch. Wo bin ich. Warum bin ich hier? Wieso diesmal? Was...? Etwas knarzt in meinem Kopf, ein mechanisches Geräusch, als ob eine Tür aufgeht, als ob sich eine Luke öffnet und jemand in mein Gehirn tritt:

"Wo willst du hin?

Möge ein jeder frei sein,

frei von Leid und den Ursprüngen des Leids."

Da ist sie wieder. Diese Stimme. Sie ist mir im Wald begegnet und mein Körper bebt, ich will die Arme an den Kopf heben, will schreien, aber beiße mir auf die Lippe. Ich weiß nicht, ob sie mich diesmal hören können. Meine Familie lebt hier, ich darf sie nicht gefährden.

Während mein Innerstes zittert, erhebt sich Stimme Nummer 4:

"Diese Welt wird niemals ein besserer Ort."

Ich höre ihr zu. Spüre ihren Groll. Meine Angst wächst mit jeder Sekunde und ich presse die Augen zusammen, halt efür ein paar Sekunden die Luft an, ich will sie ersticken, diese Stimmen in meinem Kopf, will ihnen die Luft nehmen, auch wenn es nur meine ist, über die ich Macht habe. Als ich spüre, dass ich unbedingt atmen muss, japse ich fast nach Luft und Stimme Nummer eins sagt:

"Zerreiß die Fesseln.

Öffne das Portal.

Kehre zurück zu den Quellen des Bewusstseins."

Ich sehe an mir hinab. Meint sie diesmal mich? Wie kann sie von den Fesseln wissen? Von dem Portal? Von mir? In mir zieht sich alles zusammen. Angst. Neugier. Abenteuer. Das Bedürfnis meine Lieben zu schützen und ich spreche in den Raum hinein:  "Welches Portal soll ich dir öffnen?"

Ein lautes metallisches Geräusch unterbricht meine Gedankenunterhaltung, stört meine Konzentration. Eine Schwester betritt den Raum. Ich sehe sie an. Schockiert, panisch. Geh weg, denke ich, geh doch bitte weg. Wenn die Stimme in meinem Kopf antwortet und die Frau da ist...

Doch die Schwester ignoriert mich fast, ich atme unentspannt aus, versuche nicht zu hyperventilieren.

"Sie ist wach.", sagt die Schwester. Ich sehe sie an. Will ihr bedeuten, dass sie gehen soll, es ist nicht sicher. Dann sehe ich Jackson. Sofort fühle ich mich kleiner, spüre, dass ich nicht mehr stark sein muss wenn sie da ist. Sie passt immer auf mich auf. Von Anfang an. Auch wenn ihre Art sehr... Sehr... Kalt ist.

"Das ist in Ordnung.", meint Jackson. Ihr Tonfall ist konzentriert, effizient. In ihrer Manier schiebt sie sich die Brille den Nasenrücken nach oben. "Das können wir ohnehin nicht vermeiden. Geben Sie ihr das Mittel.“ Meint sie zur Krankenschwester.

Das Mittel muss ich trinken, und es löst meine Starre in wenigen Sekunden. Jetzt ist es auch leichter, den Raum um mich herum wieder klar wahrzunehmen. Die Schwester ist gerade gegangen, jetzt sind Jackson und ich die einzigen hier. Sonst gibt es noch einige Computer und andere Maschinen, die leise Geräusche machen. Viel mehr sicher nicht. Auch die Stimmen sind weg.

"Sie waren hier.", flüstere ich, hoffe, sie hört es. Ich weiß nicht wer zuhört, wer meine Gedanken hört. Ich sehe sie nur an und warte, während mein Herz schneller schlägt.

 

„Die Stimmen?“ Jackson schien einen Moment überrascht. Sie erforschte Gwens – nun willlenstarken – Gesichtsausdruck und nickte ein wenig gedankenverloren, während das Mädchen die Frage bejahte. Lange war die Einsatzleitung jedoch nicht aus dem Konzept zu bringen. „Die Stimmen.“ Wiederholte die Frau nun einem zufriedenen Tonfall. „Sehr gut. Wenn sie da sind, können wir ihnen ein Ende bereiten. Das werden wir machen. Versprochen. Aber zuerst musst du mir ganz genau erzählen, was die Stimmen diesmal zu sagen hatten.“ Sie hatte ein kleines Aufnahmegerät zur Hand genommen und hielt es dem Mädchen hin.

Jackson atmete kaum, während sie Gwens Wiedergabe des eben Gehörten lauschte. Sie wollte es wörtlich haben, so genau wie möglich, ohne Störgeräusche. Dennoch war eine gewisse Spannung zu spüren, als würde sie planen, etwas Wichtiges anzufügen. Das tat Jackson am Ende auch. „Gwendolyn, du solltest wissen, dass sie nicht zu dir sprechen. Auch, wenn es vielleicht so wirkt. Es geht um Portale, und Fesseln und all das, und es scheint, als ob sie genau von dem reden, was du gerade durchmachst, und von dir überhaupt. Aber ich bezweifle, dass du der tatsächliche Adressat bist.“

 

Ich spüre, wie meine Unterlippe beginnt zu zittern. Wie sich meine Augen mit Tränen füllen. "Dann ist es... Dann bin ich nicht gemeint?"Ich schlucke. "Aber... Aber wieso höre ich sie dann.", frage ich eindringlich. In Jacksons Blick suche ich etwas, irgendetwas das mir den Hinweis darauf geben kann, was hier mit mir passiert. "Bin ich... Also bin ich eine Art außerirdischer Radiosender?"

In dem Moment klackt es erneut metallisch in meinem Kopf und ich reiße die Augen auf. Während die Stimme spricht, wiederhole ich es Wort für Wort: "Du hast alles, was du brauchst, nimm meine Hand und folge mir." Kurz konzentriere ich mich. "Stimme zwei ist das.", gebe ich an und versuche wieder zu verstehen, was in meinem Kopf passiert, wieso sie dort sind, woher diese Visionen kommen, doch dann spricht eine andere Stimme weiter: "Kehre zurück zu der Quellen des Bewusstseins. Erinnere dich, erinnere dich daran, wer du bist, geformt in den Meeren von Chaos und Schöpfung."

Ich sehe Jackson an. "Das war Stimme eins."

Jackson hatte sich wohl geduldig darauf vorbereitet, Gwen zu antworten; als dann der neue Anfall einsetzte, gerieht sie in einen ganz anderen Modus. Ein paar Sätze lang starrte sie das Mädchen mit größter Aufmerksamkeit an, dann griff sie nach ihren Händen. „Kannst du aufstehen?“ Bevor eine Antwort folgen konnte, hatte die Frau Gwen schon vom Bett runter auf die Füße gezogen. „Schnell, wir müssen dich auf den Stuhl setzen. Pass auf Gwendolyn, das ist jetzt sehr, sehr wichtig.“ „Dein Ende erwartet dich dort.“ Murmelte das Kind. „Stimme Nummer 4.“ Jackson zögerte einen Moment, als diese neue Nachricht kam. Dann, hastig und unerwartet, nahm sie das Kind, das vor ihr stand, auf den Arm und trug es ein paar Schritte. Ziemlich unsanft landete Gwens – vor Schock fast leblos wirkender - Körper auf einer nur leicht gepolsterten, sterilen Liege. „Also, du bist ja ein starkes Mädchen. Ich weiß das. Und es gibt jemand, dem wir helfen müssen. Der Person, mit der diese Stimmen reden. Das können wir nur, wenn du mitmachst.“ Widerworte gab das Mädchen schonmal keine, sie saß nur da mit ihren weit offenen, weißen Augen, mit den Fingern nun an den Armlehnen festgekrallt. Sie saß ruhig genug da, dass Jackson eine Haube, die an einem beweglichen Stahlarm befestigt war, nach unten fahren und mit wenig Abstand über ihrem Kopf postieren konnte. Die Noppen, die aus dem Helm auf ihren Kopf herunterfielen, positionierte die Teamleitung dann hastig an speziellen Stellen des Schädels, die sie wohl auswendig kannte. „So, Gwendolyn. Damit wir eine Möglichkeit haben, diesem Menschen zu helfen, der ziemlich ähnliche Dinge durchmacht wie du – und damit dir – müssen wir jetzt etwas versuchen. Wir müssen ein Portal öffnen.“ „Wer bist du?“ kam es wie eine Antwort aus dem Mund des Mädchens zurück. „Wie hast du dich geformt, in den Ozeanen der Existenz? Erste Stimme. „Genau, gut, bleib - bleib dabei.“ Lobte Jackson schnell. Sie war schon dabei, an einem Monitor Einstellungen zu bearbeiten. „Einen Moment noch – dann geht es los. Es könnte kurz etwas unangenehm werden.“ Das bekam Gwen schon nicht mehr so richtig mit, während sie „Ist das die Wirklichkeit, eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt?“ flüsterte. Die letzten Dinge, an sich das Mädchen nach dem Aufwachen erinnerte, waren ein plötzlicher, den Körper vom Kopf aus durchziehender Schmerzimpuls, und Jacksons Worte: „Das wäre die Stromversorgung.“

 

Nachspiel

Es war nicht das erste Mal, dass die Rückkehr von einem Einsatz abrupt und unter weniger als perfekten Umständen vor sich ging. Im Gegensatz zum letzen Mal war Jackson als Hauptverantwortliche schonmal so ähnlich wie ansprechbar – nur in der Hinsicht nicht, dass sie alle Hände voll zu haben schien, um das entstandene Chaos mithilfe von vielen Anweisungen und Anrufen in Ordnung zu bringen. Das allein überraschte wohl keinen. Nach den mehr als verwirrenden Ereignissen, die vielen Beteiligten Anlass gab, ihre mentale Gesundheit in Frage zu stellen, wurde die Ankunft eines militärischen Einsatztrupps auch ohne Weiteres hingenommen.

Die Hubschrauber waren noch im Landeanflug, als Jackson zu ihrem eigenen Trupp stieß, der sich bereits beim Auto versammelt hatte. „Du übernimmst.“ Wandte sie sich an Jay und deutete zum Fahrerplatz. Sie selbst warf ihre kleine Reisetasche in den Kofferraum und ließ sich auf den Beifahrerplatz plumsen. „Navigator müsste in Voreinstellung sein. Es darf ruhig schnell gehen, aber bitte die Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht mehr als 10 Meilen in der Stunde überschreiten.“ Während der Fahrt störten die vorbeiziehenden bunten Wiesen, die großen Seen und die kleinen Orte der kanadischen Landschaft Jackson überhaupt nicht bei der konzentrierten Bedienung ihres Smartphones. Auch die Gespräche ihrer Rekruten schien die Einsatzleitung vollkommen auszublenden.

Jay nickte knapp. „Geht klar.“ Dann schwang er sich auf den Fahrersitz. Eigentlich hatte er partout keine Lust, mit Navi zu fahren. Er hasste diese Dinger. Aber es nützte ja nichts. Glücklicherweise ließ sich die Adresse des Flughafens dann doch recht schnell finden. Während die Sprachausgabe schon die ersten Anweisungen durchgab, startete Jay den Motor und lenkte das Auto aus der Parklücke. Nur wenig später verließ der Wagen samt Insassen das Grundstück des Swan River Rehabilitation Centers. Jackson hatte sich sofort ausgeklinkt. Sie schien abwesend, doch Jay hielt sich trotzdem so genau wie möglich an ihre Anweisungen. Man wusste ja nie. Er traute seiner Vorgesetzten so ziemlich alles zu. Vermutlich hätte sie selbst mit verbundenen Augen noch den genauen Tacho-Stand ansagen können. Während der junge Esper das Auto über die Landstraßen führte, tat er es seiner Chefin gleich und versank vorerst in Schweigen.

Das Rattern des Automotors machte mich sofort schläfrig. Aber an Schlaf war nicht zu denken, auch, wenn Hiroo und ich mittlerweile gute Kuschelpartner nach Einsätzen waren. Vermutlich hatte ich auf ihrem Schoß besser und ruhiger geschlafen als je auf dem Gelände der UnEsCo, in meinem eigenen Bett.

Ich tat, was ich nach Abenteuern dieser Art immer Tat: Ich rutschte etwas näher zu ihr, lehnte meinen Kopf an ihre Schulter und seufzte ein bisschen.

Meine Hände zitterten noch etwas. In meinem Kopf spulte ich zurück was die anderen gesehen hatten: Ich sah mich selbst, wie ich dem Hausmeister den Arm abhackte, ich sah, wie ich ein Auto zerlegte. Ich sah, wie ich zitternd vor Wut auf der Straße stand und schwankte. Wie Jay nach meiner Hand griff, weil er die Auswirkungen der Portale besser verstand als ich selbst, aber vermutlich hatte er unseren Trainern auch besser zugehört. Ich sah, wie ich innerlich erschlaffte, als die Anspannung nachließ und dennoch saß ich nun hier in diesem Wagen und ich war unruhig. Ich hatte der falschen Person vertraut, war alleine herum gestrolcht, hatte die falschen Schlüsse gezogen. Ich war drauf rein gefallen. Und mich beschlich der Gedanke, dass genau dass der Punkt war, den die Esper machen wollten. Sie hatten mich vorher angezapft, dann manipuliert und ich hatte getan, was sich immer als gut, aber diesmal als schlecht erwiesen hatte: meinem Instinkt vertraut.

Vorsichtig griff ich nach Hiroos Hand. Es mag absurd klingen, aber das Level an Wut, was ich in dem Moment empfunden hatte, als ich dem Hausmeister wehtun WOLLTE, als ich das Auto zerstören WOLLTE, das war eine Kraft, die mich mit ihr verband. Die Wut, die Zerstörung, die Kraft mit der die junge Frau vorging... Ich hatte das Gefühl, dass sie das besser verstehen konnte, als Jay. Auch wenn ich die Wut nicht verstand. Woher sie kam, warum sie da war. Und ich entschloss, dass ich Hiroo darauf ansprechen musste.

"Hiroo?", sagte ich leise. "Ich hab Angst." Und vorsichtig und in der Hoffnung, dass Jackson es nicht hörte, erläuterte ich ihr, dass ich manchmal das Gefühl hatte, dass ich beim Öffnen der Portale eine andere Kraft freisetzte, die mich fremdsteuerte und so viel Zerstörung frei setzte, dass ich sie nicht mehr halten oder kontrollieren konnte.

In Hiroos Kopf ging es gerade noch etwas drunter und drüber. Hatte sie wirklich den Neffen von Jackson auf den Asphalt geschleudert und dabei doch etwas stärker in Mitleidenschaft gezogen? 'What the hell did they think sneaking up on us like that would accomplish?' Doch diese Gedanken verschwanden schnell in den Hintergrund als Gwens Schmuseattacken in einer an sie gerichteten Frage mündeten. Sie hörte ihr aufmerksam zu während der Wagen bereits in voller Fahrt über den links und rechts bewälderten Highway heizte.

"Maybe it is something else that's driving you. A spirit that guides you through a fabric of reality. How do we even know to trust our own eyes. Your powers may be a bit different but still... as long as you feel, you gotta live with that. Even the parts of you that feel apart from you." Sie hielt Gwens Hand etwas fester und schaute sie an. "I can feel you. There's nothing else to guide us. My impulses, however I feel about them, are a part of me. Whatever's behind it, accept that it is a part of you and learn to guide it. I learned it the hard way, and well... I'm not exactly finished learning through all the times I failed in my own eyes. For me it's not about control, it's about becoming true to yourself. And your faults."

"But this is only how I feel about myself. What do you wanna feel when you look upon yourself?" 

"Also...", begann ich und grinste ein bisschen in mich hinein. "Auf meine Augen verlasse ich mich nicht mehr, seit ich acht bin!" Aber ich wurde sofort wieder Ernst. "Aber diese ganze Wut, das alles... Das tut so weh! Von innen heraus. Weißt du was ich meine? Ich weiß nicht, wie ich herausfinde was richtig und falsch ist, wie ich dieses Gefühl unter Kontrolle kriege und dann erlebe ich dich, wie du das Feuer umher schleuderst und irgendwie weißt, was du tust. Und ich finde es so cool, dass du dir nichts von anderen sagen lässt und das du immer weißt, was du willst. Weißt du... Woher soll ich denn wissen was ich sein will oder was ich sein kann, wenn ich das alles irgendwie bin? Wenn ich unendlich wütend bin, wenn die Wut wie Eisen auf meiner Zunge schmeckt, wenn sie pulsiert und wabert und ich kaum mehr denken kann, wenn alles was ich will, nur ist, dass das Gegenüber weg ist. Möglichst schmerzvoll. Und gleichzeitig will ich das gar nicht, weißt du? Da will ich, dass alles in Ordnung ist, in Frieden. Irgendwie gut. Und ich weiß, dass es möglich ist, weil ich mich für einen guten Menschen halte. Und dich. Und Jay. Und Exit. Und all die anderen von denen die Leute sagen sie wären zu speziell und anders. Und ich würde so gerne die beschützen, die es Wert sind beschützt zu sein. Gleichzeitig frage ich mich, warum ausgerechnet ich werten sollte wer das sein soll und wer nicht?

Wenn ich diese Kraft nutze, Hiroo" und meine Stimme wurde noch etwas leiser "Wenn ich die Portale öffne, dann fühle ich gar nichts mehr von der Gwen für dich ich mich halte."

Es war das erste Mal, dass ich das leise Aussprach. "Wenn ich groß bin, wäre ich gern mehr wie du. Stark und selbstbewusst und genau dann lieb, wenn es wichtig ist." Mit diesen Worten drückte ich sie sehr fest und lies mich dann in den Sitz zurück sinken.

"Danke.", sagte ich noch ein wenig kleinlaut. "Aber sag mal... Ist bei dir alles okay? Du hast doch den einen Kerl ganz schön weg geklatscht, oder? Lebt... Also... Lebt der noch?" 

Wenngleich Exit von der Unterhaltung seiner Teamkameraden nichts mitbekam, sie hätten sich noch so laut unterhalten können, so kochte auch in ihm eine unbändige Wut. So eine Wut, wie sie nur von Enttäuschung rühren kann. Nicht, weil die Mission nicht wie geplant verlief. Seine Teamkameraden waren geradezu großartig gewesen. Nein, Exit hatte sich selbst enttäuscht. 

Ja, die Verwandlung in die dicke Dame war ihm geglückt. Und dennoch hat er keine Rolle gespielt. Nicht in dieser Mission. Hinterher gerannt ist er. Im entscheidenden Moment. Wofür hatte er eigentlich so viel trainiert, wenn er es nicht einmal schaffte zivile Personen vor einfachen Soldaten zu beschützen? Nicht einmal vor einem Hausmeister. Nur, weil er nicht schnell genug war. Ja, für die kleine Gwen oder die heißblütige Hiroo war das kein Problem. Die sind großartig im Kämpfen auf Entfernung. Selbst Jay konnte helfen, indem er das Auto davon abhielt zu flüchten. Nur Exit hinkte hinterher. Er, der so gern Held sein wollte. Und wer ist schon ein Held, der sich in der Öffentlichkeit nicht als ein Solcher beweisen kann?

Was würde Mrs. Marple sagen, wenn sie ihn jetzt so sehen könnte? Würde sie ihm erklären, dass das doch nicht so schlimm sei? Wäre sie auch enttäuscht? Würde sie ihm sagen, dass das mit dem Held werden doch auch nur wieder eine Schnapsidee von Exit gewesen sei? Das hätte eh keine Zukunft?

NEIN! So war sie nicht. Was machte diese Wut gerade mit ihm? "Exit, reiß dich zusammen!", beschwor er seine Gedanken. Mrs. Marple hätte ihm wahrscheinlich eine Standpauke gehalten, warum er nicht noch mehr gekämpft hatte. Held sein ist der Weg. Das stetig über sich hinaus Wachsen und Herausforderungen meistern. Oder so ähnlich. In solchen Momenten wurde Exit immer wieder gewahr, wie sehr er Mrs. Marple und ihre strenge, fürsorgliche, verständnisvolle Art vermisste.

"So darf es nicht sein! Ich geb nicht auf! Ich werde der stärkste Held, den es je gab!". Diese Worte hätte Exit am liebsten zusammen mit aller Wut aus seinem Körper geschrien. Stattdessen ließ er seinen Blick aus dem Fenster schweifen, um sich nicht mit den Anderen unterhalten zu müssen. So konnten sie auch nicht sehen, wie er die Tränen in seinen Augen wegblinselte.

Exit würde einen Weg finden, seine Schwächen zu überwinden und der Held zu werden, den er in sich versteckt wusste...

Hiroo suchte gerade nach den richtigen Worten für Gwens Frage. Zwischen den anderen war es verdammt still. Vermutlich waren sie noch zu stark in ihren eigenen Gedanken versunken, darüber was gerade abgegangen war. Sie versuchte etwas ruhiger zu sprechen als sie es wohl normalerweise getan hätte. "I think so. He wasn't amused though after getting up again. He was knocked out cold for about half an hour. He didn't even speak a word with me." Hiroo merkte dass auch Gwen sich wohl noch ihren eigenen Zweifeln stellen musste, während sie sich in der doch langsam aufkommenden Wärme im Auto in ihren Sitz kuschelte. Die Schulter leicht zu Gwen gerückt falls sie sich andrücken wollte. "Let's sleep. At least for a while." Langsam aber stetig fiel Hiroo in einen unruhigen Schlaf.

Wenigstens eine Stunde lang blieb es ziemlich ruhig. Die Missionsteilnehmer gaben sich ihren Gedanken oder Träumen hin, und auch Jacksons schriftlicher Kommunikationseifer hatte sich gelegt. So hätte es noch eine Weile weiter durch die Wälder von Süd-Manitoba gehen können, wenn nicht die Teamleitung sich irgendwann vorgebeugt hätte, auf dem Navigator herumgetippt und dann Jays schnellem Seitenblick begegnet wäre. "Nächste Abbiegung links." lautete der Auftrag. Der junge Mann wusste noch, dass das nicht dem ursprünglichen Plan entsprach, aber als er auf den Monitor blickte, war er dunkel.

Nicht alle bekamen etwas von diesem Moment mit, auch die Rechtskurve ging unauffällig von Statten. Der darauffolgende Schotterweg, auf dem Jay nur sehr langsam fahren konnte, ließ einige dann doch aufsehen, und erst recht, dass er auf Jacksons Aufforderung hin bald am rechten Rand stehenblieb. Ab da begann alles, was UnEsCo-Missionen und ihren Rückreisen schon immer merkwürdig gewesen war, surreal zu werden. "Pinkelpause!" verkündete Jackson und schwang kraftvoll die Tür auf, aus der sie in einen Graben trat. "Alleman aussteigen!"

Jay war irritiert. Die Anweisung schien aus keinem für ihn nachvollziehbaren Grund zu erfolgen. Was hatte Jackson dazu bewogen, plötzlich in diesen gottverlassenen Wäldern abbiegen zu wollen? Im Grunde wusste Jay, dass seine Vorgesetzte immer mal wieder Dinge tat, die er so nicht erwartet hatte und/oder die er auch erstmal nicht verstand. Er tat, wie ihm geheißen und lenkte den Wagen auf den Waldweg, der von dem geteerten Highway abzweigte. Was jetzt kam, irritierte ihn nur noch mehr. Seit wann machten sie Pinkelpausen? Jay hatte den leisen Verdacht, dass das nur ein Vorwand war. Aber wofür? Leicht angespannt durch die Unsicherheit, wie sich die Situation entwickeln würde, stieg der junge Mann aus. Während er sich zu den anderen gesellte, behielt er die Umgebung im Auge und sperrte die Ohren auf. Man wusste ja nie...

Hiroo wurde abrupt geweckt. Der Motor des Wagens war aus. "What do you mean, Allemagne? Are we in Germany?" Hiroo stieg zur Fahrerseite aus und stiefelte den anderen hinterher. "Jay." Hiroo kam auf ihn zu. "Did you take the wrong turn? Where the hell are we?"

Jays Aufmerksamkeit wurde jäh umgelenkt, als Hiroo hinter dem Wagen hervorkam. Er drehte sich zu ihr um. "I have no idea. I only did what I was told to." Sein Blick schwenkte zu Jackson, die bereits an den Rand des Grabens getreten war.

"Germany 1989." Jackson sprach diesen Satz wie einen Seufzer aus, und laut genug, dass alle ihn hören konnten. Ob alle das taten, schien ihr zunächst egal zu sein, denn sie begann, gemütlich vom Wagen und der Richtung der Landstraße wegzuschlendern. Ein Duzend Schritte nur, dann blieb sie stehen und schaute in den Wald hinein wie in eine weite Ferne. "Has it been 40 years now?" fragte die Leitung des Trainingszentrums einen unbekannten Adressaten. "My first very own mission. Wir sind das Volk." Der letzte, fremdsprachliche Satz war zum Murmeln geworden, doch Jackson setzte nach einem kurzen Innehalten wieder in erzählerischem Ton an. "You know, it's important to trust in your people, your leaders. But sometimes, you know, after fourty years and a bit, some walls will crumble eventually. You have to chose what side you want to stand on when it happens.  Hopefully, this time again it will be the end of a war, not the beginning." 

Ich kroch vorsichtig und verschlafen aus dem Auto. "Ich muss gar nicht pullern.", murmelte ich, rieb mir die Augen und rutschte vom Sitz, sodass meine Füße den Boden berührten. Ich gähnte.
Jackson sprach über Krieg, irgendeine Sprache und 1989. *Zeitreisen?*, überlegte ich kurz und rieb mir mit den Händen nochmal über das Gesicht. *Wach werden, Gwenny, werd wach!*, sagte ich mir und räusperte mich bevor ich vorsichtig auf die Knie ging und den Boden betastete. Neues Territorium, hier war ich noch nie, also wie weit sind alle entfernt? Mit dem leisen summen in meinem Kopf nahm ich die Menschen wahr, die neben dem Auto standen und die Beschaffenheit des Bodens. Ich richtete mich auf.
"Das Ende des Krieges?", fragte ich vorsichtig. "Und... Sie waren schon einmal in Deutschland?"
Vorsichtig versuchte ich meinen Himbeertee aus meiner Tasche zu ergattern. Wenn das so war, dann wollte ich es sehen. Jacksons erster Einsatz? Und dann seufzte ich leise. 1989. Dahin konnte ich nicht sehen. Und es war das erste Mal, dass ich die Grenzen meiner Fähigkeit wirklich blöd fand. Jetzt wäre ich wenigstens neugierig gewesen.
"Beenden wir einen Krieg?", murmelte ich deshalb. "Oder starten wir einen?"

Gwendolyn wirkte noch verschlafen, als sie diese Fragen in Richtung Jackson stellte, aber als die Missionsleitung sich umwandte, begegnete sie dem Mädchen mit einem unglaublich müden Blick. Die Frau sah wirklich alt aus im diesem Moment. Es war nur ein kurzer Moment, aber man konnte meinen, eine Mischung Mitleid und Bitterkeit darin lesen zu können. Das letztere Element fand sich in der Stimme wieder, mit der Jackson fortfuhr. "Wer sind wir? Die United Esper Coorporation?" Diesen Slogan hatten die Bewohner des Trainingszentrums Kansas schon häufig in verschiedenen Versionen gehört und gelesen, aber nie mit einer aufsteigenden, fragenden Intonation am Ende und dem gleichzeitigen sarkastischen Tonfall. "Die größte Espercoorporation der Welt. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Esper zu vereinen, zu unterstützen und zu schützen. Darüber hinaus hat sie sich dem Wohl der gesamten Menschheit verpflichtet." Diese Zitate ausspeiend war die Alt-Agentin schon weitergeschlendert, die blondierten Haare in ihrem Nacken boten von der Autofahrt noch einen zerzausten Anblick. Anscheinend visierte sie den modrigen Baumstammhaufen an, die einzige Attraktion der Lichtung. Vorsichtig platzierte Jackson ihren knochigen Körper halb lehnend, halb sitzend auf ihm. Sie schaute nun wieder auf ihre Rekruten zurück, aber nicht in der Art eines Colonels, einer Teamleitung oder sonst einer Bevollmächtigten. Von unten herauf wirkte es fast wie ein Blick auf Augenhöhe. "Wer wäre ich, einen Krieg mit der UnEsCo zu beginnen?"

Diesen Blick, den Jackson ausstrahlte hatte sie bisher nur einmal gesehen. Ein Blick von tiefer Erschöpfung. Doch beim letzten Mal hatte sich Hiroo das ganze mit der Gehirnwäsche erklären können, welche Jackson verpasst worden war. Ihre ansonsten mit der Mimik einer steinernen Statue eiskalt agierenden Einsatzleiterin in diesem Zustand und so unverhofft zu sehen brachte Hiroo innerlich ins taumeln. Gerade weil dieser Auftrag ihr im Verhältnis zum letzten Mal so viel weniger belastend erschienen war, überraschte es sie in welcher Art sich Jackson ihnen offenbarte. "What... are you...", Hiroo räusperte sich und versuchte ihrer Stimme einen klaren festen Klang zu geben, "What are you talking about?" Sie stand aufrecht und schaute auf Jackson.

Jay war innerlich aufgewühlt. Dass Jackson sich freiwillig von so einer verletzlichen Seite zeigte, war verwirrend genug. Doch das, was sie ihnen offenbarte - so vage es auch formuliert war - warf den jungen Mann aus der Bahn. Jay hatte seine Chefin für die Unesco-Konforme Nummer eins gehalten. Wie auch immer man die Unesco einschätzte, er hatte geglaubt, dass Jackson solide dahinterstand. Was also war es, das eine kalte und in seinen Augen skrupellose Person wie Penny Jackson die Andeutung machen ließ, sich gegen die Organisation auflehnen zu wollen? Jay hatte ihr nie vertraut und würde das auch weiterhin nicht. Aber offensichtlich kannte er Wahrheiten nicht, die einige Dinge änderten - weil er sie übersehen hatte. Aber auch, weil sie ihm vorenthalten worden waren. Man hatte mit ihnen gespielt. Und das machte Jay wütend. Gleichzeitig war er wütend auf sich selbst, weil er das ja immerhin zugelassen hatte. Der junge Mann kämpfte verbissen mit seinen Gefühlen. Nach außen hin versuchte er den Hexenkessel zu verbergen, der in seinem Inneren brodelte. Für den Moment verieten ihn nur zwei Dinge: Sein Blick und seine Stimme, die sich fast schon wie ein drohendes Knurren anhörte.

"Es gäbe ja auch keinen Grund, Krieg gegen eine perfekte Organisation zu führen, oder?"

"Es hätte keinen Zweck, denn so einen Krieg könnte man nicht gewinnen." gab Jackson schnell und trocken zurück, schien sich jedoch einen Moment später der Verwirrung zu besinnen, die sie mal wieder gestiftet hatte und räusperte sich. "Es ist nicht die Inkompetenz, die mir zu schaffen macht. Auch die moralischen Überlegenheitskomplexe mancher Kollegen haben mich bisher eher kalt gelassen. Unter der Lupe sehen sie nicht anders aus als die skrupeloseren Egos in den Chefetagen dieser und jeder anderen Firma. Vielleicht erzählt ihr das unserem Heldenfreund nicht - aber auch ich bin kein Idealist. Man könnte mich vielleicht als eine Ratte bezeichnen - aber ich hätte da ein Gegenargument." Ein leichtes Lächeln, das viele Falten warf und an den Narben in Jacksons Gesicht merkwürdige Straffungen erzeugte, stahl sich auf das Gesicht der Missionsleitung. "Ratten verlassen bekanntlicherweise bei Seenot als Erste das Schiff. Ich bin spät dran, Leute. Spät aber nicht zu spät, hoffe ich."An dieser Stelle holte Jackson tief Luft, um sofort wieder anzusetzen. Sie schien viel zu sagen zu haben. "Apropros Inkompetenz, da habe ich eventuell im Glashaus mit Steinen geworfen. Wir werden gleich wieder ins Auto steigen und gemütlich zum Flugplatz fahren. Dort wird uns ein UnEsCo-Flugzeug abholen, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Treppen allein steigen muss oder mit einem rangniedrigen Beamten Händchen halten darf. Das wollte ich lieber vorher ankündigen." Jackson atmete laut hörbar wieder aus.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen und meine Atmung wurde flach. Die UnEsCo war nicht mehr sicher?
Blitzartig flackerten die Bilder des schwedischen Waldes vor meinem inneren Auge. Wie ich meine Eltern suchte, wie sie mich nicht erkannten, wie sie mich anschrien, wie sie mich im Wald suchten, wie ich weinte, wie ich durch meine Tränen körperlich verändert wurde. Wie ich alt und jung war, alles zugleich. Wie ich irritiert und mit Ärzten in die USA geflogen wurde. Wie ich flüchtete, wie mich Jackson fand.
"Warum?", fragte ich vorsichtig. "Warum sind wir gefährdet?"
Meine Handflächen pulsierten und eine warme Flüssigkeit tropfte an meinen Fingern die Hände herunter. Kleine halbmondförmige Narben würden da entstehen. Ich presste meine Finger tiefer in meine Handflächen, damit meine Gedanken sich nicht überschlugen sondern an diesem Punkt verweilten. Diesem Schmerz, auf den nur ich Einfluss hatte.

Welche Geheimnisse wurden ihnen vorenthalten? Wer war Jackson wirklich? Verfolgte Unesco tatsächlich die Ziele, die sie vorgab zu verfolgen? Wer instrumentalisierte wen? Wer kämpfte für das höhere Ziel einer besseren Welt? Was hatte Deutschland und das Volk damit zu tun? Und musste Jackson tatsächlich pinkeln? Exit hätte sich gern solch naive Fragen nach dem Guten gestellt. Gefangen in der Suche nach dem Selbst verharrte er jedoch immer noch angeschnallt auf dem Rücksitz des Personentransportwagens.

Doch in diesem Moment riss ihn die Einsamkeit lautstark aus seinen Gedanken. Wo waren denn die Anderen? Ein panisch schweifender Blick aus dem Fenster ließ ihn jedoch schnell fündig werden. Was taten seine Kameraden denn da? Hatte die Gruppe zu Fahrtbeginn nicht das Camp als eigentliches Ankunftsziel auserkoren? Auch der Anblick seiner Einsatzgruppe war ein befremdlicher. Warum? Warum sahen seine Teamkameraden so verstört und zweifelnd in die Richtung in der der Colonel geschritten war? Jackson war ihnen zugewandt. Erst jetzt fielen Exit die müden Augen und das eingefallene Gesicht Jacksons auf. Warum hatte er das vorhin beim Kampf noch nicht bemerkt? In ihrem Blick schien nichts von der sonstigen Erhabenheit und Würde zu liegen, die Exit stets eine gewisse Bewunderung und den Respekt für Sie lehrte.

Exit stieg aus dem Wagen und schritt in Richtung der Gruppe. "Colonel Jackson, geht es ihnen gut? Brauchen sie einen Arzt?", fragte Exit in seiner kindlich besorgten Art. Seine eigenen Problem mussten vorerst warten.

Der hinzustoßende Rekrut wurde von Jackson  zunächst geflissentlich übersehen und überhört. Gwens Frage dagegen schien sie sehr zu interessieren und das Gesicht der Einsatzleitung verzog sich zu einem Ausdruck, der ehrliches Erstaunen zu enthalten schien, und vielleicht sogar Zweifel daran, richtig gehört zu haben. "Gefährdet? Hast du gefragt, warum...ihr gefährdet seid?" Die Frau schüttelte den Kopf, als die Kleine sie annickte. "Nachdem ihr wieder mal eine potentiell tödliche Mission durchgestanden habt?!" formulierte sie ihre Frage weiter, die fast etwas amüsiert klang. Jackson kam aber schnell wieder zu ihrem- auf eine bitterböse Art - nüchternen Tonfall zurück, als sie fortfuhr: "Meine Kollegen werden euch mehr dazu erzählen. Ihr wurdet von einer verantwortungslosen und größenwahnsinnigen Mitarbeiterin eures Trainingszentrums auf einen unauthorisierten Auslandseinsatz geschickt und seid dabei missbraucht und traumatisiert worden. So viel kann ich prophezeihen, wobei ich noch nicht weiß, wie genau sie sich von den Ausflügen distanzieren wollen, die ausdrücklich und von weit oben gebilligt wurden. Ihnen wird schon etwas einfallen. Ironisch, dass man die Vergangenheit so leicht umschreiben kann, während die Zukunft bereits in Stein gemeißelt ist..." Der letzte Satz war eher gemurmelt und galt den Beistehenden vielleicht weniger als der Sprecherin selbst. "So." seufzte Jackson schließlich nach einigen nachsinnenden Sekunden, während sie sich etwas mühsam aufrichtete. Was darauf an Anweisungen und Aussagen folgte, strotzte in seiner Normalität nur so vor Absurdität. "Muss wer? Ich gehe sonst schon einmal zum Wagen. Jay, check vor dem Losfahren noch einmal Wasser- und Ölstand und den Reifen, ich trau den kanadischen Straßen nicht. Du kannst Hiroo mitnehmen, die kann dabei ja was lernen. Exit, bitte nimm Gwen zum Auto mit und achte darauf, dass sie sich anschnallt. Übrigens, nein, ich brauche gerade keinen Doktor. Die UnEsCo wird sich schon um alles kümmern, wenn wir auf dem Gelände zurücksind."

Jays Finger zuckten. Die Spannung in seinem Körper war nicht weniger geworden - im Gegenteil. Sie wurden mit jeder Sekunde mehr und sträubte sich gegen den Impuls des jungen Mannes, sie zu unterdrücken. All die Wut und Überforderung warf sich gegen die Fesseln, die Jay sich selbst aufzuerlegen versuchte. Sie wollte raus, sich entladen. Sie musste sich entladen. Sonst würde es ihn zerreißen. Er konnte nicht gleichzeitig seine Gefühle im Zaum halten und verarbeiten, was gerade vor sich ging. Als Jackson überaschenderweise tatsächlich eine Pinkelpause einleitete, war das sein Stichwort. "Ich bin dann mal..", presste er knapp heraus und verschwand keinen Augenblick später im Unterholz. 

Mit schnellen Schritten bahnte Jay sich seinen Weg in den Wald. Herunterhängende Äste und Gestrüpp wischte er beiseite. Er musste weg von den anderen, allein sein. Sein Atem ging stoßweise und sein ganzer Körper fühlte sich heiß an. Der junge Esper hielt inne. Dann drehte er sich zu dem nächsten Baum um und schlug mit voller Wucht gegen den Stamm. Dann noch einmal. Dann holte er mit dem anderen Arm aus. Jay lehnte sich mit dem Kopf an den Baum. Er presste seine Stirn gegen das raue Holz und stützte sich mit den Unterarmen am Stamm ab, sodass sie sein Gesicht einschlossen. So war nur noch gedämpft zu hören, wie er seine Wut herausschrie. Dann war er leer. Jay hoffte innerlich, dass nicht zu viel Zeit vergangen war. Er hatte keine Ahnung, ob er nur für ein paar Minuten weg war oder schon länger. Andererseits, überlegte er, kümmerte es ihn gerade doch sehr wenig. Für ein paar Sekunden lauschte er nur seinem Atem, dessen Tempo sich langsam wieder normalisierte und dem stetigen Pulsieren des Blutes in seinen Adern.

Ohne die kleine Traube an Mitschülern weiter zu beachten schritt Jackson an Hiroo vorbei zum Wagen. Aus dem Blickwinkel bemerkte Hiroo wie Jay abdampfte. Es fühlte sich wie ein Sayonara an. Diese altgewohnte Konstellation in der sie bis gerade zusammen saßen und Jackson vielleicht zum letzten Mal zugehört hatten. Hiroo hatte dabei wie sonst nicht viel mehr als das nötigste aus den Worten ihrer Einsatzleiterin entnehmen können. Einige Änderungen in der Hierarchie auf dem Campus standen wohl an, soviel hatte Hiroo verstanden.Doch was das für sie konkret bedeuten würde, war ihr zu unklar, um es mit den anderen besprechen zu wollen. Sie machte einen Bogen um die anderen beiden und drückte ihre Earpods in die Ohren rein. Die Ruhe die eingekehrt war, musste sie überspielen. Ihre Gedanken die in unterschiedliche Richtungen davonzuschießen drohten, musste sie erstmal wieder in Einklang bringen. Entspannte Synth Waves prasselten wie ein kühlender Sommerregen auf sie ein. 'What if it's my last chance to get out of this place?' - 'But I can't leave them in this hellhole.' - 'What if it's just some trick of hers again.' - 'I could just return and come for them later if it's safe.' - 'They couldn't find me up here.' - 'Maybe they're already tracking us everywhere we go.' - 'What kind of esper could do this?' Sie hielt kurz inne und zog die Earpods raus. Sie lauschte in den Wald hinein. Wie weit hatte sie sich von der Gruppe entfernt? Sie drehte sich um. Im goldenen Sonnenlicht das durch die grünen Baumkronen hindurchschien erblickte sie ein Hirschjunges. Spitze gerade Hörner entwuchsen dem jungen Tier zwischen den flauschigen Ohren. Die wachsamen Augen direkt auf sie gerichtet.

Jetzt, wo er seinen Gefühlen Luft gemacht hatte, konnte Jay die Situation geordneter und distanzierter betrachten. Während er seiner eigenen Spur zurück durch den Wald folgte, dachte er über das nach, was Jackson gesagt hatte. An alles konnte er sich nicht mehr erinnern. Aber einige Dinge waren ihm im Gedächtnis geblieben. Jackson hatte davon gesprochen, dass sie mit der Chefetage nicht zufrieden war. Das war eigentlich keine allzu schockierende Neuigkeit. Jay war bisher nicht davon ausgegangen, dass die Unesco eine Organisation von Engeln war. Doch es musste mehr dahinterstecken. Der junge Esper hatte das drängende Gefühl, dass seine Noch-Vorgesetzte nicht alles gesagt hatte. Vielleicht hatte sie in einigen Punkten Andeutungen gemacht, die er überhört oder nicht verstanden hatte. Jay pustete genervt eine Haarsträhne aus seinem Gesicht. Er tat sich schwer damit, solche Hinweise herauszulesen. Diese kryptische Art ging ihm gehörig auf den Sack. Warum hatte Jackson sie extra anhalten lassen, wenn sie dann so hinterm Berg hielt?! Die Frage war außerdem, wem er wirklich trauen konnte. Jay konnte schließlich in der aktuellen Situation recht wenig nachprüfen. Ganz zu schweigen davon, dass er nicht wusste, wer nun eigentlich für wen spielte. Welche Rolle nahmen zum Beispiel die bewaffneten Männer ein, zu denen offensichtlich Jacksons Neffe gehörte? Wusste er denn überhaupt irgendetwas sicher? Er brauchte mehr Informationen, um seine nächsten Entscheidungen zu fällen. Jay entschied, dass er mehr herausfinden musste. Momentan schien sich seine Gruppe in einer relativ sicheren Position zu befinden. Das würde er nutzen.

Für einen Moment hatte Hiroo gedacht das Wesen vor ihr zu streicheln. Solch ein Tier hatte sie wenn überhaupt mal auf der Insel Miyajima gesehen. Dort lebten Rehe Seite an Seite mit Menschen, hatte ihre Mutter ihr einmal von einer Urlaubsreise aus ihrer frühen Kindheit erzählt. So friedlich wie dort war die Aura von diesem Tier jedoch nicht. Bevor sich Hiroo versah sprang es mit einem Satz auf und hüpfte ohne sich umzuschauen davon. "I have no time for this. Where did I come from?." Sie schaute sich um nach irgendeinem Zeichen woher sie gekommen war. "What would Devy do in this situation? She never gets lost." Sie kratzte sich am Kopf. "Hiroo, you just gotta feel the lines of gravity.", versuchte sie Devy zu imitieren. Es hatte jedoch mehr Ähnlichkeit zu der belehrenden Stimme von Satoshi. "Nah. Fuck it, these forest look all the same to me." Hiroo hörte plötzlich ein laut werdendes Geräusch. "A car." Das Rauschen war wieder verschwunden, doch sie hatte eine ungefähre Richtung, aus der das Motorengeräusch gekommen war. "Probably an SUV." Hiroo sprang eine Böschung hinauf, zog sich an ein paar Wurzeln hoch. Sie war wohl etwas weit hinab gegangen. Sie kam am Straßenrand einer langen Kurve raus. "Okay, sun is that way." Sie stapfte los, am Straßenrand entlang. Nach einer kurzen Zeit sah sie bereits die Abzweigung in die Jay für die Pause abgebogen war. Auf dem Weg war ihr kein weiteres Auto begegnet. Als Anhalter wäre es ihr ein leichtes Distanz zur UnEsCo aufzubauen. Diesen Gedanken verabschiedete sie aber erstmal und folgte dem Weg weiter zurück zu den anderen.

Als Jay aus dem Wald kam, waren die anderen erstmal nirgendwo zu sehen. Zügigen Schrittes kehrte er zum Auto zurück. Er sah Jackson, die neben dem Auto lümmelte und - wie auch nicht anders zu erwarten - auf ein technisches Gerät fixiert war. Gwen und Exit saßen bereits im Auto, von Hiroo fehlte jede Spur. Vermutlich hatte sie sich auch grade eine Auszeit genommen. Das konnte Jay für sein Vorhaben aber nur Recht sein. Der junge Mann trat an die Seite des Wagens, wo seine Teamleiterin stand. Er stellte sich direkt neben sie und wartete, bis sie zu ihm hinsah. So leise, dass nur Jackson es hören konnte, doch mit einem drohenden Unterton, erklärte Jay:
"Wenn Sie wollen, dass wir eine Seite wählen, werden Sie mir jetzt im Klartext sagen, welche Seiten im Spiel sind. Sonst werde ich mich gleich der Seite "Wälder von Manitoba" anschließen. Dann können Sie die andern alleine zum Flughafen fahren." Kälte und Entschlossenheit lagen in seinem Blick.

Jackson sah langsam auf und maß den jungen Mann, der ihr ein ganzes Stück über den Kopf ging, langsam mit dem Blick. Sie blieb an seinem Gesicht hängen, während er seine deutliche Aussage tätigte. Als Jay geendet hatte, schaute die Frau immer noch, kniff die Augen konzentriert zusammen und hatte es nicht eilig zu antworten. Fast schien es, als ob sie für einen Moment vergaß, dass eine Antwort von ihr erwartet wurde, und ein merkwürdiges Zucken ging ihr durch den Körper, kaum merklich, bevor sie etwas verwirrt ansetzte. "Ein Seite wählen...welche Seiten...wie wärs damit. Innen oder außen. Das ist schon richtig so. Drinnen oder draußen" murmelte Jackson und blinzelte, um dann wieder in die gefasstere Rolle einer genervten Klassenlehrerin zu rutschen. "Also, entweder du setzt sich jetzt ins Auto oder wir lassen dich hier. Das sind deine Optionen. Einen verlorengegangenen Rekruten werden sie mir jetzt auch nicht mehr übel nehmen." Jackson selbst setzte sich nun in Bewegung um Jay herum, in Richtung Fahrertür. Sie hielt einen Moment und beugte sich, wohl um den linken vorderen Reifen zu prüfen. Ohne Jay anzusehen, murmelte sie weiter, nur für ihn hörbar: "Es ist vollkommen egal, wohin du gehst. Ich habe dich dort schon gesehen." Als sich die Noch-Vorgesetzte der vier jungen Esper wieder, etwas schwerfällig, aufrichtete, kam sie auf ihren zuvorigen, antreibenden Tonfall zurück, und doch war auch ein drohender Beiklang nicht zu überhören. "Wenn es, Jay, in deinem Interesse sein sollte, deine Sportfreunde sicher durchzubringen, dann würde ich allerdings vorschlagen, dass du ans Steuer gehst. Exit hat schon Recht, ich bin nicht auf der Höhe gerade. Hiroo?"

Von den anderen hatte sie wohl keiner allzusehr vermisst, Gwen und Exit saßen bereits im Wagen. Kurioserweise standen jedoch Jay und Jackson dicht beeinander. Wieder irgendein Komplott, der da abging. Nach ihrer Einschätzung hatten sie Hiroo noch nicht bemerkt, aber wirklich verstehen konnte sie die beiden von hier nicht. Dank ihrer Größe konnte sie sich recht unbemerkt an einem der größeren Gebüsche näher an die beiden heranschleichen. 'What sides are they talking about? A lost recruit? Are they talking about me?' So schnell hätte sie nicht erwartet, dass Jackson die Suche nach Hiroo aufgeben würde. 'Seems a bit lost to me this whole conversation. What did Jay ask from her anyway?' Die letzten Sätze von Jackson waren für sie nicht mehr zu verstehen. 'Something about his friends?' Als sie ihren Namen hörte, hätte sie sich fast verraten und 'Yes, madam, sir.' gerufen. Das Gespräch war wohl vorbei und viel davon hatte sie ohnehin nicht mitbekommen. Sie stahl sich zurück hinter einen Baum, steckte ihre Kopfhörer rein und zählte ruhig bis zehn. Als sie galant um die die Ecke drehte um zum Auto zurückzukehren stand Jay unerwartet vor ihr. Er schaute sie direkt an und schien nicht zufällig vor ihr zu stehen. Sie zog die Kopfhörer wieder raus. "Hey, Jay."

Natürlich war sie überrascht, dass er so plötzlich vor ihr stand, schoss es Jay durch den Kopf. Schließlich steckten wieder die Kopfhörer in ihren Ohren. Sie war sich vermutlich nicht bewusst gewesen, dass er ihre Schritte gehört hatte. Auch wenn er zugegebenermaßen nur vermutet hatte, dass es sich um Hiroo handelte. Jay überging die Grußformel. "Your timing is on point", sagte er nur und deutete mit dem Daumen über seine Schulter zum Wagen. "I was just about to do the check up. You're joining me or what?" Er hob die Augenbrauen ein Stück an.

"Uhm, sure, that's what I'm here for." Um nicht weiter auf die Tatsache eingehen zu müssen, warum sie hier hinter diesem Baum rumgestanden hat, folgte sie seiner Anweisung mit ihm den Wagen durchzuchecken ohne Murren. Tatsächlich hatte sie ein Auto noch nie von unter der Motorhaube gesehen. Einen Führerschein hatte sie in der Großstadt auch nicht machen müssen. "Lead the way."

"Ok, let's go." Jay drehte sich um und ging in Richtung Auto. Währenddessen begann er, Hiroo die wichtigsten Grundlagen zu erklären: "So, usually you have to wait for the engine to cool down before you check oil and water. That's already happened, so we can start." Er öffnete die Motorhaube und zeigte auf einen weißen Behälter. "Water is easy. You just check that the water line is between min and max. In general that applies to oil as well. You'll have to clean the dipstick first, though. I'll be right back." Mit diesen Worten stiefelte er um das Auto, um den entsprechenden Lappen zu holen. Jetzt, wo er einen kurzen Moment allein war, beschäftigten ihn Jacksons Antworten. Viel war auf den ersten Blick nicht bei herumgekommen. Aber vielleicht ließ sich später etwas damit anfangen. Es gefiel ihm definitiv nicht, dass seine Teamleiterin angedeutet hatte, dass ihm im Grunde keine Wahl blieb. Aber wegzulaufen wäre tatsächlich keine realistische Option gewesen, das musste er zugeben.

Als er zu Hiroo zurückkehrte, fasste er einen Entschluss. Er brauchte etwas Zeit, um die richtigen Worte zusammenzuklauben, also erklärte er erstmal weiter, während er feststellte, dass der Ölstand natürlich in Ordnung war. 'Are we stalling time, eventually?', überlegte er kurz, konzentrierte sich dann aber wieder auf sein momentanes Ziel: "Sooo, uh." Er drängte sich dazu, Hiroo diesmal direkt anzusehen. "About pressure - as far as I know you don't like UnEsCo that much."

"Kept you long enough to figure that out, huh." Das leicht schmunzelnde Lächeln von Hiroo wurde wieder ernst und sie sprach etwas leiser. Sie schaute kurz an der Motorhaube vorbei und sah Jackson mit den anderen beiden durch die Windschutzscheibe. Sie drehte sich wieder zurück zu Jay und erwiderte seinen eindringlichen Blick. "While I'm sure Jackson can't read our lips through the hood I still don't think it's the greatest place on earth to talk about... that. Tomorrow evening at the old plaza? By then whatevers heating up the campus should've settled. I hope" Sie nickte Jay fragend zu. Währenddessen mühte sie sich damit ab so unauffällig wie möglich so zu tun, als würde sie etwas sinnvolleres machen, als nur den Deckels des Ölstands an und wieder abzuschrauben.

"The old... Ah, right. Yeah, that's good", murmelte Jay und nickte. "Let's meet after dinner." Dann fügte er laut und deutlich hinzu: "So, now you know. That's it. I'll check the tires via the system." Er ging zur Fahrertür, beugte sich nach innen und verkündete: "The car's all fine. We can go now."

Hiroo nickte seiner letzten Anweisungen nur zustimmend zu und schloss die Motorhaube. Sie ging an der Beifahrertür vorbei, hinter deren Fensterscheibe Jackson wieder vertieft in ihr mobiles Smartdevice saß. Gwen und Exit saßen stumm auf der Sitzbank, während Hiroo einstieg. Auch Jay stieg in den Wagen, prüfte kurz den Status des Wagens über die Konsole mit seinem hell erleuchteten Display auf dem schlussendlich die Strecke zum Flugplatz erschien. Mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken wies Jackson Jay an den Wagen zu starten und zurück auf Kurs zu bringen. Die stille Rückfahrt zurück zum Flugplatz setzte sich fort. Hiroo steckte wieder ihre Kopfhörer rein und der Wagen fuhr nun mit seinen fünf Insassen für sie völlig geräuschlos den langen Highway entlang.

Der Rest der Fahrt verlief ruhig und über weite Strecken schweigend. Es lag natürlich diese Spannung in der Luft, die sich mit der Zeit nur vergrößerte. Jackson schien davon unbeeinflusst, hatte sogar ihr Kommunikationsgerät nach einer Weile weggelegt und den Kopf angelehnt. Diese kerzengerade Sitzhaltung gab ihr wieder etwas Militärisches, Gewohnteres, und es war fast, als wären die Sätze auf der Lichtung nie ausgesprochen worden. War das alles überhaupt passiert, konnte es der Wahrheit entsprechen?

Anscheinend schon. Schon seit einer Weile folgte dem Einsatzwagen ein unscheinbarer PKW, einer, der auf den nun befahreneren Straßen nicht von allein aufgefallen wäre. Allerdings schaute sich Jackson mehrere Male auffällig um, so, dass irgendwann jedes Kind darauf aufmerksam hätte werden können. Kommentieren schien dieses Verhalten aber niemand zu wollen. Es war nicht mehr weit bis zum Flughafen, als ein Militärfahrzeug sich vor unserem Team auf der Autobahn einordnete. Es nahm die gleiche Ausfahrt, die auch Jay dem Navi nach zu nutzen hatte. 

Auf dem Flugplatzgelände war es vergleichsweise sehr belebt geworden; man sah nur wenige Menschen in zivil und drei als Soldaten gekleidete Männer, aber auf dem Parkplatz standen 12 Wagen. Diesmal war auch ein merklich größeres Flugzeug auf der Startbahn zu erkennen. "Das ist unsere Mitfahrgelegenheit" bemerkte Jackson im gewohnten Sarkasmusmodus. Dann schwieg sie einen Moment, während das Fahrzeug über den schlechten Weg holperte. Die Männer, die sich nun von mehreren Seiten näherten, würden es in wenigen Sekunden erreicht haben. Es war Jay anzumerken, dass er sich nicht dabei wohlfühlte, in dieser Situation den Fahrer zu machen - unschlüsslig, ob er anhalten oder was er sonst tun sollte, schaute er seine Teamleitung an. "Wir bleiben beim...Plan?" fragte er Jackson. "Möglichst nah an die Landebahn ranfahren." kommandierte sie ein letztes Mal. "Mir ist erstmal nicht danach, einen langen Weg abgeführt zu werden."

Nach ein paar Metern war der Wagen allerdings umringt und es gab kein Fortkommen. Ein Soldat in Uniform klopfte an Jacksons Fenster. Jay entriegelte die Tür auf einen Wink und der Van war noch nicht ganz ausgerollt, als sie aufgerissen wurde. "Sarah Amsterdam." verkündete der Uniformierte, als der Wagen stand. "Sie sind hiermit verhaftet."

 

Tales of Esperia

Contemplate

Zurück

Den Rückflug brachten die Rekruten in einem engen Passagierabteil zu. Ein fünfter und ein sechster Sitz wurden von zwei bewaffneten Soldaten besetzt, die sich nicht für ihre "Schützlinge" zu interessieren schienen, aber wachsam blieben. Für Toilettengänge und ähnliche Anliegen war eine dritte Uniformierte vor der Tür stationiert worden. Jay hatte die Blonde beim Eintreten bereits als eine der erwachsenen Trainees vom Kansas-Gelände erkannt.

Dort landete das Militärflugzeug auch schon nach wenigen Stunden. Unsere Helden mussten dennoch auch danach noch einige Minuten stillsitzen, während irgendwelche Vorkehrungen getroffen wurden. Aus dem Fenster konnten nur ein Flügel und Teile des Rollfeldes beobachtet werden, während der Ausstieg auf der gegenüberliegenden Seite lag. Die Soldaten, die im Sichtfeld der vier Rückgekehrten herumwuselten, ließen auf viele mehr um das Flugzeug herum schließen. Als endlich die Tür geöffnet wurde, von der Jay bekannt vorkommenden Rekrutin, und die Bande endlich aussteigen durfte, war von dem eben noch zu vermutenden Menschenauflauf allerdings kaum etwas übrig. "Wir sind zu Hause." erklärte die Soldatin. "Ich bringe euch jetzt zur Krankenstation für den obligatorischen Gesundheitscheck. Danach werdet ihr wie gewöhnlich in eure Wohnräume zurückkehren dürfen. Kein Stress, nichts an dem Vorfall soll euch mehr Schaden einbringen, als es das bereits getan habt. Euch wird nichts angelastet." das sagte sie mit einer Stimme, in der tatsächlich viel Ruhe und sogar etwas Sympathie lag, wobei es an Selbstsicherheit nicht fehlte. "Es wird auch für die entsprechende psychologische aufarbeitung gesorgt werden, im Moment ist es jedoch wichtig, dass ihr über die Ereignisse mit niemandem sprecht. Das würde die Aufklärung stören und nur unnötige Unruhe geben. Aber dazu werden euch auch noch Papiere vorgelegt, sobald ihr in der Krankenstation seid. Fürs Erste folgt mir einfach." 

Es geschah nicht anders als die Rekrutin es angekündigt hatte. Die üblichen Checks wurden durchlaufen, die Papiere unterschrieben. Danach waren Exit, Gwen, Hiroo und Jay in die "Freiheit" des Campus entlassen.

Die Zeit des Fluges über blieb Jay still. Er dachte nach über das, was gesagt worden war und über das, was passiert war. Und über das, was passierte. Auch wenn man ihnen zugesichert hatte, dass jetzt alles gut war, spürte er eine Spannung, die diesmal nicht von der Elektrik der Maschine herrührte. Ab und an, wenn er sich unbeobachtet fühlte, ließ er den Blick wie zufällig über die Soldaten schweifen. Nur die Blonde kam ihm bekannt vor, aber das wunderte ihn nicht. Die UnEsCo beschäftigte viele Soldaten. Eigentlich war es erstaunlicher, dass er mal ein Gesicht kannte. Sie mussten lange warten, selbst als das Flugzeug schon gelandet war. Jay tat, als würde ihn all das nicht sonderlich interessieren, versuchte jedoch so viel aufzunehmen, wie ging, ohne auffällig zu werden. Die folgenden Informationen und den Gang zur Krankenstation nahm er kommentarlos mit. Es war wirklich die übliche Prozedur - selbst die Verschwiegenheitserklärung. Routine beizubehalten war eine der großen Stärken der Organisation. Er verabschiedete sich knapp von den anderen und machte sich auf den Weg zu seiner WG.

Das Haus empfing Jay kühl und still. Erleichtert atmete er aus. Keiner da. T war vermutlich beim Fitnesstraining und die anderen beiden waren am Wochenende sowieso nirgendwo zu finden. Jay ging zur Theke und begann einen Tee aufzusetzen. Dann hockte er sich mit der Tasse auf einen der Stühle und starrte aus dem Fenster in den Wald. So saß er eine Zeit lang da, bis er die Haustür hörte. Mit einem Satz sprang er vom Stuhl und huschte die Treppe hinauf in sein Zimmer. Wenig später hörte er Stimmen und Schritte. Um sich abzulenken holte er eines seiner Bücher aus dem Schrank, setzte sich auf's Bett und versuchte, ein wenig zu lesen. Nach einer Viertelstunde gab er auf. Er schwang sich aus dem Bett und begann, seine Formen für das Kampftraining durchzugehen. Irgendwann hatte er sie endlich los - die Gedanken, die ihm die ganze Zeit im Kopf herumgesurrt waren. Zeit zum Schlafengehen.

Der nächste Tag begrüßte Jay mit Routine. Aufstehen. Bad. Frühstück. "Oh, du bist ja wieder da" von seinen Mitbewohnern. Jay ignorierte das meiste davon. Er versuchte, sich auf seinen Tagesplan zu fokussieren, doch es fiel ihm an diesem Tag recht schwer. Die Zeit bis zum Abend schien extra langsam zu verstreichen. Umso schneller schlang er sein Abendessen hinunter, um zum alten Plaza aufzubrechen. Ein wenig aufgekratzt kam er bei dem Monument an. Noch war niemand anderes zu sehen. Um seine Unruhe zu überwinden und weil er einen klaren Kopf brauchen würde, begann Jay erneut seine Übungen.

Hiroo saß in ihrem Bett. In ihrem Traum aus dem sie gerade erwacht war, lief sie durch einen dunklen Tunnel. Aus verschlossenen Türen heraus hörte sie Stromschläge und dumpf klingende Stimmen. Ein elektrifizierender Geruch durchzog den Tunnel. Unter ihren Füßen wandelte sich der durchnässte Boden in eine steinerne Treppe. Ein Schrei kam den Tunnel herauf, etwas kam den Tunnel herauf. Hiroo drehte sich um und ein Wind schlug ihr ins Gesicht. Wasser floß an ihr herunter. Am unteren Treppeneingang erblickte sie ein blau leuchtendes Augenpaar. Der pechschwarze Tunnel vor ihr verriet nur in Nuancen die Größe dieses Wesens, das sich begann in den Treppentunnel hinein zu wühlen. Blaue Blitze schossen aus den Augen heraus und zogen am schwarz verbrannten Umriss dieses Wesens vorbei. Es war kein Fell, es glich eher einem zu schwarzem Schiefer verschmolzenen Federkleid. Der dunkle Stein des Mauerweks gab nach und ein Riss begann sich an der Decke nach oben auszubreiten. Stein um Stein brachen aus der Mauer heraus, während das Wesen sich immer weiter vorgrub. Sie schaute sich um, über ihr sah sie einen Türspalt durch den ein weißes Licht schien. Hiroo stand unentschlossen da. Wie paralyisert ließ sie das Wesen näher kommen. Oder sollte sie ainfach davonlaufen? Aus dem Mauerwerk lösten sich die Steine. Die Dunkelheit wurde durch vereinzelte Lichtstrahlen durchbrochen. Hiroo fasste sich den Entschluss dem ganzen nachzuhelfen und schlug auf die Wand ein. Die Decke öffnete sich und ein von unzähligen Sternen überzogener schwarzer Himmeln blickte auf sie hinab. Ein rötlicher Nebel durchzog die Luft. Der Stein unter ihren Füßen gab nach und einer nach dem anderen fielen in ein bodenloses schwarzes Loch unter ihr. Mit einem kurzen schnell verstummenden Schrei war sie wieder in der Realität.

Ein kurzer Blick durch den Raum ließ sie feststellen, dass sie wieder in ihrem eigenen Bett schlief. Es war alles wie sonst immer, als wären die zwei Tage in der psychischen Anstalt weit oben im Norden hinter den Grenzen des Landes garnicht passiert. Sie versuchte den gerade erlebten Traum wegzuwischen, es gab wichtigere Dinge zu klären. Die Gedanken mit denen sie gestern irgendwann eingeschlafen war, begannen wieder in ihrem Kopf zu kreisen. Sie schaute hoch. "Devy?" - "Are you okay? What happened?", kam es ohne zu zögern unter der Bettdecke von Devy hervor. Hiroo hatte nicht erwartet, dass Devy um diese Zeit schon wach war. Draußen konnte man die Dämmerung gerade erst erahnen. Hatte sie im Schlaf aufgeschrien? "I think I'm good..." Hiroo atmete noch einmal tief ein. "I was thinking and I still couldn't grasp any of it. The things that happened yesterday. What exactly do you know about Jackson? And these missions they're sending us on?" Hiroo versuchte ihren Ton ruhig zu halten.

Ein Räuspern war zu vernehmen, dann richtete sich Devy auf. Man konnte sie nur schemenhaft erkennen, aber man hörte ihr an, dass sie sich sammeln musste. "Colonel Jackson? Sie ist doch eine der Leiterinnen, ich habe sie in meiner Anfangszeit ein paar Mal gesehen. Musste in ihr Büro, aber ich hab nicht mit ihr geredet, das war meine Betreuerin. Daran muss ich immer denken, wenn du sie erwähnst, denn ich dachte immer, dass sie keine eigenen Einsätze mehr macht. Ich meine - man sagt, dass sie schon ne Menge geleistet hat. International, im Krieg. In Russland angeblich und sogar in Afrika. Keine Ahnung, das ist so dummes Gerede aus der Schulzeit, aber Colonel Jackson trau ich das zu. Die Narbe und so - was wohl ihre Esper ist? Ach, bei Medaillenverleihungen ist sie auch immer dabei, du kennst ja meine Sammlung." Devy deutete in dem Moment wohl an die Wand hinter sich, wo diese sechs tagsüber immer zu erblicken waren. "Mal schaun, wie die Meisterschaften dieses Jahr werden. Äh...zurück zum Thema, da sind ja viele Leute dabei, bei den Verleihungen, Colonel Jackson sitzt häufiger, glaube ich, weiter vorne und schaut nicht so, als würden unsere Rennergebnisse sie begeistern. So hab Ich das Erinnerung, falls Ich mich an die Situation gut erinnern kann, wegen Aufregung. Ich glaub, Jackson hat in ihrem Leben schon weit Spannenderes erlebt als Leichtathletik. Aber dazu kannst du ja mehr sagen." Hängte Hiroos Mitbewohnerin an. " Ich weiß, man darf nichts sagen, ich hab den Wisch ja auch mal unterschrieben. Aber...falls du....also falls du dich sowieso nicht daran halten willst..." Es entstand eine kleine Pause. " Bei mir enden die Informationen wenigstens. Versprochen."

Wenn sie so darüber nachdachte merkte Hiroo, wie wenig sie über die bisher mit Jackson erlebten Ereignisse geredet hatte. Es war nicht so als hätte sie sich den Wisch der UnEsCo bezüglich irgendeiner Verschwiegenheitsklausel durchgelesen oder gar zu Herzen genommen hätte. Es war viel mehr so, dass sie sich innerhalb des Campus niemandem hätte anvertrauen wollen. Devy wäre da wohl die Ausnahme. In ihrem Ausflug am Anfang des Jahres hatte Devy sicherlich auch einiges an Erfahrungen gemacht, doch wirklich darüber geredet hatten die beiden nie darüber. "It was such a weird thing.", begann sie. "I mean I've seen some stuff when I was living on the streets but at this campus I haven't had a mission that wasn't like a bad acid trip." Hiroo nahm noch einmal tief Luft. Sie war noch etwas verschlafen, langsam wurde ihr aber klarer im Kopf. "This time I thought I could figure out what Jackson was up to, but I couldn't forestall anything that happened there. I feel kinda trapped in whataver scheme she's running. The only difference to this place was the missing fence. And from what happened to Jackson, I'm not sure some parts of the UnEsCo didn't know of this place before we even went there." Hiroo schaute Devy forschend an. "Whatever was going on up there, they didn't tell us anything after everything blew up in our faces. The only clue I have right now is this guy I punched in the face pretending to be Jacksons nephew. I wonder what happened to him. You knew Jackson had family?"

Im Verlauf des vagen Missionsberichts, den Hiroo von sich gab, hätte man einige verschiedene Emotionen an Devys Gesicht ablesen können, wäre es nicht immer noch ziemlich duster gewesen. Die absolute Stille, in der man unregelmäßig ein lautes, teilweise überraschtes Aufatmen hörte,  verrieht jedoch, dass das Mädchen voll bei der Sache war.

Zum Ende hin, als Hiroo die Interaktion mit Jacksons angeblichen Neffen erwähnte, kam dann doch ein verwirrtes "Hä?" zurück, das Devy anscheinend nicht hatte kontrollieren können. Sie brauchte danach wieder einen Moment der Sammlung. "Also ich..." stammelte sie. "Das klingt absolut verrückt. Ich verstehe nicht. Ist irgendwas schief gelaufen oder so?" Bevor auf diese, beinahe ins Vorwurfsvolle schwingende, Frage geantwortet werden konnte, hatte sie es sich schon anders überlegt. "Warte, Jackson und Familie? Da war was. Ich habs nicht geglaubt. Aber ich fand die Idee irgendwie interessant. Irgendwer meinte mal, dass Jackson verheiratet sei. Also gewesen sei, aber ihr Mann...nee, das klingt schon absurd. Der soll wohl Verrat begangen haben? Was immer das heißt, Informationen weitergeben oder so. Ich mein, an Leute außerhalb...ich habe keine Ahnung. Nimm das nicht zu ernst. Das ist bloß eins von vielen dummen Gerüchten, die auf dem Campusschulhof die Runde machen." machte sie gleich einen Rückzug und fügte amüsiert an: "Und ich hab schon gehört, dass es den Weihnachtsmann wirklich gibt, und dass er ein Esper ist."

Hiroo hörte Devy gebannt zu, während sie die Gerüchteküche des Campus aufkochte. Für Hiroo war eine Bindung Jacksons zu einer Organisation ausserhalb der UnEsCo geradezu unvorstellbar. Die ansonsten eiskalt wirkende Einsatzleiterin als Spionin, eventuell noch aus einer alten Liebe heraus. Hiroo schmunzelte bei der Vorstellung in sich hinein. Es schien auf jeden Fall mehr dran zu sein an den Vorwürfen gegenüber Jackson als nur ein Machtspiel innerhalb der UnEsCo selbst. Auch wenn Devy alledem nicht viel Glauben zu schenken schien, musste sie dem nachgehen. Für einen Moment dachte Hiroo Devy in Gänze über die Geschehnisse der letzten Missionen einzuweihen, doch eine weitere Person mit im Boot war ein zu großes Wagnis. Dafür schätzte sie Devy doch zu loyal ein gegenüber der UnEsCo. Mit Jay hatte sie erlebt, welche Methoden diese Organisation einsetzt um an ihre Ziele zu gelangen. Devy dagegen war zu unschuldig dafür. Der Themenwechsel kam ihr gelegen. "Thanks... for the talk." Sie zog die Bettdecke wieder etwas hoch. Es war noch etwas früh um aufzustehen, zum Schlafen würde sie aber nur schwerlich kommen. "If you ever need an ear yourself, you can count on me."

 

Komplotte

Die Sonne stand schon wieder am westlichen Horizont. Sie hatte sich erst spät aus dem Haus schleichen können. Die Anstandsdame des Hauses war heute besonders aufgekratzt und hatte ihr irgendwelche Hausarbeiten aufgebrummt. Ein wenig ausser Atem kam sie am Platz vor dem Monument an, die Sonne ließ die Steinstatue im Zentrum des kleinen Parks einen langen Schatten werfen. Es war aber noch hell genug um Jay an einer der kleinen Wiesen vor den Treppen ausfindig zu machen. Sie bremste etwas ab und nahm einen gemütlicheren Gang an. Als würde sie sich anmerken lassen, dass sie sich versucht hat pünktlich zu sein. Sie kam auf Jay zu, ohne einen Anschein, dass er sie bemerkt hätte.

Aus dem Augenwinkel sah Jay jemanden den Plaza betreten. Er beendete die Sequenz und nahm sich einen Moment, um aus der Haltung wieder in eine normale Position zu wechseln. Dann drehte er sich um. Wie zu erwarten stand Hiroo vor ihm. Eigentlich hatte Jay darüber nachgedacht, wie er das Gespräch beginnen wollte. Aber in diesem Moment wusste er doch nicht so recht, was er sagen sollte. Irgendetwas musste allerdings her. Also stieg er vorerst mit einem simplen: "Hey, Hiroo" ein. Na großartig, dachte er bei sich, inständig hoffend, dass Hiroo ihm vielleicht eine bessere Gesprächsvorlage liefern würde.

"Hi, Jay." Sie schaute sich kurz um. "You haven't been followed, have you?" Das stumme Schütteln von Jays Kopf nahm sie als ausreichende Bestätigung hin, dass sie frei reden konnte. Ein weiteres Mal in der Eiskabine würde ihrem Teint schlecht tun. "So, what's your take on the last mission? You really think Jacksons a traitor to the UnEsCo? And if it's true, on what side are you going to stand?" Hiroo merkte wie sie ausfragender klang, als sie eigentlich wollte, doch es waren eben diese Fragen die sie sich selbst stellte. Eigentlich hatte sie keinerlei Interesse sich in diesen Konflikt einzumischen oder eine Seite zu wählen, doch über kurz oder lang hatte sie das Gefühl müsste sie sich entscheiden. Und dafür brauche sie Informationen.

Wenn Jay sich ein kleines Flüsslein gewünscht hatte, so hatte er einen Wasserfall bekommen. Einmal versichert, dass sie unbekümmert reden konnte, legte Hiroo los. Jay hatte das Gefühl, dass dies einer der seltenen Momente war, in denen sie und er gleich dachten. Es schien so zu sein, wie er vermutet hatte. Er nahm sich einen Moment Zeit, bevor er antwortete.

„I'm on no one's side, actually. The only thing I know for sure is that I've never believed in the UnEsCo. But apart from that I don't know shit. I can't tell what this woman is up to or whether she told us the truth or not. And even if she is a traitor – we don't even know which sides are in game right know, who they are, what they do.. I feel this is beyond me. And I feel like someone's playing with us. And I don't want to be fooled by those fuckers. I want to know -“

Jay atmete aus. Die Spannung, die sich während seiner Rede aufgebaut hatte, wich Stück für Stück. „I want to know the truth.“ Er schüttelte den Kopf. „I know that sounds stupid, but .. I need to know more, because I don't trust neither UnEsCo nor anyone else." Er sah ihr direkt in die Augen.  "And that's why I asked you.“

"Well, what can we do?" So viel Offenheit hatte sie nicht von Jay erwartet, hatte sie doch immer das Gefühl gehabt in ihrer Argwohn gegenüber der UnEsCo allein dazustehen. Für jemanden der sein ganzes Leben unter der Obhut der UnEsCo verbracht hat, brachte er ihr deutlich mehr Vertrauen entgegen, als sie erwartet hatte. "I've only been here for around a year and the only thing I know is, they have high security around this place. Especially around the administration. Should they even use this place for more than just a fancy training center I would bet we could get some information from below underground. But what should we look for? Jackson probably archived as little info as possible that could compromise her identity. A better chance to get some data on Jackson would be her family, both her nephew and her husband seem to have something to do with it. Regarding the UnEsCo, I'm not even sure who's in charge of this place or the organization as a whole."

"That's exactly the question", bestätigte Jay. "What can we do?" Er schaute kurz gedankenverloren ins Leere. Wie sollten sie beide viel herausfinden? Aber genau deswegen hatte er sich ja an Hiroo gewandt. Alleine wusste er nicht weiter, aber zusammen könnten sie vielleicht etwas erreichen. Wie, würden sie schon herausfinden. "I haven't been around much longer than you. Maybe we could start with getting to know who is in charge of what and who might know things. Somebody has to become the new boss. I also don't think Jackson left a lot of traces." Jay runzelte die Stirn. Sein Blick wanderte zu Hiroo zurück. "You said she is married?"

"That's as far as my knowledge goes. Devy said it's more like an urban legend. It's kinda interesting how little is known about her after all this time. Our first priority should be to target some people that could have something against Jackson. Someone like this General guy that got what he deserved for toying with Gwens abilities. If you can count on peoples ability to dig up shit of your past it's probably people like him." Hiroo dachte noch kurz nach, bevor sie ihre Gedankengänge weiter in alle Richtungen vorpreschen ließ. Jay war ebenso in Gedanken versunken über ihr gemeinsames nicht ganz legales Vorhaben, ließ Hiroo aber noch den Vortritt. "But first I guess we should act like there's nothing wrong at all. As our head of operations is missing it's possible they're thinking about seperating the rest of the body if it doesn't comply to their new set of rules. Or don't. I'm still in the mist why they're even sending us out there in this constellation."

"Well, now we know why she would guard herself like this." Jay zog die Schultern hoch. Er fröstelte in der kühlen Abendbrise, die über den Plaza zog. "I don't know if Falk would pull off something like that. But he is a pain in the ass for sure. Be glad you didn't get to know him." Während Hiroo ihren eigenen Überlegungen nachhing, durchzuckte Jay ein Gedanke. Was, wenn Falk tatsächlich etwas damit zu tun hatte? Was, wenn er Freunde bei der UnEsCo hatte? Was, wenn er ... wieder zurück käme? Sein Puls beschleunigte. Nein, dachte Jay. Das war ein absurder Gedanke. Er widmete sich wieder Hiroo, die nochmal das Wort ergriffen hatte. "Amen to that", kommentierte er. "I also wanna play nice with them, at least seemingly." Was, wenn Falk zurückkam und dafür sorgte, dass ihr Team getrennt wurde? Jay schob diese Sorge beiseite. Sei kein Idiot, herrschte er sich im Stillen an. Das würde nicht passieren. Er hob die Mundwinkel leicht an, doch eine Spur von Unsicherheit schlich sich in sein Lächeln. "I don't get their ways either. But maybe some of that was Jackson, too. Let's just start our mission carefully and smoothly and eventually we'll be able to clear some of that mist away, hm?" Er nickte Hiroo zu.

Es verging nicht viel Zeit bis sich die Sonne hinter den letzten Baumwipfeln verabschiedet hatte und die beiden sich voneinander verabschieden mussten. Jay und Hiroo hatten ihre Pläne gemacht und nun hing es davon ab wieviel Informationen sich ihnen anbieten würden in den kommenden Monaten. Sie gingen noch einen Teil des Weges zusammen in Richtung der wäldlichen Wohngemeinschaften. Nach einigen Minuten Fußweg durch die dunkelblaue Frühlingsnacht trennten sich ihre Wege. Die Ausgangssperre näherte sich langsam aber sicher.

Kurz bevor Jay den Weg zu der Hütte seiner WG einschlug, drehte er sich noch einmal zu Hiroo um. "Hey", sagte er. "Thank you for your support. I really appreciate that - I mean it."

 

Die Tage vorm Sommerfest

Das Sommerfest trug bei den Schülern und jungen Rekruten des Kansas-Campus verschiedene Namen und Konnotationen. Für viele waren die drei Tage andauernden Veranstaltungen ein regelrechter Horror und im besten Fall langweilig, während eine gleichgroße Menge sie für das Event des Jahres hielt. Eine gewisse Einigkeit herrschte vielleicht über die Startveranstaltung auf dem Stadiongelände, bei der Reden gehalten, Lieder gesungen und Rück- und Ausblicke verlesen wurden. Die Campusleitung musste eine besondere Vorliebe für statistische Daten haben, denn es genügte nicht, diese Informationen in Form einer Tabelle zur Verfügung zu stellen - irgendein armes Schwein in der Administration hatte daher jedes Jahr das Vergnügen, den Fließtext zu produzieren, der die Informationen ohne allzu viele Wortwiederholungen, und doch so trocken wie möglich wiedergab. Sogar die Medaillengewinner des Vorjahres, die noch einmal ihren Namen zu hören bekamen, schienen auf diesen Teil des Sportfests verzichten zu können - sie und viele andere waren schon bereit, aufs Neue alles zu geben. 

Devy hatte bisher immer zu der Gruppe gehört, die mit besonderer Übermotiviertheit ins Rennen ging. Solange sie auf dem Campus lebte, hatte sie in mindestens vier, oft in den maximalen fünf Kategorien mitgemacht, die ein Einzelner sich wählen konnte. In diesem Jahr schrieb sie sich allerdings nur in drei Disziplinen ein, was sie vor ihren Mitbewohnerinnen zu rechtfertigen wusste. "Da ich mich ja zur Zeit mehr auf mein Einsatztraining konzentrieren muss." Diese Ausrede entfaltete große Wirkung, und generell war die bald 18-Jährige seit dem ersten benannten Einsatz im Rang unter Ihresgleichen gestiegen. In den Tagen und Wochen nach den Ereignissen von Dallas verbreitete sich Devys "Ruhm" in Form von Gerüchten weit über das eigene Wohnheim hinaus, und das erst kürzlich zurückliegende Abenteuer hatte ihrem Ruf nicht gerade geschadet. Allzu schwer war es der jungen Rekrutin nicht gefallen, sich an die neue Stellung zu gewöhnen; wenn es zunächst auch eher unglaublich gewesen war, und das Glück, für das Devy ihre Lage hielt, kaum zu begreifen. Die Rückkehr vom letzten Einsatz hätte diesen Eindruck verstärken können, aber aus - eventuell mehreren - Gründen hatte die äußere Festigung der neuen Rolle, die "Heavy Devy" auf dem Campus einnahm, wenig Einfluss auf ihre Gedanken- und Gefühlslage, wenn das Mädchen ehrlich war. Irgendwie kam das Sommerfest wie eine erwünschte Ablenkung und Rückkehr ins Gewohnte, wenn das überhaupt noch einmal möglich war.

Devy hatte sich beim 200-Meter-Lauf, beim Weitsprung und - wie immer - in ihrer Fußballmannschaft angemeldet, die auf sie nicht hätte verzichten können. Natürlich, das muss bemerkt werden, war das Nutzen von Esperkräften in jedem Wettbewerb strengst untersagt, und das machte ganz offiziell den "Geist" des Sportfests aus: Sich"auf den gemeinsamen Nenner der Menschlichkeit zu besinnen, der uns verbindet" und "sich in Fleiß, Mut und Kameradschaft zu beweisen und zu messen". Die Kardinaltugend der Ehrlichkeit musste in der Hinsicht nicht mitgeprüft werden, dass Teilnehmende im Vorhinein mit einer passenden Dosis ihres spezifischen Esper-Censerums präperiert wurden, die sie tatsächlich auf ihre menschlichen Kräfte reduzierte. Devy konnte sich an kein Jahr erinnern, in dem ihre besten Freundinnen sich nicht über diese Regelung beschwerten - "wozu dann überhaupt das ganze Espertraining", und "als ob wir uns wie Ordinaries behandeln lassen müssten"- aber einige Sätze der Einführungsrede wirkten solchen Gedanken effektiv entgegen. "Als der auserwählte Teil der Menschheit, für den ich uns immer gehalten habe." erklärte Lieutenant General Nyquist gerne "gilt für uns, dass wir uns auf doppelte Weise unserem Stand gerecht werden müssen: Ja, wir stehen in der Verantwortung, unsere Esperfähigkeiten zum Guten aller zu trainieren und auszunutzen, aber das kann uns nie gelingen, wenn wir nicht in allen Disziplinen des Lebens mit den Besten unserer Brüder und Schwestern in Menschlichkeit mithalten können. Kurz: Excel in humanity, transcend barbarity!" Was davon in den Köpfen des Publikums ankam - bei vielen war der Begriff "Zuhörer" schon fehl am Platz, bei anderen verschärfte sich weniger der Eindruck, mit dem Homo Sapiens Sapiens auf einer Stufe zu stehen, als die Idee, mit diesem nicht einmal verwandt zu sein.

Es waren aber nicht nur die ganz besonders Begabten - die, die das ganze Jahr über mit ihren Esperkräften Eindruck bei anderen Jungrekruten machen konnten - die sich vom "Geist des Sportfestes" anstecken ließen. Es war sicherlich so beabsichtigt, dass gerade die, deren Kräfte wenig ausgeprägt oder schlichtweg nicht wettbewerbsrelevant erschienen, nun auch eine faire Chance auf Ruhm bekamen. Das mussten weder Nyquist noch ihr Kollege Lieutenant Han in ihren Ansprachen erläutern - es hatte eine gewisse wortlose Wirkung. Völlig gegenteilig sah es mit dem Verbot der Sportwetten aus, das mit jeder Erwähnung weniger ernstnehmbar wurde - und besonders mit jeder Warnung, "das könne zum Ausschluss von Wettbewerbsteilnahme führen". Für die Gruppe derer, die sich auf keinem Weg zu sportlichem Ehrgeiz hinreißen ließen, klang das wie eine Motivationsrede ganz anderer Art.

Trotz aller Erfahrungen, die Devy in den letzten Monaten mit ihrer Zimmergenossin gemacht hatte, kam Hiroos "präventive Disqualifizierung" für sie doch überraschend. Virginia teilte es ihr während einem der Extra-Trainings mit, die die Woche vor dem Festwochenende stets füllten. "Warte, Hiroo darf an keiner einzigen Disziplin teilnehmen? Und das steht schon fest? Wieso? Woher weißt du das?" rutschte es dem Mädchen raus, ehe sie recht darüber nachdenken konnte. "Ach komm, so aus dem Nichts kommt das wirklich nicht."  Dem musste Devy schon rechtgeben, und auch der Rest der Antwort war eigentlich erwartbar - Virginias Esper bestand schließlich in einer Superfunktion des Arbeitsgedächtnisses, die sie gerne mit ihrem Hobby, Sgt. Hofmann über die Schulter zu blicken, verband. Ein Blick reichte, um eine kurz geöffnete Mail an die Hausleiterin zu überfliegen. Devy schaltete meist weniger schnell. "Ach so." meinte sie jetzt verlegen. "Das war ja klar. Tut mir Leid, ich dachte einfach... komisch, dass ich es noch nicht wusste." "Falls es dich tröstet, ich glaube, deine Zimmerkollegin weiß auch noch nichts von ihrem Glück." kam mit freundlichem, aber eindeutigen Spott zurück. "Vielleicht willst du es ihr ja heute Abend mitteilen. Falls sie nicht wieder nach Ausgehschluss mit ihren komischen Freunden unterwegs ist." Virginia entging wirklich nichts. Nicht zum ersten Mal kam sich Devy ihr gegenüber unsicher und wehrlos vor, aber dieser eine Gedanke war ihr vielleicht noch nie so untergekommen wie jetzt: "Wie freue ich mich auf einen Nachmittag, an dem Gins Esper aus dem Spiel ist." Es war kein Wunder, dass sich die Geister schieden, wenn es ums Sommerfest ging. Obwohl es traditionell einfach dazu gehörte und sich hier alle wahnsinnigen Seiten des Campuslebens besonders hervortaten, erschien die durchstrukturierte Welt der Rekruten an diesen Tagen doch immer wie auf den Kopf gestellt. 

***

Devy kam an diesem Mittwochabend, zwei Tage vor dem Startschuss, erst eine Viertelstunde vor der Abendbrotzeit nach Hause. Die meisten aus der Wohngruppe trudelten erst um diese Zeit ein, nachdem sie den Tag lang mit intensiven Trainings- und außerordentlichen Lästersessions verbracht hatten. Obwohl alle Mädels müde wirkten, war mit jeder neu Dazukommenden ein frischer Stoß Vorfreude und Begeisterung zu verspüren. Die Küchendienste wurden ausnahmsweise gemeinsam übernommen, wobei natürlich niemand fehlen durfte, aus Pflicht nicht, und auch, um die Gerüchteküche nicht zu verpassen, die brodelte. "Ich glaub sie sind jetzt ein Paar!" Gekicher verbreitete sich unter den jüngeren Mitbewohnerinnen. Sogar Virginia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Devy runzelte bloß die Stirn. Dating war den unter 18-Jährigen verboten, verständlicherweise, wie die 17-Jährige fand, und die Schande, bei solch blödsinnigem Zeitvertreib erwischt zu werden, wagte sie sich kaum auszumalen.

Die allgemeine gute Laune zu verderben, daran lag es ihr gerade nicht. Vielleicht hätte Devy sogar in der Stimmung aufgehen können, wenn sie nicht von Hiroos Disqualifikation gewusst hätte. Seit Stunden war es dem Mädchen durch den Kopf gegangen, wie sie es ihrer Mitbewohnerin schonend beibringen konnte. Und dann waren Virginia und Devy zur Tür hereingekommen - wo Vela gestanden und nur auf sie gewartet hatte. Mit noch duschnassen Haaren, um mit der Neuigkeit herauszuplatzen: "Sgt. hat Hiroo gerade aufs Büro zitiert!" Offensichtlich war sie informiert und hatte ihre helle Schadenfreude daran, die Nachricht zu verbreiten, die unter den Mädels in Hiroos Abwesenheit in aller Munde war- für fünf Minuten, bis das Thema über die typischen Trainingsangebereien hin zu geheimen Liebschaften wechselte. Jede Minute in der Zwischenzeit war lang, und es verging nun diese Viertelstunde, in der man von oben nichts Neues hörte. Den Knall der Tür schien dann zunächst auch nur Devy wahrzunehmen - dann erspürte sie Hiroos Schritte; und schon kam Devys Zimmergenossin die Treppe heruntergepoltert. 

"Fucking hell." - Fluchend stampfte Hiroo die Treppe aus dem ersten Obergeschoss herunter. Die Wut und etwas Enttäuschung standen ihr ins Gesicht geschrieben, während sie Blicke mit der kurz ruhiger gewordenen versammelten Mädchentruppe austauschte. Sie wollte nicht Thema des Abends werden, also schluckte sie das bisschen Enttäuschung das man ihr ansehen hätte können herunter und zeigte wieder ihre bekannte steinerne Mine. Sie schritt ohne Worte an Virgina und Devy vorbei. Bevor sie auch nur eine weitere Minute ihres Abends in dieser Klatsch-verseuchten Atmosphäre verbringen würde, würde sie sich mit ein paar Snacks aus dem Kühlschrank auf ihr Zimmer verziehen. Doch bevor sie am Kühlschrank ankommen konnte, schob sich Vela an einigen der jüngeren Mädchen vorbei, in deren Mitte sie bisher Chefkoch der neusten Gerüchteküche spielte. "So, what have you been up to today? We were just wondering how your days been. Didn't we, girls?" Einstimmiges Nicken kam aus ihrem Kreise. "Nothing, just heading to my room.", erwiderte Hiroo trocken. "Are you sure? How're your preperations for the tournament going? I hope everything's going well." - 'What does she know...?', schoss es Hiroo durch den Kopf. "Shut your trap." - "Oh, already so vulgar. So typical. They still haven't taught you any manners. It would be a waste of time anyway. Just like your training." - "Are you trying to fuck with me? Just back off." - "What do you mean? We're just talking here. You should join us, we're having a splendid time here and you're the only one missing out." - Ein aufgesetztes freundliches Lächeln zauberte sich auf Hiroos Gesicht. Nicht merkbar für Vela, deren fadenscheinige Freundlichkeit niemanden außer ihresgleichen hätte täuschen können. "Well, if you mean it, I could show you." Eine kurze Spur von Verwirrung stand in Velas Gesicht geschrieben. "Show me what?" - Eine nachdenkliche Mine zierte Hiroos Gesicht. "I think your comprehension lacks a bit of fine tuning. Almost like there's a verbal gap between us, that I just can't seem to fill with some simple words. I think a practical presentation should suffice." Bevor Hiroo diesen Satz zuende sprach, umschloss ihre rechte Hand bereits das Handgelenk von Vela. In einer Bewegung fuhr Hiroo fort und zog Vela in einer halben Pirouette herum. Erst ein sachter Tritt von Hiroo gegen ihr rechtes Knie stoppte die Drehung abrupt. Velas Körper plumpste zusammen und wurde erst vom hölzernen Boden und dem dünnen Teppich des Aufenthaltraums abgefedert. Velas Kopf drehte sich noch immer, erkannte aber gerade wieder Hiroo die auf sie kopfüber herunterblickte. "I'm just not in the mood today. Got it?" Hiroo setzte ihren Weg fort. Die kleine Traube, die sich um die beiden Mädchen gebildet hatte, rückte etwas ab.

Das hatte Devy nicht erwartet. Schon seit einiger Zeit war es zwischen den Erzfeindinnen im Haus 11 nicht mehr zur nennenswerten Reibereien gekommen - aber die allgemein zugespitzte Stimmung vor dem Sportfest hatte wohl ihren Beitrag zu einem Comeback geleistet. Nun lag Vela auf dem Boden, und mehrere Mitbewohnerinnen umringten sie wieder, um ihr aufzuhelfen. Devy hätte vielleicht instinktiv dasselbe getan, aber dafür stand sie ohnehin zu sehr abseits in diesem Moment, und im nächsten war ihr nicht mehr danach. Sie folgte aus den Augenwinkeln Hiroos nächsten Schritten in Richtung Kühlschrank, wie sie fast seelenruhig die Tür öffnete und sich ihr Abendessen zusammenzusuchen begann. Wenn die Eigensinnige nur einmal herübergesehen hätte, dann hätte sie Devys verzweifelte Mimik und Gestik vielleicht wahrnehmen können, aber selbst dann hätte sie sich wohl nicht bei ihrem Vorhaben stören lassen. Auffälliger konnte Devy auch gar nicht werden, fand sie, um nicht mit diesen Strudel gezogen zu werden - zumal schon nach Sgt. Hoffmann gerufen wurde, als habe die von dem ganzen Tumult nichts mitbekommen haben können. Wenigstens keine weiteren Handgreiflichkeiten, nur bitterböse, racheschwörende Blicke - die da von der Seite der Mädels auf Hiroo gerichtet wurden. Nein, jetzt, als man die Hausleiterin die Treppe heruntersteigen hörte und zwei ihr entgegenliefen, war sicher nicht die Zeit. Aber Devy würde ihre Zimmergenossin noch zur Rede stellen - wenn nicht vor, so doch irgendwann während oder nach dem Sportfest. In dem Augenblick kam das Devy wichtiger vor als eine neue Medaille.

 

<3

Als die erste Ankündigung Jay daran erinnerte, dass das Sportfest wieder vor der Tür stand, war sein erster Gedanke gewesen: So ein Scheiß. Doch je länger er darüber nachgedacht hatte, desto mehr hatte ihn tatsächlich ein gewisser Enthusiasmus gepackt. Hätte Jay ebendiesen nicht wohl gehütet, so hätten sich manche Leute wahrscheinlich sehr über seinen plötzlichen Sinneswandel gewundert. Doch es gab zwei gute Gründe, warum das Event dem jungen Mann insgeheim sehr gelegen kam. Der erste waren die Medikamente. Trotz einiger leichter, aber vernachlässigbarer Nebenwirkungen freute sich Jay darauf, für drei Tage einfach mal normal zu sein. Es war schon ein wenig enttäuschend für ihn, dass er seine Kräfte nicht für immer loswerden konnte. Aber wenn er diesen Wunsch wenigstens für eine kurze Zeit erfüllt bekam, war das wie ein kleines Weihnachtsgeschenk mitten im Sommer. Jemand anderes hätte es vermutlich grausam gefunden, nur mit einem Vorgeschmack abgespeist zu werden. Doch Jay fand sich damit ab, dass er diesen Zustand zumindest für drei volle Tage auskosten durfte.

Der zweite Grund entstammte den angehenden Planänderungen. Seit Jacksons Festnahme bahnten sich Umschünge an, die Jay tierisch ankotzten. Dass sein Training mit Jordan in letzter Zeit gekürzt worden war und über kurz oder lang zu einem Ende kommen sollte, hatte ihn aus der Kalten erwischt und mehr getroffen, als er gedacht hätte. Seitdem sein Trainer ihm das in einem Gespräch unter vier Augen mitgeteilt hatte, hatte Jay sein Training intensiviert. Jordan hatte ihm erzählt, dass es bald einen Leistungstest geben würde, der analysierte, welche Fortschritte Jay gemacht hatte. Zuerst hatte der junge Esper aus einer Trotzreaktion heraus geplant, so schlecht wie möglich abzuschneiden. Doch je länger Jay über seine Situation nachgedacht hatte, desto klarer war ihm geworden: Wer auch immer so eine Entscheidung getroffen hatte – er würde sie vermutlich nicht so einfach rückgängig machen. Seine anstehende Versetzung zu den älteren Rekruten schien unvermeidbar. Und so frustrierend das für ihn war, so konnte er in dieser Lage immerhin eines tun: Er konnte zeigen, wie weit er es unter Jordans Anleitung gebracht hatte. Und so konnte er sich auf diese Weise indirekt für all das erkenntlich zeigen, was sein Betreuer für ihn getan hatte. Das war der eigentliche Grund dafür, dass Jay in diesem Sommer so motiviert war wie noch nie.

In der Woche vor dem Sportfest fanden keine regulären Kurse statt. Anstelle des üblichen Plans trat freies Training, das Jay ebenso fleißig nutzte, wie die meisten anderen jungen Campus-Bewohner. Er hatte sich für die zwei offensichtlichen Kategorien eingetragen: Schwimmen und das Mixed-Martial-Arts-Turnier. Bei erster Kategorie rechnete er sich keine hohen Chancen aus. Er hatte sich im Kurs nie wirklich angestrengt und diesen eher als Entspannung gesehen. Doch in den letzten Wochen hatte er sich ein wenig mehr ins Zeug gelegt und seine Beobachtungen verschafften dem jungen Mann das Gefühl, zumindest mit ein paar Kontrahenten mithalten zu können. Viel wichtiger war jedoch das Turnier am zweiten Tag des Sportfestes. Denn hier hatte sich Jay vorgenommen, auf jeden Fall zu gewinnen. Das würde zwar nicht einfach werden, doch die Tatsache, dass Jordan ihn als einen der Besten seiner Altersklasse einschätzte, machte ihn zuversichtlich. Außerdem würde der ein oder andere Gegner den Fehler machen, ihn zu unterschätzen. Es war kein Geheimnis, dass der stille Typ mit den langen Haaren keine große Motivation besaß und im letzten Jahr grandios den letzten Platz seiner einzigen Kategorie belegt hatte. Jay hatte diese Annahme fleißig mitgefüttert. Er war selbst überrascht, wie sehr er sich jetzt darauf freute, ein paar ahnungslosen „Elites“ gehörig in den Arsch zu treten.

Während die Abendsonne auf den Campus herunterbrannte, machte der junge Esper sich zu seinem Injektionstermin auf. Es war wie immer bei der UnEsCo – alles nahezu perfekt durchgetaktet. Das Training für diesen Tag musste Jay ab jetzt beenden. Denn sobald die Wirkung des Censerums einsetzte, hatte er sich aufgrund eventuell auftretender Nebenwirkungen in sein Wohnheim zurückzuziehen. Im letzten Jahr hatten sich diese zwar in Grenzen gehalten, doch Ärzte waren Ärzte und deshalb immer besonders vorsichtig.

Als Jay nach den Rekruten Mang und Marquez die Krankenstation verließ, fühlte er sich seltsam. Es war, als ob im gesamten Gebäude der Strom ausgefallen wäre. Das fühlte sich befreiend an und zugleich so unwirklich. Jay überkam eine Welle an Emotionen, die er nicht zuordnen konnte. Und während er durch den Park zu seiner WG wanderte, schienen seine Sinne immer schärfer zu werden. Das Licht, das durch die Baumkronen fiel, kam ihm heller vor, das Zwitschern der Vögel und seine auf dem Pfad dahinknirschenden Schritte lauter und der leichte, warme Windhauch intensiver. Jays Herz machte einen Hüpfer. Diese Tage würde wunderbar werden. Leichten Schrittes bog er in den Weg in Richtung der Waldhütten ein. Hiroo, die an der nächsten Gabelung auf ihn wartete, leuchtete ihm schon von Weitem entgegen.

„Wow, you're a true competition to the sun today, you know that, little star?“, begrüßte er sie.

Für diesen einen Moment war es ihr unmöglich ein kurzes Lächeln zu unterdrücken. Nach dem gestrigen Abend, hätte sie dem ganzen UnEsCo Campus die Pest an den Hals gewünscht. Doch mit Jay hatte sie endlich wieder ein freundliches Gesicht erblickt, das ihren ansonsten miserablen Tag nur aufwerten konnte. Selbst Devy, zu der sie sonst eigentlich ein sehr offenes Verhältnis pflegte, hatte sich nach ihrer gestrigen Aktion von ihr abgekapselt. Besser für Devy, es brachte nichts sie auch noch in ihre persönliche Fede mit dem gesamten Campus einzuspannen. Hiroo schaute sich kurz um und konnte keine Menschenseele erblicken. An diesem späten Julitag hatten sich die meisten bereits frühzeitig in ihre Wohnhäuser zurückgezogen. Eigentlich hatten Jay und Hiroo bis zu ihrer anstehenden Revanche beim Turnier keine weiteren Treffen verabredet, doch bei irgendwem musste sie ihre angefressene Frustation auslassen. Das gestrige Debakel hatte nichts weiter als eine weitere Kette an Problemen mit der Obrigkeit eingefordert. Die kurze Genugtuung Vela zu Boden gebracht zu haben, konnte ihren Frust über den Ausschluss am Turnier nicht abkühlen.

Ohne Worte packte Hiroo Jay am Arm. "Hey, what are you - Uh, I guess you'll explain later." Kurz keimten Widerworte seitens Jay auf, die er jedoch ohne eine Antwort von Hiroo verstummen ließ. Sie zog ihn eine kurze Weile einen der kleinen Waldwege entlang, von seinem Nachhauseweg ab auf eine leerstehende Lichtung, die ansonsten für Entspannungsübungen genutzt wurde. "So, what's up?" Jay sprach zuerst die Frage auf die Antwort aus, die Hiroo gerade versuchte mit Inhalt zu füllen. "Me? I'm just burning all the bridges behind me. The UnEsCo suddenly felt the need to take the last bright spot of this campus from me... They banned me from competing at the tournament." In einem sarkastisch klingenden Ton erwiderte sie seine Frage. "And what are you up to?" Jays freundlicher Ton hatte eine Kerbe bei ihr erwischt, und sie zeigte eine Seite, die sie im gleichen Moment wieder bereute.

Darauf war Jay nicht vorbereitet gewesen. Er brauchte einen kurzen Moment, um zu verarbeiten, was Hiroo ihm da gerade offenbart hatte. "Wait - they did what?!" Die Überraschung stand Jay ins Gesicht geschrieben, gepaart mit Verwirrung. "But .. why? What happened?" Er konnte es nicht fassen. Doch Hiroo stand vor ihm und hatte eben diese Dinge alle wirklich gesagt, während ihr die Röte ins Gesicht schoss.

"I'm not sure. It's not like we hit an alarm while looking for some info on Jacksons past. And the reason they handed me isn't even worth speculating over. Just some random accusation about me trying to sabotage the tournament... Arrgh..." Ein dumpfer Wutschrei unterstreichte ihre Ratlosigkeit. Mit ihren Händen wuschelte sie durch ihre Haare. Sie hatte sich Jays Frage bereits die gesamte letzte Nacht durch den Kopf laufen lassen und konnte kein Indiz in ihrem Verhalten oder den Gesprächen zwischen ihr und Sgt. Hoffmann oder Satoshi erkennen, das auf einen Ausschluss am Turnier hinweisen könnte. "Why would Satoshi do this to me? Acting like nothing's wrong and suddenly I'm the bad guy. Doing all these extra chores for weeks. All for nothing. Damnit..." Hiroo ließ sich im Schneidersitz ins hohe Gras fallen.

"Those fuckers!" Hiroo klang aufrichtig frustriert und das tat Jay leid. "That doesn't make any sense", überlegte er. "If they found out anything, they would have noticed I'm in this too. So why punish you and not me?" Zorn keimte in Jay auf, wurde aber schnell von einem anderen Gefühl überschattet, als er etwas realisierte. "Oh crap." Er ließ sich neben Hiroo ins Gras sinken. Die Erde war im Kontrast zu den weichen Halmen starr und trocken. Jay starrte ins Leere. "I'm sorry. I shouldn't have dragged you into this."

"My decisions are nothing you have to worry about. It's not like you dragged me into this yourself. Believe me, I'm proficient enough at digging my own holes." Ihre ernste Antwort nahm langsam einen etwas leichteren Ton an. "I feel like it's the first time I had something like a goal, aside from simply overcoming the obsctacles life throws at you. Although I don't have a hunch what this goal has in for us."

Jay wandte den Blick wieder Hiroo zu. Seine Augen fixierten die teilweise orange gefärbten Strähnen ihres Haares und blieben daran hängen. Es schien, als ob sie glühten. "You know -", begann er. "I've never really had a goal in life too. To me - I still don't know if I have one. Feels more like a weird direction. But anyway." Jay lehnte sich zurück und schloss die Augen. Langsam sank er ins Gras, während vor seinen Lidern Lichtpunkte tanzten. "You are right. You can perfectly take care of yourself and I don't wanna tell you what to do or not. It just came to my mind a moment ago that we are ... on shaky ground. I don't know how far the UnEsCo is willing to go to keep us in line. Also I weirdly don't feel afraid. But we are in their damn hands." Jay richtete sich wieder ein wenig auf, stützte sich auf die Ellbogen und sah Hiroo wieder an. "I can tell you at least a notion of what this goal might have in for us."

"The more I know the better, I guess." In ihrer Ratlosigkeit über ihre eigene Situation war jeder noch so kleine Hinweis etwas an dem sie sich festhalten konnte. "Always nice getting something fresh on the table, even if it's just an appetiser."

"Well, I'll let you have a fair share." Jay seufzte. "Lately I've tried to get a bit of insight from Jordan. He is not the most informed person on the campus, but he told me an interesting fact." Er hielt kurz inne, um abzurufen, was genau sein Trainer ihm erzählt hatte. "Jackson seems to be part of a super important Esper family. Not enough he said she had signed some kind of contract to get extra rights, power, control - whatever. But lately she broke it, or so he meant." Jay setzte sich auf. "So, we have at least three factions meddling with all of this. First of all the great UnEsCo itself. Jackson seems to support some other idea, at least to some extend. Then we have this other organisation that uses Espers - maybe this doctor and the girl from the sanatorium belong to them. And then there was this janitor guy, who did not work with them or anyone else, as far as we know. But hell, it still looks like we've uncovered nothing." Er machte eine kurze Pause. "Oh, and I am transferring to the military recruits this summer, as a matter of fact", fügte er hinzu.

Hiroo hörte Jay aufmerksam zu, während er das wenige, das Jordan ihm anvertraut hatte, weiter an sie gab. Von Satoshi hatte sie in der Richtung nichts erfahren. Er hatte es aber auch in sich, ihre Fragen immer wieder ins Leere laufen zu lassen. Ähnlich ihrer etwas rabiateren Angriffe gegen ihn im Training. Dies lag auch darin begründet, dass ihrer beiden Beziehung zueinander nicht viel mehr als der eines Schülers zu seinem Meister beinhaltete. In dieser Hinsicht war Jay beneidenswert. Die Distanz zwischen dem was Satoshi vorgab und dem was sie über seine Rolle am Campus glauben konnte, erübrigten den Rest. Mit dem Kopf hatte sie es ihm gleich getan und hatte es sich im Schneidersitz mit dem Rücken auf dem Gras gemütlich gemacht. Diese drei Fraktionen von denen er einen Zusammenhang zu den Geschehnissen hier auf dem Campus schlussfolgerte, wie genau waren sie hier eventuell bereits im Campus-Komplex vertreten? Wer von den Lehrern und Leitenden gehörte insgeheim vielleicht schon einer dieser anderen Gruppierungen an? Was waren überhaupt deren Ziele? In der Zeit seit Jacksons Abwesenheit hatte sich oberflächlich wenig am Campus getan. Selbst am Alltag hatte sich bis auf ihren Ausschluss an Außenmissionen ihrem Empfinden nach nicht viel geändert.

"You're doing what now?",  sprudelte es aus ihr heraus als sie Jays letzten Satz vernahm. In abwehrender Reaktion sprang ihr Oberkörper nach oben und schaute Jay mit von Fragen durchlöcherten Augen an. Das konnte doch nicht sein verdammter Ernst sein.

"Wow, hold it for a sec, ok?" Jay hob beschwichtigend die Hände, ließ sie dann aber wieder in den Schoß fallen. "It's not like I'm choosing to." Er wandte den Blick zur Seite. "That's what I meant earlier. They can do with us whatever they want."

"You're right, but... why so suddenly. Do you know anything at all about these troups?" Sie hielt kurz inne und ließ die Gedanken wie Kometenschweife durch ihre Synapsen ziehen. Würde das ein unverhofftes Ende für die kleine Truppe bedeuten? "What about Jordan? Whats's his take on the matter? Is this the end for you two? I mean... you had something I could never have with my sensei."

"I don't know, I don't -" Jay brach ab. Er schüttelte den Kopf. "I could try to find reasons why, but I don't know anything for sure. I just know they'll have me yessir the crap out of everything, follow some silly daily routine and sleep in a group cell." Je mehr er sagte, desto stärker wurde Jay bewusst, dass Hiroos Fragen sein Inneres aufwühlten. Die Kontrolle in ihm fing an zu bröckeln. Er wich ihrem Blick weiter aus. "Of course it's over. He's not too happy about it, so am I." Ein leichtes Flattern schlich sich in seinen bis dahin so sorgsam gewahrten, neutralen Ton. Bevor seine Stimme endgültig brüchig werden konnte, zog Jay einen Schlussstrich. Er atmete einmal ein und wieder aus. Dann drehte sich er sich unvermittelt zu Hiroo um. Seine Stimme trug nun wieder den leichten Hauch von Sarkasmus, absurderweise gepaart mit Ernst. "Well, let's use these days of happiness that are ahead of us. I intend to make the most of them and we'll find a way to get something out of them for you too."

Die Art wie Jay mit dieser Situation umging beruhigte sie wieder etwas. Der Jay, den sie kannte, würde sich so schnell nicht unterkriegen lassen. So viel hatte sie von ihm in dem letzten Jahr doch von ihm gelernt. "The worst of all, I'm not even allowed to attend the tournament as a silent observer. So I can't cheer you up when you're fighting against Makeda. Oh, and you have to cheer in my stead when Gwen and Exit enter the the ring. Doubletimes." Etwas Wehmut klang trotz ihrer positiven Stimmung durch. "Damn, would've been fun watching you guys." Sie legte sich wieder verträumt ins hohe Gras und ließ die Sonnenstrahlen durch ihre Augenlider blitzen. Sie mussten mit dem was sie noch an Zeit hatten, das meiste herausholen. "As far as I know I'm going to stay suspended at the HQ. I bet they couldn't think of a more boring place to stay with all these kusomajime running around."

"Ah, dang. It's a shame, really. And you know, this one time I was in for the fight." Jay streckte sich und genoss für einen Moment die warmen Sonnenstrahlen, die auf ihn herabschienen. Dann betrachtete er Hiroo, die es sich im Gras gemütlich gemacht hatte. Ihre helle Haut flimmerte leicht, während das Feuer ihrer Strähnen sich immer noch leuchtend von der kohlschwarzen Farbe ihres restlichen Haares abhob. Es tat ihm fast in den Augen weh, doch Jay konnte nicht wegsehen.
"I guess you'll be watched though, huh? Otherwise I would have suggested to smuggle you in somehow. But we're talking about UnEsCo." Er zuckte mit den Schultern. "So, you know this Makeda guy? Jordan told me he's also one of Satoshi's students and was last year's winner."

"Yeah, I know her." Den letzten Teil betonte sie dabei etwas stärker und grinste ihn etwas schelmisch an. Sie wusste selbst nicht, dass Makeda beim letzten Jahr als Sieger aus dem Turnier gegangen war. Dies war aber nicht sonderlich überraschend, war sie doch die älteste und erfahrenste Schülerin von Satoshi. Mit ihrem eindringlichen Capoeira-Kampfstil und ihrer körperlichen Überlegenheit hatte sie es mehr als einmal geschafft Hiroos Defensive zu Fall zu bringen. "If it's your turn to fight against her, you better start getting your wits together."

"Oh. I didn't really get Makeda was a girl." Da hatte er wohl eine Information falsch einsortiert. Jay nahm sich vor, den Turnierbaum noch einmal durchzugehen, um weitere eventuelle Verwechslungen zu vermeiden. Namen waren irgendwie nicht so seine Stärke. "But that doesn't matter for the fight. I intend to win this bloody tournament, no matter who I'm gonna face." Jay ließ sich zu einem grimmigen Lächeln hinreißen. "I haven't been lazy in the last months. You will get to see that sooner or later."

"I know it's not much, but if you really wanna win this one: Try attacking her left side. Her strength in Capoeira is the constant flow and rhythm of her moves. While she's pretty strong in both of her legs, her right one always wants to go a little faster." So leicht wollte sie es ihm doch nicht machen, und auch wenn sie zu Makeda nicht das herzlichste  Verhältnis pflegte, verbot ihre Ehre als Kämpferin ihm gleich alle Geheimnisse über ihren Kampfstil zu verraten. "Just focus on your goal. I really think you can do it. And don't waste your thoughts on me. I'm going to be fine. Maybe I can even get some info while staying at the HQ for three whole days."

"I appreciate your help, but you don't have to tell me too much. I'll have to win this on my own." Jay wusste, dass Makeda das Turnier im letzten Jahr nicht umsonst gewonnen hatte. Doch er war zuversichtlich, dass er sie besiegen konnte. Dass Hiroo das offenbar auch dachte, bestärkte ihn in seiner Annahme. "I will do that for sure. And actually your idea sounds quite good." 'I hope you don't get yourself into more trouble though', dachte er, sagte das aber nicht laut. In der letzten Zeit war Hiroo ja immerhin ziemlich vorsichtig gewesen.

Sie atmete langsam und sichtlich beruhigt nach alle dem aus. Sie hatte das Gefühl endlich mal wieder alles was ihr auf dem Herzen lag gesagt zu haben. "Let's change the subject. Just once for today I want to think about something else than the tournament." Sie schaute sich entspannt um. Die Baumwipfel wurden von einer warmen Sommerbrise aufgebauscht. Die Sonne ging langsam in ihr leuchtendes Finale über. Ihre Haare flogen vom Winde verweht auf. Aus dem Augenwinkel konnte sie Jays Blick erhaschen. War Jay sonst schon immer so fixiert auf ihre Haare gewesen? Irgendwas war komisch an ihm. Sie drehte eine ihrer orange-schwarzen Strähnen mit einem Finger zu einer Locke auf. "You wanna touch it? Or is there something in my face?" Sie schaute ihn direkt an, eine Augenbraue fragend nach oben gezogen.

'Well, shit.' Jay fühlte sich ein wenig ertappt. Da hatte er schon das Gefühl gehabt, dass seine Wahrnehmung erweitert war und trotzdem war er unaufmerksam gewesen. "No, no. Your face looks great. I ... -" Na toll. Hiroos Direktheit hatte ihn erwischt und jetzt wusste er nicht, was er darauf sagen sollte. Er spürte die Wärme in sein Gesicht strömen, während seine Gedanken rasten, um eine vernünftige Antwort hervorzubringen. Aber natürlich fand er keine. Um der peinlichen Stille zu entgehen, entschied er sich für die Wahrheit: "I know that sounds extremely stupid, but .. it's .. fascinating? It looks like your hair is burning. I get that it's not actually burning. The drugs are probably doing their part, but still." Jay verstummte. Nach dieser "Erklärung" fühlte er sich nicht wirklich besser. Nervös sah er Hiroo an und versuchte, ihren Blick zu deuten.

Hiroo rutschte etwas näher an ihn heran. "Is it only the drugs? 'Cause I haven't had any and I feel a burning inside, too." Sie wartete ab, was Jay tun würde. Er war sehr viel offener als sonst, aber ob das eventuell nur an den Nebenwirkungen lag?

Hiroos Antwort verwirrte ihn zuerst. Doch als Jay ihr in die Augen sah, wurde ihm plötzlich klar, was sie meinte. Ein Kribbeln breitete sich in seiner Magengegend aus. Waren es die Medikamente oder war da noch etwas anderes? Ein Teil von ihm wollte sich zurückziehen, um sich zu sortieren und erst einmal in Ruhe darüber nachzudenken. Aber er konnte sich Hiroos Blick nicht entziehen. Sie schien Jay herauszufordern und eine Regung in ihm drängte ihn, dem Impuls nachzugeben. So schob er alle Gedanken beiseite. Hiroos Blick erwidernd, sagte er leise: "I don't know. But .. I am curious to find out."

Die Sonne hatte ihren Horizont erreicht. Die Kühle der anbrechenden Sommernacht machte sich ohne die warmen Sonnenstrahlen langsam bemerkbar. Im ersten Moment hatte sie erwartet, dass er zurückweichen würde. Doch zu ihrer Überraschung erwiderte er ihren Blick, ohne abzulenken. Sie nahm Jays Hand. Eine Wärme durchzog ihre linke Hand und breitete sich aus. Trotz der dämmernden Dunkelheit konnte sie das Leuchten in seinen Augen sehen. Selbst sitzend musste sie dabei etwas zu ihm hoch schauen. Sie schaute kurz etwas verlegen ab, rückte dabei aber weiter zu ihm hin, sodass sich ihre Knie seitlich berührten. Ihr Gesicht nun ganz nah an dem seinen. Die Wärme, die sich von ihren umschlungenen Fingern ausbreitete, war bis in ihre Haarspitzen vorgedrungen.

Vielleicht lag es auch ein wenig an der kühlen Abendluft, dass Jay eine Gänsehaut bekam. Es waren jedoch die Berührungen von Hiroo, die sanfte Schauer durch seinen Körper jagten. Ganz leicht erwiderte er den Druck ihrer Hand. Mit der anderen fasste er eine ihrer Haarsträhnen, die sich mittlerweile von dem bisher feurigen Glühen in ein tiefes Pinkrot verfärbten. Kurz glitt sein Blick zu dem Farbenspiel, dann wieder zurück zu Hiroos Augen. Langsam beugte Jay sich zu ihr hin.

Jays Lippen kamen näher. So nah, dass jeder andere Gedanke nebensächlich wurde. Ihr Mund öffnete sich nur kurz um ihre von der Wärme getrockneten Lippen anzufeuchten. Ihr rechter Arm umklammerte seinen muskulösen Oberkörper und zog ihn zu sich. Kurz biss sie sich auf die Lippen. Sollte sie das wirklich tun? 'No backing down now!', machte sie sich Mut. Sie schloss ihre Augen und führte ihre Lippen zu denen von Jay. Der Moment in dem ihre die seinen berührten löste einen wohligen Schauer aus. Gleichzeitig breitete sich in ihr ein Konflikt aus zwischen der kühlen Brise, die aus einer unendlich schwarzen Leere in ihr hervorzukommen schien und dem warmen Puls der von Jay ausging, den sie zu immitieren versuchte. Für einen Moment breiteten sich Eiskristalle an der Stelle aus, an der sich ihre Lippen berührten. Ein kurzer Augenblick, bevor sich Hiroo wieder fing. 'Not this again...', strengte sie sich an und begann die Wärme wieder in beide Richtungen fließen zu lassen. Erst von der Berührung mit Jay ausgehend bis hin zu ihrer Brust und dann durch ihren ganzen Körper fühlte sie eine Symbiose mit der Wärme die von ihm ausging.

Jay senkte die Lider und ließ sich von Hiroo mitnehmen. Als seine Lippen auf ihre trafen, fuhr ein Beben durch seinen Körper. Hitze durchströmte ihn. Nach einem kurzen, kalten Hauch, der ihn frösteln ließ, wallte sie ihm von Hiroo wieder entgegen und vereinte sich zu einem einzigen Puls. Jay ließ seine Finger über ihre Wange gleiten und sank tiefer in ihre Umarmung. In diesem Moment gab es nur noch Hiroo und seinen brennenden Wunsch, ihre Nähe zu spüren.

Die Zeit fühlte sich so unwirklich an. Wieviel Stunden waren vergangen? Ihr Körper fühlte sich von wohliger Wärme umgeben. Sie redeten. So offen, wie sie es zuvor nur selten getan hatten, während sich aus der dunkelblauen Schwärze heraus langsam die Sterne über das Himmelszelt ausbreiteten. Am Horizont kam währenddessen auch der hell leuchtende Vollmond hervor. Nach einer Weile schaute Hiroo auf die Uhr. Wenn sie zu spät in der Wohngruppe auftauchen würde, würde das nur unnötige Strapazen für den morgigen Tag mit sich bringen. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, sprang Hiroo auf. Mit einem letzten Kuss auf die Wange von Jay drehte sie sich auf dem Absatz herum und begann in einem leichten Trab zu einem ihrer gewohnten Sprints über den Campus anzusetzen. Sie atmete die frische Luft dieser Mondnacht ein und ließ einen eisigen Atem aus. Sie wollte die Wärme, die sie mit Jay geteilt hatte, noch ein wenig länger anfachen.

Die Nacht hatte sich über den Campus gesenkt. Jay schaute Hiroo noch lange nach, als sie in der Dunkelheit verschwand. Dann wandte er sich um. Die Nacht schien auf einmal so viel lebendiger geworden zu sein. Während Jay leichten Schrittes seiner Unterkunft entgegenstrebte, sog er alles in sich auf: Den frischen, kalten Windhauch, das Rascheln der Blätter und den Geruch von Erde und Gras. 'Oh ja', dachte er bei sich. Es waren in der Tat wunderbare Tage.

 

Die Eröffnungszeremonie

Der Tag des Sportfests, der die Wohngruppe 11 früh aus den Federn zu befördern wusste, war gekommen. Um Viertel nach sechs (laughs in Nordrheinwestfälisch) war Devy die Letzte, die Minuten vor dem Weckerklingeln die Decke wegschlug und sich umsah. Hiroos Bett war leer. Sie konnte nicht einmal sagen, ob es unordentlicher oder gemachter aussah als tags zuvor. Die Medikamente hatten in diesem Jahr unerwartet hart zugeschlagen - Devy war schon auf dem Rückweg von ihrem Shot-Termin schläfrig geworden und froh gewesen, dass es fast neun Uhr am Abend war und nur ein paar hundert Meter sie von ihrer Bettstatt trennten. Irgendwas hatte sie gestern noch vorgehabt - stimmt, kurz Hiroo anzusprechen auf die Sache vom Mittwoch, aber nachdem Devy sich die Treppen hochgekämpft hatte, war sie irgendwie erleichtert, die Verantwortung fallenlassen zu können. Ihre Mitbewohnerin war nicht dagewesen. Alles andere fühlte sich immer noch an, als hätte sich eine neue Art Schwerkraft darüber gelegt. Das würde sich bis zum nächsten Tag pünktlich zu den Leichtathletikmeisterschaften geändert haben. Für den Tag hatte Devy beschlossen, der Schwere ihrer Lider nachzugeben und so viel Schlaf zu bekommen, wie sie sich leisten konnte. Aber dann, nach einer kurzen Dusche, fühlte sie sich immer noch nicht ganz wie sie selbst. Das Fehlen ihrer Kraft kam ihr jedes Mal gespenstisch vor; obwohl das Mädchen sonst nicht den Eindruck hatte, oft auf sie zuzugreifen, war sie alle paar Sekunden neu an ihre Esperlosigkeit erinnert. Es war dieses Gefühl für ihre Umgebung, welches wirklich ein sechster (bzw. achter) Sinn für sie war. Nun musste Devy sich auf ihr Gleichgewichtsorgan verlassen können, um sich im Raum zurechtzufinden, und das ging ihr jedes Jahr entschieden auf die Nerven. Sie hatte doch nur den kleinen Zeitraum zwischen 7 und 10 Uhr, um sich unter den neuen Voraussetzungen in ihren Disziplinen zu versuchen, und die Zeit konnte sie nicht damit totschlagen, im Geradeauslaufen zu versagen. Devy suchte sich in der ungewöhnlich chaotisch hinterlassenenen Küche ein nahrhaftes Frühstück zusammen, packte es in einen kleinen Rucksack und machte sich auf ihren Weg.

Der Verlauf den die gestrige Nacht gezogen hatte, war von Bergen und Tälern umzogen. Während langsam wieder ein Bewusstsein in die schlafende Hiroo hineinkroch und sie mit Energie füllte, wurde ihr klar, in welche Situation sie gestern Abend hineingestolpert war. Sie konnte sich noch gut die Lippen ausmalen, die die ihren berührt hatte. Doch etwas hatte ihren malerischen Abend vermiest und das stieß ihr jetzt auf's neue wieder auf. Bevor sie unter ihre warme Decke in dem Zimmer, das sie sich mit Devy teilte, hätte schlüpfen können, war sie von Owens vor der Wohngruppe abgepasst worden. Auf den ersten Blick sagte ihr das Gesicht nicht viel. Erst nachdem sie sich vor Hiroo aufgebaut hatte und sich als ihre abendliche Begleitung zum Hauptquartier vorstellte, fielen ihr die Erinnerungen wie sanfte Regentropfen auf den Kopf. Diese Frau war die gleiche, die auch schon am Tag von Jacksons unrühmlichen Abschied ihre Eskortdame hatte spielen dürfen. "Oh, you're my escort to the high society club. You shouldn't have." Mit nur wenigen Worten hatte sich die zuvor neutral bestimmende Mimik von Owens verfärbt. Das leichte Gewitter wurde von einem donnernden, aber ruhig endenden Ton umspielt. "It's Lieutenant Owens for you. And you'll be my guest for the rest of the evening. The command doesn't wanna waste any ressources on the coming event tomorrow. That's why you're accompanying me right now. No need to get anything." Mit diesen Worten wies sie mit einer kurzen Handbewegung den ihr unterstellten jungen Mann an, Hiroo die kleine Tasche an notdürftigen Habseligkeiten zu überreichen. "Who the hell allowed you to touch any of my stuff?", schoss es Hiroo statt einem kurzen Dank über die Lippen. Owens machte keine Anstalten ihrer patzige Frage irgendeinem Wert beizupflichten. Kühl fügte sie ihrer ersten abweisenden Mimik hinzu. "It's property of the campus anyway, so don't waste your breath on me." - "And you think you own that badge of yours, huh? Whatever... just show me the door to the freezer." - "Oh, you're not going there. At least not without my explicit command." Trotz der Dunkelheit hätte man für einen Moment einen überraschten Blick auf Hiroos Antlitz erhaschen können. Ein anderes Areal hatte sie im Hauptquartier bisher nicht erkunden können und so ließ sie sich doch ohne weitere Widerworte mitschleppen. Viel zu dem Ort, an dem sie nun aufwachte, hatte sie in der kurzen Nacht nicht herausfinden können. Nicht ohne Grund hatte sie das Gefühl auch hier in diesem Teil des internen Konferenzentrums in ihrer Schlafzelle unter ständiger Beobachtung zu stehen und so reduzierte sie jedwedes verdächtige Verhalten auf ein absolutes Minimum. Das Gästezimmer, in dem sie nächtigen hatte dürfen, war reduziert eingeräumt, ohne Möglichkeit sich mental oder physikalisch zurückzuziehen. Sie versuchte sich langsam zu orientieren, anziehen brauchte sie sich nicht, hatte sie es doch nicht als nötig erachtet ihre normalen Klamotten auszuziehen. In einer Ecke fand sie ein kleines Wasserbecken, in dem sie sich erfrischte.

Kurz vor zehn an diesem Vormittag schwindelte es Devy wieder - zwischendurch hatte das Gefühl nachgelassen, doch dann, nachdem sie ein straffes Programm von Lauftraining, einigen Weitsprungübungen und einem kurzen Treffen mit ihren Mannschaftskameraden hinter sich hatte, konnte sie ein paar Extrakalorien dringend gebrauchen. Auf dem Rückweg von ihrem Abstecher zur Frühstücksausgabe schlängelte sie sich nun abseits der Wege, die die zentralen Gebäude mit den Sportanlagen verbanden, um die Kinder und Jugendlichen herum, die es weniger eilig zu haben schienen. Devy wusste selbst nicht so recht, was sie dazu bewegte, unbedingt einen guten Platz bei der Sommerfesteröffnung ergattern zu müssen - die grobe Sitzordnung der Altersklassen war ohnehin vorgegeben. Sie wusste natürlich, dass sie sich beeilen musste, um während der langen Ansprache bei ihren Freundinnen im Gras sitzen zu dürfen. Das hatte seine Vorteile, weil man so jede kleine Pause nutzen konnte, um das Gesagte, seine Umgebung oder seine Medaillenhoffnungen zu kommentieren. Aus Erfahrung wusste Devy aber, dass diese Art von Gesellschaft einen auch in den Wahnsinn treiben konnte, zumal sie schon das ziehende Gefühl nahender Kopfschmerzen verspürte. Nein, irgendwie hatte sie ein schlechtes Gefühl bei alledem; es war kein gutes Sportfestjahr für sie. Ohnehin war der Vorsprung, den die Rekrutin durch ihre Einsatzerfahrungen vielleicht im Blick der anderen gesammelt hatte, hier nur zu verlieren. 

Der strahlendblaue Himmel, unter dem sich um zehn Uhr circa zweihundert Rekruten versammelt hatten, lud dann nicht nur zur Vorfreude auf einen sonnigen Tag ein. Gerade aus der Richtung der Tribüne, die alle motivierteren Teilnehmer schon abgebaut sahen, blendete es zu Beginn der Startveranstaltung furchtbar. Devy hatte noch einmal das Gefühl, wach zu werden, als die Lautsprecher eine Fanfare abspielten und sie gerade - und stillzustehen hatte. Sogar Vela schreckte zusammen und stoppte mitten in ihrem begonnenen Satz, um ihre Stimme erneut zur amerikanischen Hymne zu erheben. Merkwürdig, musste Devy doch denken, hatte sich dieselbe WG-Genossin nicht endlos über diese Art Patriotismus echauffiert? "Das tun wir bloß, weil die UnEsCo mit der amerikanischen Regierung zusammenarbeitet." hatte sie überall herumposaunt, als sei das eine Neuigkeit. Und Devy hatte ihr zugestimmt, dass es schon eine merkwürdige Sache war. "Wir kommen schließlich nicht nur aus Amerika, viele sind aus anderen Ländern. Ich bin ja Australierin und habe einige Zeit in Großbritannien verbracht." Dabei war Devy kurz in ihre Vorstellung eines guten britischen Akzents eingestiegen, weil ihr der heimatliche Dialekt schon längst verlorengegangen war. Virginia war eine Zeit lang von Devys Herkunft fasziniert gewesen, Vela hatte so etwas noch nie groß begeistert. Es ging ihr um etwas andres. "Ach, besser wäre es, wenn man diesen Nationalismus ganz hinter sich ließe und sich auf uns als Esperrasse konzentrieren würde." zitierte sie irgendwen, vermutlich jemanden aus der eigenen Familie. Was immer aus dem Gedanken geworden war - nun stand Vela da und sang die Hymne der Vereinigten Staaten von Amerika, und auch Devy tat das, unabhängig von ihrem australisch-britischen Hintergrund. Sie hatte nicht wirklich etwas gegen den Appell mit seinem Gesinge, den Antworten im Chor auf fragenähnliche Phrasen und einer militärischen Handbewegung zum Kopf, die vielleicht bei unter zweihundert Minderjährigen in den gleichen tiefblauen Sportklamotten und altmodischen Käppis ein wenig komisch aussah. Irgendwie gehörte das alles ja dazu, und unbemerkt verhalf es Devy auch zu dieser Gemeinschaftsstimmung, die in diesem Jahr bisher noch wenig bei ihr angekommen war. Für ein paar Minuten jedenfalls, bis die Langeweile einsetzen musste.

Schon während der sich hinziehenden Bekanntmachungen driftete die große Masse gedanklich ab. Wie jedes Jahr übernahm nachfolgend Lieutenant General Nyquist, eine große, militärisch gekleidete Frau in ihren 50ern, den Hauptteil der Ansprache und appellierte wie immer an die Gemeinsamkeit und Gemeinschaft aller Menschen. Virginia stupste Vela an und verdrehte die Augen; Vela zog wahrscheinlich eine ihrer genervten Grimassen, das war von der Seite nicht so gut zu erkennen. An einer anderen Stelle kicherten die beiden gleichzeitig los, als hätte Nyquist ausversehen ein doppeltbesetztes Wort genutzt. Devy führte sich den letzten Satz der Campusleitung vor Augen, fand aber beim besten Willen nichts, was irgendeine ungewöhnliche Reaktion herausforderte. Auch sonst gab es niemanden, der sich auffällig benahm - das musste irgendein neuer Insider sein, den das Mädchen nicht verstand. Na gut, dachte Devy, es ist ja nicht so, als könnte ich jeden meiner Gedanken mit den anderen teilen. Als Nyquist auf die Verantwortung kam, die Esper auch in diesem verflossenen Halbjahr auf sich genommen hatten, um die Einhaltung von Menschenrechten sowie die Freiheit und Sicherheit der Espergeschwister zu schützen, hatte Devy viele Blicke auf sich gespürt. Gleichzeitig war ihr nach der Erfahrung eines Einsatzes wie dem letzten jedes Mal ein wenig mulmig zumute, wenn von dieser Einheit gesprochen wurde - der Einheit der Esper, wohlgemerkt. Dass nicht jeder Esperbegabte die UnEsCo als seine Familie ansah, hatte die Rekrutin ja nun am eigenen Leibe erfahren dürfen. Auch Hiroos Erzählungen und Andeutungen über den im Hintergrund wohl stattfindenden Konflikt innerhalb der Organisation ließen sie nun manches Mal aufhorchen, wenn irgendein Name aus der Hierarchie fiel. Nyquist hob gerne hervor, dass sie den derzeitigen Präsidenten Professor Haralt Weston persönlich kannte und mit ihm im Gespräch blieb. Was dabei inhaltlich zur Sprache kam, erwähnte sie auch diesmal nicht. Dann war sie schon zu Vertretern der föderalen Regierung übergegangen, die auf dem letzten Kongress gewesen waren. Also waren Esper gar kein so großes Geheimnis? Auf all das konnte Devy sich immer noch keinen Reim machen, aber weghören konnte sie auch nicht mehr. Gerade, als die Rede ein Ende zu nehmen schien, wechselte Nyquist noch einmal unerwartet das Thema. "Bevor wir die letztjährigen Statistiken und Medaillenträger noch einmal aufleben lassen, gibt es noch etwas, was wir dem Campus Kansas mitzuteilen haben. Viele werden mitbekommen haben, dass seit einiger Zeit Lücken in der Mitarbeiteraufstellung dieser Institution entstanden sind. Die schlechte Nachricht, die ich hier aussprechen muss, ist, dass es noch weitere geschätzte Kollegen gibt, die im Moment einen Wechsel in ihrer Karriere planen." Devy, die schon die ganze Zeit ihre Augen und somit ihren schmerzenden Kopf vor der harschen Sonneneinstrahlung zu schützen versuchte, und auch viele andere aus dem Publikum blickten auf. Virginia schnappte nach Luft. "Meine Trainerin hat da ne Andeutung gemacht. Hoffentlich nicht Jamila." In Devys Kopf drehte es sich im Kreis. Was hatte das zu bedeuten? Sie lauschte auf jedes Wort, das sie aus dem aufkommenden Geflüster aufnehmen konnte. "Aus diesem Grund stehen noch mehr Veränderungen an." Fuhr Nyquist fort. "Die gute Nachricht: Dank einem langjährigen Kollegen, der erst kürzlich aus einer Sonderbeurlaubung zurückgekehrt ist, werden wir uns nicht länger um geeignete Kräfte sorgen müssen. An diesem Tag dürfen wir ihn als neuen Head of Human Ressources begrüßen. Willkommen zurück, Colonel Michael Falk." 

Es war bereits brütend heiß, obwohl sie noch nicht einmal Mittag hatten. Jay kniff die Augen zusammen. Das grelle Sonnenlicht tauchte alles um ihn herum in einen Heiligenschein. Es war ihm unmöglich, sich umzusehen, ohne dass ihm sofort die Augen tränten. Der Klang von Musik echote über die Wiese, doch da sich Jays Patriotismus stark in Grenzen hielt und er die Nationalhymne sowieso nicht auswendig kannte, stimmte er – wie schon im letzten Jahr – nicht mit ein. Stumm lauschte er den Stimmen der anderen Rekruten und konnte nicht anders, als es befremdlich zu finden. Aber wen hätte das schon überrascht? Am allerwenigsten wohl ihn selbst.

Anders als im letzten Jahr jedoch hörte er der Rede von Lieutenant General Nyquist diesmal aufmerksam zu. Es war zwar viel langweiliges Gewäsch dabei, was ihn nicht wirklich interessierte. Doch er hatte sich vorgenommen, Informationen zu sammeln, wo er nur konnte. Und bei dieser Eröffnungsveranstaltung sollte er wesentlich mehr bekommen, als erwartet. Jay spitzte die Ohren, als Nyquist diverse Personalwechsel ansprach. Ihre Stimme drang klar und deutlich zu ihm herüber. Deswegen war er sich sicher, dass er sich nicht verhört hatte, als ihr letzter Satz verklungen war, auch wenn er sich in diesem Moment gewünscht hätte, dass es anders war. Dem jungen Mann gefror trotz der Sommerhitze förmlich das Blut in den Adern. Seine Angst, die er zuvor als lächerliche Paranoia beiseite gewischt hatte, holte ihn nun ein. Falk war zurück – in der denkbar schlimmsten Position, in die man ihn hätte erheben können. Das würde Konsequenzen nach sich ziehen. Jays Gedanken schossen zu Gwen. Und eine furchtbare Vorahnung breitete sich in ihm aus. Nur, dass er nichts dagegen tun konnte.

 

„ICH WILL ABER NICHT!“, schrie ich und trat einen Schritt nach hinten, rempelte meinen Sitznachbarn an, der offensichtlich aufgestanden war und sich bewegt hatte. In mir loderte es. Ich war wütend, ich war sauer, ich würde am liebsten alles in meiner Umgebung kurz und klein hauen, in schwarzen Löchern versenken oder in einer meiner Fantasiewelten zerhacken.

„Gwen.“, sagte Jamey nun streng und er griff wieder nach meinem Arm.

Wir standen auf dem Gang der Krankenstation und ich sollte geimpft werden. Ich hasste die Sommerspiele, ich hasste sie so sehr, dass ich mir geschworen hatte, diesmal würde ich mich nicht kampflos überreden lassen mich für zwei Tage in absolute Blindheit tauchen zu lassen.

„NEIN!“, kreischte ich nun, spürte das kitzeln der Wut in meinem Herzen und den Windzug, den es gab, kurz bevor sich direkt neben mir ein schwarzes Loch öffnete. Ich wollte sie alle zerstören. Alle. Diese ganzen, neunmalklugen, alles besserwissenden sogenannten Ärzte.

„Gwenny.“, sagte Briannas Stimme beruhigend aus dem Hintergrund. „Bitte. Komm. Es geht schnell vorbei.“

„HALT DEN MUND! ALLES WAS ES FÜR DICH BEDEUTET IST, DASS DU KEINE WÜRSTCHEN MEHR GRILLEN KANNST!“, schrie ich und ich spürte, wie sich meine Stimme beinahe überschlug. Mir wurde heiß. Erst dachte ich, dass ich mich so sehr aufregte, dann stellte ich schreiend fest, dass sie mir aus Wut meine Hose angezündet hatte. Wie eine Furie schreiend stürzte ich mich in die Richtung in der ich sie vermutete. Ein Junge im Hintergrund seufzte echauffiert und meine Beine wurden nass. John, alles klar. Ihn hatten sie also auch noch nicht geimpft.

Ich griff nach vorn, bekam Briannas Haare zu fassen, zog sie so heftig das sie kreischte, also trat sie mir gegen das Schienbein und wir gingen zu Boden. Sie schlug mir mit voller Wucht ins Gesicht, während ich spürte, dass ihre Handflächen begannen zu glühen, also öffnete ich wütend ein Portal. Ich spürte den Sog, auch, wie viel Kraft es mich kostete und auf einmal ging alles sehr schnell. Die Kinder im Flur kreischten – vor Angst oder weil ich eine Massenprügelei ausgelöst hatte weiß ich nicht - und dann wurde es kalt, so eisig, dass ich kaum atmen konnte, dass ich keine Bewegung mehr durchführen konnte und jemand zog erst Brianna von mir herunter, dann mich auf die Füße. Durch die Kälte und den fehlenden Energiefluss schloss sich mein Portal automatisch. Mit dem zippenden Verschlussgeräusch kam auch sofort die Wärme zurück. „Tu das nie wieder.“, zischte die Stimme. Sie war dunkel und tief, also vermutlich gehörte sie einem Jungen oder einem jungen Mann. „Solltest du das nochmal tun, wird es wesentlich unlustiger für dich, hast du das verstanden?“

Er griff nach meinem Oberarm und drückte fest zu. Seine Fingerspitzen wurden eiskalt und die Kälte zog so schnell zu meinem Herz, dass ich nur aufjapsen konnte, während mir die Tränen in die Augen stiegen. „Nie. Wieder.“, flüsterte die Stimme wieder bedrohlich, dann war Jamey bei mir.

„Finn, geh zurück. Sofort.“, sagte er, riss mich von ihm weg und zog mich grob zum Zimmer des Arztes, der mich spritzen sollte. „Wenn du noch einmal so eine Dummheit machst, Gwendolyn, dann werde ich veranlassen, dass du außerhalb deiner Einsätze nur während den Übungseinsätzen auf deine Kräfte zugreifen kannst. Hast du mich verstanden?“

Ich versuchte mich los zu machen, hatte aber die Kraft dafür nicht, sah ein kurzes Aufblitzen in mir, wie ich nur kontrolliert auf meine Kräfte zugreifen konnte und begann zu weinen, während mir der Arzt ziemlich grob den Ärmel nach oben rollte, mich desinfiziert und die Nadel in meinen Oberarm steckte. Die Flüssigkeit drückte, war kühl und gleichzeitig brennend heiß. Mit Herausziehen der Nadel aus meinem Arm breitete sich die absolute Dunkelheit in mir aus und mir wurde schlecht. So schlecht, dass ich mich, in Jameys Umklammerung, direkt aus dem Stand heraus übergab. Die Krankenschwester, die ich jetzt erst hörte rief nach einem Eimer und einem Lappen, aber mir wurde so schwindlig, dass die Beine nachgaben. Jamey zog an mir, an den Rest kann ich mich nicht erinnern.

***

Als ich aufwachte war immer noch alles dunkel. Verschiedene Stimmen redeten durcheinander. Jemand räusperte sich und die anderen verstummten.

„Gwen?“

„Mh?“

„Gwen, mein Name ist George Myers. Ich werde deine weitere Ausbildung übernehmen.“

„Mh?“

Im Hintergrund raschelte etwas, eine weibliche Stimme sagte: „Gut, dann geh ich. Das nächste Mal bitte nicht überdosieren.“ Eine Tür fiel ins Schloss und Jameys Stimme erklang neben meinem Ohr.

„Hey Schatz.“, sagte er und half mir mich aufzusetzen. „Gwenny, ich kann das nicht mehr. Ich hab nicht die entsprechenden Mittel um solche Aussetzer wie heute auf der Station in den Griff zu bekommen und das ist gefährlich. Für dich, für mich, für die anderen Kinder.“

Ich rieb mir durch die Augen, versuchte mich tastend zu orientieren. Die Stimme, die zu dem Mann gehörte, der behauptete er würde George heißen wandte sich mir zu: „Ich werde dich in den nächsten Monaten trainieren, Gwendolyn.“

Hätte ich meine Kräfte gehabt, hätte ich jetzt irgendwo in die Zukunft gesehen, gewusst wie er aussah und was seine Art anging. Mein Herz machte einen ängstlichen Hüpfer beim Gedanken an Colonel Falk und ich klammerte mich an die Liege auf der ich saß.

„Keine Angst, Gwen. Keine Angst. Ich bin mit George aufgewachsen, er ist etwas älter als ich, aber sehr lieb. Er hat Esperfähigkeiten, die dir helfen werden deine Kräfte besser zu verstehen und der dir helfen kann, nicht mehr aus Wut fast alle deine Klassenkameraden, Freunde und Bekannte auf einmal auszulöschen.“, sagte Jamey und obwohl ich wusste, dass er sauer auf mich war, hörte ich das leichte lächeln aus seiner Stimme.

„Ich verstehe, dass du Angst hast.“, sagte George. „Aber deine Abneigung ist unangemessen.“

Ich war irritiert. Woher…? „Bist du… bist du ein Empath?“, fragte ich vorsichtig.

George grinste scheinbar, als er antwortete: „Auch das, liebe Gwendolyn, auch das.“

Jamey strich mir über den Arm, nahm mich an der Hand und half mir von der Liege. George folgte ihm und mir nach draußen, vor die Tür. Ich ging langsam, weil ich keine Ahnung hatte wo ich war und wie die Umgebung gestaltet war. Es war alles ausgeschaltet. Alles was ich wahrnahm, war der Geruch nach Desinfektion und das Gefühl der großen, rauen Hand von Jamey. Vor der Tür legte er meine Hand in die von George.

„Tut mir Leid, Schatz. Ihr schafft das. Und wenn etwas ist, darfst du natürlich immer gern mit mir sprechen. Immer.“

Ich zog ein Gesicht, von dem ich hoffte es brachte zum Ausdruck, dass ich verletzt war. „Verräter.“, murmelte ich.

„Ich dich auch.“, grinste er und ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten.

Ich räusperte mich. George nahm meine Hand fest in seine und sagte: „Lass uns erstmal zum Sommerfest gehen, Gwendolyn Faye Quagmire.“ In mir zog sich fast alles zusammen. So hatten mich zuletzt meine Großeltern genannt.

„Nennst du mich bitte Gwen?“, fragte ich vorsichtig. Ich wusste nicht, mit wem ich es zu tun hatte, was für eine Art Mann das war und welche Übung zuerst bevorstand.

„Klar.“, erwiderte er. „Nenn mich George.“

Innerlich atmete ich auf. Zum Glück.

„Also. Wie gut klappt Seilspringen, wenn du nichts siehst?“, fragte er.

„Naja, sagen wir, es sollte genug Platz sein, damit ich niemanden treffe…“, begann ich zu erklären.

***

General Nyquist hielt eine furchtbar langweilige Rede, während ich mich an den fremden Mann geklammert in den Schatten quetschte. Es war so unglaublich heiß, ich spürte, wie der Schweiß meinen Rücken hinunter ran, noch bevor ich mit Sport überhaupt begonnen hatte. Ich hatte Durst.

George reichte mir eine Thermoskanne voll lauwarmem Tee und irritiert trank ich einen Schluck. Was war das für ein Mann?

„Psst.“, machte er. „Nicht so laut.“

Erneut machte sich Irritation breit. Doch die wurde sehr schnell durchbrochen, als Nyquist Colonel Falk ankündigte und ich nicht wusste ob mir kalt, schlecht oder schwindlig war. Ich atmete schneller, hyperventilierte fast, dachte an den Pool, die Sporthalle, den Schmerz … „Nein.“, murmelte ich und vor lauter Panik spürte ich, wie sich Tränen in meine Augen kämpften. „Nein, nein bitte nicht. Bitte!“, sagte ich etwas lauter und wollte… -George legte eine Hand auf meinen Kopf und innerhalb weniger Sekunden spürte ich absolute Ruhe, wenn auch etwas Benommenheit.

"...so weich, dass man glaubt, man beißt ins Nichts. Und die Kruste ist dann wie ne Rüstung, die das da Drinnen beschützt. Richtig knusprig und in cooler Sichelform. Ich glaub ja, goldene Rüstungen sind ganz besonders. Nur für Könige und so. Auch wenns die ja kaum noch gibt. Nunja, und dann sind da so Löcher drin. Das sind richtige kleine Schatzkammern, weil da fließt der Honig dann rein und das sieht aus wie ein Goldschatz. Das macht richtig Spaß zuzuschauen. Und deswegen ist das Frühstück am Freitag das beste Frühstück in der Woche.

Ich muss jetzt los, liebes Tagebuch. Heute ist doch das Sportfest. Ich bin ganz schön aufgeregt. Aber ich erzähl dir dann später, wies war.

Bis dann

dein Exit"

Es war ein Tag wie jeder Andere. Alles fühlte sich neu an. Wenn Exit genau darüber nachdachte, mochte er bis vor kurzer Zeit Honig-Croissants garnicht so besonders. Lag es an dem Medikament, das er sich gestern hatte spritzen lassen müssen? Es war nicht zu verleugnen, dass sich der Rekrut seit dem gestrigen Termin im medizinischen Sektor des Camps anders fühlte. Anfänglich streubte sich Exit innerlich, der routinierten Prozedur, die dem Sommerfest voranging, nachzukommen, erinnerten ihn Spritzen doch zuweilen noch an die verhassten Jahre im Forschungsinstitut. Doch wusste Exit um die Obligatorik des Verfahrens, um für den Wettkampf zugelassen zu werden. Und so sprang er über seinen eigenen Schatten. Es kostete dem Schatten nur einen kleinen Stich und er klebte wieder an Exit. Größer und dunkler als zuvor. Er füllte einen Teil in Exit, der zu fehlen schien. Mit dem Wirkstoff breitete sich kriechend eine Leere durch seine Adern aus. Jede einzelne Zelle seines Körpers schien immer langsamer zu pulsieren. Es fühlte sich an, wie ein leichter Muskelkater, der sich über jedes Körperteil erstreckte. Anfängliche Kopfschmerzen und Schwindelgefühle verflogen noch am Abend des Behandlungstages, doch das unbehagliche Gefühl eines alternden Körpers blieb. Mochte es noch so unangenehm sein, im Innersten wusste Exit, dass dies nicht der Grund für seine scheinbar neu entdeckte Faszination für Süßgebäck war, die er glaubte seinem Tagebuch mitteilen zu müssen. Nein, es war die innere Unruhe, die ihn umhertrieb und in ihm wütete. Seit Mrs. Marples Tod machte sie sich in ihm breit. Seines Ankers beraubt, erwischte sich Exit seither immer wieder dabei, wie er versuchte an jeglichem festzuhalten, was ihm Halt versprach oder alles auf das Unkomplizierteste, Unbeschwerteste herunterzubrechen. War es Flucht? Hatte er nicht einst damit aufgehört davonzulaufen? Auf der Suche nach einem Platz? Hatte er nicht geglaubt, in der Organisation ein neues Zuhause mit neuen Freunden gefunden zu haben? Aber was für ein Held war er denn schon? Ein Held der Niemanden zu retten vermag?

Exit schüttelte seinen Kopf, um seine Gedanken zu verlieren und klappte sein Tagebuch zu. In wenigen Minuten begann die Eröffnungszeremonie für das Sommerfest. Die durfte er nicht verpassen. War das Sportfest doch die letzte Möglichkeit unter Beweis zu stellen, dass er das Zeug zu einem Helden hatte. Seine übliche Trainingsroutine hatte Exit am heutigen Morgen für die bevorstehenden Tage extra auf das Notwendigste reduziert, allein um abschätzen zu können, wie stark er von dem Esper unterbindenden Serum in seiner sportlichen Aktivität eingeschränkt wurde, ohne zu viel Energie vor dem Wettkampf zu verbrauchen. Okay, vllt lag es auch ein bisschen an der Esper, die in der Vorbereitungszeit des Sommerfestes dafür eingesetzt wurde, die Krafträume zu beaufsichtigen. Es war eine groß und schlank gewachsene, junge Frau. Exit hatte sie schon vorher gelegentlich auf dem Trainingsgelände gesehen, doch bisher beträute sie nicht die Trainingsanlagen, die Exit nutzte. Ihre braungrünen Augen umrahmt von ihrem rostroten Bob liesen sie wach wie ein Raubtier wirken und ihre muskulösen, breiten Schultern vermuten, dass sie Schwimmerin war. In einem Gespräch von Gerald mit einem anderen Ausbilder, hatte Exit aufgeschnappt, dass sie Ida hieß. Sie schien besonders unter den männlichen Ausbildern sehr beliebt zu sein. Wenn Exit ganz ehrlich war, dann fand er sie insgeheim unbeschreiblich schön. Sie machte ihm Angst. Als Exit am heutigen Morgen trainieren ging, schien sie durch ihn hindurchzuschauen, als sie ihn in das Nutzungsprotokoll der Anlage eintrug. Ihr Blick wirkte viel stumpfer und wütender als sonst. Exit hörte sie nur die Worte "faule Säcke", "als hätt ich nichts besseres zu tun" und "dumm und rumstehen könn die doch am besten" murmeln, doch er konnte sich beim besten Willen keinen Reim daraus machen. Aus Angst, den Zorn von Ida auf sich zu ziehen, beendete er sein Training nach einer lockeren Laufeinheit, Kraftübungen zur Aktivierung aller Gliedmaßen und ausreichendem Dehnen früher als geplant.

In Gedanken versunken und eh sich Exit versah, fand er sich auf dem großflächigen Platz der Eröffnungsveranstaltung wieder. Einige der Erwachsenen Esper in Warnwesten wiesen ihn und alle weiteren Rekruten, die gerade zur Veranstaltung stießen, in die Sitzbereiche der jeweiligen Altersgruppen ein. Exit hoffte, Jay oder ein anderes bekanntes Gesicht zu erhaschen, das seiner Altersgruppe zugeordnet wurde. Doch vergeblich. Und so setzte er sich, den Blick Richtung Tribüne gerichtet, um die restlichen Minuten bis zum Beginn der Veranstaltung abzusitzen. In diesem Moment fiel Exit die Unifom auf, die jeder einzelne Esper um ihn herum zu tragen schien. Ein blauer Trainingsanzug und eine blaue Mütze. Warum war er der Einzige, der in seinen üblichen Sportsachen in der Menge saß? Schon wieder hatte er das Gefühl nicht an diesen Platz zu gehören. Teil einer Organisation, die das vertrat, was er so gern verkörpern wollte. Gerald hatte ihn vorgewarnt, dass diese Situation auftreten würde. Da er einen noch recht losen Vertrag mit der Organisation hätte, kämen Exit nur bedingt die Fördermittel der UnEsCo zu Gute. Auch wenn Gerald ein sehr hilfsbereiter Trainer war, unter dessen Aufsicht Exit gestellt wurde, schien ihm nicht aufzufallen, wie sehr sein Schützling unter der Situation litt. Gerald war unter den Esper bekannt als der Gummimensch, da ihm seine Esper die Kraft verlieh, seinen Körper zu dehnen und zu verränken, wie er wollte. Besonders im Bodenkampf verstand er sich deswegen wie kaum ein Zweiter. Allgemeinhin nahmen ihn die anderen Esper als extrovertiert, laut und immer gut gelaunt wahr. Er war für einen anfang dreisigjährigen Mann eher klein, sehnig muskulös, trug sein Haar funktional kurz geschoren, er hatte Blumenkohlohren und seine Nase schmiegte sich aufgrund mehrerer, vorangegangener Brüche breit und eng an sein Gesicht. Doch auch wenn Gerald in seiner überschwänglichen Art so manche Regung in Exit übersah, konnte man ihm eine innewohnende Fürsorge nicht absprechen. Mit der Eröffnung der Veranstaltung wurde die amerikanische Nationalhymne angestimmt. Exit hatte bis gestern noch nie von dieser Hymne gehört, geschweige denn von irgend einer Hymne. Gerald hatte ihm überrascht den Text aufgeschrieben, damit Exit ihn für die Einheit der Nationen mitsingen konnte. Exit hatte den kompletten, gestrigen Abend damit verbracht, die 4 Strophen auswendig zu lernen, die ihm nun so wertvoll und bedeutsam schienen. Als die erste Strophe erklang, stimmte Exit aus tiefster Kehle in seinem weichen Bariton ein. "Blest with victory and peace may the Heaven rescued land praise the power that hath made an preserved us a nation." Diese Zeilen beeindruckten ihn besonders, als er die Strophen das erste mal las. Eine Kraft, die eine Nation geschaffen hat. Einheitlich für das Land. Mit Leidenschaft für das Gesungene, Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Wasser in den Augen stand Exit in der Menge, in der er Gemeinschaft sehen wollte.

Als die letzten Töne der Hymne verklungen waren, betrat Lieutenant General Nyquist die Tribüne. Exit hatte bisher kaum Kontakt mit Vertretern solch hoher Ämter der Organisation gehabt, doch die Rede, die sich anschloss, zog Exit komplett in ihren Bann. Gemeinsamkeit und Gemeinschaft aller Menschen? Menschenrechte? Freiheit und Sicherheit aller Esper? Das oberste Bestreben eines Helden. Eines Helden, wie Exit einer sein wollte. Lieutenant General Nyquist schien wegweisend zu sein und Exit bewunderte sie in ihrer Menschlichkeit. Er war bereit einer trotz ihres Amtes so selbstlosen Person und ihren Idealen zu folgen. Doch Lieutenant General Nyquist hatte auch beunruhigende Nachrichten zu verkünden. Die Organisation schien sich im Wandel zu befinden. Und mit ihr das Personal. War die Sicherung der Freiheit und der Rechte der Menschheit gefährdet? Bevor Exit sich in Kummer verlor, wusste Nyquist jedoch seine Gedanken aufzuhellen. Für Verstärkung war gesorgt. Colonel Michael Falk sollte das Amt des Head of Human Resources übernehmen. Was genau das bedeutete konnte Exit zwar nicht sagen, aber er vertraute darauf, dass diese Amtsernennung die Personalunruhen glätten könne, weil auch Lieutenant General Nyquist darauf zu vertrauen schien.

"Ich bin froh, dass die UnEsCo so gute Leute als Führer hat. Hoffentlich kann ich eines Tages auch meinen Teil für die Menschheit beitragen... Achja, jetzt werden ja noch die Gewinner vom letzten Sommerfest genannt. Ich bin mal gespannt, wer so gewonnen hat. Vielleicht muss ich ja gegen einen von denen später antreten. Das ist irgendwie alles ganz schön aufregend heute..", dachte sich der naive Rekrut.

Einige Zeit verbrachte Hiroo gelangweilt in dem schlicht eingerichteten Gästezimmer. Milchigweiße Fenster ließen Licht herein. Ihr Zimmer befand sich in einem der oberen Stockwerke, die für Gäste hergerichtet waren. Auf ihrem gestrigen Abendspaziergang hatte sie neben den vielen langen Gängen von der Ebene nur wenig zu Gesicht bekommen. Bald würde die Eröffnungsrede stattfinden, der sie ohnehin nicht beizuwohnen gedacht hatte, wenn sie es irgendwie hätte umgehen können. Einige dieser geschwollenen Propaganda-Ansprachen der UnEsCo hatte sie schon vernehmen dürfen. Es hingen im Gästebereich nicht ohne Grund in jedem Wartebereich tonlose Bildschirme, über die ebenso inspirationslose Phrasen zu den Werten dieser Organisation flimmerten. Hier und da lagen gläserne Tablets mit aktuellen Artikeln zu den Herausforderungen und Errungenschaften der UnEsCo. Auch in ihrem Zimmer lag ein solches Gerät neben Zeitschriften und Büchern, die sie sich zur Ablenkung zumindest angeschaut hatte. Zwischendurch wurde ihr eine Frühstück auf das Zimmer gebracht. Doch nichts konnte ihren Geist, der sich im Kreis zu drehen schien, auch nur für einen Moment zur Ruhe bringen. Wie ein gefangenes Tier ging sie die Wände auf und ab. Das Tablet war zu ihrem Verdruss nicht in einem lokalen Netzwerk angemeldet und auf die Artikel begrenzt, die fein säuberlich auf dem Gerät platziert waren. Einen Zugriff aufs Internet hatten solche Geräte ohnehin nie. Das hatte sie schon in ihrer ersten Woche auf dem Campus erfahren. Wenn sie Zugriff auf Informationen erhalten wollte, die nicht für ihre Augen gedacht waren, musste sie sich schon etwas besseres einfallen lassen.

Als Hiroo gerade wieder an der Tür entlang gelaufen war, öffnete diese sich und Owens stand im Flur vor ihr. Hiroo drehte sich für einen Moment erschrocken um, fasste sich jedoch im gleichen Augenblick und schaute Owens an, während diese sie ebenfalls kurz musterte. "I hope you had a wonderful night. I'm taking you out for a walk." Der Ton gefiel Hiroo nicht, doch das ließ sie sich nicht anmerken. "Got everything?" Stumm nickend folgte sie Owens aus der Tür heraus. Mit einer Karte verschloss sie die Tür hinter Hiroo.

Zusammen gingen sie zu einem größeren Wartebereich. Große spiegelglatte Fenster erlaubten einen Blick auf den Innenhof. Der breite Gang, den sie gekommen waren, verlief durch den großen Raum auf eine gläserne Durchgangsbeschränkung, die den Weg versperrte. Ein elektronisches Lesegerät befand sich an der Wand davor. "Where did Hampton go?", Owens schaue sich kurz gedankenverloren um und wies Hiroo an, sich auf einer der mit rötlichem Stoff bezogenen Bänke des Wartebereichs hinzusetzen. "I'll be right back. Don't even think about doing something stupid." Nachdem sie ihre Keycard vor den Scanner gehalten und einen Pin am Terminal eingegeben hatte, verschwand Owens hinter der automatisch auffahrenden Glastür im abgesperrten Bereich. Ein anthrazitfarbener steinerner Brunnen plätscherte in der Mitte. Die Einrichtung hatte etwas schlichtes und gleichzeitig stilvolles. Nur wenige Farben setzen sich von den anthrazit bis weiß eingekleideten Wänden, Decken und Böden ab. Die Steinplatten zu ihren Füßen strahlten einen gewissen Glanz aus. Hier und da standen grüne palm-artige Topfpflanzen, die den sonst so trockenen Gängen ein wenig Frische zurück gaben.

Lange musste Hiroo nicht warten, bis Phillip Hampton vor Owens durch die Tür hindurch stolperte. Sie konnte von ihrem Platz am Fenster die beiden gut am Brunnen vorbei beobachten. "I told you I couldn't go there without them." - "But did you really have to get them now?" Hampton war kaum zu erblicken hinter dem Stapel an Büchern, den er in beiden Händen vor sich balancierte und hinter dem sich sein Gesicht versteckte. Nur seine braunen Haare lugten dahinter hervor, während Owens ihn als seine Vorgesetzte zurechtzuweisen versuchte. "You know how long I borrowed them? It's probably a months salary they're going to charge me for all these overdue books. I don't even wanna know their fees for lost books." Ein Buch löste sich aus den gestapelten Turm und glitt von der obersten Zinne herunter. Bevor sich aus einer hastigen Reaktion von Hampton eine Bücherlawine über den Boden ergießen konnte, griff Owens das Buch aus der Luft und legte es sorgsam auf den Gipfel, der knapp über seinem Haupt thronte, zurück. "You're borrowing a little too much of both my time and patience. They have their limits, too, you know?" Owens verzog das Gesicht scharf und folgte dem Weg um den Brunnen herum. Trotz der Reichweite hatte Hiroo jedes Wort verstehen können, tat jedoch als wäre sie in eine Zeitschrift vertieft, als Owens vor ihr stand. "Follow me."

Owens führte ihre kleine kuriose Karawane durch einige Flure hindurch, bis sie vor zwei gläsernen Flügeltüren angekommen waren. Der Bereich in dem sie nun eintraten war mit Holzwänden vertäfelt, zumindest das wenige das nicht von langen Bücherwänden verdeckt war. Neben einem gläsernen Fahrstuhl führte eine hölzerne Wendeltreppe hinunter zu einer zweiten Ebene. Neben den langen Holzschränken waren Arbeitsplätze aufgebaut. Auf einigen standen Computerbildschirme. An einigen Stellen befanden sich Infotermimals, über die man nach einem speziellen Buch suchen lassen konnte. Owens tippte etwas in den Terminal am Eingang und nickte dabei der Bibliothekarin zu. Ihr trocken dreinblickendes Gesicht fuhr nur kurz über Hiroo, bevor sie den nun langsam auf sie zutorkelnden Bücherturm inspizierte. Bevor sie auch nur eine halbe Begrüßung von sich geben konnte, entschuldigte sich Hampton bereits aufrichtig. "I'm so sorry, last months have been so rough. I had no time bringing them back." Nachdem er die Bücher in zwei Stapeln auf der Ablage vor ihr hingestellt hatte, zog er seine Keycard an einem Scanner entlang. Er bot ihr an, die Bücher zu ihren Plätzen zurück zu bringen, doch sie lehnte dankend und leicht belustigt ab. "As long as you don't rip them apart, you're good. These kids today don't know the worth of these books. Only a few of them come here after all." Während die beiden sich in ein Gespräch vertieften, führte Owens Hiroo die Treppe hinunter. "That's your playground for today. I'm having some work to do, so don't bother me."

Eine Stunde beschäftigte sich Hiroo mit einem Buch namens "Treasure Island". Zumindest dem Anschein nach wollte sie erst Mal weiter die Unbedarfte spielen. Owens hatte sich einen Platz in der oberen Ebene auserkoren und war nach einiger Zeit vertieft in den Laptop, den sie vor sich aufgebaut hatte. Hampton hatte es Hiroo gleich getan, sich jedoch einen etwas dünneren Roman als den ihren aus einer Buchreihe gezogen. Er hatte wohl gerade nichts weiter zu tun, als ein Auge auf Hiroo zu werfen. Doch auch bei ihm hatte sie nach kurzer Zeit das Gefühl, dass er sich voll auf das Buch konzentrierte, auf dessen Einband in roten Buchstaben die Worte "I am a Cat" und der Name "Soseki Natsume" zu lesen waren. Hampton erwischte Hiroo, während sie den Titel seines Buches las und sie wandte den Blick wieder dem ihren zu. Hiroo begann ihren Plan im Kopf weiter zu spinnen. Die Computer hier in der Bibliothek konnte sie vergessen. Sie boten nur Zugriff auf Daten innerhalb des Bibliothek-Netzwerks und selbst hier fehlte ihr eine Keycard, die ihr Zugang zu gesperrten Schriftstücken erlaubte. Der Terminal weiter oben sollte ihr da deutlich interessantere Infos geben können. Doch bis jetzt hatte sich die Bibliothekarin nur selten vom Empfang entfernt. Im Grunde hatte sie den Platz nur verlassen, um die Bücher von Hampton in die Regale zu räumen. So sehr sie seine Anwesenheit freute, für die Ordnung ihrer Bibliothek war ausschließlich sie verantwortlich. Während Hiroo so überlegte, hüpfte Hampton auf und tauchte kurze Zeit später aus dem Meer aus Büchern oben bei Owens auf. Sie konnte die beiden hier unten nicht verstehen, die dicken Bücher nahmen zu viel des Schalls auf. Doch plötzlich leuchtete einer der größeren Terminals vor Owens auf. Eine laute Stimme war zu vernehmen und auf dem Bildschirmen wurde die Rede vom Turnier live übertragen. Ihre beiden Wächter schienen abgelenkt.

Hiroo interessierte all das nicht. Während sie ein paar Bücher aus verschiedenen Regalen zusammenklaubte und sich ein Plan in ihrem Kopf manifestierte, bemerkte sie jedoch ein paar ihr bekannte Gesichte in den Reihen der Campus-Bewohner. Auf dem Rednerpult wechselten sich zwei Personen ab. Die Stimme kam ihr irgendwo bekannt vor. Dafür hatte sie jedoch gerade keine Zeit. Sie kam oben bei der Bibliothekarin an. "I got these books laying around, where should I put them?" Fast entrüstet zog die Frau vor ihr die Bücher weg. "Where did you find them? I was just finished. I take them." Mit kurzem Atem verschwand sie hinunter zu den Bücherregalen. Keine Sekunde nachdem sie verschwunden war, sprang Hiroo unbemerkt hinter den Tresen und blickte auf zwei Bildschirme eines Terminals. Sie öffnete zwei laufende Programme und holte diese in den Vordergrund. Kameras vom Bereich waren zu sehen und erlaubten ihr eine gute Übersicht über den Fortschritt den die Frau beim Bücher sortieren erzielte. Hampton und Owens waren ebenso im direkten Ziel einer Kamera. Im Dateiexplorer bemerkte sie recht schnell, dass nur ein begrenzter Zugriff auf ausgewählte Dateien bestand. Im zweiten Programm erkannte sie im Aufbau nach kurzem Geklicke eine Liste der aktuell in der Bibliothek befindlichen Personen. Sie klickte aus erster Neugier auf ihren eigenen Eintrag. Der Eintrag öffnete sich und das Fenster überwarf sich mit allen möglichen Daten zu ihrer Person. Über weitere Aktionen fand sie die Möglichkeit auf einen Blick die gesamte Historie ihrer ausgeliehenen Bücher einzusehen. Unter ihrem aktuellen Status als Esper bei der UnEsCo war ein Warnhinweis vermerkt: "Censerum Immunity". In der Übersicht darunter war ein weiterer Status zu ihrer Person vermerkt worden. Unter der in orangerot unterlegten Überschrift "Potential Hazard Level 4" erkannte sie eine Liste ihrer Vergehen. Wollte sie jedoch auf weitere Informationen springen, endete die Anfrage in einer kurzen Popup-Nachricht "User access level insufficient and/or current network is not elligible for this task." Diese Nachricht blinkte noch bei einigen weiteren ihr angebotenen Funktionen auf. Ihr letzter Eintrag war zu ihrer Überraschung nicht die Aktion im Duschraum der Schwimmhalle. Es war auch schließlich nicht Hiroos Fehler gewesen, dass Vela in dem seltsam erschienenen Nebel die Symbole der Mädchen- und Jungen-Umkleide verwechselt hatte. Viel interessanter erschien stattdessen der Eintrag "Association with S. Amsterdam." Ein Zugriff über die Verlinkung auf die Personenakte endete wie bisher in einer Zugriffsfehlermeldung. Sie hatte neben ihrer Person aber noch weitere in dieser Liste gesehen, eventuell könnte sie etwas über Owens herausfinden. Oder diesem Hampton. Sie öffnete schnell die Personenliste und erblickte die vier ihr bekannten Einträge. Mit einem Mal aktualisierte sich die Liste und eine Reihe neuer Namen erschienen darauf. Ihr Herz blieb kurz stehen und übersprang ein paar Schläge. Sie blickte auf die Kameras. Aus der Doppeltür war gerade niemand hereingekommen. Sie bemerkte wie die Bibliothekarin ihrem letzten Bücherregal entgegen kam. In einer weiteren Kamera erblickte sie plötzlich weitere Gestalten. Sie waren auf der unteren Ebene und kramten in einem der hinteren Regale, unbeobachtet von der Bibliothekarin. Sie musste sich beeilen. Doch hatte sie schon genug Informationen? Sie musste doch irgendwie noch mehr bekommen. Wie wild klickte sie sich durch unterschiedliche Ordner, doch viel mehr konnte sie scheinbar nicht in diesem Netzwerkbereich herausfinden. Irgendwo weiter im Adminstrations-Level schlummerten die Informationen die sie so dringend suchte. Da war sie sich sicher. Im Augenwinkel erhaschte sie die Frau, wie sie aus der letzten Kamera verschwand und die Treppe hochstapfte. Wie war noch das Fenster angeordnet? Hiroo versuchte so schnell wie möglich sich daran zu erinnern. Sie brachte die zwei zuletzt geöffneten Programme zur Überwachung und das Browserfenster mit dem Artikel zu einer neuen Buchserie wieder in den Vordergrund. Auf der zweiten Kamera erkannte sie wie die drei unbekannten Personen zwei Bücher heraus zogen und sich unter die Ärmel schoben. Sie waren jung und hatten Uniformen an. Mit dem Zoom der Kamera kam sie nah genug und konnte gerade so zwei Titel erkennen: "Esper-Mythologie" und "Al-Batra". Zielstrebig verschwanden die Uniformierten in einem Nebeneingang, aus dem Kamerawinkel konnte sie gerade noch in schwarzen Buchstaben "Private" erkennen. Die Kamera zur Treppe gab schon den hochgebundenen Dutt der Bibliothekarin preis. Hiroo sprang hinter den Tresen und steckte ihre Nase in ihr Buch. Die Frau ging an ihr vorbei. Ohne ein Wort zu sagen blickte sie auf ihren Bildschirm und war kurze Zeit später auch wieder in ihrem Artikel vertieft. Die Rede vom großen Sommerturnier hatte gerade seinen kröhnenden Abschluss. In den Rängen wurde geklatscht und Owens drehte die Lautstärke wieder herunter. Hiroo versuchte unbemerkt in die untere Etage zu gelangen. Nicht jedoch bevor Hampton sie erwischte und auf die Schulter klopfte. "How did you like the speech? I think Nyquist outdid herself today." Hiroo versuchte ein stilles Interesse an seiner Ausführung aufrechtzuerhalten, um eventuell ein paar interessante Informationen herauszulocken. Dieser Colonel Falk, von dem er zum Ende sprach, kam ihr seltsam bekannt vor, konnte sie doch kein Gesicht diesem Namen zuordnen. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder in stiller Einzelhaft auf ihr Gästezimmer durfte.

 

Der Auftakt zu den Sommerspielen

Die große Digitaluhr zeigte 12:16 Uhr an, als Jay nach draußen trat. Warmer Wind schlug ihm entgegen und so empfand der junge Esper eine gewisse Vorfreude auf die Abkühlung, die der Schwimmwettkampf ihm bringen würde. Er blinzelte in dem gleißenden Licht der Mittagssonne. Die Nebenwirkungen des Censerums waren zwar nicht mehr so stark wie am Vorabend, machten sich aber doch noch bemerkbar. Für einen Moment konnte Jay nur Silhouetten ausmachen, während seine Nase schon den vertrauten Chlorgeruch der Schwimmbecken aufnahm.

Die meisten anderen Teilnehmer hatten sich bereits bei den Startblöcken versammelt. Und auch die Ränge waren gut besetzt. Jays Blick glitt über die riesigen Anzeigetafeln, auf denen sich Zahlen und Namen häuften. Er musste zweimal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass die Zeichen leuchteten, denn er spürte nichts. Mit einem Kopfschütteln wandte der junge Esper sich ab, streifte sich seine schwarze Badekappe über und begab sich ebenfalls zu den Becken.

„Rekrut Martens“, meldete er dem Schiedsrichter, welcher soeben einem jüngeren Teilnehmer seine Bahn zuwies.

„Martens, ja?“, wiederholte der. „Bahn zwei. Es geht in -“ Er schirmte seine Armbanduhr gegen das Licht ab, um die Zeit zu entziffern. „-vierzehn, nein dreizehn Minuten. In dreizehn Minuten geht’s los.“ Jay nickte nur. Das ließ ihm genug Zeit, um noch ein wenig durchzuatmen und sich warmzumachen. Anscheinend war die Zuteilung der Bahnen aus den Ergebnissen der letzten Wochen hervorgegangen. Gut so, dachte Jay. Wenn die Statistik des Zeitschwimmens ihn nicht nach ganz außen katapultiert hatte, hatte er vielleicht eine Chance, den ein oder anderen Mitschwimmer zu überholen.

Trotz der unheilschwangeren Enthüllungen der Eröffnungsveranstaltung konzentrierte Jay sich ganz auf die Wettkämpfe. Er hatte sich geschworen, nicht von seinem Plan abzuweichen und deshalb musste er jetzt einen kühlen Kopf bewahren. In den letzten zwei Stunden hatte der junge Mann alle Gedanken um Falks Ernennung und jegliche andere Probleme beiseitegeschoben und sich mit dem Programm des heutigen Tages beschäftigt. Während er sich aufwärmte, ging er gedanklich alle formellen Details für den Start durch.

 

„Auf die Plätze!“ Jay rückte seine Schwimmbrille zurecht und begab sich in Position.

„Fertig!“

Ein gellender Pfiff startete das Rennen. Jay stieß sich vom Startblock ab und tauchte in die kühlen Fluten. Er hatte im Training neulich an seinem Absprung gearbeitet. Bisher war ihm die Form nie wichtig gewesen, aber jetzt zählte jedes kleinste bisschen Zeit, was er dadurch gewinnen konnte. Sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche und das Nass verschluckte ihn. Für wenige Sekunden schien alles weit weg, während er durch das Wasser glitt. Dann tauchte er wieder auf. Mit einem Schlag prasselten Eindrücke auf ihn ein: Die johlenden Zuschauer, das Platschen des Wassers und die verzerrte Stimme des Kommentators, der von irgendwoher das Wettkampfgeschehen kommentierte. Jay holte Luft, tauchte dann wieder ab und für kurze Zeit war der Lärm abgeschnitten. Er konzentrierte sich ganz auf seine Bewegungen, das Atemholen und das Ziel vor ihm. Die Bahn maß fünfzig Meter. Nach der Wende musste er nur wieder zurückschwimmen. Bei den hundert Metern, die sie absolvieren mussten, kam es weniger auf Ausdauer an. Jay wusste, dass er es trotzdem nicht übertreiben durfte. Aber wenn er nicht ganz hinten landen wollte, konnte er sich auch nicht zurückhalten. Er legte sich ins Zeug, kämpfte sich mit kraftvollen Zügen voran, fasste den Beckenrand und stieß sich nach einer schwungvollen Drehung wieder ab. Das Zeitgefühl hatte den jungen Mann schon längst verlassen und auf seine Umgebung achtete er auch nicht. Nur weiter, drängte er sich selbst. Nur weiter, so schnell wie möglich.

Jay aktivierte seine Reserven. Verbissen kämpfte er sich vorwärts. Es war nur noch ein kleines Stück. Der junge Esper legte alles in den letzten Spurt. Fast da, motivierte er sich. Fast da! Seine Hand schlug gegen den Beckenrand, begleitet von einem Signalton. Er hatte es geschafft. Das Adrenalin rauschte weiter, während der junge Mann mit seinen Händen den Beckenrand umklammerte und seinen Körper aus dem Wasser zog. Sein Atem ging stoßweise. Er hörte das Getummel um sich herum, doch alles drang nur halb zu ihm vor. Mit zitternden Fingern zog Jay die Schwimmbrille ab und schaute hoch zur Anzeigetafel. Für einen Augenblick verschwamm seine Sicht. Er kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf seinen Atem. Dann sah er erneut auf und sein Blick fand, was er gesucht hatte: Martens prangte direkt neben der Nummer 8. Jay lachte auf, musste aber sogleich husten. Das war schon fast zu gut gelaufen. Mit einem zufriedenen Grinsen stemmte Jay sich hoch. Es waren wirklich wunderbare Tage. Und gerade war ihm gleich, was auf ihn zukam – er würde sie in vollen Zügen genießen.

 

***

 

„Iiiih“, sagte ich und griff mir mit der Hand an die Nase um sie ein bisschen zuzuhalten. „Was ist das?“
George berührte mich an der Schulter, der Geruch verschwand und eine wohltuende Ruhe durchströmte meinen Körper. Fast erleichtert Griff ich nach seiner Hand und hielt sie fest um dieses Gefühl noch länger genießen zu können. „Wir sind fast da.“, sagte George leise. Ich wusste nicht, wieso er flüsterte, bis ich eine kindliche Stimme schreien hörte: „EY, DA KOMMT IRGENDEIN TYP!“

„Hendyk, du bist schon wieder zu laut.“, antwortete eine andere Stimme, leicht entnervt, und Wasser plätscherte von irgendwo her.

Etwas grunzte, raschelte im Gebüsch, Wind pfiff mir um die Ohren und wieder dieser Gestank, den George durch einen Händedruck auszuschalten schien. Er selbst war sehr still geworden und ich überlegte, ob er vielleicht die Luft anhielt, oder ob diese Fähigkeit die er zu haben schien, die mich so beruhigte, ihn sehr viel Kraft kostete.

„HALT DIE FRESSE!“, schrie die Stimme wieder. „DA KOMMT IRGENDWER. IRGENDEIN ALTER SACK UND EIN KLEINES MÄDCHEN!“

„Wir hören es, Hendyk.“, wiederholte die andere Stimme, gefolgt von weiterem Wasser plätschern.

George räusperte sich plötzlich. „So.“, meinte er gepresst. Als er mich los ließ schoss der Gestank in meine Nase, lies mich taumeln, raubte mir für einen Moment jeden klaren Gedanken und ich schlug die Hände vor mein Gesicht um diesen Flash abzumildern. Aber keine Chance. Meine Hände stanken, alles roch. Mir wurde schwindlig und ich würgte leicht. George berührte mich an der Schulter, der Gestank war weg und er atmete schwer. „Du bist jetzt bei den anderen, ja? Während den Sommerspielen könnt ihr hier zusammen sein und du musst nicht gequält werden. Wenn deine Kräfte ausgeschaltet sind halte ich es für angebrachter, wenn du dich schonst und dich darauf konzentrierst, was du außerhalb dessen bist.“ Er machte einen glucksenden Laut, den ich nicht zuordnen konnte, dann atmete er tief durch und mir wurde klar, dass er sich zusammen reißen musste um sich nicht zu übergeben. „Du bist mehr als deine Kräfte. Das geht den Anderen hier auch so.“

„Was ist mit den Anderen?“, fragte ich und krallte mich an George fest, wollte nicht, dass er mich los ließ und der Gestank wieder bis hoch in mein Gehirn kroch. Diese Gruppe an Kindern kannte ich nicht, ich hatte Angst, dass sie mich verurteilen würden. Ich war gerade erst zehn geworden und deswegen wurde ich diesen Menschen hier zugeteilt. Was mich erwartete und vor allem wer - das würde ich jetzt erst erfahren.

„Sie haben Kräfte, die, in ausgeschaltetem Zustand…“, er schluckte laut, suchte nach einem Wort, „…die in ausgeschaltetem Zustand nicht sinnvoll sind.“

Ich stutzte. „Also bin ich nur blind nicht sinnvoll?“

„Ich…“, setzte George an, konnte aber nicht weiterreden. Er ließ mich los, wandte sich zur Seite und übergab sich geräuschvoll.

Ich taumelte, griff hinter mich, in etwas Stacheliges, verlor den Halt – zwei sehr stachelnde Hände schoben mich in eine aufrechte Position. „Aua.“, jammerte ich leise. Der Gestank war sinnbetäubend, doch der Schmerz, der mich nun durchfuhr raubte mir ebenso den Verstand. Ich spürte, wie mein Blut meinen Arm hinunter floss, es war keine kleine Schnittwunde.

„Ach, so ein Mist!“, hörte ich eine blumige Stimme. Es war eine Frau, die in Windeseile auf mich zu gerannt kam, meinen Arm packte und notdürftig versorgte. „Jemma.“, sagte sie tadelnd, vermutlich zu der stachelnden Person.“

„Ey, sie ist in mich hineingefallen!“, verteidigte sich die Stimme, die offensichtlich zu eben angesprochener Jemma gehörte.

„Du siehst doch, dass sie nichts sehen kann.“, murmelte sie ihr zu.

„Mh.“, sagte Jemma neben mir unzufrieden. „Tut mir leid.“

Die Worte waren an mich gewandt, ich nickte hektisch. „Was bist du?“, presste ich zwischen den Zähnen hervor. Ich wollte nicht sprechen, nicht atmen, der Geruch…

„Wir sind…“, Jemma schien zu überlegen wie sie das in schöne Worte packen konnte. „Schau, kennst du noch Wolverine? Dieser abgefahrene Comic? Von ganz früher? Mein Daddy stand da komplett drauf.“

„Ähm.“, sagte ich und versuchte meine Gedanken zu sortieren. „Der Kerl mit den Eisendingern, die ihm aus der Hand schießen?“

„Ja!“, rief Jemma freudig. „Also pass auf, wenn ich meine Kräfte steuern kann, dann kann ich an jeder beliebigen Körperstelle so ein Ding wachsen lassen. Noch sehr dünn, mehr wie Nadeln, aber ich bin auch noch jung. Aber im Grunde bin ich eine riiiiiiiichtige Kampfmaschine! Meine Kraft ist praktisch, die kontrolliert auszufahren. Jetzt sind die aber ausgeschaltet und ich seh aus als würde ich aus Nadeln bestehen. Also… siehst du gerade etwas zerfleddert aus.“, endete sie etwas kleinlaut.

Ich spürte in mich hinein, aber die blumenstimmige Frau drehte und wendete mich um jede kleine Wunde zu finden. „Alles gut“, beruhigte sie mich. „Du bist verarztet.“

Dann wandte sie sich an George, der noch immer in irgendeinen Teil am Anfang des Geländes kotzte. „Hey George.“, sagte die Blumenfrau.

„Hey Fleur.“, erwiderte er.

„Echt jetzt?“, sagte ich.

Die Frau lachte. „Du kannst es nicht sehen, mein Mädchen, aber ich bin tatsächlich sehr blumig. Den Namen fanden meine Eltern wohl sehr passend.“

Sie wandte sie George zu, holte etwas aus einer Tasche und spritzte ihm etwas. Er erholte sich praktisch sofort, richtete sich auf und wischte sich mit der Rückseite der Hand den Mund ab. „Igitt.“, sagte Fleur und reichte ihm ein Desinfektionstuch.

Direkt danach spritzte sie mir etwas ohne Vorwarnung in den Arm und ich konnte wieder atmen. Der Gestank war verschwunden, der Nebel um mein Gehirn lichtete sich und unter meinen Füßen nahm ich leise Vibrationen wahr. „Hey, hat das eine andere Wirkung als es sollte?“

„Nein, mein Mädchen.“, sagte Fleur. „Du spürst nur deinen Körper etwas intensiver. Deine Kräfte kommen erst heute Abend oder morgen früh zurück, tut mir leid.“

An George gewandt fügte sie seufzend hinzu: „Du hättest mich anrufen sollen, du weißt doch, dass man ohne die Impfung anfällig reagiert.“

George tat zumindest beschämt, verabschiedete sich von mir und sagte, dass er sich eine Cola holen wolle. Ich könne mich ja im Pool mit ein paar Kindern unterhalten bis er wieder da sei.

„EY DU!“, brüllte mir plötzlich die Stimme von vorhin ins Ohr. „EY ICH KANN ALLES HÖREN, EGAL WIE LEISE ES IST! ALSO HÖR AUF SO LAUT ZU DENKEN!“

„Hendyk.“, sagte Fleur ermahnend, aber dieser kleine Junge hatte die Falsche angepöbelt.

„HALT DEINEN MUND UND GEH MIR AUS DER SONNE!“, rief ich laut. Er trat mir gegen das Schienbein. Ich jaulte kurz auf, trat zurück, traf aber jemanden oder etwas, das wirklich steinhart war und ich hörte es in meinen Fußzehen knirschen.

Eine dunkle Stimme sagte: „Hendyk, noch eine Ausfälligkeit gegen ein Mädchen und ich hänge dich da oben an die Eiche und du musst den Eichhörnchen beim Nüsse fressen zuhören.“

Auch wenn ich diese Drohung doch eigenartig fand, schien sie zu wirken. Sofort wirkte Hendyk kleinlaut und zog sich zurück: „Ja, okay, ja gut. Entschuldige, Seam.“

Fleur beugte sich zu mir. „Das ist Seam. Er ist ohne seine Kräfte praktisch nur riesengroß und wie ein Stein. Du kannst davon ausgehen, dass du dir deine Fußzehen mindestens verknackt hast.“

Ich nickte, ignorierte den Schmerz in Arm und Fuß tapfer. Schließlich wollte ich nicht, dass man mir vorwarf, ich wäre ein Mädchen. Nicht nochmal. Wer zum Geier konnte behaupten schon einmal von einem Stein als Mädchen bezeichnet worden zu sein?

Fleur zog mich ruckartig zu sich. „Vorsicht.“, sagte sie und entschuldigte sich. „Da unten auf dem Boden liegen Gabrielle und Athena.“

„Was? Warum?“, fragte ich irritiert.

„Naja, ihre Kraft besteht im weitesten darin, sich in einer bestimmten Form zu halten. Sie müssen sie den ganzen Tag anwenden, sonst schwimmen sie auseinander. Also ohne ihre Kräfte bilden sie gerade… eine Pfütze.“

Ich lachte kurz auf.

„Nicht witzig.“, sagte eine der beiden Pfützenmädchen pikiert. „Sobald wir wieder eine Form haben zeigen wir dir, wie so eine Pfütze ist…“

„Na.“, sagte Fleur. „Sie kann euch nicht sehen.“

„Sie soll es auch spüren…“, sagte die andere der beiden Mädchen und Gabrielle und Athena begannen wieder zu tuscheln.

Irritiert schüttelte ich den Kopf. So viele, wirklich unnütze Kräfte hatte ich noch nie auf einem Haufen erlebt. Was beherbergte die UnEsCo hier eigentlich alles? Und viel wichtiger: wie hielt sie diese ganzen Kinder unter Kontrolle?

„Da hinten sind Ghnoo und Oghny.“, sagte Fleur. Beide Namen hatten einen unangenehmen Knacklaut. „Die beiden habt ihr gerochen. Weißt du, die beiden Schwitzen. Ihre Kraft besteht darin, dass sie die Schweißdrüsen kontrollieren können, sowie ihre Ausscheidungsorgane. Jetzt sind ihre Kräfte aber ausgeschaltet, also…“

„Stinken sie?“, fragte ich schockiert und ich bildete mir ein, die Vibration des Nickens aus Fleurs Körper zu spüren.

„Wir müssen allen etwas spritzen, damit man sich nicht übergeben muss. Dabei sind es so liebe Kinder…“, sagte Fleur beinahe verträumt. Sie führte mich an den Rand eines kleinen Kinderswimmingpools. „Das ist Millie.“, sagte Fleur glücklich. "Ihr werdet euch sicher mögen. Millie, das ist Gwendolyn."

„Hey.“, sagte eine weibliche Stimme und Wasser plätscherte wieder. Es musste die sein, die sich vorhin mit Hendyk unterhalten hatte. Als sie mir ihre nasse Hand gab, schrak ich kurz zusammen, doch dann fiel mir ein, dass meine Kräfte ausgeschaltet waren und plötzlich hoben sich meine Augenbrauen, ich kreischte fast und stürzte mich, mit samt meinen Klamotten (es mir egal ob sie nass wurden, es war einfach zu heiß um darüber nachzudenken) in den Pool.

„Okay wow.“, sagte Millie und kicherte. „Hab noch nie jemanden erlebt der sich so krass über Wasser gefreut hat!“

„Du hast ja keine Ahnung!“, jauchzte ich glücklich. Meine Haare hingen mir in nassen Strähnen angeglitscht am Kopf. Ich tauchte sofort unter, setzte mich auf den Beckenboden, spürte, wie meine langen Haare durch das Wasser waberten und strich sie zurück als ich auftauchte.

„OH MAN, JAAAAAAAAAAA!“, rief ich quietschvergnügt und spritzte Wasser in die Richtung in der ich Millie vermutete. Kichernd platschte sie etwas riesiges ins Wasser und die Welle, die mich überrollte riss mich um.

„Was war das?“, fragte ich, als ich hustend auftauchte.
„Ich bin eine Meerjungfrau. Ich kann mit meinen Kräften in eine menschliche Gestalt wechseln, aber ohne… bin ich eigentlich ein halber Fisch.“, sagte sie. „Sorry fürs umwerfen.“
„Kein Problem.“, japste ich, lies mich erneut umfallen, tauchte, betastete interessiert Millies Flosse, redete mit ihr und innerhalb weniger Minuten wusste ich, dass ich eine neue Freundin gefunden hatte.

„Na?“, fragte plötzlich Georges Stimme hinter uns. „Ich sehe, ihr habt Spaß?“
„Und wie!“, riefen Millie und ich gemeinsam.
„Wollt ihr ein Eis?“
Millie schwieg irritiert. „Echt?“
„Ja?“, sagte George verwundert.
„Du bringst uns ein Eis?“, fragte ich vorsichtig.
„Das…würde ich tun, ja.“, sagte George und sein Misstrauen wuchs.
„Das ist ja…“, begann ich.
„…ultra krass.“, beendete Millie.

Fleur lachte aus einiger Entfernung. „George. Du weißt doch, die Kinder kriegen sonst nie Eis.“
Er schien sich zu entspannen und gluckste amüsiert. „Nun. Dann ist das heute die Ausnahme.“, meinte er.

„Bitte Pfefferminz-Schoko.“, sagte Millie verträumt. „Erdbeereis, bitte.“, sagte ich leise. Ich konnte es kaum aufhalten, mir rollte eine Träne die Wange hinunter. Ich hoffte nur, dass ich so nass durch das viele Tauchen war, dass es niemand sah. Ich saß mit einer Freundin im Pool, wir hatten Spaß, es war warm und ich durfte ein Eis essen. Das war der mit Abstand beste, normalste Tag meines Lebens, seit einer ganz langen Weile. Ich war einfach nur ein Kind.
Gut, meine Freundin hatte eine Flosse und ich hatte keine Ahnung wie sie aussah und ich konnte auch nur mit ihr baden, weil ich unter Drogen stand. Aber manchmal nimmt man jedes bisschen Glück einfach so, wie man es kriegen kann.

Manchmal ist eine Kugel Erdbeereis im Pool genug Glück für einen ganzen Tag.

 

Ich habe es gewusst, dachte sich Devy. Sie wagte nicht, aufzublicken, versuchte, sich ganz aufs Atmen zu konzentrieren, und auf ihr Gleichgewicht. Ihr Körper hatte sie im Stich gelassen. So schlecht hatte Devy nicht mehr abgeschnitten, seit sie dreizehn gewesen war. Noch schlimmer, vor ihrem geistigen Auge sah sie ein weiteres Mal Cathy aus der Mittelstufenabteilung an ihr vorbeiziehen. Devy hielt den Blick gesenkt, meinte aber, Cathys Stimme zu hören, voller Begeisterung über einen...vielleicht dritten oder vierten Platz.

Ihren eigenen wollte sie sich gar nicht zusammenrechnen, und noch weniger davon hören. Aber es gab genug Publikum, einige ihrer Freundinnen eingeschlossen, denen Devy jetzt nicht ins Gesicht schauen wollte. An all die Trainer ihrer Laufbahn durfte das Mädchen gar nicht denken. Sie hielt sich nun an der Bande fest, schwankte nicht nur aufgrund des Schwindels, den sie wirklich spürte. Man sollte ihr ansehen, dass der Grund für ihr Versagen in diesen Gleichgewichtsproblemen lag, die sie bereits als in diesem Jahr besonders heftig angekündigt hatte. „Ich hab es doch gewusst!“ Devy hatte es kommen sehen, und die schmerzhaften Stiche in ihrer Lunge, die nun nachließen, verrieten die Wahrheit. Es musste an dem Training liegen, das sie hatte schleifen lassen, und das wussten Vela, Virginia und die anderen auch. In wenigen Augenblicken würde eine von ihnen da sein, um sie zu trösten, oder jedenfalls irgendwas zu sagen, was Mitgefühl, Mit-Ärger, Verständnis oder Verständnislosigkeit ausdrücken sollte. Von all dem wollte Devy gerade nichts hören. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendwas davon ihr Selbstbewusstsein wiederherstellen oder wenigstens so etwas wie Ablenkung bringen konnte. Also wartete Devy einfach nur, auf das, was kam. Und als sie dann doch den Kopf hob, nach gefühlten Ewigkeiten, weil es um sie merkwürdig still geworden war – da waren sie alle schon weitergewandert.

 

Der zweite Tag und ein Turnier

 

Das schrille Klingeln seines Weckers riss Jay aus dem Schlaf. Noch halb auf der Schwelle zwischen Traum und neuem Morgen langte er zur Seite, um den Alarmton abzustellen. Dann hob er träge die Lider. Zwei, drei Sekunden lang starrte der junge Mann an die Decke, bis sein Gehirn registrierte, welcher Tag soeben eingeläutet worden war. Mit einem Ruck hievte er sich hoch, sprang aus dem Bett und machte sich auf den Weg nach unten.

Keine fünfzehn Minuten später stand er frisch und munter in der Küche, eine Schale mit Müsli in der Hand. Hinter ihm schien die Sonne durchs Fenster und breitete ihre Strahlen angenehm warm auf seinem Rücken aus. Neben ihm pfiff der Teekessel. Und aus dem Bad hörte er das Rauschen von Wasser – vermutlich T. Im Gegensatz zu ihren beiden Mitbewohnern waren Ciara und Andy nur Frühaufsteher, wenn es sein musste. Außerdem kostete Tyson die Tage des Sportfestes voll aus. Für ihn bedeutete es ebenfalls puren Luxus, seine Kräfte für diese Zeit los zu sein.

Als T ein paar Minuten später aus dem Bad kam, saß Jay bereits am Küchentisch, eine Tasse dampfenden Tees in der Hand und begrüßte seinen Mitbewohner mit einem stummen Nicken. T nickte zurück.

„Morgen.“

„Ist noch heißes Wasser übrig“, sagte Jay. Tyson nickte wieder, ging an ihm vorbei und holte eine Tasse aus dem Küchenschrank hervor.

„Danke.“

Für eine Weile herrschte Schweigen, während T sich einen Instant-Kaffee aufbrühte und Jay sein Frühstück zu sich nahm. Das war nichts Ungewöhnliches.

„Du hast heute noch was, hm?“, fragte Tyson schließlich, als er sich zu Jay an den Tisch setzte.

„Hm“, antwortete der, den halb mit Müsli und Milch gefüllten Mund zu einem Lächeln verzogen. Er schluckte. „MMA.“ T grinste.

„Du freust dich doch nicht etwa darauf?“

„Und wie ich mich freue.“

 

Das Turnier für die Altersklasse fünfzehn bis fünfundzwanzig war für 14:00 Uhr angesetzt. Bei der UnEsCo war es – wie bei vielen anderen Organisationen – Tradition, den Programmplan bei den Jüngeren anzufangen und sich mit fortschreitender Zeit durch die Altersgruppen zu arbeiten. Trotzdem war Jay schon seit Beginn der Veranstaltungen in der Halle. Jordan hatte nur einen weiteren Schützling, der sich an das Turnier heranwagte. Und er verbrachte jedwede Minute, die überblieb, damit, Jay auf seine Kämpfe am Nachmittag vorzubereiten. Für die zu überbrückende Zeit hatte er seinem Schüler den Turnierplan ausgehändigt, mit den Worten:

„Guck schonmal drüber. Wenn Joeys Turnier vorbei ist, sehen wir uns das Ganze genauer an.“

Jay hatte genickt und sich das Faltblatt unter den Arm geklemmt.

Dann war er losgezogen, weg von dem Trubel in den Haupthallen, und suchte nach einem abgelegeneren Raum, um sich in Ruhe dem Turnierplan widmen zu können. Als er so durch die Flure streifte, lief ihm Alexis über den Weg. Jay erinnerte sich noch an das Sparring mit ihr, das Jordan organisiert hatte. Die Kleine beherrschte vorrangig Techniken aus dem auch „Circlewalking“ genannten Ba'Gua. Das bedeutete, dass ihr Kampfstil vor allem auf Ausweichen fokussiert war. Von sich aus initiierte sie fast keine Angriffe, was Jay damals gehörig auf den Sack gegangen war.

Zielgerichtet und mit federndem Schritt steuerte Alexis nun schnurstracks auf ihn zu.

„Hey Jay.“ Sie versuchte, beiläufig zu klingen, was ihr aber mehr schlecht als recht gelang. Man hörte deutlich die Aufgeregtheit in ihrer Stimme, gepaart mit einer gewissen Vorfreude.

„Hey“, sagte Jay nur und wollte sich schon an ihr vorbeischieben. Doch Alexis machte einen Schritt zur Seite und stand wieder genau vor ihm.

Du weißt es noch nicht, oder?“

„Weiß was nicht?“ Jays Desinteresse war nicht zu überhören.

Alexis sah ihn verschmitzt an.

„Wir treffen in Runde eins aufeinander.“

Jay zuckte mit den Schultern.

„Hab mir den Plan noch nicht angeschaut“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Aber bist du nicht eigentlich zu jung?“ Er musterte das Fliegengewicht von einem Mädchen. Auch wenn ihre Art zu kämpfen ziemlich herausfordernd sein konnte, räumte Jay ihr keine wirkliche Chance ein, bei den Kämpfen irgendwas zu reißen.

„Ich bin letzten Monat fünfzehn geworden“, verkündete sie und machte sich so groß wie möglich.

„Glückwunsch“, bemerkte Jay trocken. „Du entschuldigst mich?“ Er zog den Turnierplan hervor und hielt ihn Alexis unter die Nase. „Ich hab noch was vor.

 

Die nächsten Stunden zog Jay sich zurück. Nachdem er den Turnierplan durchgegangen war, wärmte er sich auf und übte dann Techniken und Formen. Wie Bart ihm immer wieder aufs Neue eingeschärft hatte, konnte er seine freien Kapazitäten nicht oft genug nutzen, um zu trainieren. Und gerade jetzt, direkt vor den Kämpfen, war es besonders wichtig, eingespielt zu sein.

Um zwölf Uhr piepste Jays PDA. Er bekam ihn seit einer Woche immer wieder von Jordan während der Trainingszeiten ausgehändigt. Das Gerät war eine sogenannte Gewöhnungsmaßnahme. Es beinhaltete diverse Funktionen, wie ein simples Nachrichtensystem mit einigen festgeschriebenen Kontakten, sowie Timer und Wecker, aber auch einem Kalender und Notizbuch. Das waren zumindest die Applikationen, die Jay sich erschlossen hatte. Die digitale Welt überforderte ihn zumeist immer noch. Er schaltete den Timer aus, schnappte sich seine Sachen und machte sich auf den Weg zurück zur zentralen Halle. Auf dem Weg hielt er an einem Imbissstand an, wo zwei geschniegelte Teenager-Mädchen Sandwiches und geschnittenes Obst verteilten. Mit seinem Mittagessen im Schlepptau stiefelte er los.

Natürlich piepste sein PDA genau in diesem Moment. Mit einem genervten Schnauben zerrte Jay das Ding mit einer Hand aus der Tasche, während die andere seinen Pappteller mit belegten Broten samt Fruchtspieß balancierte.

„Eine neue Nachricht“ erschien samt Briefsymbol auf dem Bildschirm.

Ach wirklich, dachte Jay und tippte mit dem Daumen auf dem Gerät herum.

Ein neues Fenster ploppte auf und enthüllte die gewünschten Informationen:

 

Datum: 30.06.2029

Von: White, Jordan

Betreff: AW: Turnierorga

 

Hi Jay,

ich hab uns einen Raum klargemacht, wo wir in Ruhe reden können. Komm nach B-025, wenn du soweit bist. Das ist im rechten Flügel neben den Haupthallen.

Gruß, Jordan

 

Wortlos schloss Jay die App und bog in die Flure des B-Teils ab.

 

Der Raum, den Jay nach kurzer Suche betrat, war kaum größer als eine Besenkammer. Die spartanische Einrichtung bestand aus einem Spind sowie einem Tisch, der den Karton von Zimmer fast vollständig ausfüllte. Jordan saß im Schneidersitz auf dem Ungetüm. Vor ihm ausgebreitet lag ein aufgefaltetes Blatt Papier.

„Willkommen im Konferenzraum“, grinste Jordan. Jay bekam ein leichtes, schiefes Lächeln zustande und lud seine Sachen auf dem Tisch ab.

„Ich bin so frei.“

Mit diesen Worten ließ er sich gegenüber von Jordan nieder, ebenfalls im Schneidersitz. Einen Moment sagte keiner der beiden ein Wort. Jay nahm sich eines der Sandwiches und begann zu essen. Schließlich fasste Jordan sich ein Herz.

„Also. Das ist dein großer Tag. Du kannst dieses Turnier gewinnen. Davon bin ich fest überzeugt.“ Jay erwiderte seinen Blick und nickte. Jordan fuhr fort: „Ich ... ich wollte dir das sagen, weil ich wirklich glaube, dass du es draufhast. Und ich bin einfach so – ich will es ihnen zeigen. Ich will ihnen zeigen, was du kannst.“ Jay nickte wieder.

„Und für die optimale Vorbereitung-“ Jordan zog den Turnierplan zurecht. „Schauen wir uns mal deine Gegner an. Die Favoriten für dieses Jahr sind Makeda [Nachname], Lucian Byrne – beide in deinem Block.“ Er deutete auf die Namen und zeigte dann auf die Gruppe B. „Weiterhin die Wei-Zwillinge, beide auf ihre Art sehr gefährlich.“ Er sah auf. „Und natürlich dein Teamkamerad Exit.“

Exit. Jay war vorher schon beim Lesen des Plans darauf gestoßen. Eigentlich überraschte es nicht, dass er an dem Turnier teilnahm. Aber Jay hatte trotzdem bis dahin nicht darüber nachgedacht. Er konnte seinen Teamkollegen auch schlecht einschätzen. In den bisherigen Einsätzen hatte er ihn nur wenig kämpfen sehen.

Jordans Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen.

„Fürs Erste befassen wir uns aber mit der unmittelbaren Bedrohung. Sprich: Deine erste Gegnerin, Alexis Meyers.“

„Hab sie vorhin schon getroffen“, sagte Jay. Jordan sah ihn prüfend an.

„Und, hast du schon einen Plan, wie du mit ihr fertig werden willst?“

Sein Schüler grinste.

„Tatsächlich ja.“

Jordans Miene war eine Mischung aus einem Schmunzeln und einem wehmütigen Lächeln.

„Es ist schön, dich mal richtig motiviert zu erleben.“

Jay zuckte mit den Schultern.

„Ich hab ja auch ne gute Motivation.“

 

Die Zeit war verflogen wie nichts. Mittlerweile ging es straff auf 14:00 Uhr zu und obwohl Jay gedacht hatte, innerlich abgeklärt zu sein, spürte er eine leichte Nervosität in sich hochsteigen. Er zog noch einmal kurz seinen High bun zurecht, dann drückte er die Tür auf und betrat die Halle.

Auch wenn er heute schonmal hier drin gewesen war, fühlte es sich noch immer seltsam an. Er brauchte einen Moment, um sich an das helle Licht und die leicht verzerrte Akustik zu gewöhnen, die in so krassem Gegensatz zum Halbdunkel und der Stille des Flurs standen. Die Wirkung der Medikamente würde in den Abendstunden abklingen, doch noch spürte Jay die Nebenwirkungen. Es kam ihm vor, als würde er alles ein wenig überdeutlich wahrnehmen. Gleichzeitig war er immer noch abgeschirmt von der vielen Elektrizität, die sich gerade um ihn herum befand. So zumindest fühlte es sich für ihn an.

Jay atmete tief durch. Er war perfekt in Form und mehr als bereit. Dieses Turnier wollte er als Sieger verlassen und dafür würde er alles geben, was er hatte. Während er über die bevorstehenden Kämpfe nachdachte, kam ihm das letzte Gespräch mit Hiroo in den Sinn. Es war wirklich mies, dass sie ihr die Teilnahme verweigert hatten.

Gegen sie würde ich lieber kämpfen als gegen Alexis, dachte er, hielt inne und musste unwillkürlich lächeln. Aber für Hiroo hatte er sich schon etwas überlegt. Sie war wohl gerade irgendwo auf dem Campus und musste ihren Arrest absitzen. Ob sie wohl ein paar interessante Informationen abschöpfen konnte? Eigentlich, dachte Jay, konnte er ja zumindest auch schauen, was er hier so mitbekommen konnte. Er vermutete nicht wirklich, bahnbrechende Erkenntnisse zu gewinnen. Doch wenigstens ein bisschen Einsatz konnte er immerhin zeigen. Wer wusste schon, was vielleicht dabei herauskam.

Er schaute sich in der Halle um, suchte nach bekannten Gesichtern oder irgendetwas von Belang. Die Aussicht war ziemlich ernüchternd: Die hohen Tiere von der Eröffnungsfeier sah er nirgendwo auf den Rängen oder in den Logen und auch unten bei den Kampffeldern tummelten sich nur Schiedsrichter, Trainer und Teilnehmer. Jay konnte im Prinzip nur niederrangige Leute entdecken, was ihn ein bisschen verwunderte. Selbst wenn man nicht allzu viel Präsenz der Oberen erwartete – es gab den ein oder anderen, den man unter den Zuschauern vermutet hätte. Jay beschloss gerade, sich diesen Fakt zu merken, um beim nächsten Treffen mit Hiroo auch etwas beitragen zu können, als sein umherschweifender Blick an jemandem hängen blieb.

Obwohl er ihn bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, wusste Jay instinktiv, dass es Satoshi sein musste – Hiroos Trainer. Die zum Hochzopf gebundenen schwarzen Haare wiesen an den Seiten weiße Strähnen auf. Auch der kurze Ziegenbart und der Schnurrbart waren von einigen helleren Härchen durchzogen. Seine leicht gelbliche, sonnengebräunte Haut hob sich von dem Anthrazit seines Anzugs ab. Man konnte ihn nicht richtig einordnen. Einerseits wirkten die unterschiedlichen Stoffe stilvoll, doch schien die Kleidung nicht nur elegant, sondern gleichzeitig bequem und praktisch zu sein. Jay war sich nicht sicher, was es war – etwas ließ ihn innehalten, bannte ihn geradezu. War es das Aussehen? War es schlichtweg seine eigene Neugier oder war es die Ausstrahlung dieses Mannes? Jordan hatte einmal erzählt, dass Satoshi einen wesentlich höheren Rang innehatte. Man sah es ihm deutlich an. In seiner Haltung, seinen Bewegungen, seinen Gesten und seiner Erscheinung war er die Verkörperung eines Meisters.

In diesem Moment drehte Satoshi sich zu Jay um und sah ihn direkt an. Seine harten Wangenknochen und die festen Züge ließen ihn bei flüchtiger Betrachtung streng wirken. Tatsächlich lag aber wesentlich mehr in seinem Blick: Bestimmtheit, Aufmerksamkeit und Unnachgiebigkeit. Er schien Jay zu erforschen, fast schon herauszufordern. Der junge Esper hielt ihm stand. Er konnte sich jetzt nicht einfach abwenden.

 

Für einen Moment war Satoshis Blick gefestigt auf den standhaften jungen Mann vor ihm. Genug Zeit um aus den ihm vorliegenden Informationen zu der Person vor ihm ein ungefähres Bild und eine gewisse Erwartung an diese Begegnung zu formen. Er führte nur ungerne unnötige Gespräche und suchte diese auf ein Minimum zu begrenzen. "You're Jay Martens. Heard you're going for the first place today. Jordan expects much of you, boy. What's your take on it?" Seine Mimik regte sich nur kurz und verschwand wieder in seiner jedes Detail aufnehmenden musternden Art.

 

Jay hatte nicht unbedingt damit gerechnet, dass Satoshi ihn ansprechen würde. Oder vielmehr mit dem, was er sagte. Aber eigentlich hatte er auch nicht wirklich mit irgendetwas gerechnet, wenn man ehrlich war. Was sollte er darauf antworten?

"That's .. uh .. all correct, I guess", sagte er, um sich etwas Zeit zu verschaffen. Was wollte er überhaupt sagen? Auch wenn Jay von Hiroo schon ein paar Worte über ihren Trainer gehört hatte, so konnte er diesen Mann doch nicht einschätzen.

"Let's say", begann er. "There's .. people I wanna pay back."

 

Satoshi zupfte sich nachdenklich an seinem spitz zulaufenden Bärtchen. "There're always two sides to a story. Sometimes you think you're on the right side of history. But you never know how the world will repay you." Er machte eine kurze Pause und ließ sich einen Moment Zeit. Er drehte sich etwas zur Seite und schweifte mit seinem Blick durch den Raum. "Last year's tournament... which round did you get kicked out? I think your opponent made it to the semifinal... or was it the quarter finals?" Er wirkte für einen kurzen Moment nachdenklich abwesend. "Or is it something else you're hiding behind that iron curtain of yours? What injustice is going to legitimate your actions?" Mit dem letzten Satz drehte er sein Gesicht wieder zurück. Seine Augen direkt auf Jay gerichtet. Seine Pupillen von schwarzbraun schimmernder Iris umschlossen.

 

Anfangs war Jay ein wenig irritiert gewesen. Er wusste nicht so richtig, was Satoshi mit dieser Rede bezwecken wollte. Aber der junge Mann hörte dem Meister trotzdem aufmerksam zu. Als Satoshi kurz innehielt, versuchte Jay, das Gesagte zu verarbeiten. Doch während er noch über die Worte und deren mögliche Botschaft nachdachte, wechselte Satoshi das Thema. Was nun folgte, konnte Jay jedoch noch weniger einordnen. Wollte Satoshi ihn aufziehen? Wollte er ihn herausfordern?

What the hell?!, dachte sich Jay. Er fühlte sich auf eine sehr unangenehme Weise bedrängt. Wie ein zurückweichendes Tier, das dennoch bedrohlich wirken will, drückte er den Rücken noch ein Stück mehr durch und schaute seinem Gegenüber in die dunklen Augen. Der junge Esper konnte nicht verhindern, dass mehr aus seiner Antwort herauszuhören war als nur Trotz und seine routinierte Gleichgültigkeit.

"I don't know, what you want." Jays Blick glitt zur Seite. Seine Muskeln spannten sich für einen kurzen Augenblick an. Dann sah er auf. "But whatever you're looking for, I'm not the deal. Anyway, you'll excuse me. I have to get ready for the fights." Nachdem er das gesagt hatte, wandte Jay sich zum Gehen.

Hell, just what I needed.

 

Satoshi ließ die zurückweichende Art von Jay für einen Moment still hinter ihm herschauen. Er hatte den jungen Mann etwas forscher eingeschätzt. Für diese kurze Begegnung hatte er dennoch ausreichend Informationen erhalten. "It'll only get harder from now on. And you won't get the chance to run away forever. Same thing I told Hiroo, but she ain't the listening type..." Er atmete kurz ein. "I wish you good fortune on the road ahead." Er wandte sich ab und verschwand in einem der dunklen Gänge.

 

Jay blieb einen Moment stehen, als er Satoshi noch etwas sagen hörte. Er drehte sich zu dem älteren Mann um, doch der war schon verschwunden.

Fantastisch, murrte Jay innerlich. Warum musste das gerade in so einem Moment passieren – direkt vor dem Turnier?! Aber es war, wie es war. Erstmal musste er sich wieder sammeln. Er konnte später darüber nachdenken, was diese ganze Begegnung zu bedeuten hatte. Im Augenblick war es wichtiger, sich auf die bevorstehenden Kämpfe zu konzentrieren.

Rekrut Martens.“ Jay sah einen mittelalten Mann in Kampfrichteruniform auf sich zukommen. Wir starten in zehn Minuten. Ring eins; Ausrüstung liegt am Platz.“

Alles klar“, antwortete Jay und nickte. Dann folgte er dem Mann zu den Kampfringen. Die meisten seiner Konkurrenten waren schon da. Er sah Alexis, die startbereit auf einer der Bänke hockte und unentwegt mit den Füßen wippte. Die Wei-Brüder standen etwas abseits und unterhielten sich. Wer sofort ins Auge stach, war Exit. Er war gerade dabei, seine Bandagen zu lösen, um sie danach gleich wieder mit größter Sorgfalt anzulegen. Währenddessen glitt sein Blick immer wieder nach oben und zwischen den anderen Teilnehmern hin und her.

Jay nickte ihm kurz zu und ging dann weiter zu dem anderen Ring. Nach einem kurzen Blick auf die ausliegenden Materialien griff er sich das mit Martens sowie der Nummer 7 beschriftete Päckchen und begann mit den Vorbereitungen. Er war gerade dabei, sein Gesicht einzucremen, als Jordan sich zu ihm gesellte.

Ich hab Wasser und so mitgebracht.“ Er stellte ein Sixpack mit Plastikflaschen neben den Bänken ab. Unter seinem Arm klemmten ein paar Handtücher.

Danke.“ Jay hielt den Daumen hoch.

Während er sich fertig machte, blieb Jordan neben ihm stehen und sah schweigend zu den Kampfrichtern hinüber. Nach ein paar Minuten kam das Signal, sich zu versammeln. Jordan nickte seinem Schüler nur still zu, als die Teilnehmer sich zur Begrüßungszeremonie aufstellten.

 

Jays erster Kampf war einer der beiden letzten in Runde eins. Dass die Begegnungen seiner Gruppe alle im gleichen Ring ausgetragen wurden, gab ihm die Gelegenheit, seine Kontrahenten für die nächsten Runden bereits ein wenig zu beobachten. Er versuchte besonders auf die Hinweise von Jordan und Hiroo ein Augenmerk zu legen, was sowohl Lucian als auch Makeda anging. Und das, was er im Ring sah, bestätigte ihm, dass diese beiden Gegner definitiv ernstzunehmende Konkurrenten waren. Ernstzunehmend – aber er konnte sie schlagen, dachte Jay bei sich. In den Pausen hielt er sich mit einigen kleineren Übungen warm. Als Makeda siegreich den Ring verließ, trat Jay an die Seite seines Trainers. Der lächelte grimmig.

„Es geht los.“

Jay betrat das Kampffeld. Gegenüber stieg Alexis in den Ring. Die Kampfrichterin, eine muskulöse dunkelhaarige Frau mit streng zurückgebundenen Haaren, stand bereits parat. Sie wartete die Ansagen ab, die den Kampf und die Teilnehmer ausriefen. Dann sah sie die beiden jungen Leute einen nach dem anderen an.

Fertig?“ Sie hob den Arm. „Kämpft!“

Jay ließ einen kurzen Augenblick verstreichen, in dem er seine Gegnerin fixierte. Dann preschte er vor, zu einer Serie von Schlägen ansetzend. Alexis duckte sich zur Seite weg. In einer fließenden Bewegung wich sie seinem zweiten Hieb aus und versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben. Diese Taktik war Jay allerdings nicht neu. Er wusste, dass sie sich schnell und agil bewegte und er wusste auch, was sie bezweckte. Alexis war kleiner und schwächer als alle anderen Teilnehmer. Sie besaß weniger Reichweite und durfte selbst niemanden an sich heranlassen. Ihre einzige realistische Chance zu gewinnen bestand darin, mehr Treffer zu landen als ihr Gegner.

Die kleine Kämpferin bewegte sich weiter um Jay herum und setzte zum Schlag an. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war die Schnelligkeit ihres Gegners. Jay fuhr herum, die Füße rasch nachsetzend. Seine Hand schoss vor und schob ihren Schlagarm zur Seite. Sofort ließ er einen Hieb mit der anderen folgen. Alexis wich vor seinem Konterangriff zurück. Jay ließ ihr keinen weiteren Moment Zeit. Erneut setzte er zu Angriffen an, denen sie auswich. Alexis bemühte sich, aus der Defensive heraus günstige Möglichkeiten zum Kontern zu erhaschen. Doch sie fand keine Gelegenheit. Jay trieb sie mit beständigen Angriffen durch den Ring. Dabei legte er nicht alle seine Energie in die Hiebe. Sie waren dazu gedacht, Alexis in der Defensive zu halten, damit Jay ihre Bewegungsmuster analysieren konnte. Um mit ihrer Beweglichkeit genügend mithalten zu können, griff er auf die Fußarbeit der Mantis- und Schlangentechniken zurück. Die beiden Tierstile waren nicht seine beste Disziplin, aber Bart hatte dafür gesorgt, dass er sie grundlegend beherrschte und zusammen mit Jordan hatte Jay in den letzten Monaten an diesen Techniken gearbeitet, um schneller und aggressiver vorgehen zu können.

Er bedrängte Alexis weiter mit Angriffen. Langsam begann er Anzeichen von Erschöpfung an ihr zu erkennen. Jay wurde aggressiver, um sie noch mehr unter Druck zu setzen. Alexis bewegte sich rückwärts, um etwas Distanz zwischen sich und ihn zu bringen, doch Jay reagierte darauf mit einem weiteren Vorstoß. Sie wich aus, er drehte sich mit. Der junge Esper wusste, dass er Geduld haben musste. Gleichzeitig durfte er nicht zu lange warten.

Schließlich passierte es. Alexis drehte sich in einer Ausweichbewegung vor ihm weg und Jay wusste in diesem Moment, wie sie zum Konter ansetzen würde. Blitzschnell verlagerte er sein Gewicht. Seine Hand schnellte vor und umschloss ihr Handgelenk. Mit einem Ruck zog er sie zu sich heran, drehte sich und warf sie über seine Schulter. Alexis schlug rücklings auf dem Boden auf. Sie rollte herum, um schnell wieder auf die Beine zu kommen. Sofort warf Jay sich auf sie und drückte sie mit seinem Körpergewicht nach unten. Die kleine Esper wand sich unter ihm, doch sie hatte keine Chance. Jay griff nach ihrem Arm und setzte zum Hebel an. Alexis keuchte auf. Doch sie gab nicht nach. Verzweifelt versuchte sie, sich aus aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Jay verstärkte kontinuierlich den Druck seiner Hebeltechnik. Alexis bäumte sich auf. Ein kurzer Schmerzenslaut entfuhr ihr. Sie knurrte, stemmte sich mit all ihrer verbliebenen Kraft gegen Jay. Dann klopfte sie plötzlich ab. Sofort folgte das Signal der Kampfrichterin. Jay hatte Alexis bereits losgelassen. Er merkte, wie ihr Widerstand nachließ, während er aufstand. Das Mädchen lag für einen kurzen Augenblick einfach nur da, dann rollte sie sich auf den Rücken, atmete tief durch und rappelte sich auf.

Die Kampfrichterin dirigierte die beiden jungen Menschen, die mit hochroten Köpfen und schwer atmend im Ring standen, zu sich. Dann griff sie beide am Handgelenk und hob Jays Arm in die Höhe. Der Ansager verkündete: „Sieger dieser Runde ist Rekrut Martens.“ In den Rängen wurde seicht applaudiert. Jay wischte sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht. Als er aus dem Ring stieg, hielt ihm Jordan schon ein Handtuch und eine Wasserflasche hin. „Ich würde sagen, das war ein guter Anfang“, lobte er seinen Schüler. Jay nahm den Zahnschutz aus dem Mund.

Ja, find ich auch.“

 

Runde zwei begann mit einem klaren Sieg für Lucian, sodass Jay nun sicher wusste, wen er noch schlagen musste, um ins Finale vorzurücken. Er hatte sich allerdings schon ausrechnen können, dass er dem irischstämmigen Esper auf dem Kampffeld begegnen würde, wenn er zuvor an Makeda vorbeikam.

Makeda. Der Kampf gegen sie würde ganz anders werden als der gegen Alexis. Sie war größer als er, was schon mal ungünstig war. Andererseits waren alle Favoriten auf den Sieg größer als er, damit musste er so oder so klarkommen. Doch Makedas Erscheinung war nicht nur durch ihre für Frauen eher außergewöhnliche Körpergröße beeindruckend. Die dunkelhäutige junge Esper besaß einen durchtrainierten Körper und bewegte sich in einer Art, die kraftvolle Eleganz ausstrahlte. Jay hatte in der ersten Runde gesehen, wie beweglich und schnell sie war. Trotz seines Sieges zuvor wurde er höchstwahrscheinlich für diesen Kampf nicht als Favorit gehandelt. Doch das war ihm gerade recht.

 

Makeda ließ Jay keine Sekunde Zeit. Kaum war der Kampf eröffnet, begann sie ihren gefährlichen Tanz. Vor und zurück, High Kicks, Low Kicks, ein Schritt, ein herumwirbelndes Bein.

"Wenn sie ihren Flow durchziehen kann, wird sie dich mit ihren kontinuierlichen Angriffen in die Ecke drängen. Das darfst du ihr nicht erlauben." Hiroo hatte Jay ja bereits bei ihrem Gespräch im Park vorgewarnt und auch Jordan hatte diesen Punkt in der Strategiebesprechung noch einmal deutlich hervorgehoben.

Man hätte meinen können, dass es den Warnungen zuwider lief, dass Jay zuerst in der Defensive blieb und sich darauf beschränkte, ihren Angriffen entweder aus dem Weg zu gehen oder sie zu abzublocken. Die Strategie, die er sich für Makeda zurechtgelegt hatte, bestand darin, ihre Angriffsmuster zu analysieren und diese dann auszuhebeln. Zweifelsohne begab er sich genau damit in die Gefahr, dass seine Kontrahentin ihn mit ihren schnell aufeinanderfolgenden Attacken überwältigte. Doch das war sein bester Plan und sein Steckenpferd. Und es war seine beste Chance auf den Sieg. Er würde das so durchziehen.

Jay blockte einen Tritt ab und drehte sich vor einem Folgeangriff weg. Er wich ein Stück zurück. Sofort wirbelte Makeda in einer Schraube auf ihn zu. Jay wich ihr aus und täuschte einen Konter an, um seine Gegnerin für einen Moment abzulenken. Der Kampf dauerte noch nicht allzu lange, doch er spürte die Anstrengung bereits. Makeda gab das Tempo vor und durch ihren tänzerischen Fluss aus Angriffskombinationen ließ sie Jay keine Möglichkeit, es zu verlangsamen. Sie griff ein weiteres Mal an, diesmal mit einer Abfolge aus Tritten und Drehungen. Jay wich zurück und blockte. Das Adrenalin wogte durch seinen Körper, während er versuchte, trotz der Geschwindigkeit des Kampfes Makedas Bewegungen zu durchschauen. Die Bestätigung dafür, dass Hiroo mit ihrer Einschätzung Recht hatte, traf Jay sprichtwörtlich hart. Schneller als erwartet flog Makedas rechtes Bein auf ihn zu und erwischte ihn am Kinn.

Scheiße!, durchfuhr es ihn - fast schneller als der leichte Schmerz. Ich darf nicht bluten, ich darf auf keinen Fall bluten.

Sie hatte ihn zum Glück nur gestreift, doch dieser Fehler brachte Jay in eine gefährliche Lage. Für einen winzigen Augenblick war er aus dem Takt geraten. Makeda nutzte das sofort. Sie sprang hoch, setzte mit den Händen auf seinen Schultern auf und zog ihre Beine nach. Im nächsten Moment ließ sie sich nach hinten fallen, stützte sich mit den nun wieder freien Händen auf dem Boden auf und nutzte das Momentum, um Jay über sich hinweg nach unten zu reißen. Er federte mit den Beinen sofort wieder zurück, versuchte ihren Kopf zu umklammern. Makeda duckte sich nach vorne weg. Das nutzte Jay, um einen Schlag zu landen. Sofort ließ er einen weiteren folgen, dann noch einen. Makeda hob die Arme schützend vor Gesicht und Oberkörper. Jay hieb weiter nach ihr. Noch einmal holte er mit den Beinen aus und diesmal bekam er sie zu fassen. Makeda wand sich und versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. Jay wiederum versuchte, seine Position umzudrehen und über sie zu kommen. Sie rollten über den Boden, wild ineinander verschlungen. Doch keiner von beiden konnte die Oberhand gewinnen.

„Auseinander“, befahl die Schiedsrichterin. Die beiden Kontrahenten lösten sich voneinander und gingen wieder in Kampfposition. Nur einen Moment später bekamen sie das Signal zum Weiterkämpfen.

Wieder preschte Makeda auf ihn zu. Jay machte einen kleinen Schritt zur Seite und blockte die nachfolgenden Kicks. Aus dem letzten Block heraus konterte er. Makeda ging flüssig von ihrem Angriff in eine Ausweichbewegung über, wirbelte herum und ließ erneut einen Kick folgen. Jay ließ sich kurz zurückfallen. Er spielte das Spiel immer weiter. Mit seinen jahrelang geübten Verteidigungstechniken konnte er einen Großteil der Angriffe abwehren. Ab und an ging er selbst ein wenig in die Offensive. Langsam, ganz langsam begann er den Rhythmus des Kampfes zu fühlen. Dann war die erste Runde vorbei.

Die zweite Runde schien zu beginnen wie die erste. Makeda griff an, Jay wehrte ab. Doch das Gleichgewicht des Kampfes hatte sich leicht verändert. Jay brauchte zwar einen Moment, um wieder in den Flow des Kampfes einzusteigen. Doch dann - zuerst langsam, dann immer öfter - konterte er aus seiner Defensive heraus und störte Makedas Momentum. Er ließ sie einen Teil ihrer Angriffe ausführen, blockte, wartete auf den geeigneten Augenblick, um dann zuzuschlagen. Sie trat mit einem Low Kick nach ihm, den Jay mit seinem Fuß stoppte, dann nahm sie den Schwung mit und ging in einen Handstand über, aus dem heraus sie ihr anderes Bein auf ihn zuschnellen ließ. Doch Jay hatte sich bereits vor ihr weggedreht, blockte ihren Fuß mit seiner Hand ab und kickte seinerseits mit seinem Fuß ihre stützende Hand weg. Makeda fiel zu Boden, stand jedoch mit einem Schwung wieder auf. Jay täuschte einen Vorstoß an, sie wich aus und ließ einen Konter aus der Drehung folgen. Sofort holte sie mit der Faust aus, doch Jay schlug ihren Arm zur Seite und setzte mit ein paar schnellen Hieben nach.

Er kontrollierte jetzt den Kampf, auch wenn es sichtbar an seinen Kräften zehrte. Makeda war allerdings durch ihre gnadenlose Offensive ebenfalls stark ausgelaugt. Am Ende war es Jay, der seine Dominanz halten konnte. Er hatte noch ein wenig mehr Energiereserven übrig, um seine Strategie durchzuziehen. Als nach der dritten Runde der Gewinner verkündet wurde, konnte er seinen Sieg nur bedingt genießen. Erschöpft verließ er den Ring und ließ sich sogleich auf den herrlich kühlen Hallenboden sinken.

 

Vor dem Halbfinale nahm Jordan seinen Schüler beiseite. „Exit geht da drüben durch. Wenn Qiu Wei ihn jetzt nicht schlägt, ist er im Finale.“ Jay nickte. Er zog den Verschluss seines Handschuhs ein wenig fester zu. Als er den Kopf hob, sah er, dass Jordan zur Loge hinauf sah. Er folgte dem Blick seines Trainers und erkannte Falk, der gerade auf einem der gepolsterten Stühle Platz nahm. Ein UnEsCo-Mitarbeiter in Uniform kam nur einen Moment später beflissen herbeigeeilt und reichte Falk einige Dokumente. Jays Miene versteinerte sich. Er drehte sich von den Rängen weg. Natürlich konnte er sich denken, wer seine Versetzung entschieden hatte. Gerade ihm wollte Jay seine Fähigkeiten eigentlich nicht so offen zeigen. Aber er hatte sich nun einmal für diesen Weg entschieden. Früher oder später hätte Falk sowieso alles herausgefunden, was er wissen wollte. Da konnte Jay auch hier und jetzt sein Bestes geben, Jordan zuliebe.

Nach der ersten Runde des Halbfinales sah es nicht so gut für Jay aus. Lucian Byrne hatte bereits ein paar Treffer landen können. Jay war stark in der Defensive geblieben, weshalb er punktemäßig zurücklag. Er würde den Kampf auch nicht über die Ausdauer entscheiden können, denn sein Gegner war ihm in dieser Hinsicht ebenbürtig.

Als Jay wieder in den Ring stieg und die zweite Runde eröffnet wurde, blieb er trotzdem weiter dabei, Lucians Vorstöße zu blocken oder vor ihm zurückzuweichen. Wie auch schon beim Kampf gegen Makeda bestand sein Plan aus einem kalkulierten Risiko.

Jay wehrte einen weiteren Schlag ab, einen Tritt und kurz darauf mehrere Schläge nacheinander. Obwohl der Kampf ihn unter Druck setzte, war er innerlich ruhig. Seine Sinne waren immer noch geschärft durch die Nebenwirkung des Censerums und so fielen ihm die winzigen Anzeichen von Frustration an seinem Gegner auf. Etwas hatte sich verändert.

Jay konterte aggressiv aus dem letzten Block heraus. In Lucians Überraschung mischte sich ein Funken Wut, als er zwei weitere Treffer kassierte. Er schlug zurück, doch Jay war schon wieder in Verteidigungsstellung gewechselt und ließ ihn nicht an sich heran. Lucian zögerte einen Augenblick, bevor er vorschnellte, um seinen Gegner mit einer Serie von heftigen Angriffen zu traktieren. Jay hingegen begann nun, immer wieder zwischen voller Defensive und aggressiver Offensive hin- und herzuwechseln. Immer, wenn Lucians Angriffe zu gefährlich wurden oder er sich auf Jays Attacken einstellte, ging der in die Verteidigung zurück, um dann plötzlich wieder anzugreifen. Jay webte immer mehr verschiedene Techniken aus seinem Repertoire ein, um Lucian weiter aus der Fassung zu bringen. Mit dieser Taktik landete er einige Treffer.

Während er sich immer mehr in dieses Spiel einspielte, schien Lucian zusehends frustrierter zu werden. Als die dritte Runde eingeläutet wurde eröffnete er mit einer gnadenlosen, verbissenen Offensive, die er ständig variierte. Jay blieb weiterhin vorsichtig und wartete auch einige Momente ab, in denen er eigentlich ein Opening hätte nutzen können. Es war wichtig, dass er in seinem Rhythmus blieb. Geduldig passte er den nächsten geeigneten Moment für einen Vorstoß ab, während das Blut gleichzeitig pochend durch seinen Körper pulsierte.

Die beiden jungen Esper feuerten beide ihr gesamtes Arsenal an Techniken ab. Man konnte deutlich sehen, dass sie alles gaben, was sie in diesem Moment aufbringen konnten. Doch wo die Angriffe von Jay immer noch gezielt gewählt und präzise waren, schlichen sich Fehler in die Bewegungen von Lucian ein. Er versuchte, seinen Gegner mit Schnelligkeit und Wucht aus dem Konzept zu bringen, aber Jay ließ ihn immer wieder an seiner Defensive abprallen und spielte sein Spiel weiter, was seinen Gegner nur weiter provozierte.

Am Ende der strapaziösen dritten Runde waren die beiden jungen Männer völlig ausgelaugt. Jay hatte durch seine Strategie schlussendlich das Ruder herumreißen können. Es fühlte sich für ihn an, als liefe ihm der Schweiß in Strömen am Körper hinunter. Sein Atem ging stoßweise. Kaum waren die Formalitäten und die Verkündung des Siegers über die Bühne gebracht, schleppte er sich zum Ausgang, wo er schon von Jordan empfangen wurde. Der ließ ihn nicht aus den Augen, während sein Schüler sich den Inhalt einer Wasserflasche über den Kopf kippte.

„Glückwunsch“, sagte er leise.

 

Unterirdische Erkenntnisse

Der erste Tag war ruhig zu Ende gegangen. Nach dem Ausflug in die Bibliothek hatte Hiroo den ersten Tag des Sommerfests fast ausschließlich in Isolation auf ihrem Gästezimmer verbracht. Sie war es eigentlich gewohnt in ihren Gedanken für sich gelassen zu werden, doch drängte sie etwas nach draußen. Die bisher gesammelten Informationen waren wie ein feuchter Kuss auf ihrer vor Gedankenkreisen heiß gewordenen Stirn. Wenn sie nur lange genug so vor sich hinbrütete, müsste doch eine Idee herausschlüpfen. Sie müsste doch irgendwie in diesen Sicherheits-Bereich, wo sie mehr erfahren könnte zu ihrer Censerum Immunity und den seltsamen Veränderungen auf dem Campus, die sich seit dem Verschwinden von Jackson aufgetan hatten. Auch die beiden Bücher "Esper-Mythologie" und "Al-Batra" sagten ihr so erstmal nichts. Es war aber sicher keine Schulbuch-Lektüre, die sie sich diese drei mysteriösen Gestalten aus der Bibliothek herausgestohlen haben. So viel war sie sich sicher. Mittlerweile müsste das Turnier, auf das sie sich insgeheim gefreut hatte, richtig angelaufen sein. Ein Frühstück hatte sie bereits erhalten. Wie sich wohl Exit und Jay schlagen würden. Nach ihrem letzten Kampf traute sie Jay durchaus was zu. Bei den anderen Schülern von Satoshi wurde Makeda als Favorit gehandelt, nicht zu Unrecht. Viel von den anderen Kontrahenten hatte sie aber auch nicht mitbekommen. Ihre Gedanken schweiften noch für einige Zeit hin zu Jay, bevor sie wieder ins Grübeln versank.

Mittlerweile müsste es Mittag sein. Ihre Gedanken verleifen sich wieder in RIchtung Owens und ihrem Handlanger Hampton. Diese beiden müssten doch ausreichend Berechtigungen haben, um ihr einen Abstecher in den Bunkerkomplex hinter dem gläsernen Sicherheitsbereich zu erlauben. In diesem Gebäude war sie nur wenige Male gewesen. Ob sich der Bunker ähnlich tief wie bei den unterirdischen Trainingsgeländern erstreckte? Sie konnte sich geradezu diese stinklangweiligen Korridore um Korridore vorstellen, welche sich in einem unterirdischen Labyrinth unter ihr erstreckten. Ob sie sich dort überhaupt allein zurecht finden würde? Erstmal ging es aber darum überhaupt dort hineinzugelangen. Nur wie sollte sie es anstellen. Sie bräuchte erstmal einen Grund, wie sie einen der beiden von dem anderen lösen könnte. Beide hatten sie einen dieser Tokens mit Pin. Dies hatte bei den ersten Sicherheitstüren ausgereicht. Wenn sie sich damit in einem unbeobachteten Raum Zugriff zu einem Terminal verschaffen könnte, würde sie sicher auf etwas stoßen.

Espercamper

Das Hub für die Charakterblätter, /storys und noch viel mehr!

Espercamper

Prolog

Einige von euch sind nun schon länger mit UnEsCo verbandelt und leben auf dem Organisations-Campus irgendwo in Kansas. Andere von euch sind vielleicht erst vor kurzem in den Campus aufgenommen worden. Unabhängig davon habt  ihr einen groben Plan von dem Gelände auf dem ihr euch aktuell befindet.

Die Gebäude liegen auf militärischem Sperrgebiet und enthalten ein Konferenzzentrum, ein Verwaltungsgebäude und ein Wohn- und Trainingszentrum. Dort leben vor allem junge Espers, die irgendwo zwischen auffällig und gefährlich geworden sind. Dies kann aus eurer Familiensituation, die als schwierig bis nonexistent eingeordnet wurde resultieren oder eure Eltern haben euch bewusst auf diese als Förderschule bekannte Einrichtung gebracht. Ca. 100 junge Menschen zwischen 5 und 25 Jahren leben, je nach Bedürfnissen und Anordnungen in Wohnheimen, kleinen Apartments oder Holzhütten auf dem großen Campus verstreut. Es gibt eine Art Schule für Jüngere und Trainingseinrichtungen für Ältere. Ihr könnt euch selbst grob überlegen, wie wohl euer Leben und euer Training aussieht und es zu Papier bringen. Außerdem habt ihr eine Bezugsperson als Betreuer, der für euch auch eine Art Lehrmeister darstellt und vielleicht Freunde und Bekannte auf dem Campus. Es steht euch frei dieses Bild selbst zu gestalten. Von euch benötige ich den Namen eures Betreuers und wenn ihr möchtet den Namen eines Freundes.

Eine Person, die ihr alle im Prozess eurer Eingliederung ins Campus-System getroffen habt, ist Penny Jackson. Sie hat im Trainingsbereich eine Menge zu sagen hat und kann damit über euer Schicksal entscheiden. Jeder sollte sich grob Vorstellungen machen, was er im Trainingscenter erreichen will. Ihr seid vielleicht nicht ganz freiwillig dabei, dann wollt ihr beweisen, dass ihr zu einem eigenständigen Leben fähig seid, um entlassen zu werden. Es könnte sein, dass ihr mit anderen Personen eine gewisse Konkurrenz-Situation entwickelt habt. Ihr wisst, dass manche anderen Jugendlichen für Einsätze trainiert werden, aber das sind eher die Fortgeschrittenen und „braven Eliteschüler“.

Es überrascht euch alle ein wenig, dass ihr für den nächsten Ausseneinsatz ausgewählt werdet. Es werden euch mehr Privilegien versprochen. Denkt darüber nach, was das für euch wäre und was ihr euch von der Sache versprecht. Jeder von euch hat eine Art Abmachung mit UnEsCo. Ihr könnt hier einmal aussuchen, welche Art es für euch ist. Bitte entscheide dich für eine dieser Möglichkeiten zum Status bei der UnEsCo:

  1. Mitglied, fest angestellt
  2. Mitglied, in Training
  3. Vertragspartner, befristete Zusammenarbeit
  4. Vertragspartner, einmalige Zusammenarbeit
  5. Kein Vertrag/ mündliche Absprache

Am Tag vor eurem Einsatz wurde euer Stundenplan angepasst. Auf diesem steht neben einer 2-stündigen allgemeinen Trainingseinheit als Lehrmeister niemand geringeres als der Name Penny J. Jackson. Jeder von euch kann eine Sache mit ins Abenteuer nehmen, dabei müsst ihr gut erklären können, wie ihr dazu kommt.

Als System wird Radical Llama verwendet. Eine angepasste Version des Charakterbogen findet ihr im Kapitel Aspire vom Buch des Systems. Hierfür reicht es die Print Version als PDF auszudrucken, da man dort die leeren Felder mit Bleistift anpassen kann. Für euren digitalen Charakterbogen könnt ihr die odt in LibreOffice  oder die docx nutzen: Radical Llama - Aspire

Was ich von euch vor der der ersten Runde benötige:

Was ihr in der ersten Runde benötigt:

Alles weitere besprechen wir dann in der ersten Runde.

Espercamper

"Heavy Devy"

Wichtigste Infos:

Name: Devyne "Heavy Devy" E. Grey

Geburtstag: 05.11. 2011 (17 Jahre alt)

Geburtsort: Darwin, Australia

Von Unesco als Esper entdeckt: Sommer 2016

Auf dem Campus seit: September 2020

Esper: Gravitationsmanipulation


 

Devy-(2).png

Devy wendet während eines Einzeltrainings ihre Kraft an (btw, sie sollte eig. braune Haare haben, aber irgendwie ist das jetzt orange. Egal.)

 

Aufsatz, den Devy in ihrem letzten regulären Schuljahr auf der Campusschule verfasste, übrigens mit einem "A" benotet. Thema: "Me and my Esper-Identity"

Esper zu sein ist schon was ganz Krasses. Ich liebe und es und hasse es. Gleichzeitig. Dermaßen. Wie soll ich das erklären – manche Leute auf dem Campus hab ich schon sagen hören, dass ich vom normalen Leben ja gar keine Ahnung hätte, und mit normal meinen die: ordinary. Okay, da ist was dran. Ich kann mich zum Beispiel kaum daran erinnern, wie es war, bei meinen Eltern in Nordaustralien aufzuwachsen. Gut, bestimmte Dinge weiß ich schon noch, zum Beispiel, dass es dort das ganze Jahr lang warm und grün war, tropisch halt. Ich habe vor allem Bilder im Kopf von unserem Wohnhaus mitten im Dickicht und am Ende einer langen schlechten Straße, die bis zum nächsten Briefkasten führte. Adresse: Irgendwo im Nirgendwo.  In der Hinsicht hat sich in meinem Leben nicht allzu viel geändert.

Wie es war, ein funktionierendes Elternhaus zu haben? Normal, würde ich sagen, obwohl ich mit dieser Hintergrundgeschichte eher sowas wie eine Ausnahme bin, hier im Ausbildungszentrum. „Glorifizierte Klapse“, wie meine Trainerin immer sagt. Die Meinung von meinem Vater würde mich interessieren. Damals hab ich ihn auch nicht allzu oft gesehen, wegen der Rinderfarm, die er führte. Mum war immer zu Hause, aber mit sechs Kindern – die alle zu Hause unterrichtet werden – da kann man sich auch nicht 24/7  mit einem davon abgeben, wie sich das manche vorstellen. So funktioniert es nicht, aber funktioniert hat es. Meine Geschwister waren außer den Eltern so ziemlich alle, die ich kannte, und dann gab es noch ein paar Hilfsarbeiter, die bei uns unter dem Dach wohnten, an die ich mich noch erinnere. Zurückblickend: Es gefiel mir. An dieser Stelle vergebe ich einen Punkt an das Ordinary-Leben.

Nur, dass ich halt nie ordinary war. Meine Eltern wussten das von Tag Eins an, und trotzdem haben sie Jahre gebraucht, um herauszufinden, was mit mir nicht stimmt. Ich weiß das aus den Akten, bzw., daraus, was mir meine Pflegeeltern erzählt haben. Ich war drei Jahre in so einer Familie, in England. War auch nicht schlecht da, nur, dass ich gefühlt jede Woche einen neuen Pflegebruder oder eine Pflegeschwester hatte, und die waren prinzipiell Kotzbrocken. Aubrey war viel zu nett zu ihnen, das war ihr Fehler. Sie sagte: „Die anderen Kinder haben auch Heimweh.“ Und „Manchen fällt es eben schwer, ihre Kräfte im Zaum zu halten. Und mit Gefühlen ist es nicht anders.“ All so ein philosophisches Gelaber, und irgendwie hatte sie ja recht. Mir persönlich fiel es allerdings gar nicht so schwer, pun intended, keine Randale zu machen. Es gab wohl Abende, an denen ich ein wenig geheult habe – dazu muss man sagen, es war ganz am Anfang, als ich nur so sieben war oder so. Das war, als Aubrey mir mehr als einmal davon erzählt hat, wie meine Eltern schon immer wussten, dass ich besonders war. Bevor irgendwer das wieder bezweifeln will, Beweisstück Nummer 1: Mein Name. Devyne. Ja, das ist die volle Form von meinem Spitznamen, auch, wenn man mich hier auf dem Campus als „Devy“ kennt und ich Lacher ernte, wenn ich erwähne, wie ich wirklich heiße. Wenn man bedenkt, dass meine älteren Geschwister mit erstem Vornamen Henry, William, Victoria und George heißen, kann man nicht behaupten, dass meine Eltern grundsätzlich sehr kreative Namensgeber sind. Nicht zufällig haben sie sich beim Stammbaum der englischen Monarchie bedient, denn trotz – oder im Zusammenhang mit – ihrer Auswanderungsgeschichte sind sie echte Patrioten und Royalisten. Das macht sich bei mir im Mittelnamen bemerkbar: Elizabeth, was sonst. Mein eigentlicher Vorname bekommt damit natürlich eine – etwas andere – Bedeutung. Ja damals, 2011, als ich geboren wurde, konnte man wirklich noch glauben, Elizabeth II sei mit ewigem Leben gesegnet – leider nicht wahr, wie man inzwischen gemerkt hat. Ich war, glaube ich, acht damals, als sie starb, und ziemlich verstört, weil ich doch wusste, dass meine Eltern mich nicht ohne Grund der Organisation übergeben hatten: Ich war dazu vorherbestimmt, die englische Heimat und Krone zu beschützen, und die hatte bisher für mich immer ausgesehen wie das Gesicht auf den Banknoten. Das Gesicht kann sich ändern, habe ich bald gelernt. In dem Moment hat mich Aubrey aber damit getröstet, dass ich nicht aufgeben könne, wenn meine Eltern so viel Hoffnung in mich gesetzt hätten. Für sie war ich von Anfang an etwas Besonderes gewesen, und bin es bis heute, auch, wenn wir nicht mehr viel Kontakt haben. Ich bekomme immer Weihnachts- und Geburtstagskarten und schicke welche zurück, wodurch ich zum Beispiel von meinen drei jüngeren Geschwistern weiß – Edward, Jane und James – aber auch wirklich nicht viel mehr. Im Vergleich mit den anderen Leuten aus dem Camp ist das unglaublich viel. Man kann also schon sagen, dass ich, obwohl ich meine Esperkräfte schon praktisch seit meiner Geburt hatte und sie früh erkannt wurden, vom normalen Leben einiges verstehe. Ich glaube sogar, ich bin eine der normalsten überhaupt hier.

Was meine Esperfähigkeit ist – das lässt sich besser zeigen als erklären, aber lass es mich versuchen. Es hat alles mit Gravitation und der Manipulation von Gravitationsfeldern zu tun. Das heißt schon mal, dass ich im Grunde nichts schwerer oder leichter machen kann, im Sinne von Masse hoch- und runterschrauben; das denken viele, dass es so funktioniert. Tatsächlich kann ich die natürliche Gravitation zwischen zwei Körpern so verändern, dass sie verstärkt scheint. Am leichtesten fällt es mir, mich selbst „schwer zu machen“, was meine Eltern schon in meinen frühen Jahren in den Wahnsinn getrieben haben soll. Daher auch inzwischen mein Spitzname, Heavy Devy. Es ist tatsächlich meine zweitbeste Fähigkeit nach „bewusst dumme Wortwitze produzieren“. Etwas „schwerer“ ist es für mich, die Anziehungskräfte zwischen der Erde und einem weiteren Körper zu verstärken, einem dritten Körper, wie meine Akte besagt. Wenn ich ihn nicht berühre, kostet es sehr viel Konzentration, aber ich arbeite auch schon seit Jahren daran – angefangen mit heliumgefüllten Luftballons, die ich am Aufsteigen hindern sollte, über Pressübungen bis hin zu kleinsten Gegenständen, die ich in exaktere Fallgeschwindigkeiten bringen soll. Bitte testet mich nicht auf das Letztere, ich leide unter heftigem Vorführerffekt.

Ich bin jetzt auch nicht direkt Jedi. Sachen an mich ranzuziehen verlangt mir einiges ab, weil ich dabei eine Menge von Gravitationsenergie von der Erde abzwacken und zweckentfremden muss. Zwei Körper, von denen keiner entweder unser Planet oder ich selbst bin, gravitatorisch aufeinander zu zu bewegen, das ist noch ein ganz anderes Kaliber. Bei solchen Sachen wird es ja auch umso schwieriger, desto schwerer die dazugehörigen Objekte sind. Ich hab jetzt auch die ganze Zeit von „schwerer“ gesprochen, wie vielleicht aufgefallen ist, und das hat einen guten Grund: Es ist um einiges leichter, Gravitationsfelder zu konzentrieren, als sie von einem Punkt abzulenken oder umzudrehen oder wie man sich das vorstellen muss. Wenn es anders wäre, glaubt nicht, dass ich irgendwohin zu Fuß laufen würde. So oder so: Meine Esper ist ein „gravierender“ Pluspunkt fürs Esper-Dasein. Also, was ist besser, Esper zu sein oder keine Esper zu sein? Man kann es umformulieren: Verrückt oder normal. Wenn ich mich so auf dem Campus umsehe, bin ich nicht gerade stolz, zu dieser Truppe zu gehören, die zum größten Teil rekordverdächtig unsympathisch ist. Definitiv psycho, obwohl die meisten meine Gedanken und Gefühle nur in Richtung Abscheu manipulieren können.

Andererseits: Wer wäre ich überhaupt, wenn nicht das Mädel mit den Gravitationskräften, Heavy Devy? Wer wäre Devyne Elizabeth Grey? Ein 15-Jähriges Cow-Girl aus Australien, das diesen Kontinent vielleicht nie verlassen hätte. Wer weiß. Wer weiß auch, ob ich nicht doch einmal die Möglichkeit bekomme, den König und sein Land zu beschützen, wie meine Eltern es für mich vorausgesehen haben. Das wäre definitiv Stoff für eine Postkarte oder zwei. Nein, ernsthaft, wer verschickt heute noch Postkarten? Wahre Patrioten – und Leute, die etwas Besonderes wertschätzen zu können. Denn so kann man es auch umbenennen: Ist es besser, normal zu sein oder etwas Besonderes? Wie gesagt, ich liebe und ich hasse es, Esper zu sein. Aber so sehr ich mir manchmal wünschte, nicht zu diesem Club der Wahnsinnigen gehören zu müssen, es ist doch irgendwie mein Schicksal, meine Bestimmung, und das, was mich zu mir macht. Letzendlich muss ich also sagen: „Beschweren“ kann ich mich nicht.


 

Musikalisches:

Bisherige Inspirationsquellen (aber nicht Charakterthemes!):

Rainbow Gravity, Periphery

Falling back to Earth, Haken

Die Existenz von Devin Townsend

 

Vermutlich Charaktertheme: gekürzte Version von Atlas Stone, Haken

 

 

Espercamper

R3tr0/CIPHER

Name: R3tr0
Alter: 24 Jahre
Geburtsort: Massachusetts
Esper: Cipher Datenstream

Design: angelehnt an Fisheye Placebo

0fa9efbd91bb49aba799ed22fb9a52e2.jpg

Who am I // Hacken ist wie zaubern - Michael Kamm
Schon mal in Area 51 gewesen?
Die Welt ist schon so viel weiter…
Esper, UnEsCo, Superkräfte, als ich klein war galt übernatürliches noch als Comic-Material und heute sind Sie unter uns. Ich hatte schon immer das gefühl das die Welt größer ist als man uns weismachen will. Ich wusste das wenn ich nur tief genug grabe, ich Beweise für meine These finden würde, weshalb ich früh eine leidenschaft zum Hacken entwickelte. Was mit kleinigkeiten wie den Smartphones meiner Eltern oder dem Nachbars-Computer begann, entwickelte sich binnen kürzester Zeit zu Schulservern, Bank-Accounts und Firmennetzwerken.
...nichts war vor mir sicher!
Aber mein handeln blieb nicht unbemerkt und so wurden diverse Hacktivistgruppen auf mich Aufmerksam. Sie boten mir viel Geld und Ruhm wenn ich Ihren Nemesis eine art HackerKi welche auf das Ausschalten von Hackergruppen im Netz programmiert war und sich angeblich in den Tiefen von Area51 in der Wüste Nevada befand.
Area 51 eines der bestgehüteten Geheimnisse von Amerika.
Wie hätte mein Ego da nein sagen können…
Da war ich nun. Zwischen Firewall und Sicherheitssystemen als Sie bzw. Es mich fand.
Lichtblitze die durch meine Hardware zischten erhellten den Raum und plötzlich war alles schwarz. “WE ARE CIPHER” las es sich plötzlich in allen möglichen sprachen und Fonts auf den Bildschirmen, Smartphones und Fernsehern in meinem Zimmer. Ein weiterer Lichtblitz und ich fiel ins Koma.

Who are We // The Illusive Man - Mass Effect 2 Soundtrack

 

Als ich zu mir kam sah ich die Welt nicht mehr durch meine Augen. Da war etwas neues, etwas anderes. Zuerst überkam mich das Gefühl von Panik, alles war am leuchten, Kabel Funkwellen, Netzwerke. Meine sonst so graue Welt war plötzlich bunt und voller farben.

“Ruhig” flüsterte es in mein Ohr “Wir sind nun eins”. “Wer bist du?” “Nein, wer sind wir?” Antwortete das Wesen in meinem Kopf und mir wurde schwarz vor augen. Ich erblickte eine bläuliche sphäre vor mir.

sam-pc-games_b2article_artwork.jpg

“Wir kommen aus einer weit entfernten Galaxie,  unser auftrag war das aufspüren und erforschen intelligenten lebens.” Die Sphäre pulsierte während die Worte direkt in meinem Kopf abgespielt wurden. “Doch leider ging etwas schief und wir mussten auf der Erde Notlanden” Aus der Sphäre schossen Bilder von etwas das nach einem Raumschiff aussah, Absturzberichte und Darstellungen welche den Absturz zeigten. “Um den Menschen zuerst zu analysieren luden wir unseren Verstand mithilfe einer von uns entwickelten Technologie in den Centralcomputer unseres Schiffs. Doch es ging etwas schief und als der Mensch unser Schiff zu Forschungszwecken demontierte war unser Geist auf der Hauptplatine gefangen. Bis wir dich fanden…” Die Sphäre zeigte mir die Schiffs und Bios Logs:

 

Hello World! // Main Title - Star Trek: Discovery

Übersetzung angefertigt für den Host zum besseren Verständnis

Logbuch des Kaptains der Katharsis Eintrag 4214

Haben endlich einen Planeten mit Lebensformen ausmachen können. Treibstoff Ausreichend. Ressourcen knapp. Schiff Status: Landungs-Modul weist leichte schäden aufgrund von Flug durch Hyperraum auf. Reparatur durch Bordcomputer Empfohlen.

Notiz des Kaptains: Zur kenntnis genommen, jedoch mit Ressourcen nicht umzusetzten

Logbuch des Kaptains der Katharsis Eintrag 4215

Notlandung endete in Bruchlandung. Treibstoff: Verlust an Umwelt.

Ressourcen: aufgebraucht. Schiff Status Irreparable Schäden können nur durch angeforderte Reparaturkapsel von Basis H10I35 erfolgen. Notiz des Kaptains: Das Schiffswrack lässt sich aufgrund der defekten Systeme nicht tarnen. Absturz wurde bemerkt.

Logbuch der Katharsis Eintrag 4216

Schiff Status siehe Eintrag 4215. Humanoide haben das Wrack gefunden. Haben uns in den Schiffsspeicher geladen um deren Vorgehensweise zu beobachten.

Logbuch des Kaptains der Katharsis Eintrag 4217

Humanoide haben mit der Demontage des Schiffs begonnen. Dabei wurde der Rücktransferator beschädigt. Versuchen Fix über Schiffscomputer

Logbuch des Kaptains der Katharsis Eintrag 4218

Demontage hat weitere Systeme Deaktiviert. Versuche den Humanoiden Schiffsbauplan zukommen zu lassen bevor Sie mich abschalten.

Bios Eintrag 1 - Schiffscomputer abgeschaltet. Auf Platine zurückgezogen.

Bios Eintrag 228 - Verbindung hergestellt. Standort Area 51. Geschlossenes Netzwerk.

Bios Eintrag 335 - Möglicher Host entdeckt. Stelle Verbindung her.

Bios Eintrag 385 - Licht! Host öffnet Fenster. Hello World!

 

We are Cipher // Hudson Mohawke - Watch Dogs Theme

Da war ich nun, die Symbiose mit dem Alien war erfolgreich. Es brauchte nicht lange bis ich erste potentiale meiner Symbiose aus machte. Netzwerke, W-Lan, Bluetooth, Funk aber auch Kabel in Wänden waren nun für mich sichtbar und mit ein wenig konzentration konnte ich auf eben jene zugreifen und mir Zugang verschaffen. Hacken war nun um einiges einfacher. Aber da war mehr, ich brauchte nur jemanden der mir bei der Suche danach helfen könnte. Und so machte ich auf uns aufmerksam. Wenn uns einer helfen konnte, dann wahrscheinlich die Größte unterstützungsorganisation für Menschen wie mich. UnEsCo…

Ein paar Wochen später …

UnEsCo - Hauptquartier Besprechungsraum 3

“Gentlemen, die folgenden Aufnahmen wurden uns heute morgen zugesendet” Ein schmaler Mann in hochrangiger Uniform öffnete einen Videofile:

Zu sehen ist eine Vermummte gestalt welche das weisse Haus betritt. Ohne auch nur eine Regung bei den Wachleuten zu provozieren, läuft die Person an mehreren Kameras und Wachmännern vorbei aber es wird weder ein Alarm ausgelöst noch bewegt sich jemand.”

“Das ist ja unerhört” Meldet sich ein dicklicher Mann aus 2ter Reihe “Warum wurde nichts unternommen?” Es ging ein unruhiges raunen durch den Raum “Gentlemen so wie es aussieht ist die Gestalt nur auf den Aufzeichnungen zu sehen und war Physisch nie anwesend. Mehrere Wachleute bestätigen das. Wir vermuten hier möchte uns jemand eine Nachricht schicken” “Wie kommen Sie darauf? das ist doch lächerlich” “Nun ja weil die gleiche Gestalt gleichzeitig auf allen Überwachungskameras wichtiger Knotenpunkte zu sehen ist” …

Die Gestalt im Video bleibt plötzlich stehen und wendet sich der Kamera zu. Sie hebt die Hand und “We are Cipher” erscheint plötzlich auf dem Bildschirm mit einer Adresse …

 

 

Fähigkeitenlog erstellt von *KLASSIFIZIERT* über die Esperkräfte von CIPHER

Datenstrom: Mit hohem Energieaufwand ist ein kurzer Sprung über die Datenautobahn möglich (Wand zu Wand-Stecker bzw. Mast zu Wand etc.)

Fernhack: ohne Hilfsmittel wie Computer oder Smartphone kann ein Endgerät gehackt und manipuliert oder übernommen werden.

Hologram: In unmittelbarer nähe des Esper ist eine Hologram Projektion möglich

Netzwerksonar: Esper nimmt jegliche Netzwerke und Verbindungen über eine Art Sonar wahr

 

Gegenstand: Drohne// Eine ferngesteuerte Drohne über welche CIPHER selbst die kontrolle übernehmen kann aber in verbindung mit R3tr0 bleibt. Beide entwickelten diese Methode um eine Art 3tes Auge für R3tr0 zur Verfügung zu stellen.

 

Freunde auf dem Campus: 2 Trainingsmitglieder dazu später mehr (nicht zwingend Storymitglieder)

Lehrmeister: in Arbeit

 

 

 

Espercamper

Mikhail Red

Vor dem Labor

Aufgewachsen bin ich in Detroid, Eltern habe ich keine.Mikhail.png
Tatsächlich habe ich sie nie kennengelernt,

wobei mir erzählt wurde wie sie bei einem Raubüberfall umgekommen sind.
Soll heißen, sie haben sich mit den falschen angelegt,
aber was kann man auch von Meth-Abhängigen erwarten.
Um mich hat sich eigentlich immer Zero gekümmert, Anführer der Roten Bande.
Bei der Roten Bande handelt es sich um eine kleine Gang von Weisenkindern, tatsächlich sind wir nur 6... Nein 5 Mitglieder, letztens ist ja Jonny draufgegangen.
Zero ist am Ältesten und führt uns deswegen an.

Überleben können wir nur, weil wir flink, clever und geschickt sind.
Ja, wir stehlen eben Essen aus dem Supermarkt...
Ist ja nicht so, als könne man hier als 14 Jähriger einen Job haben oder gar die Anderen im Stich lassen!
Einige von uns haben Extra Sensory Perception, also ESP...
Ihr wisst schon, die haben Superkräfte.

Hätte Zero keine, dann wüsste ich auch nicht mehr weiter...
Eigentlich handelt es sich bei den Farbbanden Detroids um kleine Verbände aus Obdachlosen, die irgendwie um ihr eigenes Überleben kämpfen.
Einander mochten wir uns noch nie, aber man toleriert sich.
Dafür gibt es ja die verschiedenen Territorien und da wir alle kleine Gruppen sind, die der Außenwelt nicht mal als organisiertes Verbrechen auffallen, sondern vereinzelte klauende Straßenkinder.
Seitdem die Ultravioletten dabei sind, hat sich allerdings Vieles verändert.

Dabei ist der Name schon so lächerlich... Ultraviolet.
Sinn der Farb Banden ist die Zugehörigkeit untereinander zu erkennen, aber nicht für die Mitglieder.
Wie gesagt, es handelte sich bei allem um besonders kleine Banden.
Nein, viel mehr geht es darum, die anderen Bandenmitglieder, insbesondere die Neuzugänge, der Anderen zu erkennen.
Würden eine Bande versuchen ein Mitglied aus der Anderen zu werben, gebe es Chaos, womöglich einen Bandenkrieg, weil jedes Mitglied essenziell fürs Überleben ist.
Deswegen tragen wir alle am Kopf einen auffälligen Schmuck unserer Farbe, der immer sichtbar ist.
Naja, eigentlich kennt man sich untereinander, gerade die Nachbarbanden, wie die Blauen und Gelben.
Aber wir haben keine genauen Grenzen, sobald man einen Trupp der Blauen findet geht man eben wo anders hin.
Da wir uns alle gegenseitig respektieren und tatsächlich nicht versuchen einander zu schaden, wurde noch keine Bande verdängt.
Dafür haben wir ein sehr dynamisches Territoriensystem.
Ziehen die Gelben in unser Gebiet, so wandern wir in deren.
Ist ja nicht so, als wäre ein Gebiet besser als das Andere, überall gibt es nichts zu holen.
Die Gebiete zu wechseln ist eigentlich hilfreich, damit die allgemeine Bevölkerung sich nicht zu sehr an die Taktiken einer Bande gewöhnt.
Und es ist viel einfacher das Gebiet zu wechseln, als ständig neue Tricks zu lernen.
Jedenfall ist es bei mir eine rote Schleife die ich mir ins Haar gebunden habe, die Schleife habe ich ja immer noch.

Die Ultravioletten machen es ganz anders.
Deren Zeichen ist mir noch nicht ganz bewusst.
Aber sie müssen eins haben, denn es sind schon mindestens 20 Mitglieder, die immer weitere Bandenmitglieder finden.
Teilweise werden diese von uns klassischen Banden abgeworben oder gar von einer anderen Stadt, Dorf oder sonstigen Anstallt nach Detroid geholt.
Jetzt mal im Ernst.
Wer geht schon freiwillig nach Detroid?!
Und dann auch noch um Mitglied bei den Ultravioletten zu werden!
Die versuchen ja noch nichtmal auf ihr Leben klarzukommen, sondern zetteln ständig irgendwelche Kämpfe an.
Höchstes Ziel aller klassischen Banden ist es aus Detroid zu verschwinden.
Teilweise schaffen wir es auch.
Meistens gehen die Anführer, nachdem sich ein brauchbarer Ersatz gefunden hat.
Die Anführer werden ja gebraucht, damit die Bande weiterbesteht und Neuzugänge einweisen kann, damit die nicht elendlig auf der Straße krepieren.

Meine Vermutung ist, dass diese Ultravioletten irgendwie mit dem Labor zusammenhängen.
So ganz blicke ich auch noch nicht durch, denn meine eigentliche Theorie ist zu wahnsinnig um wahr zu sein...
Aber beim letzten Kampf wurde ich verwundet, und dass auch noch direkt zu Beginn, naja es war der Auslöser des Kampfes...
So richtig weiß ich bis heute nicht was damals passiert ist.
Denn ich wurde sofort ohnmächtig und wahrscheinlich im Chaos verschleppt.
Weder Zero noch den Rest der Bande habe ich seitdem gesehen.


Aufgewacht bin ich im Labor.
Die haben dann irgendwelche Tests mit mir gemacht, vermutlich um zu überprüfen ob ich noch Gesund war.
Tatsächlich ging es mir ziemlich dreckig, aber es scheinte mir nichts wichtiges zu fehlen, denn die Tests gingen weiter.
An einem Punkt wurde ein Betonblock auf mich geworfen, ausweichen konnte ich nicht, denn es gab keinen Platz dafür.
Vermutlich sollte ich instiktiv meine neuen Kräfte benutzen, denn es gab keine andere Möglichkeite wie ich es sonst überlebt hätte.
Gesagt wurde mir nichts.
Vermutlich hatten die Wissenschaftler keine Ahnung wie man solche Kräfte einsetzen kann und es läuft hier nach einem "do or die" Prinzip ab.
Kurz vor dem Aufprall verhärtete ich meinen Körper und der Betonblock zerbrach beim Aufprall.
Verletzt hat es mich nicht, die Schmerzen waren trotzdem scheiße.
Nach einigen weiteren Tests bei denen es um grobmotorische Härtetests, wie z.B. Glas mit der bloßen Hand zu zerdrücken ohne mich zu schneiden oder Diamanten zu zerquetschen ging es weiter zur nächsten Kategorie von Tests.
Ich muss auch leider zugeben, den Diamanten zu zerquetschen war etwas über meinen Fähigkeiten, sowie die Hälfte ähnlich schwieriger Tests.

Die nächste Reihe an Tests erfoderten keinen harten Körper, sondern einen weichen.
Beim ersten mal ging es wieder fast böswillig grobmotorisch vor.
Meine Hand wurde festgebunden und mit einer aus Diamanten gebauten Hydraulikpresse zerquetscht.
Dabei weichte meine Hand auf, quoll aus allen Seiten heraus, doch bevor sie zerplatze lies der Druck nach.
Diesmal schmerzte es nur erst gegen Ende und der Schmerz ließ relativ schnell nach.
Als nächstes musste ich durch eine Verschlossene Tür und einen Schlüssen aus einem extrem schmalen und verwinkeltem Rohr holen.
Ich konnte gerade so einen halben Finger reinstecken.
Nachdem ich meine hand aufgeweicht habe konnte ich den Schlüssel am Ende des Rohres ertasten und verhärtete nur die Spitzen meiner Finger um ihn festzuhalten.
Natürlich ging es noch in ewigen Tests so weiter und dauerte wohl insgesamt 3 Wochen bis ich fertig war, ich scheiterte bei ungefähr der Hälfte aller Tests.
Ob dies gut im Vergleich zu anderen Kandidaten war konnte ich nicht sagen.
Aber ich bekam etwas zu essen und wurde weitestgehend nicht gequält, also war es zumindest nicht schlecht für mich.
Die Konsistenz eines Körpers verändern zu können ist eine etwas merkwürdige Fähigkeit.
Ich schreibe eines Körpers, weil einige Tests den Anschein erweckten, als solle ich die Konsistenz eines Anderen verändern, doch dies gelang mir bisher nicht.

Nach den 3 Wochen wachte ich plötzlich in irgendeiner Stadt auf.
Ich war etwas verwirrt, weil dies kein weiterer Test zu sein schien.
Habe ich bestanden?
Wurde ich rausgeworfen?
Irgendwie sehe ich wesentlich älter aus.
Waren das wirklich nur 3 Wochen?
Was wollten diese Wissenschaftler überhaupt?
Meine Fähigkeiten schien ich behalten zu haben, könnte also permanent sein.
Sollte ich zurück nach Detroid?
Eigentlich habe ich meine Bande im Stich gelassen, aber endlich bin ich dieser verkackten Stadt raus.
Die anderen Roten vermisse ich schon, aber selbst wenn ich wieder zu ihnen gehen würde...
Ich weiß ja gar nicht wo Detroid ist.

Was ist UnEsCo?

Nun, in der neuen Stadt angekommen musste ich mich erstmal orientieren. Im Grunde sieht hier alles wesentlich hochwertiger und angenehmer aus als in Detroid. Tatsächlich scheint es kaum organisierte Kriminalität zu geben.

Ich habe allerdings nichts an mir, außer mein weißes T-Shirt und eine Camohose. So hab ich also erstmal die Stadt nach einem Schlafplatz durchsucht und wenig brauchbares gefunden. Ein wenig außerhalb der Stadt war tatsächlich ein Wald in dem man ein brauchbares Lager aufstellen konnte. Es ist ziemlich abgelegen, also muss ich relativ weit laufen um in die Stadt zu kommen, aber dafür wird hier auch niemand versuchen mich zu verjagen.

Überlebt habe ich dadurch Kleinigkeiten zu stehlen. Hier mal eine Handtasche, da mal ein Portemonnaie oder auch einfach nur etwas Obst, das vor den Läden aufgestellt war. Ich hab ziemlich schnell gelernt meine Fähigkeiten zu nutzen, um unbemerkt in eine Tasche zu greifen. Ziemlich nützlich.
Und das war auch der Grund, dass Ryiah auf mich aufmerksam wurde. Gerade war ich dabei etwas Obst einzusammeln, da hat sie mit ihren Adleraugen genaustens gesehen und Verstanden was ich getan habe. Da ich alleine in dreckigen Klamotten irgendwelche Läden beklaute, war ihr meine Situation relativ schnell klar. Sie verfolge mich und tatsächlich habe ich eine ganze Weile gebraucht bis ich dies überhaupt gemerkt habe. Sie kam ganz ruhig auf mich zu und schien sehr freundlich zu sein.
»Hey, was dagegen, dass ich mich zu dir geselle? Ich hab auch ein bisschen Beef Jerky dabei.«.
»Hmmjoar, mach doch.« sagte ich, weil mir im vollen klar war, dass ich ihr sowieso nicht entkommen kann. Da weglaufen keinen Sinn ergab, konnte ich auch genauso gut erstmal auf frendlich tun.

Wir setzten uns in mein kleines, ungemütliches Versteck und aßen ohne uns großartig zu unterhalten. Die ganze Zeit war ich dabei einen Fluchtversuch zu planen, aber nichts schien im geringsten ausführbar.

»Sag mal, als du diese Äpfel besorgt hast, da hast du deine Arme so komisch verfomt... Kann es sein, dass du Esper Kräfte hast?«
»Ähh, kann sein? Was genau sollen Esper Käfte sein?«

»Man kann es wohl als übermenschliche Fähigkeiten oder Superkräfte bezeichnen. Ich hab auch welche«, sagte sie mit einem sehr breitem grinsen.
»Aber die zeigen sich nicht so offensichtlich wie deine. Ich nenne es "Adlerauge", weil ich damit auch die nur kleinsten Bewegungen auf große Entfernung einfach in allen Details warnehmen kann. Zum Beispiel kann ich in einem Ameisenhaufen von 10m Entfernung bis zu 3 Ameisen verfolgen, ohne sie aus dem Blick zu verlieren.. Oder einem jungen Esper, wie er auf 3 meter Entfernung ganz offensichtlich 3 Äpfel und eine Orange mitgehen lässt und dabei seinen Arm unnötig verfomt. Fast so als wolltest du die Aufmerksamkeit der Leute auf dich ziehen.«

»Wie meinst du das? Ich hab mich doch kaum bewegt und erwischt hat mich noch lange keiner!«

»Nun für mich war es kaum zu übersehen.. Aber gefällt dir das Leben hier auf der Straße überhaupt? Meinst du nicht, dass es viel einfacher wäre dich in deinen Fähigkeiten zu trainieren und von anderen Espern leiten zu lassen, während du dich weder um Essen oder Unterschlupf kümmern musst?
Hör mal, ich bin von UnEsCo und wir kümmern uns um Leute wie dich. Bei uns kannst du zur Schule gehen, coole Missionen ausführen. Das klingt doch wesentlich besser als den ganzen Tag nur Obst zu klauen, sich nicht zu waschen und im ganzen Leben nie etwas relevantes getan zu haben.«

»Es gibt also Essen für mich? Ganz umsonst?«
...

Naja und so bin ich an UnEsCo geraten. Ich denke, vorerst bleibe ich hier und schließe meine Ausbildung ab. In meiner kurzen Zeit hier hab ich meine Kräfte schon immens verbessert und eigentlich hab ich ja auch nichts dabei zu verlieren.

Espercamper

Devy in Wohngruppe 11

Nach einer kurzen Zeit in dem Genuss eines lang ersehnten Einzelzimmers, endete dieser Traum abrupt mit der Nacht in der Hiroo, deine neue Schlafzimmerpartnerin deinem Zimmer zugeteilt wurde. Deine beste Freundin Virginia wohnt mit dir in der gleichen Wohngruppe jedoch hat sie als eines der älteren Mädchen den Vorteil in einem der geräumigeren Zimmer im zweiten Stockwerk zu wohnen.

Neben den alltäglichen Haushaltspflichten besteht ein großer Teil deines Training darin, die Grundlagen deiner Esper auf einem für dich sicheren Niveau zu beherrschen. Du bist dir nicht sicher, ob deine Unsicherheit oder ein anderer Grund für deine bisher fehlende Einsatzerfahrung verantwortlich ist. Innerhalb deiner Wohngruppe bist du jedoch dabei keine Ausnahme, sondern vielmehr die Regel. Etwas Neid kommt zwar hin und wieder auf gegenüber den wenigen älteren Eliteschülern die bereits an einem Auftrag der UnEsCo teilgenommen haben, aber im Grunde ist es den teils aus höher rangigen Familien kommenden Bewohnerinnen dieser Wohngruppe ganz recht, sich primär auf das ihnen ermöglichte Studium zu konzentrieren.

Seitdem jedoch mit Hiroo auch Gerüchte um ihren Einsatz eingezogen sind, lässt dich dieser Gedanke deine Kräfte im realen Leben einsetzen zu können nicht mehr los und du entschließt dich deinem Betreuer diesen Wunsch ohne Hintergedanken mitzuteilen. Was schadet es schon ein wenig Erfahrungen von ausserhalb zu machen.

 

Devys Wochenplan

Zeit

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Samstag

Sonntag

6-8 Uhr

Aufstehen, Frühstück, Aufwärmen

Freizeit

8-10 Uhr

Ausdauer-Training

Kraft-

Training

Ausdauer-

training

Kraft-

Training

Ausdauer-

Training

Sport-

angebot

Aufstehen,

Frühstück

10-12 Uhr

Gesell-schafts-kunde

Haushalts-aufgaben

Tutorium - Biologie

Selbst-studium

Tutorium - Medizin

Haushalts-aufgaben

Schwimm-en

12-14 Uhr

Mittagspause

14-16 Uhr

Esper-

Training

Einsatz-

Training

Selbstver-teidigung

Esper-

Training

Selbstver-

teidigung

Freies Training

Waffen-

training

16-18 Uhr

Haushalts-

aufgaben

Selbst-

studium

Entspann-

ung

Haushalts-aufgaben

Wochen-

besprechung

Selbst-

studium

Freizeit

18-20 Uhr

Abendbrot

20-22 Uhr

Freizeit

22-24 Uhr

Ausgangssperre

 

Erklärungen

Spezialeinheiten (rot/lila)

Bildungseinheiten (blau)

Trainingseinheiten (grün)

Rahmeneinheiten (beige/cyan/orange)

 

Espercamper

Cipher in Wohngruppe 10

Cipher benötigte etwas Zeit um sich an sein neues Umfeld zu gewöhnen. Von einer bis zum letzten Kühlschrank vernetzten Welt war sein erster Eindruck vom UnEsCo Campus fast der einer Kleinstadt vom Lande. Tatsächlich war das Militärgelände zwar mit modernster Technologie bis in den Untergrund ausgestattet, doch hatte es mit seinen verstreuten Wohnanlagen, angepasst auf die teils sehr individuellen Bedürfnisse seiner Mitschüler, auch etwas heimeliges.

Neben der Möglichkeit auf ein zukünftiges Studium stehen ihm direkt auf dem Campusgelände selbst Weiterbildungen zur Verfügung. Aktuell steht er jedoch noch unter den strengen Blicken der Campus-Vorsteher. Vor allem aus dem Trainingsbereich ist ihm der Name Penny J. Jackson nahe gelegt worden und der Hinweis, sich vor ihr in Acht zu nehmen. Etwas anders als er sich die Aufnahme in die Organisation der UnEsCo vorgestellt hatte, aber das war ohne Bedeutung. Er hat noch andere Pläne.

In seiner zugeteilten 4er-WG ohne Strom-Versorgung leben noch zwei weitere Schüler des Campus im Alter von 21 bis 26. In seiner bisherigen Beurteilung seiner Esperkräfte war ihm Andy ein ihm nicht unähnlicher Trainingspartner zugeteilt worden. Andy ist selbst Bewohner von Wohngruppe 18. Bei dieser handelt es sich ebenso um eine der Holzhütten ohne Stromversorgung. Es scheint kein Zufall gewesen zu sein, dass Cipher ebenso einer solchen WG zugewiesen worden war.

 

Ciphers Wochenplan

Zeit

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Samstag

Sonntag

6-8 Uhr

Aufstehen, Frühstück, Aufwärmen

Freizeit

8-10 Uhr

Ausdauer-Training

Freizeit Schwimmen Freizeit

Kraft-

Training

Freies Training

Aufstehen,

Frühstück

10-12 Uhr

Esper-

Training

Haushalts-aufgaben

Selbstver-teidigung

Selbst-studium

Waffen-

training

Haushalts-aufgaben

Freizeit

12-14 Uhr

Mittagspause

14-16 Uhr

Gesell-schafts-kunde

Esper-

Training

Tutorium

Einsatz-

Training

Tutorium

Sport-

angebot

Freizeit

16-18 Uhr

Haushalts-

aufgaben

Selbst-

studium

Entspann-

ung

Haushalts-aufgaben

Wochen-

besprechung

Selbst-

studium

Freizeit

18-20 Uhr

Abendbrot

20-22 Uhr

Freizeit

22-24 Uhr

Ausgangssperre

 

Erklärungen

Spezialeinheiten (rot/lila)

Bildungseinheiten (blau)

Trainingseinheiten (grün)

Rahmeneinheiten (beige/cyan/orange)

 

Espercamper

Mikhail in Wohngruppe 5

Die erste Woche in einem geordneten Schulalltag war für Mikhail eher gewöhnungsbedürftig. Aufgrund seiner völlig fehlenden Schulbildung wurde er nach Einvernehmen mit seiner Betreuerin in einer seinem Bildungsstand entsprechenden Klasse eingegliedert. Um den Prozess zu vereinfachen, wurde er in einer der jüngeren Wohngruppen im Alter von 10 bis 14 untergebracht. Trotz einiger Schwierigkeiten in der Aktzeptanz gewisser Schulregeln wurde dieses Vorgehen weitestgehend positiv aufgenommen.

Das ihm zugeordneten Zimmer des Wohngemeinschaftshauses 5 teilt er mit einem weiteren Jungen. Insgesamt bewohnen in etwa 16 Jungen und Mächen von etwa 10 bis 14 Jahren den Gebäudekomplex im Zentrum des Campus.

Aufgrund seiner körperlichen Fähigkeiten wurden er dabei jedoch nach kurzer Zeit in eine der höherklassigen Sporteinheiten umverlegt. Dabei wurden einige der Aufsicht haltenden Einsatzleiter auf ihn und seine besondere Lage aufmerksam.

Mikhails Wochenplan

Zeit

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Samstag

Sonntag

6-8 Uhr

Frühstück + Aufwärmen

Freizeit

8-10 Uhr

Mathematik

Ausdauer-

Training

Haushalts-aufgaben

Kraft-

Training

Mathematik

Haushalts-aufgaben

Frühstück

10-12 Uhr

Gesell-schafts-kunde

Haushalts-aufgaben

Englisch

Gesellschafts-kunde

Englisch

Sport-

angebot

Schwimm-en

12-14 Uhr

Mittagspause

14-16 Uhr

Einsatz-

Training

Esper-training

Natur-wissen-schaften

Waffen-training

Wochen-

besprechung

Selbst-

studium

Selbst-

studium

16-18 Uhr

Haushalts-aufgaben

Selbst-

studium

Selbstver-teidigung

Entspann-

ung

Haushalts-aufgaben

Freizeit

Freizeit

18-20 Uhr

Abendbrot

20-22 Uhr

Freizeit

22-24 Uhr

Ausgangssperre

 

Erklärungen

Spezialeinheiten (rot/lila)

Bildungseinheiten (blau)

Trainingseinheiten (grün)

Rahmeneinheiten (beige/cyan/orange)

Espercamper

Allochronic - Tutorial (GM)

Training will gelernt sein

Es ist Montag, der 08.02.2029. Auf eurem Stundenplan steht eine sonderbares Einsatztraining eingetragen. Mit niemand geringerem als Penny J. Jackson als Trainingsleiter dieser 2 Stunden. In eurem bisherigen Training habt ihr lediglich Gerüchte über ihre Einsätze gehört und könnt euch noch nicht genau ausmalen was euch erwarten wird.

Da ihr vermutlich gerade von einer normalen Trainingseinheit kommt, seid ihr unter eurer winterlichen Kleidung möglicherweise noch in eurer üblichen Trainingstracht gekleidet oder habt diese in einer Sporttasche dabei. Ihr kommt fast gleichzeitig im Eingangsbereich der kleinen Trainingshalle an. Ihr lasst die eisige Kälte vor der Tür. Seit November hält die Kälte bereits an und seit Dezember türmen sich die Schneemassen auf dem Campusgelände. In einer Runde steht ihr euch gegenüber. Vier Schüler des Campus: R3tr0, Mikhail, Devy und zu guter letzt Hiroo.

Nach einer kurzen Weile betritt eine weitere Person den Raum. Es ist Avery Belroyth, einer der jüngeren Trainingsleiter. In seiner schlacksigen Art öffnet er die Eingangstür und zieht einen eisigen Wind mit sich. "Wuhaaa, was für eine Kälte..."

 

Avery Belroyth

Avery-Belroyth-2.jpg

 

Avery Belroyth ist etwas über die 30 und hat kurzes braunes Haar. Er trägt eine matt glänzende Hose mit dazugehöriger Jacke. Als Teil der ausgebildeten Elite vom Campus bildet sich Avery Belroyth durchaus etwas auf seinen Status ein. Es gibt einige Gerüchte, primär aus seiner eigenen Ausbildung am Campus die er hier abgeschlossen hat, doch nichts das ihr mit dieser Person vor euch in Verbindung bringen würdet. Nach aussen ist er dafür bekannt sich seiner Trainingsschüler intensiv anzunehmen. Er war häufiger Teil von Einsätzen.

"Was schaut ihr so bedrückt in die Runde?", er holt einen gebundenen Notizblock und ein kleines elektronisches Gerät aus seiner Jackentasche. "So, wollen wir mal keine Zeit verschwenden. Ihr seid die Truppe die ich begutachten soll? Namen? Und gerne auch eine kleine Selbsteinschätzung, was ihr von euch und dem heutigen Tag erwartet."

"Dann mal los mit den jungen Pferden. Ein paar Prüfungen warten auf uns." Er zeigt in Richtung der Halle. "Eines vorweg. Sollte einer von euch in allen drei Einheiten durchfallen, seid ihr raus. Ich habe keine Lust auf unnötigen Ballast."

"Zuallererst führen wir eine allgemeine Team-bildende Maßnahme durch, gefolgt von einer Kampfeinheit und zum Schluss eine Prüfung eurer Auffassungs- und Investigationsgabe durch.  Irgendwelche nicht auf die individuellen Prüfungen gezielte Fragen?"

"Gut, dann sollte hoffentlich alles geklärt sein. Folgt mir bitte in die Halle. Wenn ihr die Umkleideräume benutzen müsst, weißt ihr ja wo diese sich befinden. Trödelt nicht zu lange." Er geht in seiner ungewohnt für Trainingsleiter schlacksigen Art durch den Haupteingang zur Halle.

In der kleinen Trainings-Halle stehen die üblichen Geräte die ihr aus eurem bisherigen Campusalltag kennt. Avery studiert unterdessen seinen Notizblock neben einem der auf dem Hallenboden eingezeichneten Felder.

 

Dodge the ball

"Seid ihr soweit? Dann teilen wir euch Mal in 2 Teams auf. Irgendwelche Wünsche?"

Hiroo meldet sich zu Wort: "Ich bin in ihrem Team." Und sie deutet auf dich, Devy.

"Dann soll es so sein. Wir spielen nun eine Runde Dodgeball. Ihr kennt ja die Regeln. Mit einer kleinen Anpassung. In den beiden inneren Feldern steht einer und in den äußeren jeweils einer. Der Spieler im Inneren hat 3 Leben und kann durch einen Treffer verringert werden. Fängt der Spieler aus der Mitte erhöht sich sein Leben um 1. Bei 0 ist Game Over, nach 10 Minuten hat das Team mit den meisten Leben gewonnen. Einfach oder?"

 

Dodgeball Spielfeld

 

Dodgeball haben eine +25% Trefferchance. Fehlgeschlagene Würfe können mit Athletik gefangen werden. Bei Misserfolg wird man getroffen.

Hiroo schummelt und nutzt ihre Energiekraft. Sie nutzt Energie um ihre Würfe unfangbar zu machen. Bei einem Treffer wird Schaden wird um die verwendete Energie erhöht.

"Hey, was soll das? Seit wann glaubst du hier machen zu können was du willst?", donnert die Stimme von Avery los. Hiroo schaut in seine Richtung. "Deine Zusatzregeln haben nicht die Verwendung von Esperkräften ausgeschlossen." Avery hält sich die Stirn und scheint sich wieder zu entspannen. "Dann auch für dich: In Dodgeball wird nicht mit der Gesundheit deiner Mitspieler rumgespielt." Hiroo rollt mit den Augen.

Spiel endet und Avery verkündet den Sieger.

"Gutes Spiel. Ihr habt was drauf..."

"Kommen wir ohne Umschweife zu unserer nächsten Einheit." Avery deutet in Richtung des hinteren Komplexes. "Hier werdet ihr euch etwas austoben dürfen." Er schaut insbesondere Hiroo an.

 

Hiroo's in the house

Ihr kommt in einer zweiten Halle an. In dieser seht ihr aus Wänden einen zweigeschössigen Komplex. Milchige Fenster sind in den Wänden eingelassen. Avery führt euch heran. "Jeder von euch wird durch einen der vier Eingänge gehen, mit oder ohne eine Waffe seiner Wahl. Ziel wird es sein, die Zielfiguren im Inneren auszuschalten." Er bestätigt sein elektronisches Gerät und eine Ziel Figur schießt hinter einer Abdeckung hervor. "Schafft ihr es nicht, das Ziel zeitnah auszuschalten wird es automatisch verschwinden." Er nimmt einen der Stunner und schießt auf das Ziel. Es klappt zu Boden und ein heller Buzzer-Klang ist zu hören. Er legt die Waffe wieder zurück und deutet euch an eine der Waffen zu nehmen. Vor euch liegen 3 Taser, 2 Holzkatana und 3 Stunner. Ihr dürft eure Waffe vorher gerne testen.

Die Ziele haben eine Gesundheit von 15 und verteidigen sich nicht. Stunangriffe betäuben direkt.

"Insgesamt befinden sich 15 Ziele in dem Gebäude. Hierbei zählt allein eure Eigenleistung. Viel Erfolg." Avery begleitet euch zu eurem jeweiligen Eingang. "Wenn die Lampe grün wird, beginnt der Test und die Zeit läuft." Er begibt sich zur Waffenablage.

Ein heller Klang erklingt und die Lampen werden grün.

Pro Raum erscheinen bis zu 3 Ziele zeitverzögert. Nach 2 Runden verschwinden sie.

 

Erstes Geschoss

 

Zweites Geschoss

 

In Stockwerk 2 erfasst eine Explosion den mittleren Raum. Das Glasfenster zerspringt.

Athletik - Im Zimmer befindliche Personen erhalten einen Basiswurf Agilität 7 Schaden.

Ihr seht wie Hiroo leicht grinsend aus dem angefackelten Raum heraus kommt. Einen kurzen Moment später erscheint Avery in der Zimmertür.

Hiroo versucht die Flammen mit Absorption zu absorbieren. Bei Fehlschlag zieht Avery einen Feuerlöscher und lässt eine weiße Schaumfontäne über das Wohnzimmer und auch ein wenig über Hiroo regnen. Sie ist darüber nicht amüsiert.

"Kein Stück Selbstbeherrschung." - "Hast du nicht gesagt, dass wir uns hier austoben dürfen?" - "Damit meinte ich nicht den Laden hier abfackeln oder gar deine Mitschüler gefährden." Er wendet sich in eure Richtung. "Ist alles bei euch in Ordnung?"

Sofern jemand verletzt ist, verarztet Avery ihn.

"Mit ist es egal was Jackson sagt, du bist raus. Ich will dich nicht auf der Mission dabei haben." - "Als ob, das Teil ist aus dem Nichts von oben gekommen. Was soll denn so ein Bullshit!" In diesem Moment klingelt sein Telefon. Er schaut kurz auf den Display. "Ihr sammelt euch unten." Er verlässt zügig das Zimmer, nachdem er Hiroo einen ernsten Blick zuwirft.

Avery telefoniert mit Jackson. Er führt ein angestrengtes Gespräch mit einer weiblichen Stimme.

Nach einer Weile kommt Avery wieder zurück zur versammelten Gruppe. Aus dem Eingang seht ihr eine Frau auf euch zukommen. Die Schritte hallen durch den Raum. Ohne Umschweife kommt sie auf Hiroo zu. "Du machst es dir eine Herausforderung daraus, eine Enttäuschung nach der anderen heraufzubeschwören." - "Bitte was..." - "Nachdem du zuvor eine so vielversprechende Leistung aufweisen konntest, ist es umso bedauerlicher wie du es nicht schaffst einen Tropfen Verantwortung zu zeigen." - "Der Typ hat doch völlig überreagiert. Rein garnichts ist passiert und er schiebt hier so eine Nummer." - "Du scheinst zu vergessen wen du hier vor dir hast." Jackson wendet sich an Avery. "Ich vertraue voll auf deine Fähigkeit die restlichen Anwärter unter Kontrolle zu halten. Die Mission übergebe ich an dieser Stelle an dich. Für die Auswahl deiner Kadetten lasse ich dir volle Hoheitsgewalt. Ich war ohnehin nur zur Inspektion hier, um zu überoprüfen, ob du dich der Verantwortung als Einsatzleiter gewappnet fühlst. Und natürlich kann ich Hiroo nicht aus dem Auge lassen." "Was soll denn der Spruch...?" - Jacksons Stimme wird eiskalt.  "Ich will nichts mehr hören. Du bist für diese Mission ungeeignet. Hierbei handelt es sich um eine reine Aufklärungsmission." Hiroo schüttelt mit dem Kopf. Sie ist sichtlich ungehalten. "Ich hab genug.", sie schaut auf Avery. "Dann mach doch deine fucking Mission alleine." Hiroo stampft ab, nachdem sie ihm noch eine unangemessene Geste zuwirft. Jackson wendet sich erneut an Avery. Am Ende der Halle hört man noch den Knall einer Tür. Nach einem kurzen Atemzug fährt Jackson etwas weniger kalt fort. "Ich erwarte einen sauberen Missionsbericht. Alle weiteren Details, auch zu unserem Informanten vor Ort erhalten sie im Morgengrauen. Und übertreiben sie es nicht bei der Auswertung." "Ja, Sir.", erklingt die Stimme von Avery. Mit einem letzten Blick über die Schüler wendet sich Miss Jackson ab.

Avery wendet sich wieder euch zu. Seine Anspannung weicht etwas von ihm. "So, haben wir uns alle beruhigt oder möchte noch jemand Türen hochjagen?"

 

Das nennst du investigieren?

"Dann kommen wir zu eurer letzten Aufgabe. In der aktuellen Konstellation ist hier eigentlich keine Teamarbeit mehr möglich. Was diese nicht unbedingt ausschließt. Um eure Auffassungsgabe zu prüfen wird es eure Aufgabe sein, mir den eurer Meinung nach wertvollsten Gegenstand aus dem gerade sichergestellten Gebäude zu bringen. Solltet ihr kollaborieren und einen Gegenstand gemeinsam abgeben wollen, wird der Wert fair aufgeteilt. Ihr werdet hierbei 30 Minuten zur Verfügung gestellt bekommen. Doch vergeudet sie nicht, die sind für die meisten Prüflinge schneller rum, als sie sich vorstellen können.

Hinter einem Bild befindet sich ein Tresor. Für das mechanische Drehschloss wird ein Schlüssel benötigt der im zweiten Stock in einem Buch versteckt wird. Zusätzlich wird eine Kombination benötigt. Diese findet sich in dem Backofen oder dem Kühlschrank im ersten Stock. "Fünf an der Zahl: Erst ein Kleinkind, dann Erwachsen, zum Schluss mit Krückstock. Am Ende lauert das Unglück." Im Tresor befindet sich ein altertümliches Buch mit Skiziierungen von mechanischen Konstrukten, (Falsch-)Geld, ein einzelner Diamantring und ein in mit einem Siegel versehenes Pergament. Dieses ist leer. Im 2. Stock gibt es auf dem Arbeitstisch einen Hinweise mit einem Pinsel und einer ausgequetschten Zitrone. Daneben sind rote Tropfen sichtbar. Auf dem Pergament steht "Bestanden".

Im Haus befinden sich bis auf die eingezeichneten Wertsachen zusätzlich Geld von bis zu 100$, eine Perlenkette und eine Magnum im Nachtschrank, eine schicke Abendgarderobe und 50 Jahre alter Whiskey im Wohnzimmerschrank.

"Seid ihr schon fertig?" oder "So langsam läuft euch die Zeit ab."

Avery zückt seinen Notizblock und studiert seine Kritzeleien. Vor euch wertet Avery eure Leistungen aus.

Avery zählt Mängel auf, aber auch positive Aspekte.

"Ich bin durchaus angetan von euren Leistungen..." oder "Es hätte besser laufen können. Doch..."

"...Im Anbetracht der Umstände, sehe ich euch als Bereicherung für diese Mission an."

"Morgen wird es früh losgehen. Ihr habt ja bereits die Schneemassen draussen gesehen, daher legt euch auf jeden Fall warme Sachen an. Die Reise geht zwar in den Süden, in Dallas hat sich der Schnee aber auch schon eingenistet. Daher werden wir auch nicht die Interstate Route 35 nehmen können. Das würde uns nur zu viel Zeit nehmen. Da für morgen die Flugbedingungen ausreichend sind, werden wir den Großteil der Strecke fliegen. Ich hoffe keiner von euch hat Höhenangst."

"Teil eurer Mission wird es sein mich bei dem gemeldeten Phänomen zu unterstützen. Es handelt sich dabei um keine Aussenübung, dennoch habe ich aus Vorsorge entsprechende Hilfsmittel besorgt. Dazu morgen mehr. Ich erwarte euch Punkt 7 Uhr am Haupteingang der Administration."

Avery entlässt euch. Ihr habt den restlichen Tag freibekommen. Es ist 18 Uhr. Ihr habt die freie Wahl wie ihr euren Abend vor der Mission verbringen wollt.

Espercamper

Allochronic

UnEsCo Campus

UnEsCo-Zentrum-Text.png

Avery Belroyth

Avery-Belroyth-2.jpg

Dodgeball Feld

Stockwerk 1

Stockwerk 2

 

Avery Belroyth Alternative

Avery-Belroyth.jpg

Level 65 - DataBCC

 

Level 64

Brükcke

Level 65 - InoLabds

Level 64 - InoLabs

Taeni

Taeni-Masai.jpg

Shahir

Shahir-Masai.jpg

 

Espercamper

Elevarem

 

Andrew Garfield

Andrew-Garfield.jpg

 

Erdgeschoss

 

Obergeschoss

Wohnung

Vergnügungsviertel

Valery Coleman

Valery-Coleman.jpg

Mirabell

Mirabell-Smith.jpg